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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

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Nr. 47 (Januar 1911)
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Adler, Joseph: Ein rheinisch Dichterleben
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Walden, Herwarth: Meine Woche
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https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0382

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— unter’m Strich — den Ereignissen der Zeit folgt
und die Schwächen der Gegenwartsmenschen persi-
fliert, so finden sich doch auch bei der Jahresernte
dieser Revuen viele, viele reife Früchte vom grün-gol-
denen Baume des Lebens eines Dichters.“

Der folgernde Zug in der Clobesschen Stilistik
bringt die Weichen der Vergleiche fast zum Entgleisen:
Den Diogenes von Sinope brachte eine „hündische“
Philosophie bis in ein Fass hinab, das ihm als Wohn-
raum genügte. Dem Diogenes von Frankfurt gelang
es nicht am wenigsten durch die Weisheit, die man —
mit Wein vermengt — aus Fässern zapft, zum Villen-
besitzer sich emporzuschwingen. Nur dass der Dio-
genes von Sinope ein Fürst in seinem Fass war,
während der Diogenes von Frankfurt in seiner Villa
um die Gunst der Musen bettelt.

„Einem Manne wie Presber, der mit grosser Souve-
ränität die Vorgänge der Zeit in der Dichtung festhält,
der mit seltener Meisterschaft am sausenden
Webstuhl seine formgewandte Kunst beherrscht,
musste sich der Kreis der Lustigen Blätter er-
schliessen “

Presbers „ansteckender“ Humor fand den ge-
eigneten Rahmen in dem „trefflichsten Witzblatt der
Metropole,“ und hier gesellte er zu seinem schon
bekannten Pseudonym (Diogenes) ein neues: Mirza
Spira! „Gute Kenner seiner Muse werden ihn hinter
dem sterotypen M. Sp. schon richtig vermutet haben.“

Wie wenig Witz ist doch notwendig, um der Welt
etwas als Humor aufzudisputieren, was in Wahrheit
nur grotesk wirkender Mangel an wirklicher Begabung,
ein grinsendes Zuwenig an Ernst und Männlichkeit ist.

In dem engen Rahmen der Lustigen Blättern soll
Raum genug sein für einen Humor „der kein Talent
und keine blosse Nuance sondern einfach eine
Weltanschauung ist, errungen im Kampfe
gegen den Pessimismus.“

Er ist zu gut gekauft, der Biograph, um nicht den
Mut zu besitzen, Befreiungskraft und Sieghaftigkeit
einem Humor zuzuprahlen, der die beachtenswerte
verkörperte Jammerfratze der Furcht und Flucht vor
einem Pessimismus ist, der alle Halbheit hart zermalmt.

„Seltsamerweise spielt die liebe Liebe in Pres-
bers humoristischen Novellen eine sehr geringe Rolle.“
Desto mehr merkt man in seinen Gedichten den „be-
fruchtenden Einfluss“ des Frauentums. „Presber be-
kannte sich weit eher zu seines Goethes Wort von
dem Ewigweiblichen, als dass er der Verachtung und
Verneinung seines Antipoden Nietzsche Ausdruck
gegeben hätte.“

Konnte er das überhaupt? Und wie undankbar
wäre es von ihm, jenes Element zu verachten, dessen
befruchtender Einfluss seinem Primanerhang zur Poesie
zustatten kam. Und wieder sind es Frauen, Mädchen
und femine Jünglingsnaturen, die ihn ermuntern, alter
Gewohnheit zu fröhnen. Dafür geht er „auch kon-
form,“ jawohl: konform, mit Ernst von Wolzogen,
der uns mahnt, die Mädeln nicht zu verachten, die
lieben süssen Mädeln. „Und diese beiden sind sich
wieder mit den zu früh heimgegangenen Dyonisiern
Bierbaum, Hartleben und Liliencron darin einig, dass
ein kussfeuchter Mund und Mädchenaugen lachende
Philosophie und naturgemässe Lebensweisheit zugleich
sind.“

In seiner Reporterbegeisterung für kussfeuchte
Lippen süsser kleiner Mädchen setzt Clobes die
Namen Presber und Liliencron nebeneinander lhn
schreckte kein Blick für den Abstand, der zwischen
diesen beiden unabsehbar droht, und seine Feder zer-

brach nicht an solcher frivolen Zusammenkoppe-
lung. Im Gegenteil. Sie fuhr fort, Lobendes und
Schönes über den feschen Rudi zu sagen, „der
sich in einer gar nicht seltenen Anwandlung von Selbst-
ronie diesen Vierzeiler auf den Leib schrieb:

„Und liegst Du einst, die Lippen schmal und blau,
Gestreckt die Glieder, die im Tod gefrieren,

Du wirst, so fürcht - ich, mit der Leichenfrau,

Die Dich rasiert, noch einen Flirt riskieren.“

Poesie für Juxkarten.

„Die literarische Kritik hat Rudolf Presber vor-
geworfen, dass er zu viel und zu leicht produziere.“
Die literarische Kritik (selbstredend nicht die, die
Clobes meint, die kommt für die Literatur über-
haupt nicht in Betracht) hat Presber noch gar-
nichts vorgeworfen. Sie wirft ihn nur dorthin,
wohin er einzig und allein gehört — in die Lustigen
Blätter und „unter’n“ Strich.

Clobes gibt zu, dass Presber viel produziert, doch
er kann nicht anders, weil er als Feuilletonist einfach
kontraktliche Verpflichtungen zu erfüllen hat. „Und
diese müssen uns schon veranlassen, zwischen dem
fleissigen Journalisten und dem echten Dichter zu
unterscheiden. Und hat nicht auch Shakes-
peare ausserordentlich viel geleistet?“

Shakespeares Geist sitzt an Presbers Arbeitstisch.
Er beschreibt Blatt um Blatt der hohen Papierstösse,
die Presber für sich herbeigeschleppt hat. Drama um
Drama, Meisterwerk um Meisterwerk entsteht, aber
Presber weicht nicht. Noch einen letzten Sturmangriff
vollführt der fast schon erschöpfte Geist, dann entfiieht
er mit einem Scheidebiick der Verzweiflung von dem
noch unbeschriebenen Papierblöcken, die nun Presber
anheimfallen. Und „mit Lerchen und Finken um die
Wette besingt er alles, schenkte ihm doch Mutter
Natur die Gottesgabe dazu. Wer erst ein Buch
von ihm in die Hand genommen hat, den lässt es
nicht mehr, und er begehrt stürmisch nach einem
gleichartigen andern“

Es lässt ihn nicht mehr, den vertrottelten Lese-
plebejer, er verlangt mehr von der süssen Kost, die
sich so angenehm verdauen lässt.

Aus dem Staub, der auf dem grösseren Teil der
Heineschen Lyrik liegt, formt Presber seine Reimgebilde.
Auch er ist, und vor allem als Journalist, nicht mehr
als „eine Wanze aus der Matratzengru ft.“
Allerdings masst er sich viel an, und Clobes schliesst
sein Buch mit der wehmutsvollen Gewissheit, dass er
einer ausgeprägten Dichterindivualität nicht gertcht
wurde. Sie „voll und ganz“ zu würdigen, soll den
Literaturhistorikern vorbehalten bleiben.

Ich trat ihnen auf diesem Haufen der Literatur-
schmarotzer einen Schritt zuvor — sie soilen es mir
nicht danken.

Joseph Adler

Meine Woche

Das Wunder

Also endlich kann ich den Lesern des Sturms den
Gefallen tun, um den man mich fortgesetzt schriftlich
bittet: einmal zu loben. Es ist nicht meine Schuld
wenn es nicht allzuoft geschehen kann. Aber Mittel-
mässiges hasse ich mehr als Schlechtes. Und das Gute
ist selten wie das Wunder.

Ich hörte den dritten Abend des Böhmischeu
Streichquartetts und setze die Namen dieser Vier-
einheit hin: Carl Hoffmann, Joseph Suk, Ge-
org Herold, Hans Wihan. Denn jeder ist ein
Künstler, ein Mann inneren Erlebens, mit der Fähig-
keit, sich zu offenbaren Andere Musiker geben nur
Töne von sich, mit und ohne Apparate. Sie „musi-
zieren“. Eine Privatangelegenheit, aber keine Kunst.
Man muss auch als Ausübender so gut sein, zu ge-
stalten. Beethoven herunterfiedeln ist Gottesläste-
rung: nie hat es ein grösseren Genie gegeben. Dieses
B-dur-Streichquartett! Ein Gott fesselte Göttiiches,
schuf die Ewigkeit körperlich — liess Körperliches
fliessen. Und ergreifend ergriff die Viereinheit Fliessen-
des, verewigte Körperliches, cntfesselte Göttliches

Ein Wunder.

Am achten Februar ist es wieder zu erleben. Wer
an mein Wort glaubt, der gehe hin und lausche der
Offenbarung.

Aeusserliches

Seit Jahren rede ich gegen die Gleichgültigkeit der
Konzertveranstalter und predige selbstverständiich den
berühmten tauben Ohren. Schliesslich sind ja auch
Agenten nicht zum Hören da, sondern zum Verrechnen.
Aber vielleicht machen die Musiker einmal die Augen
auf. Gegen die lächerlichen Meisterbüsten, die biöden
Gemälde und die verkitschte Innenausstattung der
Berliner Konzertsäle werden sie nichts ausrichten kön-
nen. Konzertsäle prangen nun einmal im Goldstuck
Aber dass die „Lüster“ ihr Licht in der von Ludwig
Pietsch erfundenen verschwenderischen Fülle auf die
beängstigten Hörer werfen, könnten sie sich verbitten.
Nirgends ist schnelle innere Sammlung nötiger, als für
die Musik. Sie wird durch Augenschmerzen nicht
grade gefördert. Natürlich erzeugt das Werk und sein
Vortrag die Stimmung. Was ich nämlich auch weiss.
Nicht etwa die Verdunklung des Saales. Aber sie ver-
hindert die äusseren Hemmungen, die sich aus Massen-
anhäufungen ergeben. Die „Gesellschaft“ wird aller-
dings um einige Sensationen ärmer, aber die Künstler-
menschen um einige reicher. Konzerte sind zurn Hören.
Das Gesehenwerden besorge man in den Pausen.
Sehen will so wie so niemand. Wozu also die ver-
schwenderische Fülle? Iin verdunkelten Saal werden
dem Musiker vielleicht auch die Schattenseiten des
Podiums auffallen. Der Künstler ist Bohemieng, denkt
der Agent und benutzt es als Rumpelkammer. Ueber-
flüssige Stühle, Pauken, Flügel und Notenständer ver-
anschaulichen die historische „künstlerische Unordnung“.
Nur die Zahnbürste fehlt zur vollkommenen Witzblatt-
illustration. So ein Stuhl, der mit hochgestreckten
Beinen bäuchlings auf dem andern liegt, kann der
Sängerin meuchlings auf die Schleppe fallen und den
Ton, der ihr nicht aus der Kehle dringt, zu einem
Geräusch anschwellen lassen, das höchstens Richard
Strauss noch musikalisch wertet. Und selbst von diesem
äussersten Glücks- oder Unglücksfall abgesehen, fürchtet
der Hörer fortwährend die Tücke des Objekts und den
Zufall, an dem sich die Kunst bekanntlich stets stösst
Aber Agenten und andere Musikfreunde leisten ihr
Widerstand und stosseri zurück.

Trust

Verantwortiich für die Schriftleitung
HERWARTH WALDEN / BERLIN-HALENSEE

Verantwortlich ftir die Schriftleitung in Oesterreich-Ungarn
I. V.: Oskar Kokoschka

Mauerstrasse 86—88

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