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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

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Nr. 52 (Februar 1911)
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Nr. 53 (März 1911)
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Döblin, Alfred: Der Rosenkavalier
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Schwiefelt, Fritz: Lina Lossen
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Adler, Joseph: Die Musen
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https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0429

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Dr. Strauss hätte die ganze Affaire komponiert, ehe
überhaupt etwas fertig war, und die Theaterauf-
führung hätte stattgefunden, ehe überhaupt die Autoren
an das Stiick dachten. Es eröffnen sich hier ganz
neue Perspektiven. Aeltere Autoren pflegten bekannt-
lich ihre Sachen zu iiberarbeiten. Die neue Methode
bringt es mit sich, dass der Autor in der siebenten Szene
nicht mehr weiss was er in der vierten schrieb. Die Per-
sonen entsinnen sich nicht mehr, vvas sie im vorigen
Akt gesagt haben, und in einem Stück ähnlich Romeo
Julia ist Romeo eben bereit, den Knoten tragisch zu
lösen, als der Vater erscheint und erklärt, seinetwegen
brauche Romeo sich nicht umzubringen; er stamme
aus einem anderen Stück und sei im ersten Akt bloss zu-
fällig hier vorbeigekommen. Dieser Zustand wird im
Rosenkavalier um so eher begreiflich, als Dr. Strauss
nach Mittheilung des p. Schattmann die thematische
Arbeit zwar nicht völlig verlassen, so doch gänzlich
aufgegeben hat („Triebkräfte innerer Erregung“ und so).

Und da verstehen wir alles: wir sehen mit A.
Schattmann, dass Dr. Strauss in diesem Stück einen
Schritt weiter gegangen ist. Und zwar bestand das
Nähere des Schritts darin, dass er der Fantasie, die
sich für einen echten Künstler ziemt, die Zügel
schiessen liess. Als die schiessen gelassene Fantasie
über den Schritt erstaunte, liess Dr. Strauss sie
spielen, was ihr gegen den Strich ging, worauf sie den
Doktor kurzer Hand entrükte. Das Zielenlassen nun
der ihm entrückenden Fantasie, der er aus Triebkräften
innerer Erregung die Zügel schiessen liess, war immer-
hin derart, dass er einen Schritt weitergehen konnte,
undlihn der „holde Wahn“ erfasste, ihn, „den Kenner
und Wiederbeleber Mozartischen Geistes in ungezählten
Aufführungen, eine Kongenialität, die wenigstens bis
zum gleichen Grade —1“

Alfred Döblin

Diese unter den Augen von Richard Strauss entstandene „Ein-
führung“ in den Rosenkavalier ersehien in Verlag Adolph Fürstner,
Berlin.

Lina Lossen

„Und dennoch sagt der viel, der „Abend“ sagt,
ein Wort, daraus Tiefsinn und Trauer rinnt . . .“ Liegt
nicht schon im schweren Dahingleiten ihres harmonisch
gefügten Namens die himmlische Ruhe dieses Weibes
beschlossen I Wenn sie auf lautlos weichen Schritten
vorüberschwebt, sich niedergleiten lässt, wenn aus der
Mutterhut ihrer zärtlichen Wimpern ein leicht geflügelter
Blick aufschwingt wenn — Schmetteriingen gleich — in
weichgeschwungener Kurve tändelnde oder schwermütig
flatternde Worte ihren Lippen entgleiten, — weg mit
Aristokratie und Edelfrauentum, das Weib ist wie ein
Kreis, dessen Harmonie in sich selbst zurückschwingt,
diese Frau ist ein Kunstwerk. ein Rhytl.mus, ein ruhig
orgelhafter Akkord im umhythmischen Gewühl unseres
hämmernden Lebens

Sie las Gedichte von George, Hofmannsthal, Dehmel
und Rilke. Haltlos trauernde Verse, die ihre Schwer-
mut wie schleppende Gewänder tragen, und durch die
steilen Falten hindurch fühlte man das Zucken wund-
lebendigen Lebens, wie man das Leben ihres kathedraben
Körpers durch die Falten ihres seidenen Gewandes
hindurchfühlte; sie las den zwanzigsten Gesang aus dem
Poggfred und Thomas Manns Erzählung: „Ein Glück“,
gottseidank gar nicht schauspielerisch, gar nicht ver-
sessen auf Herausarbeitung billiger Kontraste, sondern
mit Weibesinstinkt darauf bedacht, die Sehnsucht einer
verlorenen Frauenseele schluchzende Musik werden zu
lassen, mitfühlend und mitleidfühlend, ihre eigene Sache
gleichzeitig vertretend, gleichzeitig preisgebend. Das war
das Erschütternde, wie sie das Mysterium einerfrierenden
Seele wie eine zag geschlossene Blume mit zitternden
Händen auseinanderbog und eine warme Träne in den
frostigen Kelch hinabtropfte.

Lina Lossen ist ja im Grunde keine Komödiantin
mit dem Auswechslungstrieb eigenen Lebens, ihre
wundervolle Kunst ist der mystische Prozess einer
Wärmeausstrahlung, ein Duften und Ausströmen ihrer
ruhig klaren Weiblichkeit, ein gefälliges Umhüllen des
unrastvollen Lebens mit dem weichen Mantel ihres
mitleidsvollen Weib- und Weltgefühls, ein Harmonisieren
und Ausgleichen.

Fritz Schwiefelt

Die Musen

„Geist ist kein allgemeines Bedürfnis.
Wer damit handelt, mache sich dahervon
vornherein auf eine beschränkte Anzahlvon
Abnehmern gefasst.“

Diese grobe Sentenzlüge lieferte Ludwig Fulda
dem Musen-Almanach des Presseballs als Beitrag. Geist
ist etwas, das wenige besitzen, und die Produkte, die
sie aus ihm ziehen, sind so gewiss ein allgemeines
Bedürfnis, als sie keine Waren sein können, mit denen
man schachern muss, damit sie Abnehmer finden.
Fuldas Dichterexistenz ist die s^hlotternde Bestätigung
der unleugbaren Tatsache: dass Geist ein allgemeines
Bedürfnis ist. Es war eine blasierte Vermessenheit von
Fulda, dem Presseballmusenalmanach diesen Trugapho-
rismus abzulassen. Gerade und nur dem allgemeinen
Bedürfnis nach Geist verdankt er sein Ansehen und
seinen Wohlstand. Das allgemeine Bedürfnis nach
Geist ist da, aber das Publikum wird dessen in zuvor-
kommender Weise „entäussert“. In seiner Gedenkrede
um Löwenfeld verstieg sich Fulda zu der Phrase vom un-
stillbaren Hunger des Volkes nach Kunst, und vier
Wochen später behauptet er kalt: Geist sei kein all-
gemeines Bedürfnis. Ja, wenn der Geist, nach dam
keine Nachfrage herrscht, mit der Kunst, um die das
Volk „mit unstillbarem Hunger wirbt“, nichts gemein hat,
behält Fulda Recht. Dann haben die tntelektuellen
keinen „Bedarf für Geist“, trotz Fulda und allen den
andern nicht (wer zählt die Namen?), die sich in Vers
und Prosa im Musenalmanach zusammentaten.

„Der alte Träger eröffnete die Bardenreihe“
Der noch jugendfrisch e Achtziger dichtet natur-
gemäss kindisch.

Diamantendurchleuchtete Nacht,

Funkelnder Orden vornehme Pracht,

Drängen und Schieben sanfter Gewalten,

Stolzer Schritt, geduldiges Halten
Vor der Leiber lebendigen Wall —

Führe mich auf den Presseballl

•Blendender Reize Locken und Fliehn,

Alles, was schön und reich in Berlin,

Tönender Namen volles Register,

Adel, Militär und Minister,

Wirbelnder Tanz und Trompetenschall,

Führe mich auf den Pressseball!

Man muss ihn in der diamantendurchleuchteten
Nacht docli nicht „dahin“ geführt haben, denn der
„tönenden Namen volles Register“ trug eine Lücke.

Die Jungen gjeichen den Alten, diese schreiben
wie jene, Presbers Humor ist gerade so alt, als Stetten-
heims Witz je frisch war!

Für das Damengeschenk des Ballfestes, das alles
anlockte, „was schön und reich ist in Berlin,“ dichtete
Presber, der Liebling der Frauen ein Geständnis, das
in seiner Banalität die Distanz bestätigt, die einen
Dandy von einem Parvenü trennt.

Lahme Pferde vor schickem Wagen,

Ahnenstolz in einem Wicht,

Und Genies mit dreckigem Kragen,

Schlagt mich tot, ich mag sie nicht.

Aber der „Lokal-Anzeiger“: „Von A bis Z vor-
treffliche Autoren, die sich im Almanach von der
besten und heitersten Seite zeigen“.

Welchen Wert können die Werke von Adolf Wil-
brandt, „dem Meister des Romans und der Novelle,
dem Seele nergrün der“, besitzen, wenn sein Alma-
nachbeitrag schon zu dem Besten und Heitersten zählt,
das er zu geben vermag. „Wilbrandt kennt kein ge-
fährliches Alter der Frau“, und er schreibt:

„Als junger Bursche musst’ ich oft erfahren:

Am höchten blüht die Frau von dreissig

Jahrenl

Viel später ward mir, ganz allmählich klar:

Die Frau von vierzig lebt im schönsten Jahr.
Jetzt denk ich oft: Ihr Frau’n, euch wird noch

glücken

Mit fünfzig als der Krone euch zu schmücken.

Wie wird es den Frauen glücken, mit fünfzig als
der Krone sich zu schmücken? Der Meister des
Romans und der Novelle, der Seelenergründer, über
Siebzig alt, kennt freilich kein „gefährliches Alter“ der
Frau.

Ein anderer Psychologe, der Hermann Bahr
enthüllt uns im Almanach „seines Wesens Kern“
in folgender Strophe:

In ein Stammbuch schrieb einer stolz:

Immer derselbel

Ich darunter keck: Niemals derselbel

Spät erst ging mir auf, das Rechte wäre wohl

beides:

Niemals derselbe und eben darin doch immer

derselbe zu sein.

Und trotzdem wird „Julius Bauer der witzigste aller
Wiener Humoristen" genannt.

„Fünf sympathische Gäste hat Wien den Berliner
Kollegen geschickt,“ aber „zu den Alamanachgästen
aus der Fremde gehören die Hamburger Otto Ernst
und Gustav Falke, der Münchener Ganghofer, der
Bremer Widmann und viele andere mehr. Wien, das
geistige, liegt für die Berliner Kollegen nimmermehr
in der Fremde“. Doch dank der besten Vorsehung,
liegen Wien und Berlin weit genug auseinander, um
niemals zu einer Stadt verschmolzen werden zu kön-
nen. Ist doch der Berliner Presseball an sich schon
„eine sehr üppige Schönheit, sie wogt und

wallt.und alle Räume der Philarmonie

sind voll von ihr“. Auch „breitet er (Holzbock
ist der Lyriker) den ihm innewohnenden
Zauber aus jenem Zauber der Lebensfreu-
digkeit, die von der Vornehmheit verschönt
wird“. Die „deutsche Literatur“ war „sektions-
weise“ erschienen, sogar Max Bernstein (München)
hatte sich eingestellt. „In später Stunde erschien selbst
Prinz Friedrich Wilhelm von Preussen.“ Und gar nicht
erst in später Stunde, wenn ein Fürst zuverlässiger ist*

Schon zu sehr früher Zeit, kurz nach zehn
Uhr, entsteht auf der Estrade der Zuschauen-
den eine kleine Bewegung, denn Prinz
Friedrich Wilhelm von Preussen betritt
mit einem Adjudanten die Loge.

Holzbock war nicht ganz auf seinem Posten, ihm
ist der Zauber einer Bewegung entgangen, die der
Zauber der „stolzen Genugtuung verschönt“ hat. Der
Chronist der „Täglichen Rundschau“ weiss von der
Anwesenheit eines Prinzen überhaupt nichts, so ge-
wissenhaft er auch die Namen aller, „ d i e d a
waren“, vermeldete. Selbst Thielscher erwähnte er-
Und dieser bat ihn sogar darum, „damit er für seine
Frau einen Beweis habe, dass er zum Ball war.“
Nein, er ist zu originell, dieser Guido, fast so originell
wie der Reporter der „Täglichen Rundschau“. Der
stürzte sich in das Gewühl des Festes, um mit einem
Abenteuer literarisch zu Fall zu kommen.

m

„Benützt die Gegenwart mit Glück!“ Eine
silbergepanzerte Chriemhild, eine dunkel -
violettgepanzerte reife Brünhild rauscht vorüber,
eine Recha mit gelbem Seidenturban, ein knall-
rotes Mephistolinchen. Und in der Loge knallt
es. Jetzt huscht neben mir Amalaswintha.
Amalaswintha? Es ist eigentlich eine schwarze
Judith, ich aber taufe dich Amalaswintha.
Das kann man nämlich. Nanu, wo ist denn
meine Dame? „Judith! Amala . . I“ Weg
ist sie. Was, ausgerechnnt mit dem Russen?
Der nichts hat, als einen schweren Namen?
Warten Sie, mein Herr — denke ich, die
Sache ist ernster, als Sie glauben. Die Be-
ziehungen unserer Länder werden dadurch
nicht gewinnen, mein Herr. Sie werden mir
eine Erklärung geben müssen, mein Herr,
denke ich. Ach puatsch, ob Judith oder Amala-
swintha, es ist immer derselbe Leim, auf den
wir kriechen, denke ich.J

Ein sanftes Eckchen und ein neuer Drei-
bund. Darf ich Dmitri sagen ? Prost P-ots-
dam I Prost Judith — Dmitri - Amala-
s . . . I Nanu, sind wir den v i e r ? Pardon,
ich seh’ euch doppelt, Judith-Amalaswintha.
Mir sind alle Menschen ganz ungewöhnlich
sympathisch.

Das nennt man: Die persönliche Note.

Chriemhild, Brünhild, Recha, Judith, Amalaswintha
und — „Kind, du kannst tanzen“. Aber übers Jahr
wirds besser sein; Dmitri Holzbock lässt es uns
hoffen:

Vom hohen Balkon herab liess die Finster-
buschsche Kapelle die Polka- und die beim
nächstjahrigen Presseball vielleicht schon um
einen Richard Strauss bereicherten Walzer-
weisen ertönen.

Fall und Lehar sollen um Richard Strauss be-
reichert werden.

Frauen und Mädchen drängen sich um „die Ver-
teiler der Damenspende mit ihren frackärmeligen
A r m e n, in den Händen die Pakete schwingend“.

Sarottikonfekt und Sarottiverse:

Keine Bedürfnisfrage I

Joseph Adler

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