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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

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Nr. 49 (Februar 1911)
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Blass, Ernst: Der Nervenschwache
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Walden, Herwarth: Jemand will durchaus lachen
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Raphael, Max: Akademie und neue Künstlervereinigung
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Beachtenswerte Bücher
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Der Nervenschwache

Mit einer Stirn, die Traum und Angst zerfrassen,

Mit einem Körper, der verzweifelt hängt
An einem Seile, das ein Teufel schwenkt,

— so läuft er durch die langen Grossstadtstrassen.

Verschweinte Kerle, die die Strassen kehren,
Verkohlen ihn; schon gröhlt er arienhaft:

»Ja, ja — ja, jal Die Leute haben Kraftl
Mir wird ja nie, ja nie ein Weib gebären

Mir je ein Kind!“ Der Mond liegt wie ein Schleim
Auf ungeheuer nachtendem Velours.

Die Sterne zucken zart wie Embryos
An einer unsichtbaren Nabelschnur.

Die Dirnen züngeln im geschlossenen Munde,

Die Dirnen, die ihn welkend weich umwerben.

Ihn ängsten Darmverschlingung, Schmerzen, Sterben,
Zuhältermesser und die grossen Hunde.

Ernst Blass

Jemand will durchaus
lachen

Namenlos entsetzt sich Jemand in dem eidgenös-
sischen Zentralblatt Der Bund über meinen Beitrag
Kunstverständnis in Nummer 45 dieser Wochenschrift.
Herr Jemand behauptet, dass ich im Reich der freien
Kiinste den in der Schweiz besonders missliebigen Gessler-
hut aufpflanzen will, vor dem jedermann unter Strafe
der „Blamage“ Reverenz machen müsste. „Der Bürger,
der Philister soll damit eingeschüchtert werden. Aber
philiströser als irgend ein philiströses Kunsturteil ist
ein solcher Einschüchterungsversuch, der auf dem
Gebiete des Schönen den Leuten die Freiheit ver-
kümmern möchte, zu sagen was ihnen gefällt oder
nicht gefällt“ Und so weiter. Nichts liegt mir ferner,
als den Bürger einschüchtern zu wollen. Ich wünsche
auch nicht in negative Beziehung zu ihm zu treten.
Das hat man von seinem Wohlwollen. Statt Lob für
meine Hilfsbereitschaft zu ernten, habe ich den Keim
zu meiner Ablehnung in die freie Schweiz gesät. Noch
vor wenigen Tagen freute sich der Bund, dass „Der
Sturm entsprechend seinem Namen schon manche leere
Hülle weggeschleudert habe.“ Es wird mir nun weiter
nichts übrig bleiben, als auch den Bund als Hülsen-
frucht zu betrachten. Leicht genug sind seine Aus-
führungen befunden worden. Ich setze mir den
Gesslerhut auf den Kopf und erkläre: Die Leute, auch
die Eidgenossen, haben nicht die Freiheit, auf dem
Gebiet der Kunst zu sagen, was ihnen gefällt oder
nicht gefällt. Kunst ist für den Bürger Neuland, das
sich nicht von Jemand kolonisieren lässt. Die Ein-
geborenen verstehen ihre Erde besser und der Zweck

aller Urbarmachung, die Bodenständigen zu schröpfen
(selbstverständlich nach bestem Wissen und Gewissen)
wird ron den deutschen Bürgern auch in diesem fern-
sten Weltteil egelhaft besorgt. Dass die grossen
Künstler es sich gefallen lassen, beruht auf ihrer
Geldfremdheit. Ich gedenke nicht mitzutun. Lieber
als Gessler hinterrücks von Tell ermeuchelt werden,
als mit der Axt im Hause den Zimmermann zu
ersparen. Das Unglück der „freien Künste“ ist eben,
dass jedermann sich an ihnen die Freiheit nimmt.
Da muss man als ihr Hüter schon manchmal mit der
Axt dreinschlagen, die ursprünglich durchaus keine
nationalökonomische Einrichtung war. Herr Jemand
im Bund behauptet, wir seien keine Griechen. Viel-
leicht nicht auf seine Art, aber auf die Unsere. Und
es sei ihm hochherzig gestattet, über die aufgeführten
Namen zu lachen. Ueber den Effekt ist er jedenfalls
unterrichtet worden. Man soll niemanden hindern,
sich lächerlich zu machen. Das ist unser Humor
davon.

Trust

Akademie und neue
Künstlervereinigung

Ein grauer bleischwerer Tag. Er wusste vor Müdig-
keit nlcht, ob er wachen oder schlafen sollte.

In der Akademie weder Menschen noch Bilder.
Nur die weite Leere der grossen Säle. Wie ein Gift,
das tätige Nerven zum Schweigen bringt, das Leben
aus den Knochen saugt und einschläfert. Ich war bald
so träge, dass ich mich nicht zum Fortgehen ent-
schliessen konnte. Als lch im Saal 6 ein Gemisch
aus Klinger in Zucker, Sonntagsfamilienblatt und Limo-
nade fand, das unter dem Namen: Meyer, Hans* Ein
Totentanz mehrere Wände bedeckte, Iiess ich mich in
einen Sessel gleiten.

Begleitet von einer alten Dame schleppten sich ein
paar schlotternde Kniee in den Saal.

„Ich bin ganz verschnupft und erkältet. Was tut
man bloss?“

„Nehmen Sie eine warme Limonade“ sagte die
runzlige Tante. „Sehen Sie nur, wie gut.“

„Sehr, sehr. Tiefsinnig.“

„Meyer, Hans. Ein Totentanz.“

„Vielleicht habe ich auch Influenza.“

„Limode. Und dann tüchtig schwitzen.“

Dann schlotterte er auf seinem Stock hinaus. Ich
wurde gezupft und erwachte.

„Michelangelo und Viktoria Colonna der deutschen
Kritik. Aber ärgere dich nicht, er ist tot.

- „O-

„Omega. Ja. Man hat ihm ja schon einen
Schwanengesang geschrieben. Die Schwitzkuren werden
nicht viel helfen Im übrigen: Ich bin die Jugend“.

— „Protz doch nicht mit aufdringlichem Symbolismus.“

Aber der Kleine liess sich nicht beschwichtigen.

Er zog mich mit sich fort. Beim Durcheilen nahm er

noch ein Bild und drei Köpfe aus den Sälen Mit
den Köpfen spielte er Fussball über den Platz durch
das Tor und de» Tiergarten hindurch zum Salon Cassirer.

— „Oh — ah“

„Ah — oh — ich bin die Jugend.“

— „Protz nicht."

Als ich ihm einige qualitätslose Bilder zeigte, duckte
er sich einen Augenblick.

„Dilettantismus ist überall. Uebrigens: La femme.“

Er hatte Recht. Und nun musste ich mich von
ihm führen lassen. Was er mir zeigte, war Jugend.
Das grosse Ziel einer rein malerischen Dekoration.
Die künstlerische Energie verschiedenartigster Individuen.

Ein grosser Ausblick. Ein ungeheurer Strom von
Lebenskraft, der unmittelbar auf den Beschauer über-
ging, die Kraft der Augen und des Fassungsvermögens
steigerte, hob, in einen seltenen Grad von Vitualität.
Das ist unsere Kunst, das sind wir.

„So-o“ fragte der Kleine Also höre: „Diese
Ausstellung hätte nur eine Berechtigung, wenn sie ein
Karnevalswitz wäre, mit dem Münchner Künstler
den Snobismus gewisser Berliner Kreise verspotten
wollten. Der Witz wäre gut ausgedacht und glänzend
durchgeführt. Ernst gemeint ist sie die tollste Zu-
mutung, die wir erlebt haben. Diese Skulpturen und
Malereien erscheinen dann in ihren scheusslichen Ver-
zerrungen als Ausgeburten eines Wahnsinns, den —

— „Schlussl Ich kenne die Weise — —

Plötzlich hatte der Kleine einen Bogen in der

Hand und auf straffer Sehne richtete er einen Pfeil.
Ich konnte seine Bewegung nicht missverstehen.

„Den Alten? Na weesstel“

„Das Altel“

M. R. Schönlank

Beachtenswerte Bücher

Ausführliche Besprechung vorbehalten
Rticksendung findet in keinem Falle statt

GERHART HAUPTMANN

Die Ratten / Berliner Tragikomödie

Verlag S. Fischer / Berlin

DIE LIEBESBRIEFE der Dame Lescombat und
des Herrn Mongeot / oder Geschichte ihrer
verbrecherischen Liebe

Dreililien-Verlag / Karsruhe

PAUL CLAUDEL

Mittagswende / Drama

Der Tausch / Drama

München / Verlag Hans von Weber

Verantwortlich für die Schriftleitung
HERWARTH WALDEN / BERLIN-HALENSEE

Verantwortlich für die Schriftleitung in Oesterreich-Ungarn
1. V.: Oskar Kokoschka

Warnung!

Hohle Zähne sind, wie die meisten aus Erfahrung wissen,
eines der unangenehmsten und schmerzhaftesten Uebel,
unter welchen die Menschheit zu leiden hat. Man hüte
sich daher dringend vor Vemachlässigung der Zahn-
pflege und gebrauche täglich Kosmin Mundwasser,
welches den denkbar besten Schutz gegen das Hohlwerden
der Zähne bietet, gleichzeitig das Zahnfleisch kräftigt
und den gesamten Mundorganismus erfrischt. Preis pro
Flasche, lange ausreichend, Mark 1.50, überall käuflich

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