Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

DOI Heft:
Nr. 42 (Dezember 1910)
DOI Artikel:
Walden, Herwarth: "Empfehlenswerte Bücher"
DOI Artikel:
Adler, Joseph: Götzendiener
DOI Artikel:
Blass, Ernst: Kreuzberg
DOI Artikel:
Beachtenswerte Bücher
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0342

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Freundschaft anhängen als machen reicherem Kunst-
werk. Die geheimnisvolle Anmut platonischer Dialoge
atmet in diesen Aufzeichnungen: man erlebt die zarten
Wallungen einer Seele, die alle Begebnisse in sich
aufnimmt, sie durch sich hindurchgleiten lässt und sie
ihres besten Lebensgehaltes beraubt wieder entlässt.
Es ist, als sei durch die ungeheueren Qebirge von
Büchern, die antikes Leben festhalten, ein Querschnitt
gemacht worden: und seine sinnvolle Zusammendeutung
sei nun dieses Werk, dessen Inhalt so gleichgültig ist,
dessen reine Linie jede Tatsache verzerren würde.
Ich kenne wenig Bücher, die so den Rythmus unseres
eignen Lebens auf eine Weile zu bändigen wissen,
ihn zu jenem massvollen Qleiten bestimmen, dass bei
Plato Sophrosyne heisst.

Es liegt in der Atmosphäre, die den Namen Paters
umgibt, dass man der Verse John Keats gedenkt,
dieses katullischen Geistes voll mystischer Daseins-
seligkeit. Der Ruhm dieser Verse ist zu gross, um
mehr als der Erinnerung zu bedürfen. Aber ich habe
nicht geglaubt, dass diese gleichsam substanzlosen Verse,
dieses sanfte Verebben von Akkorden in eine andere
Sprache zu fassen wäre. Nun ist es Gisela Etzel ge-
lungen, mehr als ein Surrogat zu schaffen. Vielleicht
sind die Formen etwas starrer geworden: aber jene
rührende Zartheit der Annäherung an ein Objekt, jene
geheimnisvolle Ausbreitung eines Erlebnisses in die
zartesten Formen seines Daseins verleiht auch diesen
Umdichtungen ihr eigenes Leben.

Und dann mag noch ein Hinweis auf das Werk
Artur Rimbauds hier stehen: als des farbigsten, spannungs-
vollsten Ausdrucks der französischen Lyrik im neun-
zehnten Jahrhundert. Sein Leben symbolisiert sein
Werk: ein Leben voll zusammengepresster Energie,
heroisch und zart, verachtend und von inneren Schauern
zusammengeworfen, elementar wie die Gebärde Balzacs,
Rodins Werk. Wohin der Strahl dieses Auges trifft,
taumeln die Dinge in bizarren Kreisen. Mikroskopisch
erweitert sich zu Ungeheurem, das Weltall dampft zu
einem jäh erfassten ganz zugespitztem Reiz zusammen.
Die Greuel der Vernichtung in einem Stecknadelknopf
Schimmel, das Chaos der Schöpfung das Erlebnis eines
Augenaufschlags — so braust es in seinen Versen.
Und dann die wilden Schwankungen eines wüsten
Kolonisatorenlebens: um elend als Krüppel abzusterben.
Der Tod im marseiller Spital, wo die matten Lippen
des Ausgestossenen von Amethystsäulen und weissen
Engeln flüstern: der Sterbende ist in den Ländern seiner
Sehnsucht. Und jeder Vers, in dem dieses Leben sich
fing, glüht von seiner atemlosen Energie.

Es ist nicht meine Aufgabe, das Inventar eines
Verlages glossierend zu begleiten. Jch wünschte nur
ein paar Bücher zu nennen, die den Vertrieb salon-
fähiger Schundliteratur ein wenig hemmen sollten. Es
ist Sache des Einzelnen, über diese Angaben hinaus
zum Insel-Almanach für neunzehnhundertelf zu greifen,
dessen Titelzeichnung übrigens in ihrer wundervoll
durchkomponierten Grazie diesem Verlag zum Symbol
wird. T.

Qötzendiener

Tod dem „Zweiten Leben“

Die Berliner Theaterkritikar haben dem letzten
Bühnenwerk Hirschfelds einmütig die kürzeste Lebens-
dauer angesagt. Die Liebe, die Hirschfeld einstmals
in so reichem Maße von der Presse empfangen hat,
ist heute fast tot. Nicht einmal schemtot wie seine
Evelyn Gray. Die ungetreue, ränkesüchtige Buhlerin
Presse hat seinem „Zweiten Leben“ ein Grab
bereitet, so tief, als ihr Geschmack oberflächlich
ist. Hirschfeld zählt nicht mehr zu den grossen, Tan-
tiemengold fressenden Götzen, die man unter des
Striches (mit Schächern übervölkerten) Vorhof zum
Tempel der Künste an- und lobpreist Nur noch die
Symphathie der Abtrünnigen und eine schüchterne
Hoffnung sind ihm sicher.

Teilweise mussten auch die Darsteller des Lessing-
theaters unter dem Missgeschick des treuen Brahminen
leiden:

Hier zwei Urteile über ihr Spiel:

Oskar Sauers grosser Kunst geiang es,
in dem Dr. Lyde eine Figur zu schaffen, die
man so bald nlcht wieder vergessen wird.
Hans Marr und Mathilde Sussin ver-

vollständigten neben anderen das glänzende
Ensemble. Zu einem Siege vermochte aber
auch die musterhafte Darstellung dem Stücke
nicht zu verhelfen.

Volkszeitung

Die Aufführung tat freilich wenig, es zu
erwärmen. Mit dem modernen Kostüm ver-
lässt das Lessing-Theater nach wie vor die
Majorität seiner guten Geister. Ueberdies
blieb der Dialog zur grösseren Hälfte Ge-
heimnis der Schauspieler. Auch Herrn Sauer,
der wohl einen besonders schlechten Abend
hatte, fehlte gestern die Wahrheit der Emp-
findung wie der Rede, die wir an ihm lieben.
Die Vertreter der kleineren Partien — die
Herren Froböse, Marr, Stieler, Marx,
Frau Sussin und Fräuiein Herterich —
taten nur eben ihre Pflicht.

Morgenpost

Aber keineswegs musste erst Reinhardt den Ver-
such machen, der Bühnenkunst eine neue Grundlage
auf „geharktem Sande“ zu bauen, damit wir die
„Arbeit“ unserer Kritiker nicht ernster als Clown-
spässe nehmen.

Das Mysterium der roten Weste

Heute ist Roda Roda der Mann des Tages-
zeitungenstaates. Seiner roten Weste (ganz zu schweigen
von dem Monokel) kann kein Schmock widerstehen.
Sie muss ihn selbst der leisesten Zweifel an der Klas-
sizität des Bordellhumoristen benehmen und sie
wird ein schreiendes Wahrzeichen für die frivole Wand"
lungsfähigkeit des sogenannten literarischen Geschmackes
unserer Presse und der Gesellschaft bleiben. In Roda
Roda haben sie, und es konnte gar nicht anders
kommen, den „Dichter“ gefunden, dessen Zoten ihrer
Schwachsinnigkeit kongenial sind. Er kitzelt und er-
schüttert das berühmte Zwerchfell (o liebliche Um-
schreibung) wie keiner sonst, und er trägt zudem eine
rote Weste und ein Monokel.

Im „Ulk“ liess man sich letzthin zu seiner grösseren
Ehre sogar zu dieser Verunglimpfung Poes herbei:

Ein nicht gerade unbekannter humoristischer
Schriftsteller schreibt unter dem Namen Roda
Roda. Wie gut, dass Edgar Allan Poe
(sprich Po) seinen Namen nicht ebenfalls dop-
pelt auf die Manuskripte gesetzt hat.

Der „Ulk“ sollte Poe dafür dankbar sein. Niemals
wäre ihm ein derberer Klosettwitz vorweggenommen
worden. Und doch — um wie viele Jahre früher hätte
Poe in Deutschland Eingang und in einem Ewers
seinen Meister gefunden, wenn er auf die einzige Roda
Roda’sche Idee gekommen wäre, seinen Namen zu ver-
doppeln. Welche treffenden Beifsllsworte hätte ein
Schmock zum Beispiel für eine Vorlesung Poes ge-
funden, wenn er Roda Rodas letzten Schwankabend
im Tageblatt (aber nicht im Ulk) schon dergestalt
verherrlichte:

Roda Rodas letzter Schwankabend im
Choralionsaal war ein Feuerwerk von Scherz-
raketen, von denen nicht eine versagte. Dem
Publikum war beim Genuss der überraschend
pointierten Schnurren, die der Märchenerzähler
in der roten Weste und mit dem Monokel
zum besten gab, sehr behaglich zumute. Roda
Roda hat bald den Bindestrich, den er in
seinem Namen so verabscheut, zu seinem
Publikum gefunden. Und nun ging es Schlag
auf Schlag — jedesmal ein Schlager. Es war
ein lustiger Abend erster Ordnung selbst für

dickfellige Zwerchfelle. Roda Roda trug nur
Eigenes vor. Ein paar Proben, die den Lesern
des „Ulk“ schon bekannt waren, erschienen im
Ramperilicht in neuer Tönung. Kurz, es lässt
sich kaum ein Jota Jota davon abstreiten,
dass Roda Roda, der in seinem Akzent leise
an Schroda Schroda erinnert, eine Nota Nota
für sich ist.

Roda Roda und das Tageblatt ergänzen sich wie
die zwei Hälften jenes Körperteils, aus dessen Per-
spektive Kritik und Gesesellschaft den Literaturmarkt
betrachten und werten, und an den sie erinnert werden
müssen, wenn nur von Poe die Rede ist.

J.A.

Kreuzberg

Wir schleifen auf den müdgewordnen Beinen
Die Trägheit und die Last verschlafner Gierden.
Uns welkten (ach so schnell!) die bunten Zierden:
Durch Dunkliges kriecht geil Laternenscheinen.

Im Trüben hat ein träger Hund gebollen.

Auf Bänken übertastet man die Leiber
Zum Teile garnicht unsympathscher Weiber.

Die schaukeln noch; wir wissen, was wir wollen.

Du gähnst mich an: in Deinem Gähnen sielt
Sich halverfaulte Geilheit. — Hundgebelle —

Und durch das überlaubte Dings da schielt,

In Stein gemetzt, der Bürgermeister Zelle.

Ernst Blass

Beachtenswerte Bücher

Ausführliche Besprechung vorbehalten
ROcksendung findet in keinem Falle statt

Dr. s. friedlaender

Friedrich Nietzsche / Eine intellektuale Bio-
graphie

Leipzig / G. J. Göschensche Verlagshandlung

FRIEDRICH KURT BENNDORF

Alfred Mombert / Der Dichter und Mystiker

Leipzig / lnselverlag

LUDWIG SPEIDEL

Lustige Zeiten / Weihnachtsblätter

Berlin / Meyer u. Jessen

MAX DAUTHENDEY

Weltspuk / Lieder der Vergänglichkeit

Verlag Albert Langen München

FRIEDRICH KURT BENNDORF

Samain / Essays und Umdichtungen

Verlag E. W. Bonsels u. Co München

Verantwortlich für die Schriftleitung
HERWARTH WALDEN / BERLIN-HALENSEE

Verantwortlich fiir die Schriftleitung in Oesterreich-Ungarn
I. V.: Oskar Kokoschka

BUCHDRUCKARBEITEN

——— ALLER ART -

IN MODERNER AUSFÜHRUNG
BEI BILLIGSTER BERECHNUNG
LIEFERT DIE BUCHDRUCKEREI

CARL SCHÜSSLER - HANNOVER

- ARTILLERIESTRASSE 15 ---

336
 
Annotationen