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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

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Nr. 47 (Januar 1911)
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Péladan, Joséphin: Der Traum der Sünde
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Lasker-Schüler, Else: Meiner Schwester Kind
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https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0378

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Der Trautn einer Sünde

Von Sar Peladan

Sie hatte nur Hunger nach
den Begierden, die sie ent-
zündete und trank mit hoch-
mütiger Lippe diese Feuer
wie Wasser.

Barbey d’Aurevilly

Nach einem Bade im klaren Bach, in einer Ruhe-
stunde ausgestreckt unter dem verwirrenden Wälder-
schatten, empfindet Artemis die Begierde in den keu-
schen Schenkeln, die, in Träumen sich bergende
Schlange, ihr ruhiges Fleisch sticht. Die Prinzessin
'denkt nicht mehr ’an eine 'Vergang~enheitbefriedig-
ten Stolzes, sondern an Qegenwart, an mögiiche
Freuden.

Betrachtungen erheben sich ihr unbewusst, sonder-
bar für ihre Gewohnheit, an der Vortrefflichkeit ihrer
Entschliisse «Zweifel, nach dem was sie sich untersagte
spitzige Neugierden, von dem was sie verachtet flieht
Besessen-Sein.

Ihr Gedanke wendet die Seiten des Sphinxbuches
um, die gleich einem matten Echo zahlreicher, dumpfer
Küsse rauschen, und aus denen Buchzeichen gleiten:
Weniger schnell vertrocknete Blumen als die Gluten,
die sie austauschten, vergilbte Briefchen, Ueberlebende
aus totgeborenen Liebschaften, die auf dem Pergament
Geruch und Liebkosung der Mieder behielten.

In verlorner Ferne singt der Dichter-Chor die ewige
Liebes-Hymne, und die menschlichen Ohren sind geneigt
zu diesen Konzerten, die denen der Engel gleichen.
Propheten, Dichter, Weise und Narren schreiten schwer-
mütig vorbei mit dem Schluss-Reim ihrer Herzen auf
den Lippen: „Meine Sünde ist Liebe“.

Die geringschätzige Mundfalte erlischt vor der
fruchtbaren Sünde, dem erhabenen Dünger, aus dem
Hingabe und Gesänge entstehen. Warum weigerte sie
sich, an den trüben Wassern, an den schweren Wassern
der Leidenschaft zu trinken, der einzigen Tränke der
beklagenswerten Menschheit.

Der Quell der Liebe erscheint und der lärmende
Sterbiichen-Haufe drängt sich hinzu. Darein taucht der
Ephebe die flaumlosen L,ippen, die Matrone die Runzeln
Patriarchen den Silberbart. Ein ironischer Engel giesst
aus grossen lasurnem Krug das Gallengetränk, das das
flache Becken füllt.

Sieht er Lippen zurückweichen, die des Gebräues
Bitterkeit ätzte, so nimmt er eine dünne Giesskanne
aus dem Gürtel und neigt sie. Alsobald stürzt die
Menge gieriger hin. Der Tropfen der Illusion geügt,
den ektatischen Augen der Liebesverdursteten ihre
Träume im brackigen Wasser sichtig zu machen.

Dieser „Fata Morgana“-Tropfen, der unbezwinglich
selbst zum Unvernünftigen strebt, die menschliche Be-
gierde, die Einbildungskraft Iiess ihn auf den Gedanken
der Prinzessin fallen. Der Trieb erstickt alsodann die
Idee, und unterschiebt sich dem Willlen sanft, langsam.
Schon lächelnd spricht sie, aber so leise, dass die
grossen Lilien selbst sie nicht verstehen: „O, die Lüge
der Leiern!“

Keine der mystischen Binden drückt ihre Stirn, bei
gewonnenem Spiel lässt sie sich in Träume oder in
Unzucht gleiten, gleich einem Shylock, der am Ende
stets das versprochene Fleisch einfordert.

Das geschlechtliche Erlebnis, noch ist es ein Un-
bekanntes für sie. Verheiratet, uraworben, kennt sie
nicht die Lust der Sünde. Schon hat sie alle Zweige
am Baum des Wissens geschüttelt, und auf den fun-
kelnden, sauren Früchten ihren hochmütigen Biss hinter-
lassen. An die einzige Frucht des Fleisches hat sie
nicht gerührt, also auch liebkost sie es mit dem Auge
der Begierde.

Diese Gesetze der Geschlechtlichkeit, diese vor
dem menschlichen Schritt sich kreuzenden, sich ver-
strickenden Lianen, bis zu diesem Tage hat sie sie
abgeschnitten und entfernt; siehe, jetzt ist sie davon
ganz eingehüllt im plötzlichen Erblühen. Eine Stimme
vielleicht von Pan murmelt wie ein Flöten-Erstöhnen:
„Wehe dem Einsamen!“

O, zwei zu sein, zwei Herzen und das gleiche
Pochen, zwei Geister und der gleiche Gedanke, zwei
Körper und das gleiche Verlangen!

Diese beiden Herzen in eine Anbetung verschmolzen,
diese beiden Geister in eine Bewunderung vereint, diese
beiden Körper in eine Lust verflochten!

Zwei, die Stimme und das Echo, zwei, das Dasein
doppelt, ein Wesen zugefügt dem eignen Wesen, in
sich zwei, zuseiten der Sehnsucht die Befriedigung, der
heilige Traum des Zwitters verwirklicht den Gesetzen
entsprechend, noch einmal die anfängliche Schöpfung
gefunden.

Aber wo ist er, der Wohlgeliebte ? Wer ist es,
der ihren linken Busen erregt, ihr Leben anrührt,
den Marmor ihres Fleisches mit Küssen rötet
und ihren Körper der Lust entsprechend durchdringt.

Dass ihr Geist wünsche, was das Herz schlägt,
was die Haut empfängt, bedarf es roter Lippen und
schwarzer Gedanken, einer perversen Seele in schöner
Gestalt.

Sie durchblättert in Gedanken mit schlüpfriger Prüfung
das Photographie-AIbum der Freunde, das die Bourgeosie
auf den Nipptischen zur Schau stellt

* *

*

In dem künstlichen Leben fordert sie die Lust, sie,
die gebildete Spaziergängerin im Campo santo der Ge-
schichte ruft Helden und Ungeheuer in verliebter Geister-
beschwörung auf. Wer sollte den unterirdischen Bereich
gewisser Enthaltungen deuten, was in eine Tugend an
Laster eintreten darf.

Sie stellt sich die Liebe unter den Linien eines
schönen Jünglings vor, der auf einem Papageien, Jgrösser
als ein Adler, reitet. Er hält ein zum Bogen ge-
krümmtes Zuckerrohr, dessen Schnur aus einem ge-
hemmten Bienenschwarm besteht. Im Köcher, der in
einem Frauenbusen endigt, reiben fünf Pfeile, die fünf
Sinne, ihre Blumenspitzen.

Douchmanta, der die Prinzessin erblickt, vergisst
im Augenblick Sakuntala. Aber sie wünscht die Buhle-
rin Vasantasena zu sein, um die Liebesworte Charudattas
im Garten nach dem Ungewitter zu hören.

Mejdnoun und Leilah, der Ruhm von Iran, die sich
ansehen und vor Extase murmeln, gehen vorbei, ohne
sie zu sehen.

Plötzlich eine Natur wie auf einem Aquarell, unter
einem Rosa-Himmel eine Folge von Brücken in Esels-
rückenform, unter den Djunken dahingleiten. Frauen
mit zarten Gestalten und dem Fleisch der Teerose sind
darin niedergekauert wie Kinder und besingen die Blüte
des Pfirsichbaums, das Blatt der Weide, und spielen
wie Katzen

Nach einer Melodie von Rameau führen Herren
von Marivaux auf einem Gemälde von Watteau ihre
verliebte Teilnahmlosigkeit spazieren.

In der Nacht der Zeiten zieht sie Sodom und
Gomorrha an. Welches Verbrechen, dass wir nicht
kennen, kannten jedoch diese Städte? Bei diesen
Völkern, die das Böse so weit trieben, dass sie das
Himmelsfeuer zwangen, sie zu zerstören, findet sie
eine Bezauberung.

Die Augenlieder der Prinzessin blinzeln bei den
schwankenden Erscheinungen, die sie genauer zu
machen wünscht. Beim leckerhaften Anblicken der
verbotenen Dinge gleitet ihre Zunge sanft über die
Lippen hin.

Die Begierde in all ihren Formen, die Wollust in
all ihren Rythmen, die Liebe in all ihren proteischen
Verkörperungen, die ganze Frau, ihre Krämpfe, ihre
Tränen, ihre Verzweiflungen, ihre Trunkenheiten, die
Anstrengungen ihres Herzens zur Leidenschaft, ihres
Körpers zur Lust, durchkreuzen wie schon Geschehenes,
schon Getanenes ihre Träumerei in Metamorphosen
der Perversität, das volle Bilderpanorama der Liebe,
Didos Scheiterhaufen, den modernes Vitriol entfacht,
Persönlichkeiten der Kunst, die sich mit denen der
Geschichte vermischen. Im Bhotan der Sinnlichkeit
geht ihre versucherische Einbildungskraft von einem
Baum zum andern, und schüttelt die Früchte des
Fleisches, erstaunt, dass die Wollust nicht im Regen
niederfällt. Der „King“ der Leidenschaft, der „rig“
des Körpers singen in ihr wahnwitzige, übermächtige
Hymnen wie Stöhnen der Kelter, wie Brünste der wilden
Tiere.

Sie glaubt im linken Auge Zittern zu empfinden,
im Iinken Arm Unruhe, die Hindu-Vorzeichen der An-
näherung des Wohlgeliebten.

Aus diesem Bildergekribbel lösst sich ein Poussin
ab, und der Traum des Rom angebeteten griechischen
Lasters erscheint vor der wartenden Italienerin der
Renaissance, Antinoiis Seine freigebige Nacktheit strahlt,
sein Brustkasten scheint zu leuchten, die Prinzessin leiht
dem Freigelassenen Hadrians in freiwilliger Halluzination
folgende Anrede:

„Prinzessin, du bist schön wie ich schön bm.
Glaube nicht an die Verleumdungen der Geschichte.
Der Kaiser entbrannte in vergeblichen Feuern Ich bin
jungfräulich, ich blieb es für dich, deren Stirn den
Gedanken wie die Minervas enthält. O, die du mit
Aphroditens Schönheit den Verstand Athenes verbindest,
ich liebe dich. Als ich mich im Nil ertränkte, hatte
ich dein Bild unter den Wellen geschaut. Ach, ich
suchte dich, Neptun hielt mich böse zurück. Meine
Schönheit bezauberte wie die Leier von Orpheus die
Meerungeheuer. Die Sirenen, verführt und der Stimme
bar wanden verzweiflungsvoll den Schwanz. Die vor
Liebe wahnsinnigen Nymphen röteten mit ihrem Blut
die Koralle. Endlich fand ich dich wieder. lch sammelte
die Tränen in einer Halskette, die ich dir geben werde.
Oeffne die Arme, meine Glieder sind von dem acht-
zehnhundertjährigen Bade geschmeidig, bereit für deine
Umarmung.

* *

*

Messalina ist nicht stets zu Suburra oder in des
Silius Armen. Man kann sich durch den Geist metar
beflecken.

Die Zauberer reiben sich mit halluzinatorisctaer
Pomade, die unzüchtige Träume gab. Erwacht, be-
haupteten sie, vom Sabbat zu kommen. Die Phantasie
genügt, um zu ihm hinzutragen. Der Kuss des Bocks
gibt sich auch mit dem Gedanken. Unmöglichkeit aber
ist, ihn nicht zu wiederholen. Der Geist wird
an das unreine Ding geklebt. Die fieischlichen Be-
schwörungen können ebenso wie die der Zauberei
nicht aufgehalten werden.

Die Prinzessin fühlt sich durch den Traum in ihrer
kitzelnden Beschauung überwältigt, unterjocht. Auf der
Stirn perlt Schweiss, in den iotgewordenen Ohren zittern
die Gehänge. Die hohen schamhaften Lilien schliessen
die Kelche, in reiner Blumentrauer neigen sie den
stolzen Stengel.

Sie hat den Alb, die Unzüchtigkeit der Dinge. Vor
Geilheit schielende Böcke zerbrechen die Hörner in
wütenden Liebkosungen. Eine fieberbrennende Phallus-
trägervision zieht vorbei, und die inneren Fresken
eines Priap-Tempels, Panathenäen der Gemeinheit ent-
rollen sich.

Plötzlich entsteht eine Heftigkeit. Dann, mit einer
sie ganz bleichmachenden Anstrengung, einem Sich-
anklammern an ihren Stolz, träumt sie ihr Fleisch.
Fieberig, entnervt, keuchend, wirren Blicks lässt sie
unter ermattetem Druck die Arme niederhängen. Beim
Siege öffnen die Lilien den Kelch wieder, richten den
Stengel auf. Die Nacht kommt. Der abendliche
Schatten der Wölbung w'irft Schieier über die namen-
lose Ausschweifung, deren Geheimnis sie bewahren
wird.

Der Araber, der seinem Pferd die Zügel schiessen
Iässt und es mit der Nüster vor der Mauer hemmt,
der Gondelführer, der an der Ecke des Palastes gerade
rudert und in einem Zuge wendet, tun Kinderspiel.
Aber den eignen Körper auf die Wollust loszulassen
und im Augenblick, da die Enthaltung brechen will,
ihn rein daran gehindert zu haben, ja, das ist eine
Geberdel Stolz senkt sie die Augen auf den Körper
hinab, der nackt von dem aufgelösten Pudermantel ist
Während sie auf das unbefleckte Fleisch lächelt, singt
eine jeder Oden, die in Hieroglyphen dem Tempel von
Karnak anveriraut waren, ihren Triumph:

Ich bändigte noch einmal die Bestie.

Tochter des göttlichen Herkules.

Meiner Schwester Kind

Der Morgen ist bleich von Traurigkeit,

Es sind so viel junge Blumen gestorbeD,

Und du, o du bist gestorben,

Und mein Herz klagt eine Sehnsucht_ weft;

Ueber die ziellose Flut
Der blaublühenden Meere,

Und deine Mutter höre
Ich weinen in meinem Blut

Muss immer träumen

Von deinen tiefen Lenzaugen,

Die blickten wie wilde Knospen
Von gottalten Bäumen.

Else Lasker-Schüler

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