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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

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Nr. 16 (Juni 1910)
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Leppin, Paul: Daniel Jesus, [7]: Roman
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Dreyfus, Albert: Gedicht
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Döblin, Alfred: Gespräche mit Kalypso, [12]: Ueber die Musik
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https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0129

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Daniel Jesus

»®oman

1<V°n Paul Leppin

( Fortsetznng

In der dicken zitternden Luft schwamm der
eMiweiß wie eine Wolke. Die Gesichter waren
und in allen Augen saß eine finstere und
■J ? uernde Entschlossenheit. An den grünen Wänden
*" ,eIen die Schatten der Tanzenden flackernd und
?ackig einander nach und ertranken mit einemmal
j! n dem dunklen Winkel der Tür. Aber wieder und
y n,mer wieder kamen sie ins Licht. Immer die-
i tSe'ben, lang und hastig, mit übereilten, verbotenen
r ^ebärden, stiirmisch und ungeduldig, mit lächelnden
^öpfen in einem irrsinnigen verzerrten Takte.

Das wilde Brett spielte einen Walzer. Atemlos
jj^d eigensinnig schnell und ohne Melodie. Die Töne
^letterten in die stickige Luft hinauf, hoch, unge-
aeuer hoch, bis zu der triiben zerfließenden Decke
,Jud fielen dann mitten hinein in den Saal, steil und
scnkrecht vor die Fiiße der tanzenden Paare, die sie
jnit harten und unbarmherzigen Fiißen zertraten,
naß sie aufschrieen vor Zorn und vor Schrecken.
j-s fehlten ein paar Saiten im Leibe des wilden
jjj ujrettes. Mißmutig und ärgerlich stand es auf drei
cüßen in der Ecke und zeigte in den Pausen, wenn
^cr Atem der Leute nach dem Tanzen schwer und
regelmäßig durch das Zimmer ging, wie der Ton der
•Teschflegel in der Scheune, ein unsauberes, bös-
jj rtiges Gebiß. Gelb und schadhaft waren die Zähne
nes Klaviers. Aber es schlief eine mißtönige und
^odenlose Begierde in ihnen, eine arge und unent-
rjnnbare Folter der Freude, und wenn der Musiker
’hit den schielenden Augen die Tasten berührte,
^ann rief und lockte seine häßliche heisere Stimme,
jjann wuchs ein Zauber aus ihm hinauf. hoch und
jjöher, der alle erfaßte, dem niemand entfliehen
Jmnnte, der das Verlangen rüttelte und gellend das
J;eben wachrief und seine heimlichsten und gefähr-
Jichsten Wiinsche. Das wilde Brett nannten es die
J-eute, die hier zusammenkamen. Eine bunte und
^ltsame Gesellschaft war in dem Raume: Blutjunge,
Jjjasse und frivole Gesellen mit scheuen, zuchtlosen
^änden, und liisterne, gemeine Weiber mit roten,
:(t ^jerigen Lippen und straffen, drängenden Brüsten,
tj öie alle wie in einem schweren Traume die Wände
a'istarrten und sicli von den Männern Pelnati tragen
Heßen im Tanze.

Wieder und wieder spielte das wilde Brett
seinen einzigen, kreischenden Walzer. Rasend und
aiit einem großen, dumpfen Laut fing die Menge an.
Jangsam sich in der Runde zu bewegen. Dieses
^olk liebte die Nacht. Da wurden hundert ver-
^egene Gedanken frei und zahllose Vorsätze und
^läne. Nicht reif und klar geordnet, wie der Tag
jjie bringt, ziellos und verschlungen, undeutlich. und
^einer konnte sie entwirren. Zwischen den breiten.
ounten Säulen, die der Staub vor die rauchenden
’-ampen baute. sahn die iungen Männer trunken und
sfumpf in ihr Leben. Die Frauen schlossen die
^ugen und warfen den Kopf in den Nacken und
sahen nichts. Sie fühlten, wie eine schreiende.
losende Welle ihren Leib fortspülte und rot und
I’eiß fiber ihnen zusammenschlug. Versprechungen
^urden gegeben und die Treue wurde gebrochen
JGe im Pausch. Sie wußten nichts mehr und
^annten nichts mehr und ließen sich führen und
! ragen, zitternd vor Sehnsucht, die jede Erinnerung
aus ihrer Seele nahm. Eingelullte, böse Worte
sfanden auf und erdriickten sie. Und dazu spielte
öas wilde Brett seine jagenden, inbriinstigen Tänze.

An der Wand zerflatterten und zerfielen die
a'inden grotesken Bilder der Menschen. Tmmer
surangen sie wieder auf und haschten einander im
Wirbel. Und mitten darunter flogen zwei Schatten
^Urchs Licht, ungezähmt wie die andern und in das
Geber versunken wie alle, aber schön und hoch
,Jtiter ihnen. Schlank und biegsam das Weib, mit
ed!en und mühelosen Händen und einer großen ver-
^altenen Sinnlichkeit ?n ihnen, — jung, stark dfister
jl er Mann, mit knochigen nervösen Fiißen und einem
kopf wie ein Biiffel. Herb und gespenstisch lief an
Öen grflnen Wänden das Bild, und vor ihm flohen a!1
^ie schwarzen Gestalten. eilig und atemlos wie in
eiuer tödlichen und dunklen Angst, und verkrochen
^ch bei der Tflr. Gell und lachend schrie das wilde
orett, und immer wenn die zwei Sehatten an dem
Mavier vorflberkamen, warf der eine dem
Schielenden Musikanten ein Silberstück auf den

Teller, daß er jauchzend und tief in die Tasten fuhr
und weiter spielte, weiter und ohne Erbarmen, ob-
gleich das Lied schon längst zu Ende war und die
Menschen schon keuchten unter der Last.

Valentin und die Gräfin Regina tanzten. Sie
war nachts mit dem jungen Schauspieler plötzlich
und ganz allein in diesen Saal gegangen, wo die ge-
meinste Stinde berauscht und widerlich ihre Zoten
stammelte. Wo die Wünsche, von den Ketten be-
freit, im Kreise irrten und unzüchtig einander in die
Gesichter starrten.

Kommen Sie hin! sagte sie zu ihm, als er ihr
davon erzählte.

Und während er sie noch lächelnd und ungläubig
ansah, war sie schon aufgestanden und winkte ihm:

Jetzt, jetzt gleich! Nehmen sie schnell Ihren
Rock, es ist schon spät.-

Sie wurde ihm immer mehr ein Rätsel. Er
wußte nicht, wie hoch oder wie tief er sie zu nehmen
habe, daß sie ihn nicht überrasche und überwältige
durch ihr Wesen. Es war eine dumpfe und unter-
drückte Wut in ihm gegen dieses Weib, das er
liebte und mit dem er kämpfen mußte, damit sie ihn
nicht beliige. Wer war sie, und was wollte sie mit
ihm? Was begann sie? Warum wich sie seinen
heftigen, glühenden Worten aus und sah ihn dann
wieder an, das ihm die Pulsadern im Halse stehen
blieben und über seinen Rücken ein Frostschauer
lief? War sie eine Büßerin oder eine Dirne, und
warum ging sie heute auf einmal mitten in der Nacht
mit ihm in dieses Lokal? War sie lüstern nach Sen-
sationen und wollte sie ihr gealtertes Blut erhitzen,
um sich eine Täuschung vorzugaukeln? Oder war
sie zu feige zum Laster und wollte sich an seinem
Anblick betrinken wie an einem Wein?

Er dachte an ihre weißen, durchsichtigen
Hände, die soviel Güte und Weisheit hatten und
zwischen deren bleichen Fingern eine schmerzliche
Sinnlichkeit wie eine rote Blume wuchs. Ein grau-
samer Trotz überkam ihn, dieses Weib zu zwingen
und sich zu eigen zu machen, früher oder später!
Regina tanzte noch immer mit Valentin. Sie lag in
seinen Armen, aufgelöst und machtlos, mit ver-
zerrtem Munde. Zu ungezählten Malen waren sie
schon beim Klavier vorübergekommen, und immer
wieder warf Valentin Geld auf den Teller. Sein
ganzes Vermögen hätte er so vertanzt. Seine tiefen
brcnnenden Augen waren heiß und sieghaft und
groß. Sein wilder. diisterer Kopf beugte sich vor.
und er fühlte auf seinem Gesicht den Atem Reginas.
Seine breite Brust hob sich hoch, und ein sonderbar
gurgelnder Ton zerbrach in seiner Lunge. Er hatte
die Gräfin brutal mit beiden Händen gefaßt und
driickte ihren zuckenden, hilflosen Leib an den
seinen. Er zog sie im Tanz in das dichteste GewÜhl
und preßte seine Knie zwischen ihre Schenkel,
während das wilde Brett in der Ecke lärmte und
wieder von neuem anhub.

Allmählich sanken die andern keuchend auf die
Bänke. Aber der Musikant, verwirrt von Valentins
Gelde, spielte weiter. Immer lichter wufden die
Reihen. und viele Paare blieben wie besinnungslos
liegen. Hinweg iiber sie gellte die Musik.

Immer weiter — vorwärts — von neuem — der
Walzer — immer der Walzer.

Durch den weiten, gaffenden Saal fliegt ein ein-
ziges Paar. Die Leute stehen an den Wänden und
sehen trunken zu, wie sich die Gräfin Regina mit
Valentin in einem tollen, unzüchtigen Wirbel dreht,
schweißbedeckt und bewußtlos, wie im Wahnsinn.

Da schreit plötzlich das wilde Brett wie ver-
zweifelt auf und schweigt. Ein langer ächzender
Ton klingt noch zur Decke. Dann ist es ruhig.
Valentin und die Gräfin Regina sind in der Mitte des
Saales zukammengebrochen und auf die rauchenden,
staubigen Dielen gestürzt. Die Gräfin liegt wie eine
Leiche lang und bleich auf dem Rücken, und ihre
Hände sind links und rechts an ihrem Leib herab-
gesunken und regen sich nicht. Ueber ihr, das Ge-
sicht nach unten gekehrt, liegt Valentin und aus
seinem Munde fließt das schwarze, schäumende
Blut wie ein Bach durch ihr Kleid bis auf ihre
weiche, gelbe Haut und läßt sie erwachen.

Eilige, rohe Hände trugen sie hinaus ins Dunkle
und wollten helfen.

Regina aber schickte sie fort. Sie öffnete ihr
Kleid und ließ sein Blut in ihr heißes, seidenes Hemd
rinnen und küßte ihn.

Er schlug die Augen auf und lächelte:

Liebst Du mich, Gräfin?

Und sie küßte ihn und sagte: Es muß wohl so
sein, Valentin — und wischte ihm das Blut aus den
Augen mit ihrem Hemde.

Und wann wirst Du — flüsterte er.

Noch nicht-noch nicht, Valentin.

Die Augen des Kranken wurden finster.

Marta Bianka liegt jetzt in dem Bett des
Barons. Die ganze Stadt weiß es, und Du weißt es
auch. Worauf wartest Du noch?

Die Gräfin war bleich geworden und zitterte.
Dann sagte sie leise:

Ich warte bis alle am Ende sind. Nach Marta-
Bianka kommen nicht mehr viele. Ich will die
Letzte sein, Valentin.

Sie küßte ihn noch einmal auf den Mund und
stand auf. Und raffte ihr Kleid zusammen und lief
auf die Gasse. Schnell und geradeaus wie im
Traum. Und sein Blut klebte an ihrer Haut wie
brennende Seide.

Gedichte

Von Albert Dreyfus

Einer Decke von mattgoldner Seide
schenkst du deiner weißen Glieder
hüllenlose Helligkeit.

Du ruhst so still, als lauschtest du Liedern,
die das Licht dir singt.

Wehre mir nicht, da ich nun kniee
vor dir und deiner weißen Glieder
hüllenlose Helligkeit küsse.

Laß mich schlürfen das heiße Licht
endlos in meine dunkle Seele.

Verlange nichts vom Weibe als ihr Lächeln.
Ihr Haupt sei schwer von Haargeflechten
nicht von Gedanken,

und ihre Rechte hebe sich nur zum Fächeln
wenn sie die eine Sorge schön zu sein bewegt.
Bedenke, was dir Seeligkeit erregt
an ihr, der süß Geschwächten —

Verlange nichts vom Weibe als ihr Lächeln.

Gesprächemit Kalypso

Ueber die Musik

Von Alfred Döblin

Siebentes Gcspräch: Giesst Wein in meinen
Becher / Von den unteren Tonordnungen

Fortoctxnnc

M u s i k e r :

Wenige Wendungen wiederholten sich, in
engen Grenzen verlief die Tonfolge. Aümählich
wuchs die Vertrautheit mit den Tönen, wuchs die
Geschmeidigkeit und der Formenreichtum. Die
Musik wuchs in die Menschen hinein, sog da ihre
Nahrung aus vielem, vielem, was ich Dir noch
schildern werde. Der Tonfall der Sprache modelte
an ihr, der Gleichnisse fanden sich unzählige, die sie
formten, und so verbreitete und vertiefte sie sich,
wurde lebendig mit dem Leben, ja, wuchs über das
Leben hinaus. Und so steht es mit ihr. Wohl er-
weckt dieMusik, die sich nachahmt und verändert,am
meisten den täuschenden Schein einer selbstherri-
schen Kunst. Aber zunächst sind hier erst niedrige
Ordnungsregeln entwickelt; es erwarten uns die,
welche die Tonfolgen höher und schließlich zu
einem Werk zusammenfügen. Aber schon jetzt
magst Du einiges bedenken. Du weißt, daß es das-
selbe Gedächtnis ist, das Spuren der Wirklichkeit
und auch der Tonfolgen trägt. Das Gedächtnis
aber ist kein Steinhaufen. Was auch der Zu-
fall an das Gedächtnis heranbringt, — damit es
hafte, unterliegt es den Lebensregeln des Gedächt-
nisses, welches Besitz eines Iebenden Menschen
ist; damit es hafte, muß es Beziehungen, Verbin-
dungen eingehen, muß es gliedhaft werden. Das
Gedächtnis ist kein Steinhaufen, sondern ein ge-
wachsenes Ineinander. Und so kannst Du es nicht
vermeiden noch verbieten, daß die irgendwie ge-
ordneten Tonfolgen doch als Träger von Wirklich-
keitsspuren erscheinen, daß die Wirklichkeit auf
die Tonfolgen abfärbt; denn immer sind es ja die

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