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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

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Nr. 36 (November 1910)
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Strindberg, August: Das tausendjährige Reich
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Hille, Peter: Das Mysterium Jesu, [4]
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https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0290

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Er setzte sich aufs Brückengeländer, utn besser
den Vorgängen fol'gen zu können.

Zwisdhen den zwölf Patrioten, die sich an den
Kreuzen wie Angel'würmer wanden, zeigten sich
fünf rotgekleidete Männer und zimmerten ein
Gerüst.

Das sind die Henker — auf dem Kaisergrab!
sägte der Jude. Gegen Cresctentius häbe ich nichts,
das war ein edlter Mann, der für den römischen
Staat kämpfte. Aber es ist doch ein Christ weniger.

Die Christen häben immer zwei Arten der Er-
klärung, warum ein Mensteh leidet. Für den Un-
schUHdigen ist die Qual eine Prüfung, und der
SchüHige verdiente sein Schicksal! Jetzt kommt er!

Crescentius, der l'etzte Römer, wurde vorge-
führt. Sein Kopf fiel', und Rom war deutsöh oder
Deutsdhl'and römisCh — bis 1806.

Und am Nachmittag desselben Tages wurde
die neue Papsternennung, denn von Wahl' konnte
man nicht spreChen, bestätigt, und damit war
Gerbert, der Auvergnat, Papst, unter dem Namen
Silvester der Zweite.

*

* *

Der Kaiser saß in seinem Paläst auf dem
Aventin und wagte nidht auszugehen, denn die
Römer häßten ihn.

In der klteinen Zelle am Abhang des Berges
hätte stein eben getöteter Freund, der Missionar
und Märtyrer Adalbert von Prag, gewohnt, dort
Sdhloß er sich mit seinem Lehrer, dehi neuen Papst
SilVester dem Zweiten ein.

Dieser Franzose hatte in Cordova studiert, wo
die Kalifen eine Universität erridhtet hätten und
wo man arabisehte Wissenschäft ltehrte auf der
Grundlüge griedhischer und indischer Weisheit. In
Rheims hatte er dann selber Philosophie, Mathe-
matik, Astronomie und Chtemie geltesen. Wurde
Abt in Bobbio, Erzbisdhöf in Rhteims und Ravenna,
und nachdem er auf mehreren Kirchenversamm-
lüngen gegen den Verfall des Papsttums aufgetreten
war, deutscher Papst in Rom.

Die Aufregung nadh der Hinrichtung. des Cres-
centius zwang ihn, auf dem Aventin bei seinem
Sdhlüler, dem Kaiser, Schutz zu suchen. Aus der
Zeille des kleinen Klosters neben der Kapelle
Adalberts lenkte er die SChicksale Europas. Seine
freie Zeit widmete er der WissensChaft, besonders
der Astronomie und Chemie, vveshal'b er in den Ruf
eines SChwarzkülnstlters kam.

Al!s er eines Nadhts, in Gedanken versunken,
an seinem SChreibtisch saß, trat der Kaiser ein,
ohüe vorhter seinen JBesuch angesagt zu haben.
Ein hoöh aufgeschossener JüngHing, in ungewöhn-
Iiche TraCht gekleidet, jn eine Dalmatica, die mit
BiHern aus dem Buch' der Offenbarung bemalt
war, dem wilden Tier und der Hure, dem BuCh
der Insieget und anderen Sinnbildern.

Laß miCh spreChen, ich kann nicht schtafen.

Was ist gesChehten, knein Sohn?

Briefe sind angekommen, Warnungen, Träume.

Erzähte!

Du hörst mich an, a'ber du gtaubst nicht, wenn
ich dir die JWahrheit sage. Und du hast Furcht
vor atlen neuen Gedanken.

Was Neues unter der Sonne? Sagt nicht der
Kirdhtenvater Augustinus sogar übter unsere hteitige
Gtaubenslehre: „Was mün in unseren Tagen
Christentum nennt, gab es bereits btei den Alten und
hat es immer gegeben, seit Entstehung der Mensch-
heit bis zu Christi Geburt, ats man begann, Chris-
tentum die wahre Religion zu nennen, die schon
vorher existiert hätte. Christi Wahrheiten sind nicht
andere als die alten, nur entwickelter.

HeretiCus, Ketzer, hüte dich! Du weißt nicht,
was in der JWelt gesChieht.

Laß hören!

Pilger aus mehreren Ländern sind angekommten
und erzählten von (WahrzeiChen, GesiChtern und
Wundern. Im südtiChen Frankreich ist Pest und
Hungersnot ausgebroChen, so daß Menschenflteisch
im SChfäChterladen verkauft wurde; in Deutschland
hat man eine eisterne Rute in Feuer am Himmef
gesehten; und hier in Italien hat man wieder diese

Watlfahrten ohne Ende begonnen. In Jerusälem
ist die KirChe des heifigen Grabes geplündert und
der Tempet des „großen Betriigers" errichtet wor-
den. Das Volk, die ganze Christenheit bebt; denn
sie haben in den lJiederliChten Päpsten des letzten
Jahrhünderts !, die Von Huren gewählt sind, dten
Antichristen gesehen. Christi Gesandter wird er-
mordet, mein Freund Adalbert wär der letzte oben
in Polten; die Heiden haben alle Eroberungen Christi
in Asien und Afrika wieder zurückgewonnen; das
Vofk des 1 „Betrügers“ sitzt in Spanien, auf Sizilien,
in Neapef und bedroht Rom. Das kann nichts
anderes bedeuten, afs daß das Gericht und der
Untergang der Welt bevorsteht, wie sie die Apo-
katypse verkündet hät.

So, die alte QesChichte taucht wieder auf!

GtesChiChte ? Geh, Satan, denn du findest kein
Gefallen an Dingen, die von Gott siind, söndern
an denen, die von Menschen sind.

Nennst du miCh Satan?

Wenn du das Wort verlteugnest! Steht nicht
in Johannes Offenbarung: „Und wtenn tausend
Jähre volendet sind, wird der Satanas los werden
aus seinem Gefängnis. Und wird ausgehten, zu
verführen die Heiden an den vier Enden der Erde,
den Gog und Magog...“ Da hast du die nordisöhen
Völker, die jetzt in England, in der Normandie,
auf Sizifien sitzen... Ist nic'ht Theodora die große
babytonisChte Hure, ist nicht der Betrüger Mahomed
das wilde Tier....

Halt, imein Sohn, ich möchte einen Vers aus
demselben Kapitel zitieren! Dort steht unmittel-
bar vorher, daß „wer teit hat an der ersten Auf-
erstehung, mit Christus tausend Jahre regieren
wird“. Aliso beginnt jetzt das tausendjährige Reiöh
und kann mithin nicht enden.

Das alte endet und das neue beginnt!

Eben! Das alte dunkle ist vergangen, und wir
stehen vor Christi zweiter Wiederkunft auf Erden!
Wenn du dich still in der Hoffnung hieltest, wür-
dest du das neue sehen!

Ich gfaube nicht ein Wort von dem, was du
sagst. Das fetzte Jahr des Jahrtausends ist da,
und idh gehe hinaus in die Einöde, um mit Fasten,
Gebet und |B|uße den Qag desl Herrn und die Ankunft
meines Erfösers zu erwarten. ICh werde beten für
dich, mein Vater. Hier trennen siöh' unsere Wege
und du siehst miteh nicht mehr!

Der Kaiser ging und S.ifvester blieb zurüök.

Ich warte! sprach er zu sich. Aber indessen
ordne iöh unsere weltlichen Angelegenheiten!

U:nd er entfaltete eine Karte der damalsi be-
kannten Weft. Mit roter Kreide verteilte er Kreuze
und Kronen, vor allem im Norden. Ueber Jerusalem
aber zeichnete er eine Fahne mit einer Lanze.

Schluss folgt

Das Mysterinin Jesn

Von Peter Hille

Aus dem Nachlass

Josefs Heimgang

Und auch nach' Nazaret, dein verspotteten, ge-
fäChterumsChütteten Orte des gelobten Landes, das
da aflerlei Narreteidungen geziiehen wurde, kam die
Kunde vom Wundertäter und Messias.

Und die Vaterstadt errötete vor StofZ und wies
mit GeläChter zurück das liebe GerüCht, um nicht
noöh tiefer in Hohn Zu verfaflen und schön vor-
beugeind zu begegnen dem neuen GefäChter, das es
augengesenkt über seinem Haupte sChon lastend
empfand.

Jostef freute siCh. Gern wäre er hinausgezogen,
selber zu sehn und zu hören; aber das Lager hielt
ihn. Die Axt ruhete. In Marias Armen entsöhfief
er. Im Tode wies er noöh fächelnd nach oben.
Maria aber zog wieder naöh Jerusafem, nahe dem
Tempef, wo der Tag ihrer Jugend dem Vater ihres
eigenen Sohnes gebfüht hatte und geduftet. Dort
weilte sie, bis die Tage der Trauer kamen, der

afte Tempel zerfiel, und seine Wächter, die eng-
fühltenden, verknöCherten Wächter der Gnade nicht
mehr waren, weif sie zerstört den neuen, der sich
der ganzen Menschheit öffnete, und erschfagen
hätten seinen geweihten Hüter.

Die Verklärung

Der Sohü des MensChen stieg gern die ernsten
Wege des Berges Jhinan zu den Höhen. Da lag
unter ihm die Welt, leidensChaftslos wie unter den
gütigen Augen Abbas — das ist des Vaters — die
Kinderstube des Höchsten. Da war er näher dem
Vater, der Heimat. Und auch seinen Jüngern fühfte
er siöh näher, hier, wo ihre Gedanken nicht im
IrdisChen wurzelten. Die Welt der Reinhteit, der
Höhe, votler Sanftheit göttlicher Vollendung.

Hier ersdhienen den Jüngern des Meisters
Worte noCh eins so htehr und göttlch', hier kannten
sie niCht Kfeiinmut und enges, ängstliches Wesen
wie oft drunten jm irdisühten Tage, Wo nur AII-
tägfiChes sie umgab. AuCh ! ihr geistiger Meister
trat dort zurück, auCh er ersch'ien ihnen bisweilten
wie in der Irre, wie zu hoöh verstiegen. Ihr Wunsch
war göttliCh, ihr Wille weltlich. Sie waren Neu-
finge noöh des Glaubens und Vertrauens.

Wenig spraCh der Herr, der Meister, wie denn
auCh das Steigen den Atem, den ganzen Atem,
das sittfiChe Steigen üen ganzen sittlichen Atem,
des MensChten vol'Ien JWillen verlangt. Aber was
er spraCh, stieg aus jähten Tiefen, überraschte,
forschte aus. Hier war er der Mann der Ein-
sämkeit, der Sammfung, der Sohn des Vaters, der
zur Heimat ging in stummer Beglteitung der Frem-
den, die noCh nicht reif waren für das Heiligtum.
Nur drunten am See Genezaret bfickte auch sein
Auge bfausanft, gütig, niöht heiligscharf, da lehrte
er und haff er, der MensChensohn. So fragte er
einst: „Für wen häften die MensChen den Men-
schensohn ?“ Und bunt antworteten die Jünger:
„Fiir den Efias, für Johannes, den Täufer, Jeremias
oder der Propbeten Einer“. Und nun forsöht der
Meister: „Wer sagt denn ihr, daß iCh sei?“ Und
es antwortete nicht Johannes, dessen sanftes Ant-
litz mit innigem Glanze siöh zu durChschimmern
begann, nein, der ältliChe Petrus, dessen kindliöhtes
Ungestüm, niehr entfahrendes afs bewilligendes Zu-
tagetreten den Herrn immer ergriff:

„y'j sT 6 Xptaxot; 6 otö; to5 ftsoö toö Stüvxoi;“.

Du bist Christus, dcr Sohn, des Itebendigen
Gottes Sohn.“

Und ersChrocken, afs hätte er in seinem hteiligen
Eifer, in seiner kinderhäften Empfindungsäußerung
im Ungestüm des Bekenntnisses in der Leiden-
schaft des Jüngertums, jnoteh ganz in der Heftig-
keit der Hingerissenheit, der Mannesbegeisterung
deS Gfaubens, Einfältiges begangen, itn Scheugefühl
der ErsChöpfung hielit Simon (Bar Jona inne, pnd
ersChrak fast noch mehr, al!s sein rügestrenger
Meister ihn diesmaf niöht irrjg fand, übe/ alle ihn
lbbte und spraCh :

„Maxapto? Et Stjxtov, ßäp ’luivä“.

Selig bist du, Simön, Bar Jona, denn niöht
Flteisöh und Blut hät dir das offenbaret, sondern
mein Vater im Himmel. Du häst nictht von deinem
MensChliöhten, sondern vion deinem Göttlichen das.
Dein erdhaftes Vertrauen faßt den Himrnef. Und
iöh sage dir, (du bist der Fellsen, und auf diesen
Fefsen werde iöh meine Kirche bauen..“

Und noCh demütiger ward Petrus, noch be-
stürzter in seiner freudigen Bestürzung, und söhlteu-
derte mit seiner Sandalte ein SteinChen fort, das
ihm im Wege fag.

Ja, dieser VerfäßliCh 1 erdhäfte Sinn gab guten
Baugrund, dieser rissige Boden nahm am freudig-
sten sChlCht wie Arme eines Lastträgers den sich
niedersenkenden Himrnef auf. Und deshalb ver-
zieh der Herr diesem TatsäChlichen, diesem Jünger
auch so gern seine Fehfer, seine irdischen Ge-
breChen, weif er in seiner Art am meisten irdisch
war. Und weif sein Glaube treuhterzig Wirkliöh-
keitserregungen entsprang, nannte der Herr ihn
trotz seiner geltegentlichen Umstandsschwächen mit
Redht, mit dem Reöhte des Tiefsinns, den Fefsen-

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