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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

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Nr. 7 (April 1910)
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Baum, Oskar: Fanatismus der Verachtung
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Walden, Herwarth: Die Fackel: An Karl Kraus
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Fortschritt
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https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0057

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träuben, sieht sich meine Freundin gezwungen,
ine energische Verwahrung gegen Ihr Lob vor das
^ublikum zu bringen.“

Tiefes Dunkel wälzte sich von allen Seiten in
'ngeheuren Wellen dem Kritiker entgegen und ver-
chlang die Welt vor seinen Augen.

Seiner Rechten entfiel die Feder, rollte, rollte —
'interließ eine schwarzblaue Spur auf dem halb-
)eschriebenen Papier, stieß an einen Bleistift, rollte
hn vor sich her und fiel mit ihm leise hinab auf den
^cken Teppich.

„Sie wissen, wie eine solche Verwahrung Ihren
^amen gefährden würde,“ fügte der Fremde un-
3e'rrt hinzu.

„Kampfü“ schrie es da dem Kritiker ins Ohr:
•Herr!“ keuchte er, und sein Qesicht war verzerrt,
”'ch habe Waffen und Freunde.

Ich könnte Euch übel zurichten, wenn Ihr so
etwas wagen solltet!“

Der junge Fremde lachte hell auf: „So tun
^' e doch das, bevor wir Sie angreifen! Wir
Verlangen ja nichts weiter.“

Der Berühmte hatte sich unter dem Lachen
^duckt, gekrümmt und war dann in den Sessel zu-
rückgesunken wie ein Schwerverwundeter. Seine
j’Chlaffen Hände pendelten willenlos an der Lehne
e' n und her.

„Sie wollen etwas, das ist klar,“ sagte er Iaut
| )nd langsam vor sich hin, um die Qedanken
jdrmlich greifbar zu machen. „Sagen Sie doch,
2|tte, was Sie wollen! Ich bin gerne bereit, Ihr
‘ alent mit der Feder oder in jeder andern Form zu
''nterstützen, in jeder, bitte, bis zu welcher Höhe
^' e wollen.“

Der Besuch zog ein wenig die Augenbrauen zu-
^mmen und griff nach dem Hut:

„Ich glaube nicht, daß ich die Zeit haben werde.
iange hier zu sitzen, bis Sie meine Forderung
''chtig begriffen haben.“

, „Bleiben Sie doch! Wir miissen ins Reine
K°mmen!“

Der Hausherr sagte das halblaut und zitterte
,lr,d sah den Mann, der mit seiner ruhigen Kälte eine
^P'che Qewalt iiber ihn hatte, wie ein getretencr
H"nd an.

Oer junge Mann blieb zur Antwort mit dem Hut
' der Hand zögerna siehen und wartete: ..Nun?"
I Oa geriet der Kritiker in fieberhafte Aufregung:

t, ‘ Was woüte er.was sollte er denn sagen?

asch. rasch! sonst wartete der schreckliche

nensch nicht länger. „Ihre Freundin wird ja bah’
ieder ein Buch schreiben, natürlich! Sicher eiu

enso gutes. besseres als-“

„Und?“

„Darüber kann ich dann schimpfen. wie und
Vas Sie wünschen.“

Der Fremde machte eine resolute Bewegung
s Ur Tär. „Na. Sie verstehen das nicht. Ich sehe
J^hon, e$ jsj ihrern Qehjrn einfach physisch un-
dglich, einem solchen Qedankengang zu folgen.“
. -Dh, oh, ich verstehe alles!“ fliisterte der Be-
'mrnte und nickte minutenlang heftig mit dem
"^Pfe: „Ich schimpfe auf ihr Buch, das bald er-
Scheinen wird.“

„AIso mflssen wir uns selbst helfen!“

„Halt!“ Der Hausherr sprang fhm in den Weg

u, id fuchtelte mit der Faust vor dem Qesicht des
_ remden hin und her: „Warum wollen Sie das

" Icht, warum nicht?“

„Qlauben Sie, wir können den Schimpf auf dem
ersten sitzen lassen?“

„Wie? — Schimpf auf dem zweiten? . . . ersten
"'cht? Frsten nicht?!“

Die Fäuste hatten sich gelöst und sanken; mit
Verglasten Augen stierte er um sich und lallte:
"^weiten Schimpf? ersten doch? —, — zweiten . . .
"as-“

Der schlanke Besuch erzwang sich die Tiir
"id Hef.

„Noch ein Wort. Herr . . .“

Der Kritiker wollte ihm nach, aber er ging nur
mngsam; seine Kniee zitterten und knickten und
Sein Kopf nickte unaufhörllch, rasch und heftig. Er
^olite zum Korridor hinaus, erwischte aber die
Aüchentiir und schleppte sich gedankenvoll zum
Herd, wo er müde niedersank, als wäre die gliihendc
matte eln Fauteuil . . Die Frau und die Köchin
starrten entsetzt auf ihren Herrn, der Dlötzlich mit
rotem Oesicht zu schreien begann: „Wer hat das
^ofa angeziindet? Wie? Ihr wollt nicht, daß ich
”"ch lobe?! Ich werde Euch nie mehr loben, das
^chwöre ich! Aber wehe, Ihr, Ihr — Pack! wehe
R"ch, wenn ich noch einmal jemanden lobe!“

Er stürzte mit gefletschten Zähnen auf die
bleiche Frau los; sie schickte um den Arzt.

Am Nachmittag schrieb sie einer Freundin in
stolzer Melancholie:

.Mein Mann ist im Sanatorium. Das

ist das Los der hellsten Tage! Die Nacht ist nei-
disch und die Reihe der Opfer wächst: Hölderlin,
Schumann, Lenau, Donizetti, Nietzsche und mein
armer.“

Die Fackel

An Karl Kraus

Mein lieber Freund!

Ich habe lange gezögert, wen ich um einen Bei-
trag über die F a c k e I bitten sollte, die nun drei-
hundertmal durch Ihre Kraft leuchtete. Daß i'hrFeuer
nicht auch Deutschland in Brand setzte, hat zwei
Qründe. Die Menschen hier (und anderswo)
können nicht mehr sehen undfühlen. Sie
wollen alles durchaus „verstehen“. Auch ihr Tod
muß ihnen noch durch Kommentare plausibel
gemacht werden. Die äußeren Sinne versiegen und
der innere Sinn der Phantasie quillt ihnen nicht.
Der Rest ist Reden (und Schreiben). So suchen sic
bei sich vergeblich das Organ für „Unverständ-
liches.“ Und stutzen oder lachen, wenn man es
ihnen zeigt. Um so mehr, wenn es von Wien aus
geschieht. Das ist der zweite Grund. Wien ist von
einer chinesischen Mauer umschlossen, die sich
nur von außen übersteigen läßt. Die Mäuse
freilich kriechen unten durch und piepsen in der
Welt über Wien. Auf diese Weise kann man von
Ihnen, lieber Freund, natürlich nichts erfahren.

Daß ich mich Ihren Freund nennen darf, wtirde
mich nicht hindern, über Sie zu schreiben. Ich bin
für „Kameraderie.“ Und zahle obendrein noch gern
mit Zinsen die Prozente, die mir Schaubiihnen-
herausgeber und Qenossenschaftspräsidenten bei
diesem Unterfangen nachrechnen würden. Diese
Herren sind sicher gutgläubig: Ftir den K aufmann
paßt der kommerzielle Standpunkt. Aber ich
versage mir diese Freude, weil größere Wort-
Wivstw ,,wei] l?irr fKlfflte.

müßten. Ich kenne in Deutschland niemanden,
der heute Sie so kennt und Ihnen zugleich eben-
bürtig ist, daß ich ihn darum bitten "möchte.

Mir bleibt die Hoffnung, daß kein ferner, un-
festlicher Tag mir das bringen wird, was ich jetzt

nur der Qelegenheit zu danken hätte.

Ihr

Herwarth Walden

Fortschritt!

Dokumente des Fortschritts

So heißt eine Zeitschrift, die seit einiger Zeit
in Berlin erscheint. Sie bietet in mehrerlei Sprachen
wohl dasGroßartigstean absoluter Ahnungslosigkeit
unserer Zeit gegenflber, das sich der Bildungs-
dfinkel des Schmocktums bisher geleistet hat. Wir
wollen auf dieses wundervolle Organ, das sich mit
seiner Ietzten Spezialnummer, dem sogenannten
Literaturheft, einen ebenso unfreiwilligen wie vor-
märzlichen Aprilscherz geleistet hat, noch zurück-
kommen. Für heute sei nur bemerkt, daß dieses
Organ den Reklamerummel für den ordlnären Kol-
portageroman „Aus Sturmeszeit“ der russischen
Gartenlaube-Schriftstellerin Werbizkaja eingeieitet.
Die Lärmtrompeter für das plumpe Sensationsbuch
haben übrigens weder eigene Mühe noch Kosten
anderer zugunsten ihres jämmerlichen Schund-
schützlings gespart.

Ein Journalist konnte es sich sogar in einem
Organ der Berliner Tagespresse nicht verkneifen,
in begeistertem Somnambuiismus Verse von Stefan
Qeorge auf den Hintertreppenroman der Dame
Werbizkaja zu zitieren. Man soll gewiß die
Schundliteratur nicht unterschätzen. Jeder normale
Mensch wird sich sagen, daß der bisher so unbe-
achtete Literaturzweig der „bunten“ Hefte und Kri-
minalromane doch irgendwelche Qualitäten haben
muß, da Schulbehörden und Traktätchen-Ministerien
einen derartig lauten „Kampf“ gegen ihn aufnehmen.
Vielleicht ist dies seine Bedeutung: die Befruch-
tung mancher Literaten aus den längst versunkenen
Urzeiten einer patzig phmipen Zeitungsschmierer-

zunft, die heute um jeden Preis als modern er-
scheinen wollen. Registrieren wir nichts anderes,
als daß auch Herr Eugen Zabel, der in den letzten
Monaten sonderbarerweise aus einem (auch von
uns) wohlverdienten Barbarossaschlaf erwacht zu
sein scheint, für die Küchentisch-Dichtung der Wer-
bizkaja leviathangleich ein Blümchen pflückt. —
Immerhin sei man der Qelegenheit dankbar, die
es gestattet ein ehernes Qesetz wieder von neuem
festzustellen: Sowie einmal ein rechtschaffen

schlechtes Buch erscheint, dann kriechen aus allen
Kellerluken die Leute hervor, die auch rechtschaffen
nichts können und schlagen enthusiastisch ihrc
Tinte ab.

Der Sieg der Minderheit

Wer auf die Scharen von in Freiheit dis-
ziplinierten Demonstranten mit polizeilichem Eini-
gungskuß Wert legt, wird der „Demokratischen Ver-
einigung“ Dank wissen, die durch ihr ebenso ent-
gegenkommendes wie offenherziges Benehmen dic
Behörde von der Harmlosigkeit eines wohlge-
ordneten Demonstrantenjauchzens überzeugt hat.

Der Polizeipräsident hatte bekanntlich eine b ■
absichtigte Versammlnng der „Demokraten“ unter
freiem Himmel nicht zulassen wollen, mit dem Be-
denken, der in Aussicht genommene Berliner Platz
könne die zu erwartende Zahl von 50 000 bis 60 000
Teilnehmern nicht fassen. Aber nach den Zeitungs-
meldungen wußte der betreffende Verbandlungs-
leiter den Polizeipräsidenten ohne weiteres davn
zu überzeugen, daß von 50 000 Menschen gar kei ’ ■
Rede sein könne. Zu den Versammlungen der be
treffenden. politischen Oriippc kämen doch höchstens
2000 Menschen angeriickt!

Wir halten diese Taktik für eine ganz neue und
glänzende Erfindung politisch Bemiihter. Es ist. mit
einem kurzen Wort, Wirkung durch dasMit-
1 e i d. Sicherlich ist es fiir jemanden. der die breitcu
Massen zu sich hinüberziehen wiü, ein unerhört
wirksames Agitationsmittel, zu seinem Qegner zu
sagen: „Vor uns brauchen Sie keine Angst zu
haben. Sie iiberschätzen uns — zu uns konimt ja
doch niemand!“ Wenn wir nicht irren, so war ein
ähnliches Verfahren bisher nur iiblich bei Verlegern

sogenannter „unsittlicher“ Schriften, die vor Gericht

- - .1_ ** ' Ä



niiiiici ucn i jewcr.s /.ii~tittirurr 'stn:rrcTr,—,j=ai.r miT*T-
schäfte ja nur einige wenige Subskribenten etwas
angingen. — Durch diesen Triumph oer „Viel-
zuwenigen“ sind iiberhaupt ganz neue und er-
schrecklich tiefe Probleme angeschnitten wordrn.
Zum Beispiel: „Qibt es also einen Sieg der
Minderheit durch den die siegende Minderheit
schäbig dasteht?“ oder eine rein mathematischc A-*.
geiegenheit: „Wenn ein poütischer Klub Recht ■
verlangt, weil er wenig Mitglieder hat, wiirde er
dann nicht mehr erlangen. wenn er noch weniger
hat?“ Oder — noch mathematischer: ..Ueberhaunt
alles, wenn er gar keine Mitglieder hat?“

Vielleicht findet sich aber jemand. der einem
Manne. der absolut keine Ahnung hat, wozu poli-
tische Routine gut ist. eine ganz einfache. ja be-
scheiden vorgebrachte Frage beantwortet. Fs ist
diese: Welches Zie! haben sogenannte Demonstra-
tionen von Leuten. die kasernenmäßig gedriüt nach
Art ägyptischer Hieroglyphenfiguren im Qänse-
marsch angeschart werden. um durch Handanfheben
eine sogenannte „Resolution“ (?) zu bekräftigen.
deren Text schon v o r h e r in der Presse veröffent-
och wurde? Ist es eigentüch zn glauben. daß man
große Massen in der Ordnung von Schuljungen nm-
herfiihrt. um jede Spontanität des Oefiihls zu er-
morden, jeden Enthusiasmus säuberlich durch Ab-
lesen von einem gedruckten Zeitungswisch zu ver-
tuschen? Welche Wirkung kann sich in Wahrheit
irgend ein gesund gewachsenes Qehirn von einem
auf Drucknapier präparierten (und durch die Post
versandfähigen) Entrüstungssturm versprechen?
Diese wackere. gesetzüch geschfltzte Demonsfration
offenbart zu klar den tiefsten Qrund dieses Hurrah-
Byzantinismus von der Qegenpartei: Es ist def
Schrei nach dem Zeitungspapier.

Papst-Reklame

Der Kölner Männergesangverein hat eine
Ttalienfahrt unternommen und meldete seinen Be-
such. ganz und gar ohne eingeladen zu sein. beim
Papst an. Der Papst hat den Besuch der Vereins-
briider abgelehnt. und darüber ist der Verein in gro-
ßer Aufregnng. Man stellt fest, daß doch auch Ka-
thoüken Vereinsmitelfeder seien, nnd man ruft das
Mitleid der ganzen Welt wach. indem man erzählt.
wie viel Zuwendungen der Verein schon dem

sa
 
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