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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

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Nr. 47 (Januar 1911)
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Hoddis, Jakob van: Varieté
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Knoblauch, Adolf: L'oeuvre Péladan
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Szilágyi, Géza: Amphimelas
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Scheu, Robert: Leitfaden der Weltgeschichte, [4]
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https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0380

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Ahl Schwimmen in der dicken Luft die viele«
Dämlichen Köpfe, die ins Helle glotzen?

Drei Weiber lässt man auf der Bühne spielen,

Die süsslich mit gemeinen Gesten protzen.

II

Der Athlet

Und der Athlet tritt auf und staunen kannst de,
Wie er ein Brett mit seiner Faust zerhaut.

Er geht einher mit ungeheurem Wanste
Und feistem Arm und Nacken, schweissbetaut.

Und kurze Hosen schlottern um die Beinchen,

Die sind zu diinnen Stöckchen deformiert.
Prunkende Seide seine Füsschen ziert.

Ach! sind die niedlich! Wie zwei rosa Schweinche«.

II!

Der Humorist

Ein alter Mann in einem neuen Fracke
Plärrt jetzt seine Liebesabenteuer.

Und besonders nach gewissen neuern
Abenteuern,

Spricht er, gleiche er dem Wracke,

Das auf den Wellen wackle ohne Rast,

Der Winds-„Braut“ preisgegeben, ohne Steuer,
Sogar mit halb verfaultem „Mast*.

IV

Tanz

Ein kleines Mädchen mit gebrannten Löckchen
In einem Hemd ganz himmelblau —

Die blossen Beine trippeln ohne Söckche«.

Sie singt: „Ach, tu rnir nichts zuleide!

Ach Du! Heut werd ich Deine Frau.“

Dann tanzt sie gierig und mit Chic
Zu einer holprigen Musik.

Und durch die Wirbel blauer Seide
Siehst de den jungen Leib genau.

V

Die Inderin

Sie hebt den dünnen Arm; da duckt zum Sprunge
Das dunkle Pantherpaar, durch sieben Reifen
Fährt es hindurch mit elegantem Schwunge.

Und ihre bösen starken Pranken streifen
(Wenn sie verwirrt zurück zum Käfig taumeln)

Die Perlenschnüre, die . . von einem lila Gurte . .
Um ihrer nackten Herrin Hüften baumeln.

VI

Ballet

Neger schlenkern aufrecht mit den Beinen,

Auf dem Rumpfe gelbliche Trikots.

Und dazwischen tanzen unsere frechen kleinen
Weiber blond und nackend; ganz famos
Angezogen:

Nur mit goldenen Stöckelschuhn,

Mit denen sie die fauchenden Athleten
Behende in die dicken Nasen treten.

VII

Die Soubrette

Ein Weibsbild kommt als Jägersmann
Und schiesst auf ihrer Flinten.

Und sieht sich einen Vogel an
Und zeigt sich uns von hinten.

Ihr Hintern biegt sich unerhört
Auf Beinen stramm wie Säulen.

Sie singt: „Mich hat die Lieb verstört
Juchhei! im grünen Walde . . .*

VIII

Die Tänzerin

Wie mich die zärtlichen Gelenke rühren,

Dein magrer Nacken, Deiner Kniee Biegenl
Ich zürne fast. Werde ich Dir erliegen?

Wirst Du zu jenem Traum zurück mich führen,

Den ich als Knabe liebend mir erbaute
Aus süssen Versen und dem Spiel der schönea
Schauspielerinnen, linden Geigentönen
Und Idealen, die ich klaute?

Ach! keine fand ich jenem Traume gleich,

Ich musste weinend Weib um Weib vermeiden,

Ich war verbannt zu unermessnen Leiden,

Und hasse jenen Traum. Ich spähe bleich,

Und sorgsam späh ich wie Dein Leib sich wende,
Nach jeder Fehle, die im Tanz du zeigst,

Ich bin dir dankbar, da du doch am Ende
Mit einem blöden Lächeln dich verneigst.

IX

Schluss: Kinematograph

Der Saal wird dunkel. Und wir sehn die Schnellen
Der Ganga, Palmen, Tempel auch des Brahma,

Ein lautlos tobendes Familiendrama
Mit Lebemännern dann und Maskenbällen.

Man zückt Revolver, Eifersucht wird, rege,

Herr Piefke duelliert sich ohne Kopf.

Dann zeigt man uns mit Kiepe und mit Kropf
Die Älplerin auf mächtig steilem Wege.

Es zieht ihr Pfad sich bald durch Lärchenwälder,
Bald krümmt er sich und dräuend steigt die schiefe
Felswand empor. Die Aussicht in der Tiefe
Beleben Kühe und Kartoffelfelder.

Und in den dunklen Raum — mir ins Gesicht —
Flirrt das hinein, entsetzlich! nach der Reihe!

Die Bogenlampe zischt zum Schluss nach Licht —•
Wir schäeben geil und gähnend uns ins Freie.

X

Draussen

Die Sommernacht ist schwer nur zu ertragenl
Vier Herren gehn mit abgeknöpftem Kragen.

Ein Lackbeschuhter stelzt der Schnepse nach . . .
Da polterts her — Ein langgedehnter Krach:

Der Donner!

Au 1

Ist die Reklame plump,

Blitz!

Ein feiner Mensch liebt nicht den lauten Mum-
pitz!

Das klingt ja ganz, als ob der dicke nackte
Weltgeist

Ganz vertrackte Katarakte im Tackte kackte.

L’oeuvre Peladan

Von Adolf Knoblauch

In der französischen Literatur erstand nach 1870
ein einzigartiges, modernes Kulturdenkmal, das vierzehn-
bändige Sittengemälde „Lateinischer Verfall“ von Sar Pe-
ladan. Er gibt darin unbarmherzige Enthüllungen über
die Lebensführung französischer und italienischer Kreise
des Adels, der Geistlichkeit und Regierung und unter-
sucht die Ursachen des Verfalls der romanischen Rasse,
„der Schönsten, je auf Erden existirenden, der lateinischen
Rasse, die im Sterben liegt. Furchtbarer, herrlicher
Gegenstand.“

1884 eröffnete er als Sechsundzwanzigjähriger seinen
moralisch-satanischen Roman-Zyklus mit dem „Letzten
Laster“ (Vice supreme) und schloss ihn 1900 ab mit der
„Letzten Tugend“ (Vertu supreme). Diese vierzehn
Romane sind ein riesiges Leichenbegängnis aller idealen
Anstrengungen, Träume und Hoffnungen der führenden
französischen Gesellschaft. Die Erklärung für den Ver-
fall der Rasse gibt er durch ihre intellektuellen Laster.

Der Kampf Peladans geht gegen die Gesellschafts-
ordnung durch Gold, die Verkommenheit der „höheren“
Stände, vor allem aber gegen das „Letzte Laster“: das
Verbrechen gegen den Geist, geiitige Unzuchf anf allen
Gebieten des erotischen, wissenschaftlichen, politischen
und religiösea Lebens, gegen die Perversität des
Denkens; Peladas besonderes leider noch nicht öffent-
lich anerkanntes Verdienst ist seine Brandmarkung
dieses wesentlich modernen, dieses Erz-Lasters der
Bourgeoisie und dei „höheren“ Stände, des über den
seben mittelalterichen Todsünden mit Recht erhöhten

Verbrechens gegen den Geist und die Wahrheit, das
er schneidend in seinen Haupttypen des Sittengemäldes
verkörpert.

Peladan ist Grossmeister der Rosenkreuzer. Br
betätigt sein ethisches Ideal, ist katholischer Reformator
und Ritter für Tugend und Kunst Sein künstlerischer
Hochorden soll eine Elite von Aestheten darstellen, die
der allgemeinen Nivellierung steuern, auf Kirche und
Papsttum modernisierend einwirken Die praktischea
Unternehmungen des Ordens Ieiden Bankrott. Eine
Ietzte Flucht zum Altar, über die sich düstere Ver-
zweiflung breitet.

Amphimelas

Schwarz ringsumher! Ist es möglich tiefere Trauer
In eines Wortes gewaltige Formung zu banaen?

Dies Wort ist meines; — um mich her ist Nacht
Lastendes Dunkel, ron keinem Strahle durchschimmert.

Mich zieht es nicht nach der Sonne bellleuchtendem

Lichte

Der hundert grausamen Schlachten verblutenden Kämpfer —
Denn wo zum Unheil alles das Schicksal lenkt
Würde sich selber das Heil mir in Qualen verwandeln

Dies Schweigen ist besser. Es Iosch mit dem

letzten Strahle

Der letzten Hoffnung betrügerisch Iockendes Zwielicht -
Und mich beschützt vor der Gefahr des Heils
Amphimelas — das schwarze schweigende Dunkel

Geza Szilägyi

Nachdichtung von Heinrich Horvat

Leitfaden der Welt-

geschichte

Von Robert Scheu

IV / Neuzeit / Zweiter Teil

Im Jahre 1740 kommt der von Maximilian Hardea
protegierte Friedrich der Grosse zur Regierung. Mit
ihm beginnt das Zeitalter des sexuell aufgekiärten
Absolutismus. Sein Vater war so grob, dass Friedrich,
um ihn nicht zu verstehen, französisch lernte. Er
vervollkomnete sich in dieser Sprache so, dass er
sich als Floetenspieler hätte fortbringen können. Er
lebte ungeheuer sparsam, weshalb er sich einea Krück-
stock anschaffte. Er war als Knabe sehr flüchtig,
wurde aber eingeholt und — beziehungsweise sein
Freund Katte — hingerichtet. Er setzte seine franzö-
sischen Lektionen bei Voltaire fort, den er wegen seines
schlechten Appetits oft zum Nachtmahl einlud. Friedrich
der Grosse sah ein, dass er mindestens drei Kriege
führen müsse, um ins Geschichtsbüchel zu kommen.
Da es in Schlesien viele unbekannte Dörfer gab, so
verlegte er den Krieg dorthin und machte bald alles
historisch dürch Sifg oder Niederlage. Wie die meisten
siegreichen Feldherren hatte auch er die schiefe
Schlachtordnung eingeführt. Da er sie sich rechtzeitig
patentieren liess, waren die Oesterreicher gezwungen,
ihm in der denkbar gradesten Schlachtordnung ent-
gegenzutreten, was in kriegerischen Gegenden ungemein
schädlich ist. Friedrich der Grosse ging nie ohne
Schlachtenmaler aus und gab genau acht, dass die
Zöpfe immer genau in einer Reihe standen. Da die
Waffen damals noch nicht so vollkommen waren wie
heute, mussten die Armeen, damit man überhaupt
etwas traf, streng in Reih und Glied marschieren. |An
den graden Tagen erklärte Friedrich der Grosse Krieg,
an den ungraden schloss er Frieden. Den sieben-
jährigen Krieg kann sich niemand erklären, weil Friedrich
der Grosse ohne Kriegserklärung einfiel. Er lieferte
ungefähr zwei Dutzend Schlachten, wodurch es den
Oesterreichern billiger kam als im Einzelverkauf.

Nach dem Ende des siebenjährigen Krieges waren
sämtliche Teilnehmer um genau sieben Jahre älter als
bei Beginn, was besonders die Damen kränkte. ln

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