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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

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Nr. 3 (März 1910)
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Lantz, Adolf: Die Hochzeit des Gilles de Rais
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Hardekopf, Ferdinand: Nymphenburg
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Loos, Adolf: Der Sattlermeister
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https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0024

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„0 Ueberstrom der Qnade“ fltisterte er über-
wältigt, derweilen er sich an mir barg, „der mir
einen Menschen gibt! Nach gottschauender Selig-
keit die Wärme eines Menschen!“

„Wunderbar, Bruder, ist der Wille des Herrn.
Wir wollen ihn loben.“

„Der Heiland selbst hat sich mir geneigt, mein
Bruder! Lag gekrümmt wie ein staubfressender
Wurm, zutiefst mich erniedrigend, Tag und Nacht
vor ihm. Er aber, der tausendfach von mir Qe-
schändete, wandte sich. Ich aber lechzte und
schrie nach seinem Blick. Nicht durch seinen
Priester allein wollte ich erlöst meiner Schuld mich
wissen, das Wunder seiner Erscheinung musste
mich begnadigen. So schlug ich denn die Stirn
mir blutig am harten Stein für jede Hostie, so ich
entweiht. Trank die Bitternis der Galle, wenn mich
dtirstete. Rief den himmüschen Vater, mir seliger
Schänke zu sein, rief Jesum, mir Becher zu sein,
den Heiligen Qeist, Wein mir zu sein. Aber der
strömende Kelch der Heiligen Dreifaltigkeit ver-
siegte vor meinen brennenden Lippen. Also gieng
Nacht und Tag und Nacht und Tag, zum Abend-
Angelus läuteten die Glocken. Als sich die Tür
aufschioss, der Schimmer der Fackeln auf den Qe-
kreuzigten fiel, da plötzlich, Bruder, ward ich wun-
derbar entzücket. Der Heiland wandte mir sein
Antlitz zu. Und wie sein göttlich Auge milde auf
mir ruhte, nahm er die Schuld von mir und ver-
hieß mir die ewige Qnade.“

Schluchzend, aufgelöst, so lag er in meinen
Armen. Eine Ohnmacht entrückte ihn. Meinem
pochenden Zeichen gehorchte der Wächter. Hieng
seine Fackel in den eisernen Ring, eilte geschäftig,
die Schläfen und Lippen des Bewußtlosen mit
starkem Wein zu netzen.

Kam da große Freude über mich, als er die
Lider erhob, sein ferner Blick mich verwundert
traf, es wie ein Hauch iiber seine Lippen glitt:
„Strömender Kelch! Heilige Dreifaltigkeit.“ Hieß
ihn freundlich mit zuredenden Worten Speise neh-
men und karfunkelnden Wein, davon er zu Kräften
kam. Teilte auch sein Mahl, trank aus seinem
Becher und tat gar wohl seiner arrnen Seele.

Hub er an zu sprechen vom nahenden Ende
seiner Tage, ohne jegliche Furcht, voll des Glau-
bens an das Paradies. Da erstaunte ich ob seiner
großen Frömmigkeit, die in ihm war auch in seinem
bösesten Tun, als Satanas alles in ihm verdrehte
wider die Satzungen Qottes. Und fand viel Qutes
in ihm und begriff wohl, daß man ihm hätte Freund
sein können, wie es denn auch etliche gegeben, die
ihn sehr geüebt haben.

„Mein Leib sehnt sich nach der Flamme, auf
daß er vernichtet werde zu Staub und Asche. Ich
kenne den Tod, liebte seinen Anblick, dieweil er
voll Rätsel ist. Viel Sterben ersah ich. Noch ein
Kind, ward ich ans Lager meines Vaters geftihrt,
der weiß und wächsern mit geschlossenen Augen
ruhte. Mußte ihn ktissen zum letzten Mal, drückte
die Lippen auf seinen Mund, der wie kalter Stein
war. Verlor sich dieser Todeskuß nie mehr aus
meinem Gefühl. Oft wenn ich im Winter über
Schneefelder ritt, den Bück in mich sargte, die
Lippen in die Luft wölbte, sptirte ich auf ihnen den
Abdruck von meines Vaters eisigem Mund, ersah
zugleich das weihrauchduftende Gemach, die hohen
Kerzen, meine Mutter, die mich an der Hand hielt.

Kaum zwanzig, auf weißem Roß mit gtildge-
franzter Schabrake, ein kostbar Seidenwams un-
ter der Rüstung, so sprengte ich in die Schlacht.
Sah, wie Einer, vom Bolzen durchbohrt, dicht ne-
ben mir lautlos vom Pferde sank. Stierte sein ver-
glasendes Auge in die Wolken, der Mund stand
offen wie zu erstaunter Frage. War eine Qrimasse
wie sie bei Possenreißern zu sehen, worüber man
herzhaftes Lachen exhebt, aber war darin der uner-
gründliche Ernst der Plötzüchkeit, davon einem die
Begier überkam, das Qeheimnis dieser Maske zu
erforschen. Schaut so seltsam der Tod, dacht ich,
dann will ich seiner gewahr werden. Suchte mir
den einzelnen Feind als giengs zum Turnei, sieghaf-
ten Muts. Rannte wider einen, der sich mir stellte,
warf ihn. Tief drang die Lanze durchs aufge-
klappte Visier, das Haupt an die Erde heftend.
Hatte nicht Zeit, ihn zu betrachten, mußte ins
dichte Qetümmel, vom Kampf berauscht, hin zur
Jungfrau, welche die Fahne trug, das weiße Ban-
ner mit heiligem Bildnis. Trieben wir allda vor der
Begeisterten die Engelländer her wie der Sturm-
wind wirbelnd Staub und Sand über die Ebene
jagt. Einmal übers andre trug ich das Schwert
bluttriefend aus der Schlacht. Stand dafür auch
mit zweiundzwanzig als Marschall neben der Jung-
20

frau, als zu Rheims im Dome König Karl gekrönt
ward. Sah daselbst, wie Einer, dem der Feind
alles geraubt, jetzo in Qewißheit des wunderbaren
Siegs, vom Anblick des königlichen Prunks, dem
überirdischen Klang der Glocken, den Düften des
Räucherwerks, den Farben der Qewänder betäubt
und hingerissen, im Ueberschwang des Jauchzens
vor der Jungfrau sterbend zusammenstürzte,
röchelnd, gierig nach Atem, die Luft wie einen
Körper mit gekrampften Fingern packend. Bis daß
die Augen aus den Höhlen springen gewollt, sein
Bück sich brach. Erschien mir aber im gräßüch
verzerrten Qesicht ganz deutlich ein Uebermaß
von Seligkeit, daß sich mir wieder zum ersten
Schrecken das Qeheimnis eines Ausdrucks ge-
sellte, davon ich gern mehr gewußt als das Auge
schaute.

Reizte mich schon dumpf als Knabe, da ich
elf Jahre zählte, alles, was dunkel und verborgen
schien, mit Unergründlichem belastet. Liebte über
die Maßen modrig duftende Schriften, in einer
Kammer des väterlichen Schlosses gehäuft, mit
fremden Zeichen fremder Sprache. Ruhte denn
auch nicht, bis daß ich sie zu erkennen vermocht
und lingua Latina mir war wie meine Mutter-
sprache, kein Wort ein verschlossenes Sigel.
Konnte mich im Anschauen des Qlanzes und der
schillernden Farben von Edelsteinen völüg ver-
üeren und übte mancher gar böse Kräfte an mir.

Wars nicht der Dräuende mit der Sense, der
mirs zur Lust werden ließ, im jähen Galopp hart
am Abgrund hinzureiten, lockte er nicht aus dem
schäumenden Strudel, ihn zu ergründen, daß ich
den Renner zum Sprung spornte? Jenseits starr-
ten die Knechte mit offenen Mäulern hinterdrein,
den Schrei des Entsetzens in die verzagte Brust ge-
preßt. Konnte mir aber nicht Rede stehen, was es
mit mir in jenem Augenblick gewesen, da mit ge-
blähten Nüstern und funkelnden Augen das Roß wie
ein Teil meiner selbst unter mir hinüberschnellte.

O Bruder! Dreien Qeheimnissen forschte ich
nach und wollte mich vermessen, sie zu ergründen.
Diese aber sind: die Liebe, so aus allem
strömt, was uns als Schönheit bedünkt, der Tod,
von dem mir Satanas predigte, daß er die letzte
Nacktheit von Liebe und Schönheit enthülle, und
zum dritten die Gewalt des Bösen. Werde nun-
mehr morgen in meinem sechsunddreißigsten Jahr
in Flammen aus dieser Zeitlichkeit gehen, aber
habe nicht vermocht zu erforschen bis zur letzten
Nacktheit, was meine Seele und nicht, was mein
Geist gesucht.

Schluss in Nunimer 4

Nymphenburg

Von Ferdinand Hardekopf

Ein Erzittern, glückliches Fiebern des Hirns und
Taumeln der Brust, taucht in graugedehnte,
rasengrüne Parkavenuen.

Es war eine Beschwörung: die Gifttapete berste,

Die mir, seit ich wühle (seit es irgendwo leuchtete)
die üchte Scheidekraft verstellt.

.Es quoll ein grünes Auge;

In Bastseide, durchsickert von malvenfarbenen
Eisenbahnschienen,

Räkelte sich Pierrot, der klügste, katholischste
Amerikaner,

Qrau das Wüstlingshaar, das Jünglingshaar,
knisternd dem Weinlaub, dem Lorbeer und
Frauen-Nägeln.

Aus Lackschuhen, glänzendster Eremitage, plät-
scherten die weißblauen, wolkenzarten Adern
eines sehr hellen Nervenbeins

(Soviel Wässer, Toilettenwässer, soviel Zärt-
lichkeit!).

Ein dunkler Mund zerteilte höfüch den behutsamen
Dampf.

Und es wurde Orphisches doziert.

Ich versank — lächelnd, vergiftet.

Da wußte ich meine heiteren Qefahren,

Und, edlerer Bürde nun gewürdigt. erschloß ich mir
das volkgemiedne Land.

... Schon formt sich in der Stachelhülle,

Was schmelz-duftig, nebelreif-atmend die kältere
Erde grüßen wird;

Prunkend die Avenue denkt gelbe Gedankenbäume,
weite, bergige, spitzfindige wie die Lust (.. die
Lust ...).

Eine weiße Fontäne zischelt Medisance, Marquise
in gepuderter Wellen-Perücke,

Dle Marmorgötter lauschen und kichern und
schmiegen sich lächelnd aus ihren Qewändern
(Welcher Doktor besorgt eure Kosmetik, Beine
Dianens?),

Und, jenseits des Königsschlosses, lassen die Spie-
gelleiber heiüger Teiche,

Schwäne sind ihre Brüste,

Brüste,

Sich einbetten in Festungswälle,

Ritterlich wehrende, mit galant abfallenden Schul-
tern, Pagenschultern.

Der Sattlermeister

Von Adolf Loos

Es war einmal ein Sattlermeister. Ein tüchti-
ger, guter Meister. Der machte Sättel, die so ge-
formt waren, daß sie mit den Sätteln früherer
Jahrhunderte nichts gemein hatten. Auch nicht mit
türkischen oder japanischen. Also moderne Sättel.
Er aber wußte das nicht. Er wußte nur, daß er
Sättel machte. So gut, wie er konnte.

Da kam in die Stadt eine merkwürdige Bewe-
gung. Man nannte sie die Sezession. Die verlangte,
daß man nur moderne Gebrauchsgegenstände er-
zeuge.

Als der Sattlermeister das hörte, nahm er einen
seiner besten Sättel und ging damit zu einem der
Führer der Sezession. Und sagte zu ihm: Herr
Professor — denn das war der Mann, da die Füh-
rer dieser Bewegung sofort zu Professoren ge-
macht wurden —, Herr Professor! Ich habe von
Ihren Forderungen gehört. Auch ich bin ein mo-
derner Mensch. Auch ich möchte modern arbeiten.
Sagen Sie mir: Ist dieser Sattel modern? Der
Professor besah den Sattel und hielt dem Meister
einen langen Vortrag, aus dem er immer nur die
Worte „Kunst im Handwerk“, „Individualität“,
„Moderne“, „Hermann Bahr“, „Ruskin“, „ange-
wandte Kunst“ usw. usw. heraushörte. Das Fazit
aber war: Nein, das ist kein moderner Sattel.

Qanz beschämt ging der Meister davon. Und
dachte nach, arbeitete, und dachte wieder. Aber so
sehr er sich anstrengte, den hohen Forderungen
des Professors nachzukommen, er brachte immer
wieder seinen alten Sattel heraus.

Betrübt ging er wieder zu dem Professor,
klagte ihm sein Leid. Der Professor besah sich die
Versuche des Mannes und sprach: Lieber Meister,
Sie besitzen eben keine Phantasie.

Ja, das war’s. Die besaß er offenbar nicht.
Phantasie! Aber er hatte gar nicht gewußt, daß
die zum Sättelerzeugen notwendig sei. Hätte er
sie, so wäre er sicher Maler oder Bildhauer gewor-
den. Oder Dichter oder Komponist.

Der Professor aber sagte: Kommen Sie mor-
gen wieder. Wir sind ja da, um das Gewerbe zu
fördern und mit neuen Ideen zu befruchten. Ich
will sehen, was sich für Sie tun lässt.

Und in seiner Klasse schrieb er folgende Kon-
kurrenz aus: Entwurf für einen Sattel.

Am nächsten Tage kam der Sattlermeister
wieder. Der Professor konnte ihm neunundvierzig
Entwürfe für Sättel vorweisen. Denn er hatte zwar
nur vierundvierzig Schüler, aber fünf Entwtirfe
hatte er selbst angefertigt. Die sollten ins „Studio“.
Denn es steckte Stimmung in ihnen.

Lange besah sich der Meister die Zeichnungen
und seine Augen wurden heller und heller.

Dann sagte er: Herr Professor! Wenn ich so
wenig vom Reiten, vom Pferde, vom Leder und
von der Arbeit verstehen würde wie Sie, dann hätte
ich auch Ihre Phantasie!

Und lebt nun glücklich und zufrieden.

Und macht Sättel. Moderne? Er weiß es nicht.

Sättel.

Die neu inszenierteTheatermoral

Von Felix Stössinger

Da Herr Nissen konsequent den Kampf der
deutschen Schauspieler um materielle Qüter durch
das Pathos des Moraüsten diskreditiert, sind einige
abwehrende Worte notwendig. Sie bekämpfen ihn,
aber auch die Don-Quijoterie der Frauen und
„freien“ Studenten, die, statt Sturm gegen einen
demagogischen Moraiisten zu laufen, mit ihm ins
Feld ziehen, die Unmoral auszurotten. Die
Worte gehen also gegen den Qei«t, nicht gegen das
notwendige und wünschenswerte. Ziel derBewegung.
 
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