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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

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Nr. 10 (Mai 1910)
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Stoessl, Otto: Eine Vorrede
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https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0080

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tum. Meine beiden Neger trillern ihren gellenden
Kriegsschrei, immer wenn mein Speer die Brust
eines Ritters durchbohrt. Der Qroßvesier treibt
die Spaßmacher vor meinem Dromedar her, sie
schlagen mit ihren Zähnen harte betäubende Musik,
und tanzen dazu: Abbarebbi, abbarebbi, abbarebbi,
abbarebbi, lachajare! Huhuuuuuuuu u

Als Conradin der junge Ritter und Kaiser be-
graben war, kam seine Mutter zur Pilgerfahrt nach
Jerusalem, und wie sie meinen Negern begegnete,
lachte sie über die Unnatur. Ich küßte ihr Qewand

--abbarebbi lachajare, Iachajare.

abbarebbiü

Qespräche mit Kalypso

Ueber die Musik

Von Alfred Döblin

FUnftes Qespräch : Die Fischpredigt / Von der
Tonleiter Schlnß

Der Schöpfer der Musik hat aber nicht viel ge-
wonnen, wenn er etwa so aus der Ueberfülle der
Tonbeziehungen diese wenigen herausgreift.
Worauf es ihm ankam, war ein tonliches Einheits-
maß zu finden, das alle nur möglichen Tonbe-
ziehungen auf ihren Wert zu bestimmte; so Kraft-
und Wertunterschiede und Herrschaft ermöglicht.

Indem dem Musiker nichts zuteil wird, was ihn
berechtigt, zu urteilen: dieser Ton ist ein Fuß,
dieser zwei Fuß von jenem entfernt, — indem er
sich entschließt, zu verzichten auf eine abgezogene,
von Fall zu Fall nur anwendbare Qröße, wird er
schon vor die Lösung seiner Aufgabe gedrängt,
welche lautet, statt eines einzigen Maßes ein Ver-
gleichsgebilde, eine Stufenleiter, eine Reihe von
Maßen zu setzen. In einer Tonreihe wird der Ab-
stand eines Tones zu einem folgenden in anerkannter
Weise festgelegt; diese Tonleiter, — deren es viele
geben kann, — erlaubt die Qesamtheit der anwend-
baren Töne einzureihen und ihre wechselnde Bewe-
gungsgröße zu messen. Nicht gibt die Tonleiter we-
sentlich die verwendbaren musikfähigen Töne, son-
dern sie tut dies nur, um eine Meßmöglichkeit der
Töne zu gewähren, — da es, wie ich schon sagte, ja

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ziehungen ankommt. Sie gibt überhaupt blos eine
Meßmöglichkeit; ermöglicht nur das Vergleichen
von Tonfolgen; es wird keineswegs damit, daß ein
Ton um einen, ein anderer um zwei Töne von einem
dritten entfernt in der Leiter steht, gesagt, jener sei
dem dritten „näher“, „verwandter“, sei „stärker“,
als dieser; solchen Anspruch erhebt die Leiter
keineswegs. Die Bewegungsgröße wird durch die
Tonleiter nur gemessen, nicht bewertet. Sondern,
was macht, daß Tonbeziehungen näher, ähnlicher,
übereinstimmender und wie sonst klingen, be-
stimmt sich anderswoher; und dies geht
über die Grundlegung der Musik hinaus. Diese
Qröße ist keine feste Qröße, sie wechselt, ist ja
ein Urteil, das von vielen Werten abhängt; ein und
dieselbe Tonfolge und Bewegung klingt nicht gleich
in verschiedenem Zusammenhang, bedeutet anderes,
klingt Dir nicht so wie sie mir klingt: vieles wirkt
hier zusammen. Es gibt weder eln abgezogenes
Maß für die Qröße der Bewegung, noch weniger ftir
den Wert der Bewegung.

Welche RoIIe spielt jetzt noch der herrische
Ton, der Grundton, der Königston? Er wurde
entthront. Die Gesetzlichkeit und Einheit liegt
verteilt über den ganzen Ablauf, sie ist unper-
sönlich geworden, bestimmt sich als die ge-
messene Bewegungsgröße eines Tons auf den
andern, — König ist dies Qesetz. Besser rede ich
darum von einer Tonrepublik. Wenn hier ein ein-
zelner Ton hervorspringen will, so kann er es
viellelcht als Mittelpunktston oder Anfangston oder
Endton, — aber alles dieses ist wertlos und un-
wesentlich; weil sich ja nicht der einzelne Ton
wertet, sondern seine Stellung in der Folge, seine
Bewegungsgröße in dem Ablauf.

Ganz unsachlich ist damit die Musik geworden,
anz, so seltsam es klingt, löst sie sich von den
fönen. Die Tonleiter wird so zum wichtigsten mu-
sikalischen Qebilde. Folgen unter der Geltung die-
ses Tongesetzes, dieser Musikform Töne in einer
Reihe aufeinander, so gilt als musikalisch an der
Reihe die Möglichkeit der Aufstellung einer solchen
Wertformel eines Tonmittelpunktes, dem die Kraft
innewohnt. die Töne auf ihn zu beziehen. Damitsie
die Grundlage der Musik vollzogen.

76

Was sich reiht, muß, um als Musik zu gelten,
so geeint erscheinen. Demnach ist durch die Ton-
leiter nicht das Hintereinander der Töne musikalisch
gebunden, — vielmehr betätigt sich hier die Fremd-
willigkeit, die Freiheit— sondern ihr Zueinander. Da-
mit aber eine Reihe musikalisch wird, tritt nicht erst
zu der bloß gereihten nachträglich auswählend die
Wertbeziehungszauberformel hinzu; die Reihe kann
nicht mit der Formel gesondert und gesiebt werden.
Schon bei der Auswahl der Töne, welche die Reihen
bilden, muß sie ja zugegen und wirksam sein. Nicht
in dieser Weise ist die Tonleiter Form zu neuem
völlig fremdwiiligen Stoffe; sondern es wird kein
„Stoff“ erzeugt; tief in die Erzeugung hinein greift
die musizierende Gewalt. Die Reihe erscheint so-
fort in diesem Hinblick als Musik. In der Welt eines
Denkers, der wie wenig andere scharf zu schneiden
verstand, fallen gestaltende Formen und ein Stoff
auseinander; der Stoff tritt nur als gestalteter auf,
so daß man auf sein Vorhandensein nur schließen
kann; das sinnlich Qestaltete hat alle und alleinige
Wirklichkeit, wenngleich das Ding an sich ein not-
wendig zu denkendes ist. Dies gilt fiir meine
Kunst. Wenn ich sagte, es bliebe der zusammen-
hangbildenden Qewalt keine weitere Aufgabe, als
die fremdwillig bewegten Töne zu ordnen, so muß
ich jetzt die Geringschätzung von der Aufgabe
nehmen.

Das Hintereinander der Töne ist hier bloß musika-
iisch nicht gebunden, nicht ist der Zusammenhang
der Aufeinanderfolgenden geregelt, sondern nur ihr
Ineinander, ihr überzeitliches Zueinander. Und so be-
greift es sich, daß hier auch das Nebeneinander der
Töne, der gleichzeitig anklingenden, ihre Regel und
Ordnung finden kann.

Ihr Nebeneinander in Harmonien, die Bestimmung
dieser Harmonien als Konsonanzen, Dissonanzen
verschiedenen Qrades, spricht das enge Qebunden-
sein an die Tonleiter, den jeweiligen, fließenden
Wert der Tonstufe augenblicklich aufs Schärfste
aus, arbeitet die Einheit des Ablaufs Schritt um
Schritt heraus, — mögen sich die Harmonien auch
oft befreien, sich eigenwertig gebärden, weder kon-
sonant sein noch dissonant und wie Schatten um
die Tonleiter irren. Sie überwinden da beinahe die
Tonleiter, scheint es. Vielmehr seh’ ich: sie feiern
den Triumph der Ordnung, der unbedingten Sicher-

Waffen Siegestänze tanzen. Ein Schwanken
kommt über alles, Schwelgerei und Ueppigkeit tut
sich auf, weil ja der Boden der großen Erdc sich so
unerschütterlich gründet.

Ist einmal der gröbste Tatbestand der Musik ge-
geben, tritt die Musik in ihren äußerlichsten Zeichen
hervor, so tritt nun gleichzeitig mit Tonfolge und
Harmonie, in ihr die Eigenwertigkeit der Aufein-
anderfolge hervor.

Wie das Meer sich wirft und aufstöhnt. Habe ich
Euch vergessen, meine Freunde, Ihr lieben Fische?
O, Ihr schwiegt so andächtig. Laßt auch mich jetzt
schweigen, wo ich an die Fremdwilligkeit, Eigen-
wertigkeit, das Jenseits der Kunst rühren will. Ihr
kennt dieses Jenseits, ich will Euch aber nur Neues
sagen. Auch ahnt Ihr, daß es nur ein Jenseits
s c h e i n t. Ihr kennt das Alte, wenngleich nie
Vollendete, das ruhelos sich wälzt, Sehnen ohne
Ende ist, Begehren ohne Ziel, die Brandfackel die
durch alle Räume lodert, kennt das Singen und
Zirpen der Möven, das Toben des Meeres.

An Masten, Giebeln, scharfen Halmen hängen die
Schwalben. Die riesige Wanderin geht mit bloßen
Füßen, naß schleppenden Qewändern über das
Meer.

Eine Vorrede

Von Otto Stoessl

Aus dem Manuskript eines Romans „Morgenrot“

Höre Leser, ein paar Worte an, bevor Du meine
Erzählung mißverstehst, denn ich wiinsche Deiner
Torheit gleichsam einen Weg zu zeigen, wo sie die
meinige trifft und ein paar Stunden eben mit ihr aus-
halten kann, wie ja unser aller Leben eine not-
wetidige Narrenbegegnung ist, in die man sich
schicken muß.

Was Du hören willst, kann ich Dir leider nicht
sagen und was ich Dir sagen kann, willst Du viel-
leicht nicht hören. So besteht zwischen uns kein
anderes Verhältnis, als sonst zwischen den
Menschen im Leben und warum sollten wir es also

nicht eingehen! Du verlangst himmeischreiende Be-
gebenheiten, zuckersüße Einbildungen, wohlge-
schraubte Worte, großartige Empfindungen und
willst, wie Du so schön zu sagen pflegst, über Dich
erhoben sein.

Ich habe irdische, einfältige, gewöhnliche Zu-
stände, Menschen und Ereignisse von heute und
gestern und alletage, das Spiel von Geschicken, dem
Du so gern fremd tust, weil Du selbst es treibst und !
dann Dich dessen schämst. Ich will Dich zu Dir zu-
rückführen: Siehe, Du bist Dein höchstes Wunder.

Es ist meine Schuld nicht, wenn Du das nicht ein-
sehen kannst.

Ich mag, beim allmächtigen Qott, nichts er-
finden. Mein Hirn ist stumpf, mein Wort ohn-
mächtig, wenn ich Fabeln auftragen und Menschen
hervorrufen soli, die beim Maskenhändler, im Kon-
versationslexikon, im historischen Seminar zu
kaufen sind, aber nicht auf jeder Straße herum-
laufen, was ich durchaus von Fabeln, Menschen,
Trachten verlange.

Qerade das mtiß aber derDichter: mitden erhabe-
nen Qeschöpfen einer gebildeten Phantasie das arm-
selige Leben übertreffen und bevölkern und ein
höheres Dasein über dem gemeinen großartig hin-
stellen. — Wenn er das muß, bedaure ich ihn wegen
seiner Bemühung, Dich, weil Du derlei schwierige
Gestalten verstehen sollst, Leser, der Du nicht ein-
mal Dich selber verstehst, einen gewöhnlichen Hinz
und Kunz. Aber wir wollen uns im Mißverständnis
einigen. Ich wandere durch die Qassen und feldein-
wärts, gesellig und doch so einsam, wie jeder
Mensch, nur daß ich mich bei mir selbst und fern von
den Menschen am allergeselligsten weiß, während
Du, mein Leser, Alleinsein auch als Einsamkeit, Qe-
sellschaft auch als Gemeinschaft fühlst und meinst
und Dich überhaupt mit der Bedeutung der Worte
eins weißt, was Deiner gesunden Vernunft alle Ehre
macht. Ich aber lege den Worten gerne ihren
anderen Sinn bei und bringe sie zu neuen, wunder-
lichen Ehen und Nachkommenschaften. Doch das
führt zu weit und zu allerhand moralischen Frag-
würdigkeiten meiner Worte und Deiner. Wir wollen
uns ja im Mißverständnis einigen. Also: ich wandere
durch meine Tage und werfe das Netz meiner Auf-
merksamkeit in den Strom der Dinge und fische
Wirklichkeiten. Ist der.Tasr giinstitr , dann Iiegt ejne
zappelnde, vielschuppige, herzhafte, eratmende
Menschlichkeit im Netz und ein großes Menschen-
auge blickt bebend in das meinige: verstehst Du
mich auch, Du Fischer von stummen Schicksalen?
Ich hoffe es! Wir alle sind auf unsere Art Fischer
und Fische, wir spannen Reusen und fangen uns in
Reusen.

Kurz: das ist meine Ware, das kann ich Dir
bieten! Menschen, Menschlichkeiten, Schicksale,
meine, Deine, unser aller tägliche Erlebnisse im
Strom der Welt. Aber diese Dinge sehe ich strah-
Iend, tausendfarbig im verschiedenen Licht der Be-
gebenheiten. Mir ist dies Wirkliche das einzige
Wunder, ich träume den Traum der Wirklichkeit,
den Du mein Lieber wachend verschläfst. Ich er-
finde nichts, ich kann nur finden. Willst Du Fabeln
und ersonnene Großartigkeiten, so begib Dich in
einen anderen Laden, es wird immer viel mit
Katzengold gehandelt. Ich habe keinen andern
Sinn, als den für Dich und mich, und unsere arme,
tägliche Existenz ist mir das einzige, wahrhafte
Fabelreich der Wunder. Tägljch ziehen sie mit dem
Morgenrot auf und leben im Mittag und verglühen
am Abend, unerschöpflich, unzählbar und herrlich.

Diesmal will ich Dir Dein Morgenrot vorstellen.
Eine Geschichte der Jugend fing sich in meinem
Netz und die treuherzigen erwartungsvollen Augen
zweier Knaben blickten mich an: Verstehst Du
uns auch, Du Fischer von stummen Schicksalen?

Ich kenne Deine literarisch-gebildete Antwort,
mißgünstiger Leser: Ach, wieder einmal ein Ent-
wicklungsroman!

Nein, mein Neunmaldummer, dies wird kein
solcher Roman. Sondern bloß eine Qeschichte von
einem Menschenmorgen, die vom nachfolgenden
Mittag und vom schließlichen Abend gar nichts weiß
noch wissen will. Das Knabenfrührot eines ganz
gewöhnlichen, darum ganz wunderbaren Schick-
sals, ist alles, was ich Dir zeigen will.

Keine Entwicklung zum großen Dichter, Staats-
mann, Helden oder Schwärmer oder Selbstmörder.

Die Jugend, die zu sich selbst aufgeht, an der
Luft, im hellen Tageslicht sich aufschließt und das
Leben mit offenem Kindermunde elnatmet, das ist
mein Qegenstand.

heit'’*uncT'sind fi>ieger,'dte in Feindesland ohne
 
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