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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

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Nr. 8 (April 1910)
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Döblin, Alfred: Gespräche mit Kalypso, [4]: Ueber die Musik
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Pinsky, Chammay: Ich sandte meine Lieder
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Kurtz, Rudolf: E. T. A. Hoffmann
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https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0063

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bedeutet das Tönen der Dinge? Und das Tönen
in der Welt? Keine Kraft der bewegten Dinge
Seht in ihnen auf, sie leisten nichts, heben keine
Lasten. Wenn ich müde träume, und meine Hände
fint den Steinen spielen, wie mit kleinen Tieren,
und sie kürren und lärmen, drängt es mich un-
säglich, zu fragen: „Was wollt ihr, kleines Volk?“
Kraftlos ist auch die Farbe. Die Farbe hängt auf
a|len Dingen, ein fadenscheiniger dünner Mantel;
äie Dinge wissen kaum, wie sie zu ihnen kommt:

u&. Bosheit ist in ihr; sie flattert ratlos und

snöttisch. Doch der Ton nicht so; streng und fein
spricht er dfe Wahrheit, beichtet. Was soll dies?
'^arum, warum? Der farbige, tönende Punkt, der
£ keine Rechnung paßt! Warum seufzen wir
^örper, singen, warum jubeln wir? Wenn ich dies
W’eiß, so weiß ich vielleicht, was das Tönen der
l^inge, das Tönen in der Welt soll. Dinge gibt es.
öie beben glücklich auf, wenn ich sie berühre,
audere scharren, murren und grunzen, manche
Schreien schmerzlich geü, manche ducken sich wider-
willig mit den Schultern und bleiben unzugänglich
stumm; und einige rascheln auf, als warteten sie
Ul<r auf die Beriihrung. Verschieden ist die Fmp-
'indüchkeit der Dinge. Kaum vermöchte es einer,
öies zu deuten, hinter das Qeheimnis der Töne zu
*ommen. — Wie vielfach ist die Welt, wie quälend
tief jhre Rätselhaftigkeit.

^usiker:

Kalypso, dies wirst Du nicht rasch lösen. In
öiesen Garten läßt uns Zeus nicht gern ein. Viel-
| ach ist die Welt und seltsam ausgestattet. Das
uieinander des Vielfältigen. Gereihten, die Wurzel
(ler Verflochtenheit ist gut verschüttet. kein Dich-
ter hat sie je berührt. —

■^as Schiff hat gewendet und rudert langsam dem
j-ande zu; die Schiffer singen noch immer.)
^aiypso, ich will froh sein, daß ich Dir von meiner
^unst sprechen darf. — Oft wollte ich Dich Mär-
chenerzählerin schelten und Fabulantin. Doch icli
läte Dir Unrecht; Du gehst ja aufrecht, wo ich
st°lpern miißte. Man verlernt zu denken, wenn
U)an, wie ich, über das Denken denkt, und sieht
n'chts. Du sahest gar nicht den Balken, mit dem
JUQnesgleichen sich den Weg breit verlegt. Nicht
l’eine Frage nach der Verbindung der Töne
l'if den Dingen hätte mich gequäit, sondern nach
“er Verbindung mit — mir. O der endlosen Wirrnis
"nd Falten, in die fällt, wer sich hier des Mutes
hegibt. Ich und die Töne! Sieh, ich sage: Der
^on ist nichts dem „Ich“ Fremdes; er gehört zu
U'einer Lebendigkeit. Ich bewege die Glieder, ich
'l'fe in die Luft, ich höre den Donner: dies ist alles
Ulnerlei und — ich. Die Weisen. die sich um die
hrage quälten, was den Dingen gehört und was
[ riii'. haben den Dingen aües geraubt und alle Herr-
'chkeit der Welt über das Ich gehäuft. Aber es
ereignete sich da etwas Wunderbares. Fs machte
emer das Maul auf, einer, das Ich. sie sättigten es,
"Pmer mehr; es schluckte mit tiefen Ziigen die
Sanze Welt ein; die füllte es bald bis auf die Haut
a"s, so daß das Ich nur noch eine diinne Schale
Uui seinen Magen war; gespannt platzte sie; die
^elt sprang wieder heraus, leckte die armseligen
“este mit der Zunge auf. — Was Iebendig an mir
ist in der Welt; wenn alles in dles Ich gezogen
wird, so wird wohl aües Empfindung des Ich; das
ch sitzt dann auf dem Schemel und bläst die Solo-
J|öte — wie einst im Mai. Aber dann wird schließ-
Uch auch das Empfindende selber empfunden.
"ann ist auch der Mensch kein denkendes Wesen,
sondern selber ein Gedachtes. Und hier hört der
junn auf. Das Empfindende kann nicht das Emp-
"ndene zugleich sein, weil dies heißt: Empfindun-
^cn sind da, ehe sie da sein können; erst das Emp-
f,Udende macht ja etwas zur Empfindung. Es war
J| 0rauszusehen, wohin der iibertriebene Hochmut
l'hren würde, sich in dem Andern. statt im Ich das
^udere zu erkennen; das Schauspiel mußte sich
'jollenden, in dem das Ich Stufe um Stufe erstieg.
die Welt in die Luft blasend, keinen anderen Gott
?"riicklassend, als diesen einen: „Ich“ den diiste-
reu Selbstherrscher, den Gott von eigenen Gnaden.
" en betrogensten aller Betriiger und den stnmmen
°Igerichtigen Selbstmörder. Jenes denkende.
das formende Ich ist zerschlagen, aufgelöst in
c|U en ungeheuren schimmernden Spiegel. Nun
Jättigt sich die ganze Welt an dem alten Ich. das
uiwelt und Mitwelt geworden ist, jetzt nicht
|Uehr Ueberwelt. Wir sind von dieser Welt, sie
! st uiit ihren Formen kein Lug und kein Schein, sie
’ st uicht nur unsere Welt. Vom Ich bleibt nichts zu-
uck als das Wort und vielleicht ein Gedanke, ein

gedachter Standpunkt über das Leben. — Dir,
Kalypso, hängen nicht solche Ketten an den
Knöcheln. Du gehst schwesterlich unter den
Tönen und Dingen, dem Anderen, und furchtbarer,
rätselhafter erscheint Dir das Andere dieses An-
deren, das Eine, das Ich.

Kalypso:

Du verzeihst mir: nicht ganz konnte ich Dir fol-
gen. Auch höre — und wie schön imd trauervoü
die Ruderer singen. — Was sprachst Du von den
Tönen und jenem Ich?

Musiker:

Vielmehr muß ja ich Dich um Verzeihung bitten.
Aber nicht leichte Worte finden sich für die stren-
gen Meinungen. Laß mich lieber einfach fragen:
Was ist eher: das Hören oder der Ton? Offen-
bar das Hören; denn man wüßte nichts vom Ton,
wenn man nichts hörte. Aber doch denkt wohl zu
kurz, wer so denkt; denn das Hören erweist sein
Vorhandensein doch erst am Gehörten. Ohne daß
ich ein Etwas höre, ohne den Ton — höre ich
nicht. Das Tönen ist alles,was wir haben; das
Hören haben wir nicht, sondern machen wir. Das
Gehör ist nicht eher als das Gehörte. Denn das
Hören ist — überhaupt nicht. Es gibt keine Emp-
findungen. Der Ton ist alles —.

Kalypso:

Und wie nützt ihr solche Kenntnis, die ich nur
schwer durchschaue; denn ich weiß nichts von den
Kämpfen, aus denen sie sich erhob?

Musiker:

Wir sind bald am Land. So ist unsere schöne
Fahrt zu Ende. Auch mir und Dir bedeutet diese
Kenntnis etwas; und Du bist, wenn Du nicht auf
Deinen Reisen meinem Pärchen „Hören“ und
„Tönen“ begegnet bist, einem Andern begegnet,
aus demselben Geschlechte, wallfahrend gemein-
sam, mächtiger anzusehen als jene, und auch
reicher gekleidet, fesselnd in jedem Schritt: dem
Menschen und der Musik. Dies ist die Erkennt-
nistheorie der Musik.

Kalypso:

(Lächelnd.) So werde ich noch den Wert so un-
terirdischer Maulwurfsarbeit begreifen. (Erhebt
sich und äugt über das fast glatte Meer.) Jetzt
ist die schamlose Diebin, die Wanderin mit den
bloßen Füßen von uns gegangen.

Musiker:

(Auch lächelnd.) Unsere Segel hängen schlaff.
Die Schwalben sind eingeschlafen.

Ich sandte meine Lieder

Von Chammay Pinsky

Ich sandte meine Lieder Dich zu suchen:

Ich konnt’ nicht mehr aüein auf meinen Schultern
Die schweren Nächte tragen,

Allein die vielen Träume zählen,

Die großen Träume meines Blutleibs — '

Ich sandte meine Lieder Dich zu suchen.

Ich sitz’ alleine — sprach ich — ohne Königin
Auf meinem Dichterthrone — wie ein Halbmond . .
Ein kranker König!

Die Sterne lieb ich nicht, die falschen Schimmer,

Die um mich her den alten Reigen tanzen:

Ich komme von der Sonne!

Sie hat mein Blut getrunken, ließ mich blaß
Und krank durch Himmelwüsten wandern.

Ihr sollt in allen Ländern

Des Auf- und Unterganges suchen,

Und wenn Ihr s i e nicht findet,

So bringt mir eine Wolke,

Deren Schwärze

So tief ist wie das Licht der Sonne . . .

So bringt mir eine schwarze Negerin,

Die Schwester meines Grabes —

Daß s i e mein blasses Leben kiisse.

Ich sandte meine Lieder Dich zu suchen,

Sie wanderten von Land zu Land
Von Nacht zu Nacht.

An jedem Fenster, wo ein Mädchen lacht,

An jeder Tür, wo eine Frau sich sehnt
Da sangen sie sich selber, sangen betend,

Und weinten.

Und jedes Mädchen sog einen Blutvers
Für seine Jugend;

Und jede Frau zog einen Faden
Der Seide meiner Lieder.

Und jeden Morgen kamen sie zerrissen
Und leer zu meinem Thron zurück.

Dann kam die Nacht, da ich mein großes Lied

sang-

AIs stiegen alle Nächte

Aus den Gräbern der Ewigkeit

Und sammelten sich um mich her,

Wie alte Mumien und Leichen
Um einen Jüngüng, der noch I e b t . . .

Und knieten vor meinem Liede.

Dann kam die Nacht, da ich mein großes Lied

sang —

Und als der Morgen kam,

Lagst D u zu Füßen meines Thrones —

Du Königin, Du Sonne!

E. T. A. Hoffmann

Von Rudolf Kurtz

Eine Zeit der Schwäche und ästhetischen
Degeneration. Von den imaginären Prunkfesten
der Romantik war nur die Anekdote geblieben.
Die Schrecken der Nachromantik überfielen das
Land; dumpfe Gehirne webten die Fetzen der Er-
lebnisse anderer zusammen, um den allegorischen
Teppich als romantische Kunst zu verhandeln. In
den Salons gähnte der schlaffe Ennui: schmach-
tendes Lächeln überlief zärtlich gespitzte Lippen,
in leeren Posen erstarrte Hände berührten formlose
Gefäße voü dünnen Tees, und dazwischen rieselten
schmale Bäche preziöser Gespräche unterbrochen
von Musik und Deklamation stilloser Dilettanten.
Sie hatten an der Romantik das Experiment über-
sehen und sich nur mit dem stofflichen amal-
gamiert, die Leerheit des Gehirns mit phan-
tastischen Mohntränken reizend, um sich im
Spiegel ihrer Ekstasen zu bewundern. Eine Lite-
ratur war gefordert und sie hatten sie erhalten:
neben dem unbegriffenen Jean Paul stand Ludwig
Tieck, in dessen Alter die Jugend wie ein Meteor
noch leuchtet, und zahllos um sie geschart die
kleinen Götter der Fouquö und Freunde, deren
fragwürdige Phantasie in ungeistigen Abenteuern
spielte. Sicherer Materialismus überall, zwischen
seinen Polen Aberglauben und MaschinismuS' pen-
delnd. In diesen Karneval wirbelnder Glieder. dic
sich nie zu einem Körper finden, tritt fremd der
Kapellmeister Kreisler, über dessen Antütz die
Träume gleiten, als es schon in der Grimasse er-
starrt. Da erkennen ihn alle: es ist E. T. A.
Hoffmann.

Die Zeit hatte ihn mit ihren Marken ge-
zeichnet: anekdotischer Reichtum, triibe Magie,
Operettenromantik. Der gewandte Novellist fand
sich in den Begleiterscheinungen der Romantik: in
der Apologie der Kunst und des Kiinstlers. Die
Annäherung bleibt peripherisch, der Stilist Hoff-
mann ist ungeistig, er weiß gleich alles zu sagen,
es prunkvoll und dekoriert zu sagen; er hat keine
Hemmungen zu überwinden. Seine Prosa ist den
Inhalten um einige Akkorde voraus; sie schwimmt
über Dinge, die sich noch bewegen. Aber das
Temperament, das diese Sprachfetzen wie Eis auf
den Flüssen zusammentreibt, mit unzulänglichen
und undurchsichtigen Wortbildern Seelenzustände
von reinster Luzidität zeichnet, das ist der
Kiinstler. Sein Ausdrucksmitte! ist zu Iosc in
seiner Hand; er dilettiert Jahrzehnte, ehe ihm die
Sprache das fügsamste wurde. Noch mit zwei-
unddreißig Jahren war er sich im unklaren, ob er
zum Musiker, Maler oder Schriftsteller bestimmt
sei. Er hatte wenig Gefühl für die Besonderheiten
der Künste: seine Zeichnungen sind graphische
Darstellungen von Anekdoten, seine Musik hält
sich eng an die Illustrierung des Textes, und in der
Sprache sucht er die Gefühlsskalen der Musik mit
Worten zu imitieren. Diese iüustrative Begabung
distanziert ihn weit von der zarten Kultur der Ro-
mantik; aber er besaß, was den andern fremd blieb,
und was die Romantiker in Formeln und Versen sich
immer auszudrücken bemühten; die geheimnisvolle
Kraft der künstlerischen Clairvoyance, einer
eigentlichen Hellseherei, in der die Dinge in
wechselnden Formen schillern; lebendige Masken
der ewigen Ideen, Symbole. Die Anekdote des
Causeurs wurde dem Dichter zum Problem. Das
ist das Land Kreislers, das Hoffmann nur in seinen
besten Stunden betritt. Kreisler fühlte in seincr
Seele das Spiel der Kontraste, das Hoffmann ent-
setzte. In den Stunden, in denen er die Leser ver-
gaß, in den fliegenden Notizen seines Tagebuchs

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