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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

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Nr. 45 (Januar 1911)
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Strindberg, August: Zuchtwahl des Journalisten, [2]
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Scheerbart, Paul: Der Kaiser von Utopia, [5]: Ein Volksroman
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https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0363

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ha. ■ • n neuen Beweis fiir ihre Richtigkeit gewon-

nes -vgathon Hund, aus dem adligen Qeschlecht Hund
von Schamlos, sollte durch eine Reihe glänzender Taten
den von den Vätern ererbten Ruf verteidigen und dem
mitgenommenen Namen neuen Glanz verleihen, Und
eine bessere Wahl hätten die patriotischen Aktien-
besitzer niemals treffen können. Nie brauchten sie zu
fürchten, dass sie bei ihrem Redakteur auf hartnäckige
Ansichten in Sachen und Dingen stossen würden.
Denn alle politischen, sozialen, kirchlichen und ökono-
mischen Meiniingen konnten in dem einzigen Qrund-
satz zusammengefasst werden, der seinem ganzen
öffentiichen Charakter das ihm eigentiimiiche Gepräge
gab und den er so formulierte: „Der Mensch muss
Wein zu Mittag trinken.“ Die Instruktion, die die Qe-
sellschaft unserem Freunae gegeben hatte, war ebenso
kurz, aber nicht weniger ausdrucksvoil und bestand
aus den zwei Worten : „steck ein!“ und „tout
beau!“

Die Zeitung erhielt in der Taufe den merkwiirdigen
Namen Pharao, der eine Erinnerung bedeuten sollte an
streng monarchischen Tendenzen und ihre Ehrfurcht
vor dem Jahrhunderte lang Erprobtem Der einfältige
Teii des Pubiikums aber, der das vortreffliche Dasein
der egvptischen Pharaonen nicht kannte, meinte bald
mit 'einen neuerworbenen Einsichten in die Sache,
der Name Pharao sei eiriem hekannten Spiel entnommen,
h.:i dem man vorzugsweise falsch spieit.

Eine grausame ironie des allmächtigen Schicksais
wollte, dass die Redaktion in den früheren Hundschen
Pafast am Ncrrmalstorg verlegt wurde, der vor bnger
Zeit unter dem Hammer gekommen und jetzt zu
Läden alier Art eingerichtet vvar. Hier in der Par-
teirewohnung, wo vördem die Banketts des glänzenden
Geschlechts gefeiert wurden, sass nun Agathon ais ein
mächtiyer Herr und hielt Gericht über das Wohi und
Wehe der Menschen Und wenn er bisweilen zum
erstcn Stockwerk hinauf guckte, wo der Rittersaai an
ein Möbelmagazin vermietet war, fiihite er einen Stich
irn Herzen.

Die Reise nach Amerika hatte bei Agathon so
tiefe republikamsche Eindrücke 'ninterlassen, dass er auf
dec Gebieten, auf denen er frei war, nämlich Poesie
una ' .unst' baid in Versuchung geführt wurde, die
monarccg’che". Begriffe beiseiic zu iegen und neue
aufzune*. . Um aber der Sache nicht zu schaden,
nahtn ideen aus eiiier abendländischen so-

geiiar. ter, nämiich dem aristokratischen Vene-

dig, in c*-: Vv. ussung er die unschätzbare und be-

kanntr instiii.oo. ..nderte, die aer Löwenrachen
genav-t w.cde n das Schwedische des sicbzehnten
Jalirliu i!<e, -cizt wurde es eine heimliche offizielle

Bekanns; -.Uiuag dass das Publikuin gegen eine geringe
Abgabe von alern Silbermünze unbewiesene An-

klagen geg.n Feinde drucken lassen konnte. Das

Unternehmc.- ein glänzender ökonomischer Erfolg,
und Agathoi. - näclist ,dem König der gefürchtet-
ste Mann der ganren Hauptstadt. Wehe dem, der es
unterliess, ihn . r issen! Wehe dern, der unter den
Stockschiäge.n k’ .u ’ Er schrieb Lobgesänge auf die
Alieinherrschai'i, . die Kirchenzucht im Gesetz von
1686, er stellte rverfoigungen an und druckte

Predigten ab.

Einen so gewaltigo ämpen hatten die Grossherrn
noch nie gehabt, und jeic'i sie sich der Bekannt-
schaft schämten, unterir .cn sie es doch nicht, ihm
freundiich zuzunicken, wtiin er mit dem Hute in der
Hand am Rande des Rinnsteins stand und von ihren
dahinroilenden Wagen bespritzt wurde, was sie nicht ab-
hielt, zum anderen Wagenfenster hinauszuspucken.

Wenn er des Abends in den Bailhauskeiler ein-
trat, versäumte keiner von den armen Schauspielern,
sofort aufzustehen, und ihm einen Piatz anzubieten,
denn er hatte ihr Wohlergehen in der Hand. Im sieb-
zehnte« Jahrhundert besass man näiniich einen solchen
Respekt vor dem, was in einer Zeitung stand, dass
dem Schauspieler, von dem sie unvorteilhaft sprach,
sofort gekündigt wurde. Man sah damals oft manchen
Familienvater, der auf diese Weise seines Brotes be-
raubt wurde, einen Zeitungsredakteur um Gnade für seine
Kleinen bitten, welche Gnade darin bestand, dass er
das nächste Mal keine Schelte bekam.

Wenn aber Agathon wohlgepflegt und satt vom
Tisch der Ammen aufstand und man seinen Degen in
der 1 ür verschwinden sah, hagelten die Flüche wie
Feuerregen, und manches Messer wurde halb aus der
Scheide gezogen, um dann ganz bescheiden wieder
herunterzukriechen. Unser Freund aber schwoll von
Behäbigkeit und seine dünnen Wangen glänzten vor

Zufriedenheit. Einige sagten er habe seine Seele ver-
kauft, andere aber meinten, sie sei noch immer käuf-
lich.

* *

*

Hier machte die Wanze eine Pause und versank
in Grübeleien. Der Künstier, der seine Zeit damit zu-
gebracht hatte, die Tragriemen umzuschnallen und
heraldische Studien zu machen, war jetzt bereit, seine
Restaurierungsarbeit zn beginnen. Mit einem Biick
fuhr er über die goldenen Felder, spuckte (man denke:
spuckte!) auf den Rostfleck, zog sein Schnupftnch her-
aus und fing an zu reiben. Vergebens!

Gieb einen Scheuerlappen her, rief er einer von
den Frauen zu. Und Seife.

Er erhieit nach einigen parlamentarischen Versuchen
das Veriangte. Aber alie seine Anstrengungen waren
vergebens.

Das inuss vergoldet werden! murmelte er, schiug
seine Farbenschatulle zu und stieg hinunter.


nsnsE

Der Kaiser von Utopia

Ein Volksroman

Von Pau! Scheerbart

XIII

Der Ahschied

„Jetzt schnell fort - nach Scliiida!“ sagte der
Kaiser und liess seine Sachen packen und den Hofzug
vorfahren.

Nun war aber des Morgens ein Lufttechniker namens
Sebastian gemeldet worden — den wolite der Kaiser
noch vor seiner Abreise sprechen.

Herr Sebastian kam, und der Kaiser sah, dass der
Lufttechniker ihm ausserordentiich ähnlich sah, Vmd das
brachte ihn auf eine !dee, die er aber noch nicht
aussprach; er erkundigte sich vieimehr ganz harmlos
nach der. geselischaftlichen Beziehuugen des Herrn
Sebastian, und dieser Herr erklärte, dass er bislang
nur seinen Arbeiten gelebt und jeden gesellschaftlichen
Umgang gemieden itabe.

Das gefiei nun dem Kaiser ausserordentlich, und
er bat den Flugtechniker, mit seiner Luftmaschine nach
Schilda zu fahren und dort im goidenen Löwen ab-
zusteigen.

Herr Sebastian erklärte sich selbstverständiich
bereit, nach Schiida zu fahren, woilte sich verabschieden,
aber der Kaiser hielt ihn noch zurück und sagte:

„Lieber Herr Sebastian, können Sie aber vieileicht
ganz unauffäliig nach Schilda kommen! Könnten Sie
nicht ihr Fahrzeug drei Meilen vor Schilda verlassen
und mit einem einfachen Bahnzuge nach Schilda kommen
und dort unauffäilig auf weitere Nachrichten von trtir
warten ?“

Herr Sebastian erklärte sich auch dazu geru bereit
und wurde verabschiedet, und der Kaiser empfitig noch
einmal seinen Staatsrat und sagte zu ihm leise:

„Meine Herren, ich danke Ihnen und bitte Sie,
vorläufig Stillschweigen über meine Reise und meine
Absichten zu beobachten; ich werde schon ailes so
hübsch einfädeln, dass Sie zufrieden sein sollen.“

Die Herren vom Staatsrat machten eitt sauersüsses
Gesicht, aus dem man ailes herauslesen konnte —
nur nicht eine bestimmte Meinung; die Herren wussten
eben selber noch nicht, was sie zu diesem ganzen
Abenteuer sagen soilten.

Der Kaiser drückte allen Herren zum Abschiede
die Hand und ging dann zu seiner Gemahlin, die ihn
mit feuchten Augen empfing.

„Du willst fort?“ sagte sie zitternd.

„Ja“, sagte er, „ich muss“.

Sie erwiederte leise:

„Meine Gedanken werden bei Dir sein.“

Und sie küsste seine rechte Hand, und der Kaiser
küsste die Stirn seiner Gemahlin und sagte stili:

„Bleibe festi Es zieht mich zu neuen Pfaden.
Ich wili das Leben erkennen — so wie es ist. Ich
will — vergiss das nichti — eigentlich hinter das
Leben kommen. Jeder Baum und jeder Fels soii mir
was Grosses sagen — darum wiil ich fort. Du wirst
von mir hören.

Und Philander küsste seiner Frau die beiden
Hände und ging dann rasch hinaus und fuhr mit
seinem Hofzuge nach Schilda — durcn viele Tunnel —
über Berge und Schluchten — über breite Flüsse
und über weite Feider — durch die Frühlingslandschaft.

XIV

Schilda

Die Schildbürger waren Leute, denen man die
Lustigkeit nicht ansah, da sie fast immer betrübte
Mienen zeigten, andererseits konnte man sie nicht
Vertreter der Traurigkeit nennen, da sie fast immer
iustige Einfälle hatten; kein Utopianer wusste, wie et
sich eigentlich zu den Bewohnern des neuen Schiida
stellen soiite lauter merkwürdige Käuze, die früher
zu den klugen Leuten zählten, sassen da in Schilda
zusammen und benahmen sic'n nicht so wie die anderen
Utopianer

In dreieckigen Häusern wohnte man in Schiida,
und das dreieckige Rathaus war das grösste Haus der
Stadt. Die schärfste Kante des Hauses ging immer
zur Strassenseite hinaus, so dass man von l-ront-
architektur in Schiida nicht sprechen konnte.

Als es bekannt wurde, dass der Kaiser Philander
die Einiadung des Oberbürgermeisters Wiedewitt an-
genommen habe — da verbreitete sich eir.e seltsame
Stimmung über die ganze Stadt — aüe Schiibiirger
biideten sich Sofort die abenteueriichsten Dinge ein —'
die meisten ineinlcn, man wiirde ihnen Ulaieipu als
Wohnsitz anbieten undsoweiter undsoweiter.

Und es ging den armen Schiidbürgern so schauder-
haft schlecht. Sie wohnten auf einem Höhenzuge am
Strande des Meeres — aber die gute Aussicht übers
Meer bereicherte riur das Phantasieleben der Schild-
bürger; die Lostrennung von der aiigemeinen utopi-
anischen Volksrgligion hatte die Schildbürger in kurzer
Zeit ganz arm gemacht; sie verloren immer mehr die
grosse Kunst, den Witz zur Vermehrung der Lebens-
güter zu verwenden. Anfangs hatte man die Schiid-
bürger, unter denen sich die kiügsten Köpfe befanden,
fast nur zum Scherze „Narren“ genannt und
sehliesslich waren sie wirkliche Narren geworden —
wie die Bewohner des aiten Schilda. Das neue Schilda
hiess auch anfängtich garnicht Schilda; die Stadt wurde
nur von den Priestern in Ulaleipu Schiida genannt -—,!
und zum Scherze hatten die sogenannten „Narren“,
die sich vom Volksgeiste lossagten, den Spottnamen
zum Ehrennamen gemacht — und aus dem Scherz
war dann sehr bald Ernst geworden.

So war es nun natürlich, dass die Schiidaer jeden
Scherz sehr ernst — und umgekehrt jeden Ernst sehr
scherzhaft behandelten. Und so enfstanden die drei-
eckigen Häuser und die verkehrtesten Einrichtungen dazu.

Und die Priester triumphierten und sagten:

„Seht, so rächt sich unser Gott! Das kommt
davon, wenn man mehr sein wii! als alle anderen —
das kommt davon, wenn nian anders sein will als alle
andercri! Die Grosstuer sind zu Narren geworden.
Seht, so rächt sich unser Golt!“

Aber die Schiidbürger sagten garnichts dazu, denn
lhre Gedanken schweitten immer weiter hinaus — und
das Nächstliegende kam ihnen fremd vor — und das
Ferne und das Nahe konnten sie nicht zusammen-
bringen, sodass ihr ganzes Leben so schlechte Töne
von sich gab — wie eine zerbrochene Giockc.

XV

Der Kaiser kommt

Der Hofzug des Kaisers fulir in den dreieckigen
Bahnhof in Schilda, und der Kaiser quartierte sich mit
seinem Gefoige im dreieckigen Bahnhofsgebäude ein;
das Gefoige des Kaisers bestand nur aus Beamten
zweiten Grades, die aber sämtlich ihre Galauniform
trugen; feierlicher Empfang von seiten des Rates war
verbeten worden, da der Kaiser gleich die einfacheren
Leute von Schilda kennen lernen wollte.

Die einfacheren Leute von Schilda gehörten natürlich
ebensogut wie die Ratsherren zu denen, die im Leben
„mehr“ erstrebt hatten — Erfinder, Gelegenheitsdichter,
Journalisten, Wunderdoktoren, phantastische Geschäfts-
leute und ähnliche Leute bildeten das einfache Volk
in Schilda. Der Kaiser bemerkte sogleich das komische
Gemisch von Aufgeblasenheit und Verworrenheit, wie
es die Priester nannten, in einem anderen Lichte; er
sah zunä.hst nur Hilflosigkeit und ausschweifende Ge-
dank iie naturgemäss alles ein bischen verkehrt er-
sc t€ iu . ;essen.

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