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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

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Nr. 24 (August 1910)
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Stoessl, Otto: Ludwig Speidel
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Scheerbart, Paul: Luftquallen: Eine Entdeckergeschichte
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https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0194

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Bild der klassischen Lebenssicherheit fand er immer
neuen Anreiz bewundernder, verklärender, beseligter
Gestaltung. Hier spiegelte ungetrübte Tiefe seiner
eigenen durchschauenden Betrachtung entgegen,
antwortete ihm eine lautere, purpurne XJnendlich-
keit. Das Mannigfaltigste drängte er zu einer un-
vergeßlichen Einfachheit zusammen und gab der
Macht der Erscheinungen eine knappe, körperhafte,
blüt- und muskelstarke Wiedergeburt im Wort. So
konnte er schauspielerische Erscheinungen in ihrer
sinnlichen Spontaneität spüren wie den Liebreiz
einer süßen physischen Berührung und festhalten.
So hat er — wie kein Kritiker sonst — das alte
Burgtheater, selbst ein Stück abgeschlossenen Le-
bens, gesehen und ganz nachgeschaffen. Mitter-
wurzer las einmal Märchen vor und Speidel fing
den Klang, den verwehenden, versunkenen Tonfall
der Stimme auf, wir hören ihn: „Im Märchen vom
unsichtbaren Königreiche wird ein Flüßtal ges'chil-
dert, in das der Mond sdheint. Wellen und Wald
rauschen und erzählen seltsame Sachen. Durch' ge-
dehnte Worte eröffnet uns der Vorl'eser die AussiCht
in das lange Tal, er läßt im Worte die Musik der
Landschaft widerklingen, man sieht hörend die Na-
tur. Die BesChreibung schließt mit dem Satze:
„es war ein wunderbares Tal.“ Da nimmt sich
Mitterwurzer das Wort „wunderbar“ heraus. Er
läßt das schöne Wort musikalisch wirken, er Iäßt es
klingen, ohne daß es singt. Aus dem dunkleren „u“
bricht das helle „a“ wie ein Tag aus der Dämme-
rung. Wir haben riie eine herrlichere Wortmusik
gehört.“

AlS Kritiker trat er einem Theaterstücke wie
einem leibhäftigen Wesen mit kindlich aufgetanen
Augen entgegen und mochte es' nur verstehen
und verständlich machen, indem er es von
Grund aus besChrieb. So erzählt er den
Inhalt, wobei er unversehens aus dem Gefühl
das Urteil', aus der Anschauung die Ansicht
enthülste. Und dies Erzählen, diese dem
Dichter, wie dem Kinde angeborene, ursprüngliche
Freude am Berichten, am Aufbauen, ist das Blei-
bende seiner produktiven Kritik und unser Ent-
zücken, mögen wir seiner Meinung noch so sehr
widerstreben. Von den vielen Stücken, die er im
Laufe der Jahre sah und erzählte, bestehen heute
freilich nur wenige, aber gerade die vergessenen
und verwelkten bekommen durch seine Erzählung
einen Hauch von Txistenz. Und dies ist der währe,
eigentliche Wert der rezeptiven Produktion — nicht
die meist nur relatiVe und äugenblickliche Gültig-
keit ihres kritisChen Urteils —, daß sie die ganze
Literatur zur lebendigen und wirkenden GesChichte
der wachsenden Dichtung verktäft und in dieser
ein unsterbliches atmendes Ganzes erblickt urid ge-
staltet, woran nichts tot, stumm, sinn- oder wesen-
los bleibt.

Die Vol'Ie Höh'e, das äbsolute Gleichmaß von
Inhält und Form, Von subjektivem Anreiz und gegen-
ständliCher Würde haben steine Aufsätze, wö sie ein
abgeschlossenes Bild, eine in sich zurückgekehrte
Bewegung, einen Menschen, eine LandsChaft, ein
Erlebnis durchdringen urid allseitig umfassen. Er
beschreibt einmal Uhlands ehrwürdige Gestalt:
„Klein, aber kräftig gebaut, mit einem RüCkgrat,
das eher braCh, als sich bog, sein von rötlich blon-
den Haaren umkränzter Kopf hatte einen starken
und strengen KnoChenbau, aus wel'chem die zwei
hellblauen Augen wie zwel Kinder ’herausgrüßten.“
Oder er huldigt den ewigen Lehrern unserer
Sprache, den treueriGebrüdern Gririim : „Selbst wenn
sie siCh zur höChsten Vaterlandsliebe aufgeschwun-
gen, kehren sie gern in ihre Furche zurück, und
Vollenden da, der LerChe gleich, den Lobgesäng
eines Liedes, das sie in der Höhe geschmettert haben
. . . Tn Leben und Wissenschaft ist Jakob die
trotzigere und bahnbrechende Natur, wo er den
Pflug ansetzt, drückt Jakob ihn tiefer ein, so daß
der Brodem der Erde hervorbricht und sich die
Schollen schwer und langsam, als wollten sie sich
eine Weile besinnen, zu beiden Seiten niederlegen.
Ein Bahnbrecher schaltet Jakob mit Axt und Pflug-
schar, während Wilhelm mehr eine Gärtnernatur
ist, die auf dem schon gerodeten Erdreiche ihre
zierlichen Beete anlegt, sie sorgsam wartet und
still begießt.“

"Ein wanderhafter und trinkfester Mann — die
mit ihm verkehrten, wissen von mancher Wirts-
stube zu erzählen, wo er zechend und sprechend
der Oberste war — ging er etwa Schuberts sagen-
haftem Aufenthalt in der Hinterbrühler Höldrichs-

mühle, wie dem Klange der Müllerlieder stelbst,
an die Quelle nach. Oder er las in Mattighofen
aus einer oberösterreichischen altertümlichen
Bauerngegend den Geist des Volksgesanges urid
der mittelalterlidhten Dichtung aus Tracht und über-
kommener Sitte, aus der Gestalt der Bauerrihäuser,
aus der Inschrift eines verwitterten Wegkreuzes,
aus dem ursprüngHchten Ansehen des Wald- und
Ackerländes als aus einem aufgeschlageflen ewigen
Bilderbuche ab.

iWie er in der schönsten Wiener Landschaft —
seiner zweiten Heimat — das holdselige Walten
der grünen, von Licht und Blüte, Duft und Gesäng,
durchhauchten Stunden lauschend einatmet, hat er
einmal' unvergeßlich geschildert, uncl in dieser
kleinen lieblichen Prosadichtung das eigene Bild —
ein Idyll der höChsten geistigen Kiarheit urid sinn-
lichen Liebenswürdigkeit dargestellt.

■'So saß er, e,in ebenbürtiger Genosse aller deut-
schen Meister, sChon btei Lebzeiten recht eigentlich
beherzt und guten Mutes an den TisChen der Götter.
Was er schrieb, schien einen Morgenglänz der Un-
sterblichkeit auszustrahlen und hatte den rosen-
schimmernden, unendlichen Grund hesperischer
Tage, die Kraft, LeiChtigkeit und Klärheit klasSisCher
Sicherheit, die Wohläbgewögenheit in sich beruhen-
den, die FüHe genießenden, um sejner stelbst willen
lebenden urid sinnenden Denkens!, die Bestimmtheit
einer AusSäge, die in jedem Augenblicke sich selbst
gemäß, ihre innere Wahrheit wie das eigene Schick-
sal herausstellt, den Laut einer Prosa, in weJcher
der volie, stete Rhythmus eines gesund sChlagenden
Herzens gleichsam an sich selbst Freude hatte. Im
Inhalt dieser'Tcnappen, in jedem Satze ausgcrundeten,
sparsäm-reichen Gestaltungen liegt ein dauernder
Schätz ursprüngiicher und unsterblicher Stammes-
art, in ihrer Form ist der Geist, das Herz, alles
Wollen, Wissen und 'Können unserer Sprache
lebendig.

Dic erste Ausgabe der Schriften von Ludwig Speidel er-
schien im Verlag Meyer & Jessen, Berlin.

Sie erweist unliebsam genug, ja prahlerisch den
Gegensatz zwischen den Journalisten Von Metier und
dem Schriftsteller von Beruf, indem zwei Lobredner
der ersten Gattung ungebeten die Stimme zum Preise
eines Künstlers erheben, den sie Vor der Welt für
ihren Stand reklamieren. Dafiir aber lässt der mit
Vorsichtiger Bescheidenheit anonym bleibende Heraus-
geber jene erste Verpflichtung sorgfältiger Text-
behandlung vermissen, die selbst minderen Werken
sonst ohneweiters zuteil Wird. Abgesehen von der
journalistisch-fragwürdigen und geschmacklosen Ein-
teilung und Benennung der zwei ersten, erschienenen
Bände Wimmeln sie Von Druckfehlern. O. S.

Luftquallen

Eine Entdeckergeschichte

Von Paul Seheerbart

Vor acht Tagen besuchte mich ein Herr, auf
dessen Visitenkarte der sonderbare Name „Crispin
Dobberkatz“ stand. Der Herr sagte gleich:

„Ich habe einen komischen Namen, das ist ein
großes Unglück für mich; denn man lacht immer,
wenn ich was erzählte. Außerdem bin ich ein ge-
borener Amerikaner — aus Chiteago. Und als Ame-
rikaner werde ich’ auch nicht ernst genommen, weil
man jetzt alle Amerikaner für Schwindler hält —
Cook und Peary haben mir stehr gestehädet.“

„Wodurch,“ fragte ich da, „kann ich Ihnen
abo gefällig sein ?“

„Sie,“ erwiderte er, „werden in jedem Falle
i m m e r ernst genommen. Ihrien glaubt man alles.
Sie haben noch niemals die Unwahtheit gesagt.“

„Das weiß ich !“ versetzte ich stolz und bot dem
Herren eine meiner stehr längen Zigarren an.

Wir rauchten.

Und er fuhr fort:

„Sehen Sie, die Satehe liegt nun sö: Iteh habe
etwaS KolbsSales entdeckt. Aber — iteri war ganz
allein, wie iteh’S entdetekte; nicht einmal Eskimos
hatte ich bei mir — wie Cook und Peary.“

„Haben Sie,“ fragte iteh' da ganz ernst, „den
Südpol der Erde entdetekt?“

„Nein,“ erwiderte er.

Ich atmete auf.

„Das freut mich,“ sagte ich leise, „denn wenn
ich diese Entdeckung des Südpols für eine Tatsache
hätte ausgeben sollen, so wäre mir zweifelhaft ge-
wesen, ob mir alle Menschen glauben würden —

die meisten hätten es ja wohl getan — alle aber
bestimmt nicht.“

Der Herr Crispin Dobberkatz käm nun zur
Satehe und sagte hastig — öfters stotternd:

„Meine Entdeckung ist — darauf können Sie
siteh verlassen — viel großartiger als die Entdeckung
des Nord- und Südpols zusammengenommen. Ich
hatte ilm vorigen Jahre eine klteine Erbschaft ge-
macht. Und mit dem — mir zur Verfügung —
stehenden Gelde — ließ ich mir einen lenkbaren
Luftbalion bauen, an dem — Motor und Propeller —
u n t e r der Gondel arbeiten sollten. Ich wollte nicht
geradeauS fliegen — ich wollte nur nateh oben
fliegen. Sie können siteh die Satehe wohl vorstellen:
iteh wollte hoch oben in der Luft, wenn die Auf-
triebskraft des Ballons nachließ, durch einen Motor
unter der Gondel einfach natehhelfen, um so hoch
wie möglich zu kömmen. Daß iteh dadurteh ge-
waltige Höhen erreitehen rnußte, stehien mir sehr
klar zu sein.“

„Mir audb!“ bemerkte ich rasteh, „das Experi-
ment wird aber niteht billig gewesen sein Von Ihrem
Vermögen ist sicherlich nicht viel übrig geblieben.“

„Sie haben,“ rief er feierlich, „den Nagel auf
den Kopf getroffen. Nicht ein roter Pfennig ist
übrig geblieben.“

„Trösten Sie sich!“ rief iteh latehend, „das geht
anderen Leuten auch so. Wenn Sie nur nicht all-
zuviele Schülden bei Ihrem Experiment gemacht
haben, dann geht’s ja noch.“

„Leider,“ gab er wehmütig zurück, „habe ich
auteh allzuviele Schulden bei dem Experiment ge-
macht.“

„Nun — dann,“ versetzte ich hart, „bin ich sehr
froh, daß ich nicht Ihr Gläubiger bin. Mit Schuld-
nern, die nichtS besitzen, ist gariz bestimmt nicht
viel anzufangen. Das weiß iteh aus Erfahrung. Sie
können mir’S glauben; ich lüge nie — das wissen
Sie ja stehon, und ich — weiß das auch.“

Er runzelte die Stirn und schwieg ein paar
Sekunden, dann aber fuhr er wieder hastig und
stotternd in seiner Erzählung fort:

„Die Mechaniker, die meinen Ballon zusammen-
bauten, häberi mir sehr viel Geld abgenommen.
Und schließlich habe iteh Ihneri riocH 1 alleS, was sie
machten, dalassen müssefl als Pfand. Das ist das
Bitterste für mich; ich bin gar nicht irt der Lage,
weiter zu experimentieren. Ich bin nicht in der Lage
Geldleuten meinen Höhenluftballon zu zeigen, so
daß ich nicht weiß, wie ich es anfangen soll, meine
Ideen durchzustetzen. Es gläubt mir ja niemand.
Wenn jemand meinen Namen hört, fängt er glteich
anzulachen. Und — daß ich Amterikaner bin, kann
ich doch niteht verschweigen. Das geht doteh nicht.“

„Warum sollte das nicht gehen?“ sagte ich
lächelnd. „Sie sprechen ja fließend Deutsch. Außer-
dem glaube ich gar nicht, daß es Ihnen stehädet,
Amerikaner zu sein. IHr allerdings etwas komisch
klingender Name schädet Ihnen auch nitehts. In
Deutschlarid schadet er Ihnen ganz bestimmt nicht.
Wir sind hier an das Komistehe so gewöhnt. Mein
Name klingt doch auch komisch. Und — ein aparter
Name läßt sich doch leichter behälten. Die Namen
Müller und Schultze sind viel gefährlicher. Indessen
— ich weiß nicht reteht, wie ich Ihnen Helfen soll.
Geldleute, die Sich für Höhenluftballons inter-
essieren, werden wohl zu entdeteken sein. Aber —
i te h entdecke niemalS Geldleute. Darauf können Sie
sich verlassen. Ich spreche die Wahrheit.“

„Glaub’s ja!“ rief Herr Crispin nun ebenfalls
lachend, „aber Sie s'ollen ja auch gar keine Geld-
lteute entdecken. Ich will ja ganz was anderes von
Ihrien.“

„Na, dann erklären Sie,“ sägte iteh 1 sehr laut,
„siteh nur deutlicher. Sind Sie denn mit Ihrem
Ballon stehön pufgestiegen?“

„Freilich,“ rief er da mit leuchtenden Augen,
„von diesem Aufstieg will ich Ihnen ja erzählen.
Das ist ja das kolössale Ereignis in meinem ganzen
Leben. Und daß niemand an das, was ich erlebte,
gläuben will, daß ist ja der einzige Schmerz in
meinem ganzen Leben. Und darum bin iteh ja nur
zu Ihnen gekommen. Ich wollte Sie bitten, eine
Geschichte aus dem, was ich Ihnen jetzt mitteilen
werde, zu machen.“

„Mit Vergnügen,“ versetzte iteh, „iteh schreibe
gern Gestehichten. Aber — ich schreibe nur wahre
Gestehichten — keine Schwindelgeschichten. Sie
müssen mir fest verspretehen, daß alies, wie Sie mir
mitteilten, genau den Tatsächen entspricbt und Lügen
nicht enthält.“

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