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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

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Nr. 21 (Juli 1910)
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Döblin, Alfred: Gespräche mit Kalypso, [16]: Ueber die Musik
DOI Artikel:
Friedlaender, Salomo: Zur Tödlichkeit des Sächselns
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https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0171

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Zcicbaaag voa Somoel FHdoIio

Schlechte Dichter II / Hermann Sudermann

anscheinend unfaßbaren Herrn, den Künstler zu
uberwinden in der Kunst. Und wie könnte ich von
Formen und Zusammenhangsregeln sprechen, gäbe
es für mich nicht etwas, das über dem einzelnen
Künstier stände, das sein Tun als Kunst erscheinen
läßt: das macht die Gesamtheit der gesetzten Re-
gein und Darstellungs'weisen seines Stoffes. Aber
dies ist ein Schwert, das seinen Krieger verlangt.
Dieses Herrwerden hat sein Ende und seine Grenze;
einmal schließlich stoße ich auf den Quell, der
fanmer neu fließen muß, sollen diese Bildungen nicht
Vertrocknen, soll nicht alles zu Rätseln und toten
Hieroglyphen werden.

Der Junge

Ich folge Dir gern. Wenn also das Wählen
Öes Musikers, sein mehr oder weniger besonderes
Seelenerlebnis, es im bestimmten Fall erklärt, warum
dieses Langsame sidi hinwendet jenem weniger
Langsamen und so fort, wenn dies aiso die zwei,
örei fremden Tonfolgen bindet, so müßte letzten
Endes in der großen Musik auch irgendein Erlebnis-
plan gemeinsame Zusammenhängsregel aller Teile
eines Werkes sein. Denn es bedarf einer gemein-
^amen Ordnung für alle so verschäeden geordneten
Fortführungen, die zerflattern würden. Oder w'ie
Öenkst Du? Ein wirklichkeitsyoller Erlebnisplan

wäre wohl einseitig, unelastisch und gewalttätig,
auch gediehe Musik leicht zu einem Schatten der
Wirklidikeit.

Der Alte

Nicht ich sprach von einem Erlebnisplan. Wirk-
lichkeitsvoll ? Wirklichkeitsvoll nenne ich diese
Musik. Einen sonderbaren Musikanten heiße ich
so :chen Tollhans, der sidh "Fetzen, Balken und
Bretter aus allen Ecken stiehlt, sie hinter seinen
Zaun auf einen Haufen wirft, mit seiner Leibfarbe
bemalt; nun hat er etwas getan. So weit geht
sein ReCht über die Musik nidit. Nidits hat die
Wirklichkeit, die des erlebenden Musikers, von der
idt sprach, mit dieser, der Schlachten und Natur-
laute zu tun; die niederen Zusammenhänge und
Fortführungen gibt sie, aber ein bloßer Guckkasten
ist kein Erlebnisplan. (Er geht ans Wasser und
wirft Kiesel hinein. PauSe.) — Ich bin im Zom.
Ich hasse die, die von der Welt glauben, sie wäre
ein blindes, blödsinniges Weib, Besessene und
Bacchantin, die stückweise lalle; ich hässe die, die
den Künstler einen übereprudelnden Lügner, Dichter
und Bettler sein lassen, der die Blödsinnige in seir»e
Kleider hineinzwinge. Der Widerspenstigen Zäh-
mung: Das Thema der Welt; seine Spieler: die
Besessene und ihr BetteLmann! — (Gelassener.)

Genug. Sieh’, es sind nur Reihenbildungen, wo
solch falscher „Wirklidikeitsplan“ der Musik zur
Ordnungsregel dient. Von Bildungen, die mehr
oder weniger reihen, führen Stufen zur wirklidhen
Ordnung, die dem Lied, der Fuge zustrebt. In
Schauspielen, Gesängen haftet die Musik derart ganz
an dem, was die andere Kunst mit ihren anderen
Gesetzen und Regeln geformt hät. Sie selbst kömmt
nicht zur Sprache, sie will sprechen, aber ehe sie
den Mund auftun kann, huscht eine neue Erechei-
nung jener fremden Kunst an ihr vorüber, daß
ihre Stimme vor Staunen eretickt. Eine magdhäfte
Musik, doch zurückhaltend kann sie auch heißen,
keusch, weil sie nur zögernd den Dingen naht und
von sich schweigt; schmiegsam schaut sie mit blin-
den Augen auf ihren Herm; sie erzittert bei seinen
Schrftten, weiß nicht, warum er poltert; lächelt,
wenn er ein sanftes Wort spricht. Diese Musik
wlrd nur ein „Ach“ und „Oh“ geben; sehr emie-
drigt muß sie, kaum Kunst sein.

Der Junge

Ich weiß eine Kunst wie diese, die sich dienst-
bar macht wle diese, magdhäft ihren Herrn ziert,
keusch heißen mag, da sie alles kennt außer sidf.
Der Alte

Du zielst auf die Wortkunst?

Der Junge

Auch auf sie könnte ich zielen, — auf mändite
Wortkunst Doch ich meine sie nicht, — näher
suche ich', — die Bühnenkunst. Sie hängen Flitter
auf Flitter, Bretter bauen sie auf, die sie größen-
wahnsinnig als Welt gebärden. Sie suchen die Täu-
schung, das Ist noch nicht die Kunst. Nun tadle idi
nicht die, welche wahrhaft eine Wirklichkeit wieder-
holen, — aber Laclhenswert heiß ich ihr Tun, wenn
sie mlch täusdhen wollen, als wäre ich der Spatz
des alten Meisters und sollte seine gemälten Kir-
sdien plcken. Auch eine Rübe preise ich', wenn
sie zum Verwechseln gemalt ist, nicht durchäust
höh'er, als die zerfratzte Göttin: es) gibt viele, höhere
und niedere Ordnungsweisen in allen Künsten, nicht
eine, nicht die; wer will eine so unbedingt heiVor-
stellen? Wohl aber muß der Künstler sdne Kunst
recht verstehen, zunädist das Material kennen 1er-
nen, zu Satzungen gelangen, welche die einzelneu
Fähigkeiten oder Bestimmthdten des Materials in
anerkannter Weise regelt. Man darf zunächst nidft
mit dem Ton malen wollen, oder mit dem Stein
klingen; darf nicht von der Wirklichkeit, sondem
muß Von dem Material ausgehen. So müßte die
Bühnenkunst zunächst erkennen, daß Täuschung
nicht möglich ist, und weiter, daß sie sinnlos ist
und dem Stolz einer Kunst nicht entspricht. Eret
später alles andere. Da wächst dann diescr pein-
liche, entsetzlich kinderhäfte Streit und das Gefasel
von dner Kunst, die zur Natur werden soll, —
als wäre dort oben schon eine Kunst; da gibt man
sich selbstmörderischem Bemühen hin, und statt
die Natur zu hässen und zü lieben, „spiegelt“ män
sie. Man lerne erst das Einmaleins, ehe man KauF-
mann wird; man rnache die Bühnen nicht zu dnem
Museum. Unnatürlich söll alles sein, das hdßt:
stoffgewachsen, nicht naturgewachsen, denn das ist
Kunst. Die Bühne bleibe Bühne, man finde der
Bühne ihre Gesetze und ihre Natürlichkdt. Besser
als die Flitterbühne findet sich die alte zurecht mit
ihren Täfelchen; sie tut aber wie die Rübe und die
Göttin: hier zu viel, dort zu wenig.

Schlass des achtes Qesprächs in Nuaiir.er 22

Zur Töttichkeit des Sächselns

Von Mynona

Ein Vogefverkäufer, namens Willi Ohnemann,
ein Mensch ohne alle heroisdien Charakterzüge,
aber mit starkem Geschäftss nn, so daß er tängst
nicht mehr sonderiich auf die r "jnisWirküngen
seiner Sprech- und Singvögel aChtete, söndem in
diesen gefiederten Gefangenen nur noch bloße Oe-
schäftsgegenstände sah, war so gewohnheitsmäßig
stark mit einer Frau aus Sachsen verheiratet, daß
es ihm eret wieder auffiel, als er es aufhörte zu
scin: Frieda geb. Ritter Starb wde ein Weib stirbt,
welches sich sehr Jange mit Vögeln wie mit Kin-
dern abgegeben hat. Sie starb, wie wenn sie sich'
mauserte, mit irgendwelchen Flügeln krankhäft
zuckte; ihr letztes Röcheln klang wie: piep! Ihr
Gatte kam von ihrem Leichenbegängnis um die

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