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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

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Nr. 32 (Oktober 1910)
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Hille, Peter: Das Mysterium Jesu
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Prokop: Flaubert
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https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0259

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Nun spricht Licht, Gott durchruft die Ge-
weihte. Lind und hofd und heller lebt das Licht.

Sein Geist umsOhwingt ihre Seefe mit Wirbel-
schwertern. Droben geronnen in den Flügeln noch
zittert nach die Reinheit seiner Schärfe. NoCh aber
stehn in der Luft seiner Sendung Töne, schönheits-
ergießender al's Melodie und Wohllaut kann
schlafen in irdischen Saiten, Töne, wie nur die
Qottesnähe sie gibt: Sdhwingungen göttl'icher
Worte, die den Himmel an unser Ohr bringen.

Und Maria, die Gottesmagd, sChäudert, dodh
Gehorsatn liäßt auCh kein ErsChrecken, kein Zagen
in das reine Meiden gellangen, das nun ein reines
Leiden werden soll. „Siehe, idh' bin eine Magd
des Herrn!“ So erhaben, so wahr, so alles redet
nur die Demut.

Und um so inniger Versenkt sich d'ie Jungfrau
ins Gebet, darin siCh zu sichern gegen zerstreu-
ende, grübferische Gedänken, und nidht zu er-
sChredken, siCh nicht zu erheben, um so wiirdiger
sich zu weihen der hohen Erhabenheit, wefche die
Berufung ihres Gottes über sie bringen wifl, die
Unwürdige.

Aber Gott, Gott muß es wissen, ihm sei es über-
lassen. Und sie atmet ganz Liebe und AndaClit.
Und lieb sind jhr die Stunden, da des Tempels
starre PfliCht, die, obwohl gewissenhaft erfüllt,
sChbn etwas zurüCktritt, sie freigibt, da eifen zum
Schemel ihre Kniee und sinkt in die Hände ihr
sehnendes Antlitz und in Gottes Schoß ihre flüch-
tendc Seefc.

Und still ruht sie, gestärkt, freudig, ganz er-
geben, ganz ausgeglichen hiniiber ins GöttliChe.

Erwartend föst siCh auf die Zeit, und es be-
ginnt zu spiefen Von Licht. Düster, düstergolden
wie Fußtapfen. Geisterbangen SonnensCheiines
steckt noch Gl'anz in giorienvoller Kammer, und
des Weibes junge, miMmächtige Seele steigt, und
das Licht steigt und jubelt und zittert, und ein
Körper ist nicht mehr 'da, es müßte denn der Leib
sein vor dem SChemel 1, der starre —

Qb es der ilfre, sie wfeiß es niCht, es! sorgt
sie nicht. Sie fragt nicht, sie ist ganz Seefe, ganz
Gottes. Und seine MaCht leuChtet, daß ihr die
Sinne, auch die Sinne der Seefe vergehen, die
Fähigkeiten zur Welt, zum Erfassen der liöheren
Weft ohne die fleischmühsamen Gebilde.

Und nun, da sie wieder zu sich gekommen,
da sie wieder in ihrem Leibe ist, nun weiß sie,
daß sie Gott trägt und ausreift: die Jungfrau wird
frominsorgsame Mutter, ihr Leib nun selbst ein
sorgsam zu behütender Tempef. Ein Gefäß der
Gnade, vor jedem Anstoß zu bewahren um des-
wiflen, was siCh darin bereitet, der ganzen Welt
und ihr zum Heife.

Sie fühft nur mehr Weib, die Heilige, die
heilige Mutter, die Gottesträgerin, zu der mit
scheuer Ehrfurcht zagsam aufsehn die EngelL

Flaubert

Von Max Brod

Ich verbiete mir allen Enthusiasmus und will
nichts als Klarheit reden.

Jedes Werk Ffauberts ist eine Summe von
hundert Einzelheiten, jede dieser Einzelheiten sorg-
fältig, lintuitiv zugleiCh und neu. Diese Prosa jst
dicht; keine Zeile, keine Phrase ist von dem Pflug
heftiger Arbeit verschont gebfieben. Maupassant
erzähft von den Lektionen, die Flaubert ihm gab;
woflte er ein Feuer darstellen oder einen Raum, so
lehrte ihn der Meister, er müsse so lange in ihre
Betrachtung sich verfieren, bis sie keinem andern
Feuer, keinem andern Raum mehr glicben und
anfingen, in ihrer Individuafität aus der Menge
gfeiChartiger Dinge herVorzutreten. . . Viel wäre
über diese Detailarbeit zu sagen. Doch will ich
heute von der andern Merkwürdigkeit Ffaubertsl
handefn: NiCht nur alle Details seiner Romane
sind neu, jeder Roman ist außerdem noCh als Ganzes
neu. Mit seincn fünf Hauptwerken hat Ffaubert
fünf neue Typen von Kunsitwerken ge-
schaffen, untereinander ganz verschieden, ganz ver-
sChiöden und durdh eine unendlliche Kluft getrennt
von der ganzen übrigen Literatur. . . . Nichts hat
er so gehaßt, wie das Banale, die Wiederholung,
So hat er in seinen Büchern das fast Unmögliche
erreicht, nicmals siCh oder gar andere zu wieder-

hofen, nicht im kleinsten. Und nur dem Kenner
wird eä einfaflen, daß „Kokosnüsse als Schmuck
kfeinbürgerlicher Wohnungen“ zweimal im Werk
Flauberts ersdiienen: bei Dussardier in der „Edu-
cätion“ und bei Peduchet.

Die spezifische Atmosphäre der „Madame Bo-
vary“ könnte man benennen: Afltag. Und Flau-
bert hat ihn beschrieben, wo er am fühlbärsten
ist: Afltag in einer Kleinstadt. . . . Zum erstenmal
in der Weftliteratur stehen hier MensChen vor uns,
die S'ic'h durCh gar nichts auszeichnen, Typen der
Gewöhnlichkeit. Auch Blazac hat die Kleinstadt
geschilüert („La Rabouilleuse“), aber bezeichnender-
weiste ist es gfeiCh eine Kleinstadt, in der wüste
Mordgeseflen handeln und eine Erpresserin und
eine Merkwürdigkeit von altem Junggesellen. Nichts
Von afl dem bei Flaubert. Die Romantik versinkt.
In Yonvifie l’Abbaye gibt es nur Spießer. BalzaCs
Weft, die überwundene, wird von Flaubert stelbst
durch Pecuchets Mund dargesteflt: „Er glaubt an
die okkulten Wissensc'haften, an die Anarchie, den
Adef, ist Von den Schurken geblendet, rührt jn
Miflionen herum, als 1 wenn es Oentimes wären,
und seine Bürger sind keine Bürger, sondern Ko-
fosse.“ Dieses Abenteuer, die Realistik eines Salon-
zauberers, ist abgetan. Nur im Kopfe eines Des-
läurier spukt sie noch, und indem Flaubert Des-
faurier sCheitern läßt, verurteilt er BalzaC. Bei Bal-
zaC hälten noch Ausnahmemenschen, Napoleoniden
das Steuer das Welt, hinter den Figuren der „Ma-
dama Bovary“ steht es in trüber Gforie geschfieben.
daß jeder eine Aushahme zu sein glaubt, indes er
wie viiefe andere ist, sein Schicksal wie eines jeden
Schicksaf. Das gibt den traurigen Humor des
Buches. Die Gaferie der Enttäuschten beginnt, der
spiäter Matho, Frederick, Antonius, Feficie, die Alten
Von Chävignofles! sich einfügen. Die Natürlichkeit
ihrer Schicksäfe enttäuscht sie. So sehr ist jede
Figur FfaubertS in sich Allgemeinheit, wähfend Bal-
zäc sein Bedürfnis nach Aflgemeinheit in abstrakten
DigresSionen befriedigen muß. Ffaubert kann dieser
Digressionen entraten, mit einem Zuge ist der ob-
jektive Roman geschaffen, das moderne Epos. ...
Es ist ein kompfiziertes psychologisches Probleni,
wie Ffaubert Zu diester neuen Forrn gelangte, gerade
er. Von Natur aus ! ist ier Romantiker, Gaiflard,
Heros, Anbeter Viktor Hugos. Aus Romantik her-
vörgehend PeSlsimist, Feind der körperfichen Ge-
nüsse, Feind seiner selbst. In Synthese ergeben
diese beiden Gefühfe: Feind seiner eigenen Ro-
mantik. Sein künstferischer Instinkt jagt ihn vom
schon Gesagten weg, vom redsefigen Pessimismus
ByronsL Er kfagt nicht mehr, er beschreibt. Er
flüc'ht dem Bourgeois 1 nicht, er stellt ihn dar. Aber
das ist die Hauptsache: dieser neue Stif, der andern
viefleiCht letztes Ergebnis aller Mühe wäre, ist bei
ihm erst das Nivteau, der Ausgangspunkt seiner
Mühe. . . . Gut, er wird nun den Afltag schildern.
Jetzt aber, SChön meifenweit von aller bisherigen
Konvention entfernt, beginnt er erst recht, sein
Genie wirken zu lassen, der niemäls Zufriedene.
Und nun durc'hstudiert er den Afltag so genau naCh
reChts und links, entlockt ihm alle Farben, variiert
ihn sö überraschend und mannigfach, daß, Zol'a,
der ihfn hierin fol'gte, wie ein plumper Vofläufer
ersCheint. Neben dhm wirkt Maupassant fad, die
Gondourts plänlos, obwohf afle diese erstklassige
Epiker sind. Abter nun Fläubert gibt mit jedem
neuen Roman nicht nur eine neue • Atmosphiäre,
sondern gteich alle Nüancen dieser Atmosphäre.
Er stehafft ungeheure Fefsblöcke hterbei und mo-
defliert sie zugleiCh ins feinste.

Paris hätte Fortsetzungen des Genres „Bovary“
erwartet. Ffaubert aber holt eine andere Seefe aus
sich herVor, die „Safammbö“. Vorher schrieb er
einmaf einem Freunde: Indem ich SpirituskoCher
besChreibe, werde ich selbst einer. . . . Nur seinem
Trieb folgend, besChreibt er Helden, Gewalltaten,
Foftern. Aber zugleich seinem Prinzipe folgend,
steflt er sie in ein Milieu, in dem das Größte als
gewohnt erscheint. Er gibt gfeichsam den Alltag
der Exotik. In steinem wissenschaftflchen Drang
rekonStruiert er das brausende Karthago. So be-
friedigt SiCh in ihm mit ejnem Streich der Historiker,
der Freund der Barbären, des ! Orients. Seine Studien
sind ungeheuerfich. Man liest in den Tagebüchern
der Gondourts (4. März 1860): „Dann bringt man
Ffaubert drei große, in der kaisterliChen Druckerei
hergeStellte Quartbände über die algerisChen Berg-
werke. Er höfft darin ein Wort zu finden, dasl er
zu s|einem karthägisdhen Romän braucht.“ Und

Fläubert kann gegen eine Kritik deS Professorg
Froehner brieffich ihm mitteilen: „Je n’ai, monsieur,
nufle pretention a l’archeologie. J’en säis cepen-
dant aSSez, monsieur, pour oser dire que Vöus
errez Compfetement d’un böut a l’autre de Vötre
tra'Vaif.“ Für jedeS Detail des Romans weiß (er
Befegstellen, Autoren, niChts hat er willkürlich ge-
Schrieben. Das Werk fohnt die Mühe. Wieder ist
ein neuer Typ deS Romans gefungen: der exakt-
historische, .in dem aber die Wahrheit neben der
Schönheit bedeutungsfos ist, trotz aller Wahrheit.

„Die Sdhulte der Empfindsamkeit.“ Ich würde
eigentfich übersetzen: „Schule der Gefühllosigkeit“.
Denn darum handeft es ; sich in diesem, wenn es
nicht geschriebten wäre, ungläublichen Buch. „Alles
versiegt, kein Gefühf kommt ans Ziel“, schreibt
Ffaubert darüber. Wie Salambö ist es eine In-
version der „Madame Bovary“, aber von anderer
Seite hter. In der „BoVary“ klägt ein stets un-
ruhiges, romantisChes Gemüt in monotoner Um-
gebung, hier dasselbe Lied initten in Paris, mitten
in tausend anderen Bewegungen. Hier ist zum
erstenmaf der Romän eincr Stadt geschrieben, ein
Roman init tausend Nebenfiguren und Nebenereig-
nissen, sdheinbar unübersichtflch, doch gerade in
aflem Hin und Her vorn zartesten unsichtbarsten
festestcn Pfan beherrsCht, aus dem tiefsten Herzen
des BuChes herauf. Hier ist das Beispief eines
Massenromans zum erstenmaf gegebten und nie mehr
erreiCht worden.

Das Niveau in der „Versuchung des hteifigen
Antonius“ ist: Heifigkeit, Askese. Auch diesmal
die Grundstimmung nicht Endprodukt; sondern
gfeich mit den ersten Akkorden erzielt, wird sie
Materie zu weiteren herrfidhen Spielen. Gleich tnit
den ersten Zeilten spüren wir: eine fremde Welt,
das haben wir noch nie gehört. Aber Ffaubert
tut gfeidhsam so, als sei diese Höhte selbstverständ-
fich, ganz und gar heimisch' ist er in den uns
neuen Gefühfen, mit Intensität (das ist es, was
ihn limmer so auszeichnet: unbegreiffiche Intensität)
wandeft er die Frömmigkeit in alle ihre Ausläufer
ab'. Würde man gfauben, daß es! zu dieser Stelle
kommt: „Antoine et Hifarion s’amusent enorme-
ment. IIs se tiennent fes cötes a forcte de rire“?
Ein Mönch, ein Einsiedfer! ... Und doch. An-
tonius zerspringt fast vor LaChen, wie er die selt-
sämen Idolte der Heiden sieht. Da fühlen (wir:
wie weit Von afler Schablone ist dieser Heilige ge-
zeichnet, wie kraftvofl, unbegreiflich! Er ist fromm,
aber individuefl fromrn, und zwar härtnäckig, selbst-
gefäflig, ein wenig beschränkt. Werm die Ver-
süchung zu stark wird, beginnt er zu weinen. Wir
kommen ihm sö nah dadurch. Ein ganz neues
Genre entsteht: der Humor, ja die Komik der Heifig-
keit. Ohne etwas von seinem Pathos, seiner Mystik
einzubüßen, wirkt das Buch humoristisch, in einer
ganz ungeahnten Art menstehfich. Wenn sich die
indischen Götter verneigen, so neigen die, die
mehrere Köpfe habten, alfe zugleiCh. Wenn die
Babyfonier lihre göttlitehen Sterne beobachten, es
erscheint kuWiiviert und fast dandyhäft: wirft der
Eremit bäuristeh starrköpfig liin, wie aus einein
Katetehismus: „Die Sterne sind keine Götter“.
UnübertreffKCh, wie der Magier Apollonius sich
aufdrängt, aber mit Hilfe seines treuen Dieners
sChnefl die Sache ümdreht, so daß Antonius ih'm'
siteh aufzudrängen steheint. Ich möchte das auf der
Bühne sehen. Und wie in alfe Frömmigkeit der
Ehrgeiz, der Neid, die ganze Skalä der Leiden-
sChaften einspielt, natürlich alles transponiert durCh
das! Medium der Heiligkeit, alles aüf den gemein-
sämen Nenner der Kasteiung gebraCht. Kfeine irra-
tionafe Ziige b.ringen unS das Unglaublichste untcr
die Augen. Die Christen stoßen ihre verurteilten
Brüder den Löwen entgegen, „um ein Ende Zu
machen“, einfach aus ! Nervösität. Ehe sie grausam
den Tieren vorgeworfen werden, reiCht man ihnen
(mitfeidig?) einen narkotistehen Wein. Unter den
römisChen Göttern tritt auch Crepitus auf.

Noch einmaf eine ganz neue Tonart „Bouvard
und PeCuchet“. DaS enzykfopädisChte BuCh. Die
Bibef deS Dilettantismus... Die beiden Bieder-
männer des Titefs sind Idealisten, von gutem Willen
erfüllt, nach Höherem strebend, aber Durchschnitt,
Mitteflnaß. DurCh eine kfeine Fleißaufwallung glau-
ben sie jede Wissensc'haft, jeden Zweig des ! mensch-
lichen Lebens beherrschen zu können. Wie Don
Quitehote übersehn sie Stehwierigkeiten, ihre tragische
Komik wächst aus derselben Wurzel. Der Roman
ist eine aus dem Ritterflch-Tatsächlichen jns rein

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