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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

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Nr. 43 (Dezember 1910)
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Benndorf, Friedrich Kurt: Vom lyrischem Idiom
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Jacob, Heinrich Eduard: Die Sommernacht
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https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0348

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Thusnelda ihre schreckliche Rache nimmt, vor dem
Bärenzwinger weilt:

„Dies ist der stille Park, von Bergen ein-
geschlossen,

der auf die Lispelfrage: wo?
mir gestern in die trunkenen Sinne fiel!
Wie mild der Mondschein durch die
Stämme fällt! — — “

In Anknüpfung an den letzten Vers dieser Stelle
(dessen Inhalt in Prosa lautenT würde: „der Mond
scheint durch die Bäume“) mag hier ein Qedicht von
Mombert stehen:

Hoch du heller Mond.

Alles blüht hochüber mir.

Mein Haupt zu heben aus den Kissen.

Mein Haupt zu heben in die Herrlichkeit'
Mein Haupt zu heben in den Gesang.

Sowohl in Kleists metrisch abhängigen, wie in
Momberts metrisch unabhängigen (rein rhythmischen)
Versen spüren wir die ganze Zauberei, die dem Worte
innewohnt, wenn es von Meistern des lyrischen Idioms
gehandhabt wird. Die Kunst als solche ist bei beiden
Dichtern die gleiche. Aber der Fortschritt in den
technischen Ausdrucksmitteln bei dem modernen Dichter
enthüllt sich in den kühnen Ideal-Ellipsen zwischen
den beiden Abschnitten seines rhapsodischen Gebildes
und der Formal-Ellipsen in den Infinitiven der drei
letzten Verse mit ihrer überraschenden Klimax.

* *

*

Das Wort als Sinnwert (Istwert) verhält sich zum
Wort als Stimmungswert (Bedeutungswert) wie die
Töne der Tonleiter zu den Tönen in einem Tonstück.
Wer das lyrische Idiom als Muttersprache besitzt oder
in sein Bewusstsein eingedrungen ist, empfindet von
vornherein den Anschauungs-Klang- und Betonungswert
der Worte und Wortfolgen zugleich mit ihrem Sinnwert;
er spricht und liest sie nicht nur, sondern singt, fühlt
sie auch; er verbindet unbewusst die blosse optische
Wortwahrnehmung mit der akustischen, plastischen und
rhythmischen; und, wenn er inne wird, dass andere
nicht das gleiche tun, so erstaunt er ebenso da-
rüber, wie ein Musiker von absolutem Gehör, dass
nicht alle Menschen das absolute Gehör haben.

* *

*

Wie der Gebrauch entlegener Worte, falls sie nur
sinnlich bezeichnend sind, dem lyrischen Idiom durch-
aus gemäss ist, so gehört auch die analogische Fort-
bildung sprachlicher Elemente, der Neologismus, zu
seinem Wesen. „Car nous voulons la nuance encore!“
(Verlaine). So unangebracht Neologismen im Prosastii
sein können, so reizvoll wirken sie im lyrischen Stil
und so sehr gerechtfertigt sind sie durch dessen
musikalischen, malerischen und pathetischen Gestaltungs-
willen. Sie Iaufen dem mit lyrischem Sprachgefühl
Begabten unter dem Zwange innerer Sensationen ganz
von selbst unter.

Es wäre unmöglich, in der Prosasprache zu sagen:
die Nacht kommt „über Blumenfelds Gelänge“ ;— ein
Vogel sitzt „gestängelt auf den Aesten der Zypresse“;
oder Wortkoppelungen zu bilden wie: „Ameiswimmel-
scharen“, „Blumenwürzgeruch“: aber innerhalb des
lyrischen Idioms sind diese Goethischen Erfindungen
Köstlichkeiten 1

Die Moderne ist in der Bereicherung der lyrischen
Dichtersprache mit Neologismen auf Goethes Wegen
weitergegangen: zahlreiche Belege hierfür liessen sich
aus den Werken von Liliencron, Dehmel, George und
anderen beibringen. Aus Momberts Werken findet
man weiter unten etliche zusammengestellt. Hier seien
nur die ausdrucksvollen Kombinationen herausgehoben
„ — meine vielgeliebt-geküsste Hand“; — „die mond-
bekreist-beglänzte Erde“.

* *

*

Der Ausdruck von Gefühl und Stimmung, wie er
im lyrischen Idiom zur Darstellung kommt, lässt sich
ebensowenig durch Logik auflösen, wie Gefühl und
Stimmung selber. Das Unerklärliche, Unbestimmte,
Halbbewusste, Schwebende, Verschwiegene, Zerrinnende
aus dem jener Ausdruck stammt, gibt ihm seinen
Charakter, der ganz verschieden ist vom Ausdrucks-
charakter unserer als Organ des Verstandes und der
Verständigung dienenden Sprache. Klarheit der An-
schauung bedeutet für die zum Gefühlsausdruck ab-
gestimmte Sprache etwas anderes als für die Ver-
standessprache. Ist die Klarheit hier identisch mit
absoluter Deutlichkeit, so ist sie dort mit der rätsel-
voli schillernden Helle eines Bergseegrundes zu ver-
gleichen, oder mit dem Lichte eines Rubins, das gleich-

sam Tag und Nacht in sich vereinigt. Was von der
Warte der Verstandessprache aus am lyrischen Idiom
als Unklarheit und Unlogik empfunden wird, ist gerade
seine Stärke und Eigentümlichkeit. Es ist dasjenige
an einem Gedicht, was nur „durch magnetisch dunkle
Kräfte“ begriffen werden kann, wie Puschkin in „Onegin“
sagt. Es ist das, was dem Lyriker nur dann zu
Gebote steht, „wenn ihn der Gott gehoben und keine
Vernunft mehr in ihm weilt,“ wie es Plato umschreibt —
das, was Nietzsche kennzeichnet, wenn er, mit dem
Blick auf Pindar und die Aeschyleischen Chorgesänge
fragt: „ — diese kühnsten Verschlingungen des Ge-
dankens, dieser ungestüm sich neu gebärende Bilder-
strudel, dieser Orakelton des Ganzen — sollte der
griechischen Menge durchsichtig gewesen sein?“

Da Mond und Sonne dir ewig kalt ist,
und dir das Sternengewölbe ewig alt ist,
und in der Finsternis zerreisst dein Gang:
Lausche meinem Gesang.

Diese Strophe mit ihrem fremden und doch ver-
trauten Klang, mit ihrer Eigenheit in Bild und Wort-
bewegung, mit ihren jäh sich zusammenschliessenden
Linien — ein Organismus, unwiderlegbar — diese
Eingangsstrophe zu Momberts „Schöpfung“ bietet ein
schönes Beispiel für das lyrische Idiom.

Die Sommernacht

Von Heinrich Eduard Jacob

Ein dunkler Teppich aus Grillenlauten — o niemals
begonnener, niemals zu Ende ,'gewebter Teppich! —
lagern die Gärten unter der hohen und veilchenblauen
Kuppel der Nacht. Das heisse Singen der Grillen ist
der Grundton, auf dem der Duft der Blumen und der
Sterne fortklingt. Die Nacht ist schwer von Sternen
und von Blumen. In rundgezogenen Beeten stehen
sich schwarzrote ewigdürstende Tuipen, makellose
Narzissen so nahe, dass ihre Nacktheit sich berührt
und sie einandar mit glühenden Atem fast verheeren
Die feuchten Stengel rosaroter Hyazinthen zittern saft-
durchschäumt und tragen ein sanftes Rauschen in ihren
Glockenblüten. Kleine Paenonienbäume erheben sich
aus dem musizierenden Hochgras und trinken mit
violetten Blüten die Finsterniss. Schwerduftende, ver-
spätet hangende Fliedertrauben entzünden sich gegen-
seitig zu mattblauen Bränden. Geöffnete Rosen
wachsen und wachsen, als ob eine Sehnsucht der
Wurzeln ihre Häupter zu den Sternen hinauftriebe.
Wann haben die Augen der Welt je deutlicher ge-
blickt? Ueber dem zersprungenen Elfenbein der Milch-
strasse die Cassiopeia wie ein hellleuchtendes Monogramm_
Feuchtschimmernd und grün schweben die regenatmenden
Plejaden, sechs kleine um eine grosse geschart. Der
himmlische Perseus streckt die Arme nach der zart-
schimmernden Andromeda aus, die er nie erreichen
wird. Die beiden Bären erheben ihre riesigen Pranken.
Das feuerfunkelnde Auge des Mars spricht rote Glut
aus, aber das goldene Blicken der Venus bannt sie
wieder, und nicht fern von dem weissen, ruhigen
Jupiter zeigt der Kranz der Ariadne seine erhabenen
Edelsteine.

Wie ein riesiges, nach Innen glimmendes Fanal
steht das grosse Hotel inmitten der dunklen Gärten.
Die schlaffen Fahnen seiner Dächer sind in veilchen-
blaue Nacht getaucht, seine Säle aber überfliessen von
Licht und sind mit Musik behangen . . . . mit Musik
von Johannes Brahms. Der junge Künstler, der auf
dem Podium vor dem Orchester steht und das Konzert
auswendig spielt, ist so schön, dass die lauschenden
Frauen glauben, nicht aus den Instrumenten, sondern
aus der Locke, die schwer und braun über seine Stirn
taumelt, ströme die Musik. Allmählich erlischt sein
Spiel; nicht plötzlich: es ist ein Iangsam verzitterndes
Hinsterben. Einen Augenblick scheint es, als ob auch
die Hörer erloschen seien, dann fallen rasch die Hände
übereinander. Ein Meer von Beifall plätschert aus
ihnen heraus, wogt hoch auf, fliesst rauschend um das
Podium und brandet an den Fenstern. Blass und mit
endlosen Verneigungen schwlmmt der junge Geiger
darüber hinweg. Seine Seele scheint erschrocken und
scheint bis in die Stirn und die zartspitzen Finger, die
den Geigenhals umspannen, zu beben. Das Portal
zum Garten fliegt auf, und ein breiter Lichtstreifen
schiesst in das heisse Dunkel hinaus. Er verwandelt
ein Stück des grillendurchsungenen Rasens in smaragdenes

Grün, bis vor den ersten Beeten seine Macht eriischt.
Nur eine kleine Rosenrabatte überschwemmt er noch:
schämig und zitternd wie nackte Mädchen stehen die
süssen Kelchträgerinnen im überhellen Licht. Die
scheintote Bogenlampe über dem Portal beginnt leise zu
zischen und sich langsam mit halbem Glanz zu füllen,
bis sie plötzlich ganz“ in weissem Glühen steht.
Abenteuernde Nachtfalter stürzen sogleich herbei riesige
Motten pochen mit klirrenden Flügeln gegen das er-
leuchtete Glas und laden einander zu wahnsinnigen
Tänzen ein. Eine zweite und dritte Bogenlampe
flammt auf, umschwärmt von feuertrunkenem Nacht-
getier. Erbarmungslos fällt das Licht in die offenen
Blumen herab; (befangen halten sie dem Atem an.
Ein wenig verletzt dämpfen die Grillen ihr Singen. die
Sterne rücken höher in den) Himmel hinauf: der
Garten ist geheimnislos geworden.

Die Gäste strömen langsam ins Freie. Der junge
Geiger, die Musik und Brahms glänzen noch atemwarm
aus ihren Reden, aber schon steht das durch die
Töne zurückgedrängte Irdische wieder neben jedem^
hält eine halb sanfte, halb zudringliche Umarmung
bereit. Die alten Herren mit den roten Stirnen, die
kein Haar mehr kränzt, setzen schleppende Schritte
vorwärts und greifen mit schwerberingten Fingern nach
ihren Zigarrentaschen. Lächelnd trippeln neben ihnen
die Matronen in ihren kleinen schwarzen Capottehütchen
in die leuchtenden Kieswege hinein, und das weisse
Licht lügt Jugend auf ihre gepuderten Runzeln herab-
Die jungen Herren stehen in hellen Westen und frucht-
farbenen Krawatten lässig umher, saugen mit steilen
Fingern an weissen Zigaretten oder halten die Tennis-
schläger noch tagher in den Händen. Sie denken an
die Mädchen und die jungen Frauen, die während des
Spieles neben ihnen gesessen haben. An deren
Gliedern hängt die Musik am Iängsten: ein Hauch der
Sehnsucht fliesst um ihre Stirnen, verstärkt sich an den
Edelsteinagraffen ihres Haares, gleitet in unsichtbaren
Kaskaden um die nackten Schultern und vemischt sich
mit den gewandfliessenden Hüften. Zwischendurch
huschen Bediente ab und zu, Leute in stahlfarbenem
Leibrock, altmodischen Kniehosen und weissen Strümpfen,
und tragen silberne Tabletts umher. Hier und da ent-
führen verlangende Hände einen Spitzkelch mit blut-
farbenem Sherry, ein kleines Becherglas mit lichtbraunem
Chokoladen-Cocktail oder ein Tellerchen voll süsser,
rahmgetränkter Erdbeeren. Alle tun es ohne Hast,
mit einer reichen Ruhe. Hastig sind allein die rauhen,
bimsteingepflegten Hände der Schulknaben, die sich
beeilen müssen, den kurzen Sommer auszukosten, der
zwischen zwei grauen Arbeitsjahren liegt.

Nicht ewig und immer dürfen, die hier plaudern
beisammen sein. In vielen Augen liegt der Abglanz
anderer Himmel, der Duft fremder Sträucher gespiegelt,
Da ist die erhabene und grossäugige Spanierin —
Glut, Strenge! Man flüstert von ihren Juwelen und
raunt sich zu, sie gliche wie durch einen Zauber der
einstigen, nun längst ergrauten Kaiserin Eugenie. Wie
die See über Ebbe und Flut gebietet, so zeigt ihr
Leib im Spiel der Stunden Schlankheit und Ueppigkeit
zugleich. Da ist der nordenglische Colonel mit den
stählernen Augen, die Schwedin klar und blau wie eine
Landschaft Götalands.

Die Alten sind weich und träge in einen der spär-
lichen Klubsessel hineingesunken. Die jungen vergönnen
das gern und stehen in leichtbewegter Runde um einen
solchen Mittelpunkt herum. Aber es geht auf Mitter-
nacht. Und um Mitternacht schwingt ein krystallener
Ton aus dem Mittelpunkt der Dinge und wallt über
jede Kreatur: der fast unhörbare zitternde Schlag, der
den neuen Tag verkündet. Eine plötzliche Kluft gähnt
durch die eben noch froh gewobenen Gespräche der
Menschen. Für einen Augenblick scheinen die Sterne
wieder tiefer hinab und die Grillen erheben sieghafter
ihre Stimme; das Dunkel scheint dem Lampenlicht ein
paar Handbreit Raumes abgewonnen zu haben und die
Gärten erheben eine deutliche Forderung nach Allein-
sein. Als ob die Menschen es empfänden, wird ein
abschiednehmendes Händeschütteln in ihrer Mitte wach,
fließt weiter und greift um sich, Wasserkreise, in die
ein Stein fiel. Die Alten erheben sich aus den Klubsesseln,
von Kopf bis zu Fuss in ein grosses Gähnen ge-
hüllt, die jungen verneigen sich mit leisem Bedauern.
Man steht noch ein wenig in den teppichlinden Korri-
doren umher: dann scheidet man hierhin und dorthin.
Schwer und atemholend, stehen bleibend, krachend in
in den trockenen Gelenken, schleichen die Alten die
Stiegen empor. — Aber die Mädchen und jungen Frauen
schreiten fürstenhaft davon. Wieviele Wünsche werden
noch rasch an die Silberstickerei dieser Schleppen ge-
hängt, um im hellblauen Lichte des nächsten Vor-

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