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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

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Nr. 24 (August 1910)
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Spyka, Otto: Sommerfrische
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Walden, Herwarth: Quellen reifen: Lebensweisheiten und Weltanschauungen
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Beachtenswerte Bücher und Tonwerke
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https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0196

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Hintertreppen, der verspottete der Kaffeegesell-
schaften, sie alle können sich nicht mit jener Edel-
zucht der Nachrede vergleichen, die in der
Sommerfrisehe blüht und wuchert. Im kühlen
Waldesschatten ist sie entstanden, in ozonreicher
Luft, hunderte vönMetem über demMeeresspiegel hat'
sie ihre ersten Atemzüge getan, kräftigende Sonnen-
strahlen haben sie gereift. Die Sonne wirkt Wunder.
Ist Herr N. noch bei 15 Qrad im Schatten ein recht
wenig interessanter WiMerer im erotischen Revier
des Kurortes gewesen, so kann es ihm bei 25 Grad
passieren, daß er zum Defraudanten seelischer Giiter
avanciert ist, zu einem, der mit keckem Griffe von
der Tafel des Lebens freinde Genüsse stiehlt; Prinz
Kuckuck der Liebe, schwindelhafter Spekulant, der
mit seelisChen 'Worten Differenzgeschäfte treibt,
ohne je die Deckung zu besitzen, Schädling, der
zu offener Abwehr herausfordert. Was geschehen
würde, wenn die Temperatur noch weiter stiege,
ist gar nicht auszumalen.

Man geht in die Natur hinaus, um sich intensiver
mit Menschen zu beschäftigen. Der Gläube an
das Tete-a-tete mit einem Berggipfel gehört dem
Menschengewühl einer Großstadt an, draußen
spielen Berg und See die Rolle Von arg vernach-
lässigten dritten. Sie sind auCh überflüssig zur
vielbegehrten Erholung; es genügt, daß man sidi mit
Menschen beschäftigt und nicht mit Funktionären,
daß man mit Leuten verkehrt und nicht in Kreisen.

Die Natur bleibe in Ehren. Ihre wohltätigen
Wirkungen sind längst gewürdigt und registriert.
Das Kind weiß schon von der befreienden Wirkung
der Berge zu erzählen und inühsäm hat der Mittel-
schüler sich für die deutsche Hausarbeit den Einfluß
der Natur auf das Gemüt des Menschen klargemacht.
Solche Eindrücke bleiben unvergeßlich! Ueberwälti-
gend, erhäben, weihevoll, erlösend, begeisternd
haben diese mit Gras und Bäumen bewachsenen
Flächen sejt undenklicher Zeit gewirkt. Sie liaben
Stimmungen ausgelöst, zu Kunstwerken begeistert,
Unrecht vergessen lassen und vieles mehr. Wäre
es nicht endlich an der Zeit, diese verdienten Stützen
menschlicher Gefiihle in den ehrenvollen Ruhestand
zu Versetzen? Wäre es nicht ehrlich, zuzugeben,
daß ein helles Lachen, ein frohes Leuchten in zwei
Augen stärkere Gefühlslasten hebt, größere Ge-
schenke verleiht, als der Anblick von dreitausend
Meter hohem Schnee? Daß man nicht von den
Menschen in die Natur flieht, sondern zu den
Menschen? Daß man sich freilich in Wald und
Gebirge leichter zu diesen findet als in den aus-
gefahrenen Berufsgeleisen der großen Stadt? Hier
iiegt die verjüngende, die befreiende Macht des
Sommerlebens, sein großer Reiz, und sein nie genug
gerühmter Wert: daß sich Menschen zu einander
finden. Die Natur sieht zu und wir können, da
es für ihre Anhänger tröstlich sein dürfte, ruhig
annehmen, daß sie es wohlwollend tut.

Nun gibt es außer Langeweile und Klatsch noch
mancherlei Schönes in der Sommerfrische. Aber
es steht durchaus an zweiter Stelle und braucht
deshalb nicht besonders erwähnt zu werden.

Quellen reifen

Lebensweisheiten nnd Weltanschauungen

Ein Roman ist erschienen, über den an dieser
Stelle nicht zu sprechen wäre. Er hät mit Kunst
oder Literatur nicht das Geringste zu schaffen. Sein
Autor ist ein Herr Lothar, der leider seinen Wohnsitz
von Wien nach Berlin verlegte, weil es ihm dort,
dank der Bemühungen 'von Karl Kraus, zu heiß unter
den Füßen wurde. Ich wjll den Bewohnern des
Kurfürstendamms eine überflüssige Geldausgabe
ersparen, indem ich ihnen den Extrakt dieser Uebel-
keit kondensiert vorsetze. Möge er ihnen den Ge-
schmack so verderben, daß sie auch von der Lektüre
der Herren Rudolf Flerzog und Georg Engel Ab-
stand nehmen, die läut Feststellung des Herrn
Lotliar auf ihren Salöntisthchen zu finden sind.

Flerr Lothar hat das Wort:

Das kostbarste Gut der Menschheit, die Freude
am Dasein, gedeiht am besten, wenn einem das Essen
schmeckt. Pessimismus ist ja meistens nichts anderes
als schlechle Verdauung.

Auch Q u e 11 e n müssen r e i f e n. Und wenn
man sie zu früh anbohrt, Verschüttet man sie ganz.

Die Wohltätigkeit legt um einen schönen Frauen-
kopf einen vortrefflich sitzenden Schein Von Güte,
bringt einen auf unauffällige Weise mit einer ganzen
Menge Menschen zusammen, die man später einmal
ganz gut brauchen kann und füllt den Tag mit
ßeschäftigung und Aufregung aller Art.

Auftreten ist leicht, der Abgang ist schwer, das
muss man sich gesagt sein lassen, wenn man auf der
Bühne des mondainen Lebens kein Stümper sein will.

Es gehört heute zum guten Ton, im Frühjahr eine
Bade- oder Trinkkur zu unternehinen, und die Aerzte,
die das wissen, kommen den heimlichen Wünschen
ihrer Patientinnen gern entgegen.

Es gibt einige Wenige Genüsse auf Erden (!) die
man nicht schildern kann, die man nie vergisst. Zu
diesen Genüssen zähllt unbedingt der Marienbader
Morgenkaffe irgendwo im Walde. Das Gebäck ist ein
Gedicht mit knusprigen Reimen.

In aller Frühe, zu einer Zeit, Wo in Berlin noch
alles Was zur Welt gehört, im tiefsten Schlafe liegt,
ist inan in Marienbad schon mondain.

Es ist schicklich, auf dem Metropoltheaterball mit
einer Dame zu erscheinen, die sehr Vertraulich tut,
weil man als Philister Verschrieen wird, Wenn einem
garnichts nachgesagt Werden kann.

Der Glanz eines Abendessens liegt nicht nur in
der Speisenfolge, in dem festgefügten den Regeln
klassischer Menuarchitektur entworfenen Haupt-
programm, sondern in dem Geplärikel scheinbarer
ImproVisation, die es umschwärmen, umranken und
begleiten, und die ihm in kürzeren oder Iängeren
intervallen nachklingen.

Wer die stumme Sprache unserer Sitten kennt,
der kann sich im Salon gar nicht irren, er weiss und
findet immer seinen Weg.

Und von unserm Georg Engel weiß Herr Lothar
folgende cbarmante Geschichte zu erzählen:

In langer Kolonne stiegen die Herren die Treppe
hinab. An der Haustür stand Johanna, sehr zierlich
mit Schürzchen und Häubchen und knixte für jedes
Geldstück, das sie empfing. Der letzte in der Reihe
war Georg Engel. Er griff in die Tasche und entdeckte
zu seinem Schrecken, dass er keine Iosen Markstücke
mehr besass. So machte er denn eine bedauernde
Geste, und dann nahm er mit raschem Einfall Johanna
um die Taille und gab ihr einen Kuss. Sie lachte
sehr vergnügt, und auch Engel wischte sich mit dem
Handrücken sehr befriedigt den Schnurrbart.

Es geht nichts über die Geistesgegenwart. Man
freut sich, daß wenigstens Engel einmal sich be-
friedigt und so billig aus der Gesellschäft des Herrn
Lothar fortgekommen ist.

Aber Herr Lothär versteht es auch, einen
Trousseau zu verlebendigen:

Die Welle von Spitzenschaum war Von blauen
Bändern gehalten. Neben übermütig kichernden
Battisthemden lag der schwere feierliche Brokat der
Tischtücher. Taschentücher, deren Spitzengerank nur
einen ganz ganz kleinen Raum fiir den eigentlichenZweck
des Taschentuchs iibrig liess, hielten Zwiesprache mit
stolzen prunkvollen Polsterüberzügen. Das ganze
Zimmer war eine Zwingburg der Anmut, eine mysteriöse
Kirche des Charme in Weiss, ein Zauberschloss voll
magischer Gedanken, die erröten und erschauern
machen, einer Symphonie aller koketten Geheimkünste,
die in den Dessous stecken. Ein gefrorner Wunder-
garten der Spitzenpoesie.

Ecce poeta!

Wie alle schlechten Dichter und Journalisten
fühlt sich Herr Lothar SChiller verwandt:

Er ging in den gelben Salon auf und ab, ruhelos
hin und her, Wie ein Tier im Käfig und sprach ganz laut
vor sich hin: Mit einemmal War es ihm, ais würde es
für ihn schon Rettung sein, wenn er jetzt einen
Menschen fände, dem er sein Schicksal erzählen
könnte! . . • Wie War das nur ? Hatte er diese
Scene nicht schon einmal erlebt, oder hatte er sie
gesehen oder gelesen? Aber wo? Wo? Wo? Alle
Sorgen Waren fiir Minuten Vergessen, alles Denken
ausgelöscht, er zermarterte sich das Hirn, um der
blassen Erinnerung Farbe und Blut zu geben. Plötz-
lich blitzte es vor ihm auf! „Jetzt gib mir einen
Menschen, gute Vorsicht —“ Schenke mir — jetzt
einen Menschen“. Das war Don Carlos, das war der
König, der seine Täfelchen durchsucht, bis er auf den
Namen des Marquis Posa stösst.

So fordert Marquis Lothar sein Jahrhundert in
die Schranken. T r u s t

Beachtenswerte Bücher und Tonwerke

Ausführliche Besprechung vorbehalten
RUcksendung findet in kemem Fall statt

OTTO SOYKA
Herr lm Spiel / Roman

Verlag Hans von Weber München
KARL KRAUS
Die chinesische Mauer

Verlag Albert Langen München

LUDWIG SPEIDEL

Persönlichkeiten / Biographisch-Iite-
rarische Essays

Wiener Frauen und anderes Wienerische

Verlag Meyer & Jessen Berlin

Verantwortlich für die Schriftleitung:
HERWARTH WALDEN / BERLIN-HALENSEE


Oesunde Zähne sind ein viel kostbareres Out, als man es im täglichen
Leben ohnehin schon einschätzt. Regelmässige Verdauung, gute Ernährung,
infolgedessen Schaffens- und Lebenskraft, alles das sind Faktoren, die zum
grossen Teil von der guten Beschaffenheit der Zähne abhängen. Wenn
Sie daher Ihre Zähne schön und gesund erhalten wollen, so empfehlen
wir Ihnen dringend, morgens und namentlich auch abends Kosmin zu
benutzen, da dieses Mundwasser infolge seiner erwiesenen Wirkung das
Zahnfleisch kräftigt, die durch Speisereste entstehende Fäulnisbildung im
Munde verhindert und dadurch die Zähne konserviert, solange dieses
nur irgend möglich ist. , Der überaus erfrischende Wohlgeschmack
des Kosmin macht den täglichen Gebrauch dieses vorzüglichen
Mundwassers bereits nach kurzer Zeit zum angenehmen Bedürf-
nis. Preis pro Flasche, lange ausreichend, M. 1,50, überall käuflich.

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