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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

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Nr. 17 (Juni 1910)
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R. Laudon: Das Achilleion
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Minskij, Nikolaj M.: Tolstoi- der russische Luther
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https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0136

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Oas AcMUeion

▼on R.* Laudon

i-3- im Vorgarten der Berliner Kunstausstellung
■steht die Kolossalfigur eines Achilles; geschmeidiger
Leib auf tiberlangen Beinen; über einen helm-
prunkenden Jünglingskopf ragt eine Lanze, deren
goldbesetzte Spitze in Korfu über das Meer leuchten
soll, um fernen und nahen Anwohnern den Ort zu
bezeichnen, wo ein deutscher Kaiser im Hoch-

- sommer residiert. Niemand wird staunen weder
hier noch in der Heimat, daß ein nordischer Fürst
einen Dichter seines Landes aus seinem Qarten
.weist und eine mythologische Verstaubtheit mit
Qoldbeschlag statt seiner einladet; das Meer wird
sich nicht empören; es ist seit der Zeit der Qothen
an vieles gewohnt. Und wir zu Hause wissen
vollends, daß der demittierte Dichter keinen Platz
hatte in dem Schlosse eines Mannes, dessen Vor-
fahren er mit all dem Spott angepfiffen hatte, den
sein spitzer Schnabel aufbieten konnte. Nur die
zottige deutsche Männerbrust empört sich; sie
gerät ins Vibrieren. Und eines ausgekaterten
Morgens macht sich ein literarischer Kriegerverein
auf, schwingt das Tomahawk, erläßt in Zeitungen
Kundgebungen an den gebildeten Mob, und sammelt
begeistert -Qelder für ein Heinedenkmal. In-
zwischen kaufte Herr Campe von Heines Verlag
das Korfuer Denkmal an, — ich vermute, nicht ganz
freiwillig, — und stellte es in dem Qarten seines
Hauses auf, an der Straße, wo aile sehen konnten,
was er für teures Qeld dem preußischen Mini-
sterium abgekauft hatte. Die literarische Ber-

r serker wüteten mit ziemllchem Erfolg unter denen,
die sich um das goldene Kalb und den duftenden
Qänsebraten scharen, und fuhren das Qeld in Möbel-
wagen zur Bank. Nach Hamburg sollte das Denk-
mal hin, schrieen sie, eben nach demselben Ham-
burg, dessen Börse und Qestank der große Dichter
so unsterblich gefeiert hatte. So planten sie rache-
schnaubend, und der Hamburger Senat erklärte sich
ahnungslos damit einverstanden.

Aber Heinrich Heine soll, so erzählen mir die
Götter, mit denen ich Umgang pflege, in diesen
Sammeltagen vor Lachen fast geplatz sein; be-
sonders darüber, daß man ihm ein Denkmal setzt
erst in einem Zollernschloß, dann in Hamburg und
zu guterletzt als einem deutschen Dichter. „Es war
vorauszusehen,“ äußerte er sich, „daß die Deutschen
auf meine Gedichte hereinfielen. Sie verstehen nie-
mals die Pointe. Ich sage: meine Liebste, Du
kannst nichts dafür, aber Du bist nun einmal eine
Kanaille. Ich sage das natürlich nicht direkt, das
tut man nicht, sondern unter Küssen, mit Aufgebot
von Nachtigalien, Rosenhecken und ähnlichen Uten-
silien, mit Hinweis auf die beliebte Loreley, so
blumig, puppig, nuttig, daß die Deutschen das Lied
prompt zu ihrem Nationalgetränk neben Jodkali
machen, Keine Landpartie, auf der noch nicht ver-
•kflndigt wird, daß meine Liebste, — Qott hab sie
-seligj —!- eine Kanaille war, nicht unähnlich der be-
hexten Loreiey, kein mondbeschienenes Qewässer,
das nicht ein wüstes Qegröhl auslöst zum Lobe ihrer

- gewaltigen Gesangstechnik. Oh, meine Dialektik
ist schön und schwierig; ich habe mir auch viei viel
schöne Wesen damit gefangen.“

Herr Bartels hört etwas von diesem Gelächter
des verstorbenen Dichters. Er roch den Braten; er,
zu den genialsten Flachköpfen gehörig, die unter
den Kohirabi- und Petersiiienstauden des „Kunst-
warts“ bislang gewachsen waren. Er spürte mit der
feinen Nase eines Hundes, daß jede Qeste Heines
einen Fußtritt für ihn bedeute, und wies in heulenden
Broschüren darauf hin, was ihm geschehen sei und
mit einem Heinedenkmal noch geschehen solle; denn
er sei deutsch ünd ein Professor. Alle mußten sich
zusammentun, die teutsch empfänden, müßten
beiien, was der Mond erträgt, protestieren —! Und
so geschiehts. Die Schweinskeule erhebt sich gegen
den Qänsebraten des Heinemobs. Heine singt ent-
zflckt: „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten,“ und
will das Schauspiel ewig verlängert.

Es ist ein vorzüglicher Witz, daß man den
Deutschen ein Heinedenkmal andrehen wili, weil der
Mann ein Deutscher gewesen sein soll. Er hat,
extra für den Zweck, in der Tat ein paar pa-
triotische Wendungen dekorativer Art in seinen
Schriften angebracht. Aber was sagen seibst ganze
zehn Seiten geschriebenen Patriotismus gegen ein
Leben und Lebenswerk voil Undeutschheit und

133

Widerdeutschheit! Er hat sich, sage ich, sicherlich
niemals als Deutscher gefühlt, der Rheinländer,
Napoleonschwärmer, Freund der Revolutionen, der
das offizielle Deutschland nur als den Hort der
Reaktionen sah, der als Hauptmerkmal am
Deutschen das erkannte, was Bismarck später den
deutschen „Mangel an zivilem Mut“ nannte. Wem
will man da eigentlich ein Denkmal setzen? Daß
ein paar seiner Qedichte populär wurden, ist nicht
seine Schuld; das gehört in das Qebiet bizarrer Miß-
verständnisse und Mythenbildung. Er war ein ge-
schickter Gedichtverfasser; die lyrische Note fehlte
ihm völlig; denn die Lyrik arbeitet nicht mit
Pointen, Bonmots, mit Spitzfindigkeiten und unter-
haltsamen Zoten. Unter den schleimigen Zartheiten
dieser Qedichte kriecht der Wurm der Zweideutig-
keit. Er schrieb eine breitfließende Prosa; in ein-
zelnen späteren Balladen gelang ihm oft eine pracht-
voll epische Plastik, ohne größere Originalität
freiiich; Qeibel und andere haben dergleichen auch
gut gemacht. Das verdient kein Denkmal. Auch
nicht, daß er alternd religiös wurde, historische Ta-
lare anlegte und Vorübungen zur Versteinerung
machte.

Aber was ihn kennzeichnete bei allem, was er
lebte und schrieb, war dieses: Er formte sein Leben
nicht zu einem Kunstwerk wie Qoethe, er lebte von
Tag zu Tag auf dem Trottoir. Er hatte keinen Voll-
endungsdrang, liebelte, haßte, posierte und genoß
artistisch die Kunst. Sein Leben verfloß zwischen
skeptischen Bemerkungen, Eleganz, Spaziergängen,
Wutausbrüchen, Schreiben und Erotisieren. Ein
Witzbold, persönlich anscheinend unsympathisch,
eingebiidet und hochmütig, Favorit seines Publi-
kums. Seine Art viel verbreitet, wenn auch ohne den
Glanz literarischer Begabung und Behendigkeit. Er
repräsentierte ein national uninteressiertes Euro-
päertum mit auffallender Sicherheit, kämpfte mit
dem einzigen Ernst, der ihm gegeben war, gegen
jegliche Form Mittelalter, kämpfte mit Witz und
Logik gegen die absterbenden Religionen, gegen den
Kastengeist, für das, was er Freiheit und Kultur
nannte. Er drang nicht durch; starb.

Und einem soichen Mann will man in Deutsch-
land ein Denkmal setzen? Muß man da nicht in alle
Himmelsrichtungen lachen, gegen die, welche Kunst-
interesse im Errichten von Steinsäulen zu doku-
mentieren glauben, gegen die, welche Heine für
denkmalsfähig halten, gegen die, welche solch Denk-
mal gerade in Deutschland setzen woiien und am
lautesten gegen die Stadt, welche sich mit einem
Heinedenkmal verspotten läßt? —

Tolstoi—der russische Lutber

Von N. M. Minski

I

Es will mir scheinen, daß in Rußland etwas
Wesentliches über Tolstoi noch ungesagt geblieben
ist. Von den drei Physiognomien seines schöpfe-
rischen Qenies galt die Symphatie fast aller, die
über ihn schrieben, dem Künstler und Moralisten

— indes der religiöse Denker Tolstoi mit höflichem
Schweigen übergangen wurde. Diese Seite des
Wirkens Tolstois hob bloß der Synod hervor, der —
so seltsam das auch scheinen mag — ein feineres,
kritisches Qefühl bekundete als die mit Tolstoi sym-
pathisierende Intelligenz. Der Synod hatte Recht,
indem er das religiöse Moment in Tolstois Tätigkeit
als das iebendigste und konstruktivste erkannte.
Und müssen wir nicht auch d i e s e Seite seines
Schaffens hervorheben? Ich glaube, in Tolstoi
hauptsächlich den Moralisten bewerten, heißt, ihn
nicht vom russischen, sondern vom europäischen
Standpunkt betrachten. In Europa, wo der Kult
des Komforts und des Sports. den Verstand und
das Qewissen der Menschen unumschränkt be-
herrscht, hatte das moralisierende Wort, von dem
Beispiel seines Lebens unterstützt, eine tatsächlich
erschütternde Wirkung. Toistoi verblüffte die
Phantasie der Europäer beinahe in demseiben
Maße, wie Sakya-muni einst die Phantasie der ver-
weichlichten Asiaten verblüffte. Die Kunde, daß
der Königssohn, der die Möglichkeit besaß, die
hohen, fast göttlichen Qüter des Lebens zu genie-
ßen — den Harem, schattige Qärten, weiche Diwans

— freiwillig diesem herrlichen Luxus um der Weis-
heit und Heiligkeit wilien entsagt hat, diese Kunde

erweckte den schläfrigen Asiaten, zwang ihn, afl
die Möglichkeit des Unmöglichen, an das Wundef
zu glauben. Nicht weniger erschüttert und erregi .
war der europäische Philister, als er vernahm, daJ3
ein reicher Qraf — kein falscher, sondern eif
echter — der es sich leisten kann, im Automobil ztij
fahren und in London seine Kleider zu bestelien,
ein bescheidenes, arbeitsames Leben predigt, und
nicht nur predigt, sondern es selbst führt, sich wi«
ein Bauer kleidet, seine Stiefel putzt, den Ofef
heizt und von Moskau nach Jasnaja-Poljana zti
Fuß geht.

Noch verblüffter war der europäische Schrift-
steller — dem nach einem treffenden Aussprucii
Turgenjews bei dem Qedanken an Honorar nichl
nur die Augen, sondern auch die Zähne glühef
— als er erfuhr, daß es einen genialen Roman-
schriftsteller gibt, der freiwiilig auf das Honorar
verzichtet, das Sakrament des Autorrechtes ver-
achtet. Es handelt sich hier nicht um das Gentf
Tolstois, nicht um die Kraft des genialen Wortes.
sondern darum, daß das Qenie ein größeres RecM
auf ein um so höheres Honorar hat. Das Geni«
Tolstois spielte dieselbe Rolle wie der Königssohn,
genannt Sakya-muni.

Die Möglichkeit einer solchen Unmöglichkeit
wie der freiwillige Verzicht auf die Anweisung afl
die Kasse, auf das klingende Qeld, rief eine großf
Umwälzung in der Psychologie der europäischef
Schriftsteller hervor. Das soll nicht heißen, daf
sie nach Tolstois Beispiel bereit waren, auf di«
heilige Prärogative des Autorrechtes zu verzich-
ten. Nein, die meisten, die unter Toistois EinfluU
standen, die meisten moralisierenden Schriftstellel
Europas — weder Ibsen, noch Maeterlinck ausge-
nommen — blieben in ihren Qeldbeziehungen zf
den Verlegern und Uebersetzern wie vorher genaf
und unbeugsam auf ihrer Hut. Die Umwälzuni
vollzog sich in der Tiefe des Willens und QefühlS'
Das Leben Tolstois wurde in den Augen der Kul'
turmenschheit das eines Heiligen. In den kaltefl.
tobenden Ozean der europäischen Rivalität drantf
das Wort Tolstois ein wie der warme, wohltätig«
Qolfstrom; aus seiner Predigt wehte Qüte, Ver'
gebung, Wohlwollen, und unter ihrem Einfluß ver-
änderten sich die Themata, die Ideale und der Tof
des europäischen Romans und des Theaters. Ic!>
werde einmal ausführlicher über die merkwflrdig«
Umgestaltung der ganzen Weltliteratur sprecheH.
welche in den letzten fünfzehn bis zwanzig Jahrefl
vor unseren Augen unter Tolstois Einwirkung vof
sich ging. Jetzt beschränke ich mich auf die Be-
merkung, daß Tolstoi für den Qedanken und das Qe-
wissen Europas bloß als Moralist in Betrach {
kommt; alles Uebrige — sein Künstlergenie, seif
religiöser Enthusiasmus — hatte in den Augen deS
Europäers eine geringere Bedeutung, umgab diesf
strenge und gieichzeitig milde Physiognomie mi 1
einem Qlorienschein.

Diese Bedeutung hat Tolstoi fflr Rußlafld
nicht. Mit der Entsagung, dem Nichthandeln, defl 1
Streben nach Vereinfachung setzt man bei uns nie-
mand in Erstaunen. In der Epoche, in der maf
„unter das Volk“ ging, haben sich die jungen Leut«
leichten Herzens von ihren gesellschaftlichen un^
wirtschaftlichen Privilegien iosgesagt, haben Opfel
gebracht, denen gegenüber Tolstois Stiefel-Vel'
fertigen und Ofen-Heizen als ein harmloser Zeit'
vertreib erscheint. Das Wort „Selbst-Vereifl'
fachung“ wurde von Turgeniew geprägt vor Ef'
scheinen der „Beichte“. Als Prediger eines eifl'
fachen Lebens, als Apologet der Bauernrechte er'
scheint Tolstoi in Rußland nicht wie ein Lehrel'
nicht wie ein Begründer einer neuen Strömunl'
sondern wie emer von denen, die von der Strömuflf
noch vor ihrer Existenz erfaßt wurden. Tolsto’
ist in Rußland einer von den vielen, dle ,hr (
L.ebensweise vereinfachten und unter das Vol^
gingen. Selbst das wichtigste Paradoxof
der Toistoischen Moral, die Lehre von dem Nicbt'
Ankämpfen gegen das Böse, war nichts anderc*
als die Erhebung der russischen Passivität ufl<*
Faulheit zu einer theoretischen These.

Ueber dieses Paradoxon wurde viel gestritteö'
aber es hatte bei uns gar keinen Einfluß auf de*
Leben. Alle Ereignisse der letzten Jahre war«f
die lebendige Widerlegung dieses Paradoxons, uö^
wenn man darin das Wesentliche der Tolstoischcf
Moral sehen soil, so müßte man ihre ganze Bedefl'
tung verneinen. Es handelt sich natürlich nicht udj
das Paradoxon und nicht darum, daß Tolstol tir
 
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