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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

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Nr. 45 (Januar 1911)
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Friedlaender, Salomo: Olim meminisse juvabit: Samuel Lublinski gestorben am 25. Dezember 1910
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Strindberg, August: Zuchtwahl des Journalisten, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0362

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Olim meminisse juvabit

Samuel Lublinski gestorben
am 25. Dezember 1910

Von Dr. S. Friedlaender

Unser sehr ehrwürdiger Freund ist gestorben, wir
wollen als Freunde von ihm reden. Wir wissen, wir
haben es erlebt, was eine böse Zunge diesem lauteren
wahrhaftigen, dem Vornehmen, Edlen streng zustrebenden,
reinen Leben zuzurufen sich erfrechte. Aber indem
wir das erlauchte Ideal dieses ringenden Dichter-
gelehrten als leuchtenden Schild über sein Qrab
decken, es ganz in solchen Glanz einhüllend, werden
wir nicht nötig haben, durch Schönrederei den dunklen
Kern seines ehrlichen Lebens wegzuliigen. Schatten
wird von Licht geworfen, und hier sind Worte, Werke
verblieben, von denen dieses Licht erkennbar genug
trotz aller Schatten so herrlich und heilig ausstrahlt,
wie nur jemals von Worten und Werken der edelsten
Geister. Ihm war ein Genius verliehen, an dessen
Herausstellung aus dem tiefen, hemmenden Dunkel
seines Lebens er mit dem emsigsten Bienenfleiss ge-
wissenhaft und angestrengt arbeitete und — wie gern
und freudig I weitergearbeitet hätte, wenn nicht sein
Tod so früh und doch zu spät, um ihn zu vernichten,
eingetreten wäre. Non omnis moriar kann er uns allen
in stolzer Zuversicht durch den Geistermund seiner
Schriften prophezeien. Sein Wissensdurst war unstilibar
zur Tränkung und Sättigung seines weisen Geistes. Er
war ein Teil des Gewissens unserer Kultur, und in der
Nähe unserer Menschensonnen wird sich späten Augen
ein Strahl seines Lichtes zeigen. Der Mensch ist vom
Leben wie von einem verstellenden Nebel umgeben,
der seine scharfen Umrisse verwisc t; erst sein Tod
löscht diesen Nebel aus, und wir sehen unseren Freund
zum erstenmal in erschütternder Vollendung wie er
wirklich ist. Jetzt sollte statt aller Wortberedsamkeit
eine schlichte Büste schweigsam sein ganzes Leben
erzählen. Er würde ein solches Denkmal, einen lapidaren
Lakonismus wohl aushalten. Wenige sind ruhmwürdig,
Vieie berühmt. Es wundre sich niemand, dass wir
gerade diesen Toten, der nicht das Unglück hatte,
7>i gefallen, so hoch über das Gemeine empor-
halten, dass die Augen der Zukunft auf ihn fallen
können. Das Leben hat so sehr von seinem ridicele
gelästert, dass nun der Tod ebenso gewaltig sein
sublime entgegnen soll. Wohl dem Sterblichen, dessen
Tod ein soiches auch nur flüstern und lispeln darf.
Stehe auf und wandie, toter Freund! Streue deine
herbe, kräftige Saat in alle Schollen der Menschenäcker!
Nicht mehr verkannt und sehr gering, sondern gewür-
digt, verschönt, erheitert und bedankt wirst du unsicht-
bar in den Gassen unseres Lebens wandeln, ein lichter
Schatten; du kommst und jede Tür steht dir offen.
Kein feindseliger Spott widersteht deiner Güte, deiner
Kraft, deiner Tat, deinem Wohlwollen, du bist unge-
hemmt in deiner Hoheit. —

WMIIMIiWIII'IHMMBi i II lli'IBII llliH < ilHiillllTTTf

Zuchtwahl
des Journalisten

Von August Strindberg

Schluss

Die Erzählung der Wanze von Nummer acht-
hundertundsechs

Seine Majestät König Magnus Scheunenschloss lag
eines Nachts während des norwegischen Krieges bei
Tiveden. Er warf sich unruhig auf seinem Bette um-
her; denn er hatte ein Nierenleiden, das er sich durch
übermässigen Genuss von Alicante zugezogen hatte.
Es war noch dunkel und er wollte kein Licht an-
zünden Er befühlte seine Wasseruhr. Vier! — Noch
zwei Stunden bis zum Tag. Er stand auf, sprach einige
Gebete, trank ein Glas Bier und legte sich wieder
hin, um zu überlegen. So lag er bis zum Tages-
grauen und warf sich in unruhigen Gedanken auf
seinem Bett herum. Als der Arzt am Morgen eintrat,
fand er den Zustand so bedenklich, dass er irgend
eine Zerstreuung verordnen musste, zum Beispiel eine
Hinrichtung oder eine Jagd Da keine Bauern zur
Stelle waren und die Leute des Königs nicht entbehrt

werden konnten, entschloss rnan sich zu einer Jagd.
Ein glücklicher Zufall hatte es auch gefügt, dass man
ein Stiick oberhalb Tiveden Elche gespürt hatte; da-
gegen drohte aber ein Umstand äie ganze Kur zuver-
eiteln: man halte keine Hunde. Das war ein neues
Unglück. Der König, der sich einen Augenblick von
seiner Niedergeschlagenheit erholt hatte, geriet ausser
sich und fiel in Ohnmacht, und das ganze Lager kam in
Unruhe Man setzte grosse Belohnungen aus für den,
der einen Hund schaffen könne. Vergeblich.

Der Zustand des Königs verschlimmerte sich Eine
dumpfc Stille lag über dem Lager Man fürchtete das
Schlimmste und niemand wagte sich zu rühren. Schliess-
gegen Mittag, als der Arzt eben den Kopf geschüttelt
hatte, hörte man ein Gebell aus dem dem dichtesten
Walde. Erst einige tiefe Anschläge, wie von einem
Kettenhund, der bellt, weil es so sein soll, dann das
Gebell eines Spürhundes, das wie ein Jagdhorn klingt
und bedeutet, dass er etwas gefunden hat; und darauf
ein anhaltendes Gewinsel, als ob er mit der Schnauze
einem Hasen auf den Hacken läge. Ein donnernder
Hurraruf klang aus den Zeltgassen hervor und man
erwartete jeden Augenblick den keuchenden Jagdhund
am Waldrand zu erblicken. Was aber bekam man zu
sehen. Mons, der Putzer des Generalfeldzeugmeisters,
kam winselnd und wedelnd zwischen den Fichtenstäm-
men hervorgetrottet.

Man lachte zuerst, dann aber wurde man ernst.
Der König, der von seinem Bette aufgestürzt war, kam
heraus und wurde Zeuge der Szene, aber der Putzer
Mons Iiess die Zeit nicht unnütz verstreichen, sondern
öffnete sofort seinen Mund und sprach mit der Mütze
in der Hand:

Eure Majestät, meine Herren! lch bin von der
Krankheit unterrichet, die Eure Majestät hohe Nieren
heimsucht und weiss, was für ein Heihnittel man vor-
geschlagen hat, sowie dass etwas dazu völlig fehlt. Da
habe ich mir die Freiheit genommen, meine geringen
Dienste anzubieten.

Was kannst du? fragte der König erzürnt.

Bellen, Eure Gnaden!

Das ist gut! Kannst du Elche jagen?

Nein, ich belle grosse Tiere nicht an, die schlagen
aus. Aber Hasen, Haselhühner und andere kleine
Tiere.

Es ist gut! lch habe allerdings noch nie Hasen
vor Putzern geschossen, aber das ist neu und wird
mich zerstreuen. Blas, Hornbläser. und sattle, Stall-
meister I

AIs der Mittag kam, hatte der König drei Hasen
geschossen und war sehr vergnügt Putzer Monds
wurde gerufen, die Belohnung zu empfangen.

Willst du Gold oder Ehre haben? Wähle, denn
beides kannst du nicht bekommen!

Ehre, Eure Majestät!

Auf die Knie, du Hund!

Putzer Mons fiel auf die Knie nieder, erhielt drei
Schläge mit dem Schlachtschwert und stand als Edel-
mann auf.

Du sollst drei Hundeköpfe in deinem Schilde führen,
zur Erinnerung an deine ausgezeichneten Verdienste;
statt des Helmes aber sollst du drei Pfauenfedern
haben, denn deine Eitelkeit war grösser als dein Geiz.
Du bist frei, Mons Hund; geh hin, vermehre dich und
erfüll die Erde!

Jetzt war Mons Edelmann! Jetzt musste er sich
Rüstung mit Schild und Schwert kaufen und im Wagen
fahren. Aber er hatte kein Gold. Er versuchte auf
seinen neuerworbenen Kredit eine Schuhwichsfabrik an-
zulegen, aber er ging in der Konkurrenz unter. Er
machte alle Grade der Demütigung durch und kehrte
schliesslich zu seiner früheren Stelle als Putzer beim
Generalfeldzeugmeister zurück.

Jetzt war er verheiratet und hatte Kinder, kleine
adlige Kinder, die nach ihrem Stande erzogen werden
mussten und das war nicht Ieicht.

Der Sohn avanzierte zum Sergeanten, bekam den
Abschied, verheiratete sich und hielt den Namen am
Leben.

Das Geschlecht zeichnete sich während der fol-
genden hundert Jahre nicht sehr aus, sondern verhielt
sich still und ruhig. Das Höchste, was einer werden
konnte, war Fahnenjunker mit dem Abschied als Leut-
nant. Die denkwürdige Entstehung der Adelschaft war
vergessen und die Familiengüeder lebten als arme
Edelleute dahin. Etwas aber nagte und nagte Die
Ehre war vorhanden, aber das Geld fehlte immer und
keiner von der Familie wagte sich zum verachteten

Kaufmannsstand herabzulassen; der Schild musste rein
gehaiten werden und die Familie ihr Auskommen im
Staatsdienste suchen Das Geschlecht konnte nicht
entarten, weil es nie obenauf gewesen war, aber
es konnte auch nicht steigen — aus Mangel an
Geld.

Des Stammvaters eminente Fähigkeit, die ihm den
Adel eingebracht hatte, übersprang sechs Generationen,
bis sie bei dem bekannten Daniel Hund wieder auf-
tauchte, der von Johann dem Dritten auf Erich den
Vierzehnten losgelassen wurde. Ueber diesen schrieb
Daniel Hund seine Chronik und wurde damit der
erste Chronist des Vaterlandes. Da Johann eine dank-
bare Natur war, blieb Daniels Beförderung nicht aus.
Mit der Beförderung kam das Gold endüch und bald
sah man den Hundschen Palast sich in Stockholm am
Norrmalmstorg erheben Nun wurde ein lustiges Leben
geführt; so lustig, dass die Erben alles fortgeben
mussten als Daniel starb. Alte Weiber sagten, wie
gewonnen, §o zerronnen, aber die Zeitungen sagten,
Hund sei ein Prophet (weil er einen König angegriffen
hatte) und sie veranstalteten eine Sammlung für die
Familie.

Hier ist eine Lücke in den Biographien. Aber ich
weiss, dass das Geschlecht ein kümmerliches Leben
fristete bis zu Karl dem Eiften. Da trieb die Famiüe
eine neue Blüte. Einen Sohn, der mit kleinerem Kopf,
aber grösserer Eitelkeit, mit weniger Gefühl, aber mehr
Gewissenlossigkeit begabt war als die anderen Kinder.
Er wurde in ein Kontor gesteckt. Genaueres wNss
man nicht Es heisst, dass er auf eine weniger Jöb
liche Art zum Unterhalt der Familie beigetragen habe,
worauf er eine eiiige Reise nach Neu-Schweden ir.
Amerika antreten musste.

Er kehrte nach Stockholm zurück und fand sich
dort ziemüch fremd. Viele seiner gleichaltrigen Kame-
raden hatten durch Arbeit, Entsagung und Redlichkeit
sich eine Stellung errungen, einige waren sogar be-
rühmte Leute geworden. Das erzeugte bei ihm r.in
tiefes Missvergnügen Gleichzeitig merkte man oei
ihm ein ungeahntes lnteresse für die Literatur /c.mal
für die Sorte, die zeilenweise bezahlt iser

Freund befand sich bald mit allen Vicr:i ;■ ier
unter Karl dem Elften lebhaft blühenden :e-

ratur.

Da er indessen bald seine Stoffe wie seme .Jten
Freunde erschöpft hatte, wurden seine ArtiKel seltener
und die Mahlzeiten unregelmässiger; die grausame
Armut nahm ihn hart in die Arme und bald befand
er sich im Schuldturm hinter Schlots und Riegel.
Aber die Not ist erfinderisch und un> er Mann fühlte
sich dazu geschaffen, die grösste Erfindung des sieb-
zehnten Jahrhunderts zu machen: die Reisebriefe
Vom Gefängnis gingen bald die ailerberrlichsten Reise-
schilderungen von Tunis und Konstantinope! aus; und
vom Kriegsschauplatz bekamen gefühivolle Zeitungsleser
die erschütterndsten Schilderungen eines „schwedischen
Adligen“, dessen persönlicher Mut aus jeder Zeile
glänzte, und der das Tun nnd Lassen der Generale
einer strengen Kritik unterwarf; besonders aber merkte
man sichtliche Vorüebe des Verfassers für alles, was
das Seewesen betraf, und in seiner Kritik der Vor-
schläge einer Reorganisation der Flotte verriet er eine
erstaunliche Sachkenntnis. Dank seiner Erfindung be-
fand sich unser Mann ba!d auf freiem Fuss; aber mlt
der Freiheit kam dei Mut zurück und mit dem Mut
der Uebermut.

Verschiedene Neuigkeiten hatten sich indessen im
Leben der Hauptstadt ereignet. Man hatte eine Fabrik
bekommen nnd eine Glasgesellchaft, von der der Hof
Aktien besass. Zwei solche patriotische Unternehmungen
konnten nicht von Bestand sein, ohne dass das Pubü-
kum regelmässig Nachrichten über die Lage der beiden
institute erhielt, über Wünsche und Beschlüsse der
Direktion, über künftige Absichten und ähnliches. Für
soich guten Zweck durfte eine Zeitung das passendste
Mittel sein. Zum Redakteur wurde ein Mann gesucht,
der durch seine unparteiische Stellung zu allen ge-
schäftlichen Verhältnissen einsehen konnte, dass die
französische Kardanfabrik die einzig berechtigte sei,
und die itaüenische Glasgesellschaft die einzig nötige
für Schweden. Ausserdem musste der Zeitungschef
ein Mann mit harter Stirn sein, der alle ungerechten
Angriffe der Konkurrenten zurücksahlagen konnte; zu-
gleich aber in alle Themata eingeweiht war, die das
Pubükum interessierten, wie Gedichtbücher, Theater-
stücke, Oelgemäide, so dass die Zeitung nicht
das Aussehen eines geschäftlichen Zirkulars erhielt.

Der Mann brauchte nicht mit aer Laterne gesucht
zu werden. Die noch nicht erkannte Erblichkeitstheorie

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