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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

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Nr. 7 (April 1910)
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Tömörkény, Stefan: Der Kampf mit dem Soldaten
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Baum, Oskar: Fanatismus der Verachtung
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https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0056

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Rasch greift er danach, preßt den Soldaten an
die Börse und schließt beide in die Faust. Dann
richtet er sich auf und steckt die Faust in die
innere Tasche. Dort läßt er Börse und Soldaten
los und zieht die Hand offen wieder zurück. So
— das wäre in Ordnung. Er empfiehlt sich end-
gültig vom Verkäufer und hüllt sich auf der Straße
wohlgelaunt fest in seinen Rock.

Er vermeidet es, auch nur ein einziges Mal in
die Tasche zu greifen, ehe er sein Qehöft er-
reicht hat.

Es ist niemand zu Hause. Der Bub in der
Schule, die Frau drüben in der Nachbarschaft, wo
man irgend eine Qasterei vorbereitet.

Er spannt also die Pferde aus, sucht den
Schlüssel hervor und geht ins Haus. Hier ist es
angenehm warm. Jänos stampft ein paar Mal fest
auf und geht auf und ab. Dann überlegt er. Soll
er der Frau nachgehen oder Iieber dem Ferkel den
Ring anlegen?

Dabei fällt ihm das Notizbuch und der Soldat
ein. Heraus damit! Er fährt in die Tasche, nimmt
beides hervor und legt es auf den Tisch. Dann
geht er zum Fenster, blickt auf die stille Landschaft
und auf den Weg hinaus, ob der Bub noch nicht
käme. Nein, er kommt noch nicht.

Jänos wendet sich wieder dem Zimmer zu,
und wie jetzt sein Blick auf den Tisch fäilt, tritt er
betroffen einen Schritt zurück.

Das Notizbuch liegt auf dem Tisch, der Soldat
aber, den er doch auch hingelegt hatte, liegt nicht,
sondern steht aufrecht da und hält die Hand hoch
erhoben.

— Hm, hm — sagt Jänos.

Dann geht er langsam hin und legt ihn nieder.

So wie er aber die Hand fortzieht, springt der
Soldat wieder auf, schüttelt sich nach rechts und
iinks, als ob er sehr zornig wäre, und bleibt dann
kerzengerade stehen, den Blick starr auf Jänos ge-
richtet. Und nicht um eine Welt ließe er die Hand
herabsinken.

No — meint Jänos und beginnt den rot-blauen
kleinen Mann genauer zu betrachten. Er war aus
Holz. Aus ganz gewöhnlichem Holz. Wenigstens
sah es so aus. Wie kommt es aber, daß er sich
doch bewegt?

Wieder legt er ihn fest nieder. drüokf ihn auc.h

CA»n k nnfrohpnf in.ftai — . ...

ein wenig gegen die Tischplatte, damit er nur sicher
liegen bleibe. Und er bleibt auch. Unter der star-
ken Hand rührt er sich nicht.

Kaum aber läßt die Hand nach, so springt er
tvieder empor, schwankt ein wenig und steht aufs
neue da, die gemalten Augen auf Jänos gerichtet.

— Daß dich der Blitz-! ruft Jänos und

schlägt ihn zornig wieder nieder.

Diesmal wird er schlau zu Werke gehen. Er
wird die Hand nicht rasch abheben, sondern ganz
langsam, vorsichtig wegziehen. Er versucht dies
auch — und was geschieht? So wie er behutsam
die Finger fortnimmt, erhebt sich nach und nach
auch der Soldat, bis er wieder gerade dasteht und
drohend den Arm hebt.

— Mir droh nicht! — sagt Jänos und geht vom
Tisch weg bis in die Ecke des Zimmers.

Von dort sieht er ihn mißtrauisch an. Im Zim-
mer und auch draußen hefrscht Totenstille. Es
beginnt zu dämmern und auf die Puszta senken
sich die bleiernen Schleier des Winterabends.
Nichts regt sich. Nur im großen, bauchigen Ofen
fallen manchmal die Glutstücke hörbar zusammen
und schlagen dumpf gegen die Wand. Das Notiz-
buch Iiegt auf dem Tisch. Jänos sitzt auf der
Ofenbank, der Soldat steht drüben und sieht un-
ausgesetzt Jänos an. Keiner rührt sich.

Jänos wird immer schwächer und schließlich
schlägt er vor dem starren Blick des Soldaten die
Augen nieder.

— Ich hab dich nicht gestohlen — verteidigt
er sich leise — du bist auf dem Boden gelegen.
Warum konntest du damals liegen? . . . Weil du
eingequetscht warst? Bedank dich, daß ich dich
aufgehoben hab! Das ist kein Diebstahl. Ein
Anderer hätt dich auch genommen. Und mich
schau nicht so an, das sag’ ich dir, sonst schlag ich
dich nieder! Hörst du?

Und er sammelt Kraft und geht drohend auf
ihn zu. Schon hebt er die Faust, als ihm ein neuer
Qedanke kommt. Auf dem Tisch steht ein Wasser-
krug und rings um ihn ist das Holz naß. Rasch
nimmt er den Soldaten und preßt ihn mit dem*
Kopf in das Wasser. Da hast du’s! — Hund! —
ächzt er, während auf seiner Stirne kalte Schweiß-
tropfen hervorperlen.

52

Wie er die Hand losläßt, schreit er laut auf.
Der Soldat steht nicht mehr auf, sondern bleibt
dort im Wasser liegen.

Jänos sieht frohiockend zu. — Na — das hast
du jetzt davon! Jetzt rühr dich — wenn du kannst
— Hundsfott!

Und er rührt sich. Mit Schrecken gewahrt es
der größere der beiden Qegner. Das Wasser ver-
mochte ihn nicht ganz an die grüne Farbe des
Tisches anzukleben. Er beginnt sich zu bewegen
und Hopp! steht er wieder Habt Acht! da und hebt
den Arm.

Wenn das keine absichtliche Drohung ist. so
gibt es überhaupt keine Drohung auf der WeU.
Jänos ist erst verblüfft, schlägt wuchtig aufs Bett
und zischt vor Wut. — Warum hab’ ich dich n jr
hergebracht! — schreit er. — Mich laß in Ruh!
Mich richt nicht zu Qrund! Ich schlag dich in
Stticke!

Er nimmt auch den Stock aus der Ecke, bleibt
aber in gehöriger Entfernung und versucht den
Soldaten mit dem Stock niederzudrücken. Es
geht nicht. Er weiß immer auszuweichen, und je
kräftiger Jänos hinfährt, um so heftiger droht er.

Jänos wischt sich den Angstschweiß von der
Stirn. Was soll er nur tun? Was sol! da ge-
schehen? Ach was — einmal stirbt jeder. Er
drückt sich gewandt um den Tisch herum, um zum
Fenster zu gelangen, das er mit zitternder Hand
öffnet. Dann wendet er sich entschlossen zurück
und ergreift mit der großen Hand den kleinen
Mann, der in der Faust ganz verschwindet.

— Kaspar . : . Melchior . . . Balthasar . . .
sagt er und schleudert den Soldaten zum Fenster
hinaus.

Er fliegt ein Stückchen, dann fällt er zwischen
die gefrorenen Erdhaufen und schwankt hin
und her.

— Huh! stöhnt plötzlich Jänos auf.

Dort, auf der Spitze eines Schneehäufieins
steht der Soldat schon wieder, schwankt, winkt,
hebt den Arm, und aus seinem Blick spricht eine
gräßliche Anklage.

— Dieb, Dieb, Dieb . . .

Jänos glaubt die Worte zu hören und eine
namenlose Angst schnürt ihm das Herz zusammen.

Tlnd —. Verderben iiber Verderben» <rerede_

jetzt kommt sein Kind aus der Schule. Er kennt
es schon von weitem auf der Straße. Jetzt kommt
es immer näher und er möchte ihm gern zurufe'
— Qeh ihm aus dem Weg! Weich ihm aus! Abcr
er kann nicht, und ermattet muß er sehen, wie der
Bub den Soldaten bemerkt. aufhebt und trinmphie
rend ins Haus bringt.

Schon bei der Tfir ruft er freudig:

— Schau Vater, was ich gefunden hab!

Der Vater springt auf und streckt abwehrend
die Hand aus:

— Nicht bring ihn herein! Ich wül ihn nicht
sehen! Qerade jetzt hab ich mit ihm gekämpft...

Der Kleine versteht von al! dem kein Wort.
Er sleht den Soldaten HebevoII an und ruft dann
Iachend: * .1^*1

— Schau doch Vater, da unten ist Blei drin.
Wenn ich ihn niederleg, springt er von selbst auf!
So schau doch her! -

Von Jänos weicht plötzüch alle Mattigkeit,
aller Schreck, und der innere Sturm Iegt sich.

— 0! seufzt er erleichtert — Blei ist drln?!

Und dann, wie um sein sonderbares Benehmen
von vorhin zu erklären, setzt er zögernd hinzu:

— Ich hab schon geglaubt — Seele.

Fanatismus der Verachtung

Von Oskar Baum

Er, der Bertihmte, schrieb und dachte, schrieb
und dachte und büeb dieser Aufeinanderfolge treu
bis in den Tod. Unermüdlich rollte er in seinen
Werken die ewigen Fragen der Menschheit auf und
so wurde ihm unvergängücher Ruhm. In allen
literarischen Schlachten war er ein gefürchteter
Rosselenker und er erfand alljährüch ein paar
originelle Titel nebst den dazu notwendigen
Büchern. Auch kritisierte er da und da, aber nur
um Schauspieler und Theaterdirektoren in Furcht
und Gehorsam zu erhalten, denn seine Muse ging
auch häufig tiber die Bretter, die das Qeld bedeuten.

Die größte Freude machte er seinem Verleger,
wenn er das Blut der Liebeswunden in die Feder
fließen ließ. Es entstanden dann natürlich nicht —

pardon — Verse, sondern appetitanregende Ro-
mane, voll indiskret umhüllter Heimlichkeiten.

Vor diesem geistigen Mittelpunkt seiner Nation
stand eines Vormittags ein schlanker junger Mann
mit keckem Hut, lachender Krawatte und erheb-
licher Unbescheidenheit, die aber imponierend ruhig
und bewußt war.

Der Berühmte sah von seinem Papier fast gar
nicht auf; den breiten Qruß des Eingetretenen hatte
er mit höflichem Murmeln erwidert, und die Feder
raschelte unbeirrt und eilig auch als der Besuch
schon neben dem Schreibtisch stand.

„Verzeihen Sie,“ begann schließlich ungehalten
der junge Mann, „es tut mir leid, daß ich Ihre Stim- ,
mung durchreiße. Man merkt auf der Straße nicht, i
ob Sie gerade arbeiten.“

Ein paar höfliche Notwendigkeiten mußten nun
abgewickelt werden, ehe der Fremde saß und von
c’em begann, was ihn hergeleitet hatte.

„Die Frauen sind äußerlich und ihre Eitelkcit
ist heikler, als die eines Schauspielers. Meinc
Freundin, in deren Namen ich hier bin, ist zwar aucn
in diesem Punkt ungewöhnlich, aber weiblich bleibt
sie ja doch.“

Der Hausherr markierte seine Ungeduld, und
der kühle junge Mann weidete sich daran.

„Vielleicht haben Sie meinen Namen als einen
der vielen erkannt, die Sie kritisierten, womit ich
Ihrem Qedächtnis .aber zu viel zumute? Nun,
gleichviel! in derselben Nummer Ihres Blattes
haben Sie auch meiner Freundin, die unter dem
Pseudonym The .... schreibt. wegen ihres letzten
Buches eine Lobhymne gesungen.“

„Ja, ich schrieb es in aufrichtiger Freude
iiher.“

„Es macht Ihrem Verständnis mehr Ehre. als J
ich ihm je zugesprochcn hätte. Sie haben eben
manchmal, — weiß der Teufel durch welchen Zufal!

— einen so unverdient gliicklichen Qriff, daß man
sich einreden könnte, Sie hätten wirklich einc
Ahnung von geistigen Werten. aber ihre Werkc j
und Ihr Stil und Ihr allgemeiner Geschmack — — J
na, ich habe es ja seinerzeit ziemlich bald ,er-
wunden, daß Sie es waren, der meinen Name : so j
mächtig in die Welt posaunte. Ich ging soga >n
meiner Tndiffprenz sn V' 1't,,i rfet
sprechen oder zti schreiben aber meine Freundin ist
eben weiblich! Ihr bereitet noch jede Herabsetznng
Schmerz. sie gibt noch viel auf die Meinnng der
Welt und so bin ich hier. um Sie zu bitten. Ihr Lob
zurtickzunehmen. oder besser. es in einen ver-
nichtenden Tadel zu verwandeln.“

Der Dramatiker, Epiker und Lyriker hnttc
längst zu schreiben aufgehört, hielt die Feder. dio
eben in das Tintenfaß getancht worden wnr. hoch
in die Luft. und starrte den kiihnen Resucher
immer ängstlicher und erschrockener an. Anfangs
wollte er ihn öfters unterbrechen, war aber sprach-
ios, als jener zu schweigen begann. Er zog dic
Haare seines Schnurrbartes zwischen die Zähne.
bis ihn die Lipne schmerzte und nreßfe die
linke Hand gegen eine scharfe Ecke des Schreib-
tisches, um zu untersuchen. ob er träume. Aber er
ftihlte, daß er wach war. Dieser Auswesr war nlso
verschlossen: verzweifelt rieb er sich die Schläfeii.
Ein wlrres Oedankenchaos wollte fhn In Untiefen
reißen.

Von i h m erbat jemand. daß er. der täglich
hunderte von schwärmerischen und demiitigen An-
beterbriefen erhielt, dem ein Ruch zu wfdmen schou
ein Qltick bedeutete, dem die hochmütigsten
Dichter und die vornehmsten Denker schmeichelten.
den die Qefiirchtetsten ftirchteten. von ihm vr.
langte man einen Tadel!

Da rettet ihn eln Einfall: Der junge Mensch
nmß verrtickt sein!

Di^ Ziicre des Rertihmten elätfeten sieh und er
fragte mitleidig. in weichem Ton: ..So? Das also
wfinscht Thre Ereundin? Und warum kam sie demi
nicht selbst? Tch hätte mich gefreut, sie kennen
zu lernen.“

Da fuhr ein scharfer Blick von dem Eremdeu
hertiber: „Sie miissen und zwar biunen einer

Woche,“ sagte er mit schneidender Stimmc.
„längstens binnen einer Woche veröffentlicheo. daß
Sie jenes Lob in einer Laune geschrieben haben. die
durch einen — durch ein gutes Mittagsmahl. durch
den Mißerfolg eines Konkurrenten oder durch das
Erscheinen der 87. Auflage eines Ihrer Bticher un-
erhört fröhlich war und Sie, wie ein Rausch zu gut-
mtitieem Vergehen wider die eigene Ueberzeugnng
verftihrte.-- Sie mfissenü--Sollten Sie sich
 
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