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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

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Nr. 50 (Februar 1911)
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Scheerbart, Paul: Der Kaiser von Utopia, [10]: Ein Volksroman
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Meyer, Alfred Richard: Intérieur
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https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0404

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Kunstarten vergangener Epochen gezeigt und dement-
sprechend verschiedene alte Städte wieder so rekonstruiert,
dass man hinter ihren Mauern giauben konnte, noch
in einer atten lange vergangenen Vorzeit zu leben; es
hatten sich auch viele Utopianer gefunden, die diese
alten Städte im Kostüm der alten Zeiten so getreu
wie möglich kopierten.

Diese antiquarische Qeschmacksrichtung hatte aber
auch ihr Gegenspiel erzeugt, und somit gabs auch
sehr viele Maler, Bildhauer und besonders Architekten,
die den lebhaften Wunsch besassen, in einer Zukunfts-
zeit zu leben.

Diese Zukunftszeit sollte sich ganz besonders durch
transportable Häuser — und demnach auch durch
transportable Städte auszeichnen. Naturgemäss konnte
man so kostspielige Zakunftspläne nicht gleich in die
reale Welt übersetzen. Es wnrde daher beschlossen,
zunächst ein Künstlerfest mit transportablen kleinen
Restaurants zu arrangieren. Zwanzig sehr umfang-
reiche Fesselballons sollten die Restaurants in die Lüfte
hinaufheben und da immer wieder in interessanter
Gruppierung auf und absteigen und so die Reize der
transportablen Architektur zur Anschauung bringen.

Der Plan kam zur Ausführung, und die Künstler waren
einfach entzückt — besonders in den warmen Sommer-
nächten, wenn unten und oben tausend bunte elek-
trische Scheinwerfer die Luftstadt durchleuchteten.

Ganz Utopia interessierte sich für dieses Künstler-
fest sehr lebhaft, und die Zahl der photographischen
Aufnahmen von den einzelnen Luftrestaurants aus und
auch solche vom Erdboden aus belief sich in den
ersten vierzehn Tagen auf ungefähr siebzig Millionen;
die antiquarische Richtung verlor der neuen Luftrichtung
gegenüber immer mehr an Boden, und alle Welt war
erstaunt und entzückt über die lebhafte Tätigkeit der
utopianischen Künstlerwelt.

Nur dem Herrn Bartmann gefiel diese neue Richtung
in der Kunst keineswegs, und seine abfällige Kritik er-
regte in den Künstlerkreisen nicht geringes Aufsehen.
Seine heftige Rede im Bierkeller über die utopianische
Schlaffheit und Faulheit hatte bereits ein grosses Kopf-
schütteln überall erzeugt, die Künstler aber hielten es
jetzt für angezeigt, diesem merkwürdigen Quengler
ganz energisch entgegenzutreten.

Und es kam zwischen den ersten Architekten :des
Landes und dem Herrn Bartmann zu einer heftigen
Auseinandersetzung — und natürlich hoch oben in den
Lüften tausend Meter über dem Festplatze mitten in
der Nacht, als die Scheinwerfer herumflirrten — wie die
brennenden Blitzstrahlen von Riesendiamanten.

„Eine sehr äusserliche Kunstrichtung“, sagte der
Herr Bartmann, „eine rein dekorative Kunstrichtung —
eine Raumkunst, aber keine Traumkunst. Wenn wir
auch dadurch in mancher Beziehung sehr neue und
sehr wertvolle Anregungen empfangen, verinnerlicht wird
dadurch die Kunst keineswegs — sie wird im Gegenteil
immer mehr veräusserlicht durch derartige Spielereien.“

Da gabs nun spitze Worte auf beiden Seiten, und
der Herr Bartmann hatte einen schweren Stand; die
Künstler setzten ihm klipp und klar auseinander, dass
man der Kunst den Boden unter den Füssen fortzöge,
wenn man die Kunst von der äusserlichen Erscheinurigs-
welt trennen wollte.

Herr Bartmann aber erklärte nachdrücklich:

„Wenn wir in einer äusserlichen Erscheinung das
innere Leben herauszufühlen versuchen, so können
wir sehr viel herausziehen; lassen wir aber immer
wieder neue äusserliche Erscheinungen auf uns wirken,
so werden wir nicht die Zeit finden, jeder einzelnen
äusserlichen Erscheinung ins Innere zu schauen, und
wir werden bald das Innere ganz über dem Aeusseren
vergessen. Sie wissen, meine Herren, dass ich nicht
behaupte, wir könnten überirdische Geister irgendwo
entdecken — Sie wissen, wie ich das Innere meine —
Sie geben mir immer wieder zu, dass die Fülle der
Erinnerungen und der unwillkürlich erzeugten Neben-
vorstellung jedes äusserliche Bild vertieft, verfeinert
und zu eiuem sehr empfindlichen Darstellungsgegenstände
macht. Würde sichs nicht empfehlen, dieser intimen
Kunstrichtung mal mehr Raum zu schaffen? Durch
Ihre Luftschlösser machen Sie alle Bestrebungen ein-
fach tot -- Sie zerstreuen, statt zu konzentrieren —
Sie geben nicht dadurch den grandiosen Eindruck des
intensiven Naturlebens.“

Da widersprach man natürlich sehr heftig und er-
klärte, dass siebzig Millionen Photographien von all den
verschiedenen LuftsituatiOnen uns doch wohl die Fülle
des Lebendigen recht lebhaft verkörpern und dass es
geradezu toll wäre, in dieser Luftkunst nicht die ge-
nügende Sensibilität zu erblicken.

„Nein, neinl“ rief aber wieder der Herr Bartmann,
„Sie töten damit die Sensibilität. Sie bringen nicht
das fieberhaft grandiose Weltleben dadurch zur Empfin-
dung. Auf diese Weise kommen Sie nicht hinter die
Erscheinungswelt — nicht in das grosse ungeheuerliche
innere Leben der Natur hinein. Sie müssen das Leben
— das ungeheuerliche Leben erfassen — das Leber.j
das uns in den Sonnenprotuberanzen und in den all-
mächtigen Aetherschwingungen des Mikrokosmos ent-
gegenrauscht — das müssen Sie erfassen — Sie müssen
lebendiger Alles sehen — lebendigerl“j; %S3BEBi
Herr Bartmann zitterte dabei, und seine Zuhörer
traten seitwärts und erklärten ihn für übernervös und
beschlossen, ihn durch List in eine Besserungsanstalt
zu schicken, in der überreizte Nerven durch einfache
Tätigkeit und feine Ablenkung wieder normal werden.

Und die Künstler erklärten dem Herrn Bartmann,
dass er sich wohl selber wohl noch nicht ganz ver-
stände; er müsse jedenfalls auf einem stillen Landsitze
seinen Nerven eine Erholung gönnen. Und sie schlugen
ihm vor, den Direktor emer Besserungsanstalt aufzu-
suchen, der für intime Kunst sehr viel übrig hätte.

Der Herr Bartmann trank aus Aerger mehr als
sonst und erklärte feierlich, dass ihn bisher noch nicht
ein einziger Utopianer verstanden hätte — nicht ein
einziger.

Fortsetzung folgt

Interieur

Wir fühlen es lange schon, seit Stunden oder Sekunden,
dass der Tag sonnengelockt vor dem Fenster liegt.
Durch den Vorhang schlüpft lustig der Wind des Morgens,
mit ihm schleichen sich heimliche Wünsche nach

Wonnen ein.

Aus nächtlichen Müdigkeiten dehne ich mich

nach Schlaf und Erschlaffung in eine müdere Seligkeit

meines Erwachens und küss Dir die Augen auf.

An meiner Schulter räkelt sich rosig der schönste Rausch
in Sehnsucht, Rosenblüten und rauschendem Blut.

Ist es schon spät?

Ach heut ist ja Sonntag!

Wer ist denn galant und wo ist mein Kavalier,

der in die Küche geht und präsentiert seiner Gattin

goldendampfenden indischen Tee

und prächtige, buttergestrichene Brödchen

mit getrüffelter Leberwurst

oder gewürfelter Gänsebrust?

Gibts denn vom Stilton-Käse nicht mehr ein Stückchen?

Die Katze Quiwi quäkt kläglich ihr Morgenmiau
und wimmert nach weisser Milch.

Schon brodelt das Wasser zitternde Blasen zum Brühn,
da schäkerst Du bleich und bloss wie ein türkischer

Knabe,

ums Haar ein Handtuch faltig als Turban gewunden,
im Bad.

Gleich glitzert ein silberner Tropfenfall,
trommelt und prickelt in Kühle all Deine Prächte,
küsst Dir den Busen rund,
rötet den Bug Deines Nackens,
schleicht kosend sich heimlicher weiter
über Schluchten und Hügel der Venus
zum goldenen Knick Deiner Kniee,
über Knöchel und zierliche Zehen
zum schmalen Mass Deiner Füsse.

Ich bin wie immer Dein treuer Diener und
leg Dir natürlich den trocknenden Mantel um
die nassen Schauer der nackten Schultern.

Wars schön?

Schon glüht es gelb in den grossen und blumenbunten
Bauerntassen und duftet heisser vom dampfenden Tee.
Schmeckt Dir das Leberwurstbrödchen,
des Käses grünlich Gebröckel?

Wohlig verschmatzt sich der Morgen im Bett.

Unser Kätzchen

streicht sich den struppigen Bart und kauert sich

schnurrend.

Es klingt einer Guitarre Geklimper vom Hofe her,
die Heilsarmee gröhlt ihren munteren Morgengruss:
Herrlich, herrlich wird es einmal sein,
wenn wir ziehn von Sünden frei und rein
in das geiobte Kanaan ein,

Jesus sieh her, ich komml

Da wirfst Du der seidenen Decken Purpurglut ab,
in die persischen Pantoffel gleitet Dein blosser Fuss,
dann blinzelst Du lachend geblendet durchs Fenster
ins Licht der leuchtenden Sonne und summst ganz

glücklich

den Chorus da unten mit, erst leise, dann Iauter,
zuletzt gestattet Deine Grossmut einen Groschen sogar.

Du, Dein Tee wird ja kalt.

Gleich nehm ich Dir auch

das letzte Gänsebrustbrödchen grad vor der Nase weg.
Nicht dochl

Da kuschelt sofort etwas Warmes und

Weiches

bettelnd und bittend wieder ins wilde Bett,
strampelnder Kampf kullert die Kissen herab,
streckt sich, endlich ermattend,
zur Ruhe; dann ebbt auch

die Sturmflut der bräunlichen Brüste, wiegt ihre Wellen
weicher und wärmer mir in die Hand.

Ein Sonnenkringel tupft unsrer Katze
feuriges tanzendes Gold auf das schwärzliche Seidenfell.
Dann lullt uns wieder des Frühlingswindes
wohliges Frösteln ein.

Noch lallt leise mein Mund:
Du liebe Liebel leiser und leiser.

Und unsere Träume, trunken von Rosen,
wollen in immer köstlichern Röten ertrinken.

Da klingelt die Glocke.

O Gott!

Gewiss ein Besuch.

Vielleicht ists Dein Vater.

Oder der Schusterschuft mit der ewigen Rechnung.
Späh erst durchs Guckloch.

Man ist eben nicht zu Hause.

Guten Morgen und schönsten Gruss vom gnädigen

Fräulein. —

Grüssen Sie bitte sehr und sagen Sie herzlichen Dank.

In meinen Händen halt ich den herrlichsten Fruchtkorb.
Aus Erdbeeren, Bananen und ganz dunklen Kirschen,
Rosinen und Mandeln, Chokolade, Johannisbrot,
gleisst in dem Flaum zweier Pfirsichbacken,
die mich ich sag nicht an was erinnern,
der Spenderin bestens bekannte Bütten-Visitenkarte.

Schon schaukelt die Kirschenkugel zwischen den

Katzentatzen,

es zwirbelt der Ball zwischen Hemdchen und Höschen.
Du Iachst.

Und die scharfen Nägel der niedlichen

Hände

streifen die gelbliche Schale der grössten Banane ab,
die strebt und strotzt wie der stolzeste Phallus empor,
gleich züngelt Dein Kuss um die pralle prächtige Kuppel,
die Frucht wird Fleisch,
der zähige Zucker wird flüssig.

An dieses Frühstück des sonnigen Sonntagmorgens,
das wir der Gunst einer lieben Freundin verdankten,
denken wir oftmals und gern in der Erinnerung wieder
und immer wieder.

Doch an dem Abend desselbigen

Tages,

Du trugst deinen neuen Hut, wie einstmals ihn liebten

Daumier, Gavarni und Felicien Rops,

ergingen wir uns vergnügt im Zoologischen Garten,

begafften mit Krethi und Plethi- das pluffende Feuerwerk,

bestaunten die flammenden Sterne,

den roten Flug der Raketen

und ahnten im Schwung, violetter Feuer und fahler

Fackeln

die schwarze Sonne von Dauthendey.

Zu Hause jedoch erblühten und sprühten und glühten
dieselben Funken uns nackter und herrlicher aus der

Nacht.

Am nächsten Tag überraschten uns Scheerbarts,
Paul und der Bär, aus Lesabendiosphären,
und die ganze Kompagnie. Wir sangen und tranken
Doornkaat, das Feuerwasser, und eine Waldmeisterbowle,
aber das erste Glas auf die mit Recht so beliebte
Antierotik.

Alfred Richard Meyer

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