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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

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Nr. 45 (Januar 1911)
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Scheerbart, Paul: Der Kaiser von Utopia, [5]: Ein Volksroman
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Herczeg, Ferenc: Ranko der Held
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https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0364

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Und dann kam der Kaiser am nächsten Tage ins
Rathaus und tat sehr zornig, musste aber hören, dass
sich die Schildbürger durchaus für treue Staatsbiirger
hielten, die durch die Uniformen und Titel blos dick
und fett werden wollten. Diese durchaus simple Art
der Schildbiirger machte dem Kaiser scheinbar vielen
Spass, und er fragte die Ratsherren, ob sie auch ihre
Frauen uniformieren könnten, und als sie das bejahten,
fragte er sie, ob sie auch ihre neugeborenen Kinder
uniformieren könnten — und als sie auch das bejahten,
fragte er sie, ob sie auch ihren Himmel uniformieren
könnten. Da waren die Ratsherren erschrocken und
verstummten. Und der Kaiser erklärte nun, dass er
furchtbar in Schilda hausen würde, wenn die Schildaer
nicht in acht Tagen wtissten, wie ihr Himmel zu
uniformieren sei.

In scheinbar grimmigster Laune verliess der Kaiser
das dreieckige Rathaus und speiste zu Abend im
goldenen Löwen, allwo er sich nebenbei nach dem
Flugtechniker Sebastian erkundigte.

Der Herr Sebastian war da.

XVI

Der Himmel

Drei Tage später sass der Kaiser Philander des
Abends auf der Seeterasse und blickte zu den Sternen
empor, rauchte seine Zigarre und trank Wein dazu;
er sass ganz allein und sprach plötzlich zu sich selbst:

„Alle Wetter! Jetzt muss ich bald fort von diesem
verdammten Schilda! Immer denke ich wirklich ernst-
haft darüber nacli, wie wohl dieser grosse Himmel
uniformiert werden kann. lch fürchte, die Narrheit
steckt an. Die Sterne sind natiirlich zu kompliziert,
und die Farbe des Himmels ist immer wieder eine
andere — sowas Iässt sich wirklich nicht uniformieren.
Aber ich denke ja tatsächlich dariiber nach. Hier
werde ich auch ein Narr! Ich muss fort — fort!

Er rief einen Diener und schickte ihn zum goldenen
Löwen, und bald danach sass der Kaiser dem Flug-
techniker Sebastian gegenüber und piauderte mit ihm
über die Narrheit.

Der Herr Sebastian meinte:

„Diese Versunkenheit der Schildaer ist nach meinem
Dafürhalten bios eine gerechte Strafe für ein bummliges
Leben, das keine festen Ziele im Auge behält, nur
nach Vergnügungen strebt, in Ausschweifungen verfällt
und dem lächerlichen Hochmut nicht bei Zeiten richtig
zu begegnen weiss “

„So wiirden Sie, Herr Sebastian“, entgegnete nun
der Kaiser ernst, „ohne Schaden für lhre geistige Qe-
sundheit ein ganzes Jahr hier in Schilda leben können,
nicht wahr?“

Herr Sebastian bejahte das lächelnd, und der
Kaiser meinte so nebenhin;

„Könnten Sie mir versprechen, das zu tun, wenn
mir sehr viel daran läge?“

„Das könnte ich ohne weiteres!“ versetzte der
Herr Sebastian lächelnd.

Da hörten sie in der Stadt ein mächtiges
Klappern und ein grosses Gehämmer wie in einem
Eisenwalzwerk.

Der Kaiser liess sich erkundigen, was das Geräusch
zu bedeuten hätte, und erfuhr, dass die Schildaer
dabei wären, ihre Stadt mit gelben und roten Tuch-
streifen zu überspannen, um eine Uniformierung des
Himmels herbeizufiihren.

Fortsetzung folgt

Ranko der Held

Franz Herczeg

Ich ging zu Fuss vo« Szentpeter Szerbalmäs.
Das Tiefland ist dort flach wie eine Tischplatte.

Als ich die unabsehbare Iange Birkenallee
kreuzte, welche die Bauerngiiter yon der herrschaftlichen
Domäne scheidet, schlug lauter Gesang an mein Ohr
Ein kleines Mädchen sass am Grabenrand, hütete
ein geflecktes Kaib, das dort weidete, und sang dabei
aus vollei Kehle aber mit viel musikalischem Gefühl
ein Lied. Las kleine Mädchen war eine Serbin.
Früher einmal war die ganze Gegend hier unten bis
zur Donau serbisch; heute freilich liest der Pope nur
mehr in vier oder fünf Dörfern die Messe. Die

Serben hier haben ein ganz merkwürdig entwickeltes
Talent für Musik. Zwei Knirpse, die sich hinter dem
Zapn zusammensetzten, wissen ganz prächtig zwei-
stimmig zu singen.

Von dem Liede des kleinen Mädchen verstand ich
nur so viel, dass es den Ruhm irgend eines Helden
namens Jvan Ranko preise. Wer war dieser Ranko?
Ich kenne die Geschichte und die Legenden dieser
unteren Gegend ziemlich genau, von einem Ranko
aber hatte ich noch nichts gehört. Vielleicht ein
Waffengenosse des grossen Mark Krälevics Seltsam —
im ungarischen Voike lebt nicht ein einziges der Lieder
mehr, die einst zu Ehren Kinizsis, Tolais oder Hunyadis
gesungen wurden, die serbischen Volksgesänge dagegen
wissen heute noch von Helden zu berichten, die als
türkische Söldner bei Angora gegen die Mongolen
kämpften. Es sind recht monotone, schwermütige
Melodien, die Texte nie ohne poetische Schönheit.

Ich sprach das kleine Mädchen an; es wurde sehr
verlegen, sprang auf und lief Iachend dem Kalb nach.
Sie hatte wirres Haar und trug einen roten bis zum
Knie reichenden Rock; ihr Laufen aber zeigte so viel
unbewusste Grazie, dass ich an die den Schmetterling
verfolgende Psyche denken musste. Der Schmetterling
wurde allerdings durch ein scheckiges Kalb mit rührend
einfältigen Glotzaugen ersetzt.

Bei der herrschaftlichen Mühle traf ich den Ver-
walter. Er war Serbe und die vielen stillen Winter-
abende hier draussen hatten ihn allmählich zu einem
der Belegsten im Komitat gemacht. Er kam eben
aus der Mühle. Seit zwei Jahren musste er jeden
Montag dorthin, um Marsics, den Müller, fortzujagen.
Seit Jahren betrank sich nämlich Marsics jeden Sonntag
bis zur Bewusstlosigkeit; in diesem Zustande war er
total verrückt und gelobte brüllend, die Herrschaft dem»
nächst erschiessen zu wollen. Montag bat er dann denVer-
walter unter Tränen um Verzeihung und schwor dass
sich derartiges nie wieder ereignen solle. So kamen
die beiden ganz gut miteinander aus.

Das Gesicht des Verwalters war noch rot vom
Aerger.

Furchtbar, was einem der Kerl zu schaffen gibt!
Na aber diesmal gibts keinen Pardon! Jetzt fliegt er
hinaus und wenn er Hungers stirbt. . .

Es wird nichts so heiss gegessen — dachte ich mir
Auch ist die Mühle heute nicht gerade leicht zu ver-
pachten.

Ich woilte das Gespräch von Marsics, dem ietzt
sicher wieder der Schädel brummte, ablenken und
fragte:

Kennen Sie die serbischen Volkslieder, die hier
gesungen werden?

Habe was Klügeres zu tun, als mich darum zu
bekümmern meinte er noch immer schlecht gelaunt.

Da wissen Sie also auch nicht, wer Jvan Ranko
ist?

Das soll ich nicht wissen? Er arbeitet doch bei
mir und ist drüben in Almäs zuhause.

Ranko der Held? Von dem das Lied meldet?

Ach \yas, hierzulande wird sehr bald von Einein
gesungen.

Und weshalb ist Ranko ein Held?

Er hat seine Frau erschlagen — zwei Jahre mögen
es her sein.

Da sitzt er jetzt wohl im Zuchthaus?

I wo I Kein Geschworner in der Stadt hätte den
Mut, den Angeklagten schuidig zu sprechen, den das
Volkslied einmal zum Helden gemacht hat. Uebrigens
war ich in dem Prozess damals selbst Geschworner.

'Und sie haben ihn auch freigesprochen?

Natürlich I

Erzählen sie doch, wie trug sich der Fall zu?

Ranko heiratete eine rumänische Dirne aus Ge-
sztenyes drüben. Solche Heiraten sind bei uns ziemlich
selten — die hiesigen Bauern haben für ihre rumänischen
Brüder nicht viel übrig. . .

War sie wenigstens schön?

Na — sol Die Mädchen aus Gesztenyes sind alle
gleich. Nicht hässlich, aber so — wie soll ich sagen —
sie haben so wässerige, schwarze Augen und grosse,
weisse Zähne. Mit fünfundzwanzig Jahren sind sie
alte Weiber. . . Die Bauernweiber hier tragen alle
Lasten auf dem Rücken, die aus Gesztenyes aber alles
auf dem Kopfe; daher ihre kerzengrade, stolze Haltung.

War natürlich ein schlechtes Ding, das Mädel?

Wie alle aus Gesztenyes Die Rumänen im

Krassöer Komitat, die durchwegs gute Landwirte und

ehrsame Bauern sind, verachten das Dorf nicht ohne
Grund. Ich glaube freilich, dass die Verderbtheit dort
nur den sommerlichen Badegästen aufs Kerbholz zu
schreiben ist. . . pang0 heiratete im Herbst und im
Frühjahr darauf hatte ihn Milka— so hiess das Weibs-
bild — schon stehen gelassen. lrgend einem junge*
Burschen zu Liebe. Den ganzen Sommer hindurch
hauste das nichtsnutzige Paar draussen in einer leer-
stehenden Wächterhütte. . .

Hatte Ranko die Frau gern?

Weiss Gott! Das Bauernvolk ist in solchen Dingen
schamhafter als man glaubt und schwer zu durch-
blicken . . Wissen Sie, was ich mir oft denke?
Wenn so Euere literarischen Bauern aus den Volks-
stücken, die von Liebe und Liebesgram singen —
wenn die einmal in die Dörfer herkämen — — die
Leute würden sie für wahnsinnig halten . . . Ich weiss
nur, dass Ranko jeden Sonntag nach der Messe zu
jener Wächterhütte hinaufging und seine Fzau bat, zu
ihm zurückzukommen Von sich wird er wohl nicht viel
gesprochen haben, sondern eher von seiner Kuh, den
zwei Ferkeln und dem Geflügel, mit dem er ohne
Frau nicht fortkomme. . . Milka aber lachte ihm ins
Gesicht.

Ein so schlapper Kerl war der Held?

Noch viel schlapper. . . lm Herbst musste der
Galan Milkas zum Militär einrücken und da kam dann
die Frau ungebeten nach Hause. Ranko empfing sie
offenen Armen Der arme Kerl arbeitete damals wie
ein Lasttier, nur um die Frau mit bunten Tand be-
hängen zu können. . . Im Frühjahr darauf lief sie jhm
wieder davon. Damals verdingte sie sich beim Ver-
walter der Radvänyschen Herrschaft als Magd oder der-
gleichen . . Der Verwalter war ein hübscher, junger
Mensch, so eine Art Dorf-Don-Juan . Ranko stahl
sich nun jeden Sonntag vor die Türe des Verwalters,
und wenn es irgendwie anging, sprach er Milka wieder
von der Kuh, den Ferkeln und dem Geflügel. . . Irn
Winter heiratete der Verwalter die Tochter eines Wem-
händlers aus Krassö, und die junge Frau hatte natürüci
nichts Eiligeres zu tun, als Milka fortzujagen. . .

Und Ranko nahm sie wieder zurück.

Freilich. Nicht nur diesmal, sondern noch in ■
ganz ähnlichen Fällen Denn bei der HaupWe'hand cng
wurde nachgewiesen, dass Milka von aliem Uebr : ; c:
abgesehen - ihrem Mann im ganzen sechsma da\ n
gelaufen war. Ihr letzter Geliebter war wieder jener
Verwalter. Der hatte sich nämiich mit seinem

Schwiegervater wegen der Mitgift entzweit und ihm im
Aerger seine Tochter zurückgeschickt. . Damals

stolzierte Milka für kurze Zeit noch einmal in der
Verwalterwohnung einher . . . Das nahrn ein Ende,
als der Verwalter sich mit seiner Frau und deren
Vater versöhnte und jenseits der l> • ein Gut
pachtete. . . Milka bekam eine seh e rotseidene
Schürze und war mit einem Male wiecor bei Ranko
Das sah so aus, als hätte sie das nderliche Umher-
treiben satt bekommen. Sie küm.nerte sich nicht mehr
um die jungen Burschen, sass ruhig bei ihrem Mann
und besorgte auch das Hausv. o en. . .

Und warum musste sie J n doch sterben?

Hm . . Damals bei uer iauptversammlung habe
ich die Sache begriffen . . heute kann ich es Ihnen

nicht mehr recht erklären. Diese Südslaven sind eben
eine ganz andere Masse als urisere ungarischen
Bauern. . . Es gibt vielleicht kein zweites Volk, das
soviel zu erdulden vermag, aber auch keines, das beim
allergeringsten Anlass so zu toben beginnnt . . Im
übrigen glaube ich fast, dass diese Leute in höherem
Masse unter der Macht jener geheimnisvollen Kräfte
die man insgesamt als Schicksal zu bezeichnen pflegt,
Zu jener Zeit feierte irgend ein Verwandter Rankos
im Dorf seine Hochzeit, wobei es, wie sie wissen,
hierzulande immer hoch hergeht. Auch Milka hatte sich
in Gala geworfen und jene rotseidene Schürze angelegt,
die sie vom Verwalter bekommen hatte. Ranko ärgerte
sich darüber und es gab einen kieinen Streit Obwohl
Milka ihm gerade damals in allem gehorchte, gab sie
nicht nach und ging schliesslich allein zur Hochzeit . •

Die rote Schürze hatte sie anbehalten . . .

Und Ranko?

Ranko schärfte sein Beil in dem Stall, ging dann
seiner Frau nach und erschlug sie vor den Augen der
versammelten Hockzeitsgäste. Als sie tot dalag, löste
er ihr die rote Schürze vom Leib, trug diese in die
Küche und verbrannte sie Dann küsste er Milka so-
wie alle, die zugegen waren, sagte nichts als: Ser-
bische Brüder betet für mich! und schritt gradew'egs
zur Gendarmerie. Vor Gericht verteidigte er sich damit,
dass ihm sein Herz befohlen habe, so zu händeln . .
 
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