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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

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Nr. 49 (Februar 1911)
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Kurtz, Rudolf: Séance
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Unger, Erich Walther: Nietzsche, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0394

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mit meinem Freunde vom Zaun — der antwortet nach-
lässig und mit viel selbstverständlicher Bildung im Ton.
Die D’ime rechts tönt mich mit gemessenem Ernst an:
„Pardon — mein Herr — wir — wollen — dochl —
etwasll — andächtiglll — sein.“

Ich schrumpfe in mein bürgerlichstes Format zu-
sammen. Ein Seitenblick auf das Medium und seinen
Gatten belehrt mich, dass mein Eindruck in einem
peinlichen Missverhältnis zu meiner Absicht steht und
ich fühle deutlich: unter dem Vorwand der Trance
wird mir das gute Mädchen die unerhörtesten Dinge
sagen —

Die Zigarre wird mir höflich entwunden. Eifriger
wird die Kette gebildet. Ich fiihle eine leichte Starre
im Oberarm: aber der strenge Blick meiner Nachbarin
rechts beweist m r die Unmöglichkeit, etwa den Arm
einen Augenblick zuriickzuziehen

Ein Zucken blitzt durch die Hände. Langsam
richtet sich der Tisch auf. Natürlich nach der Seite
des Gattenl He he he. Ich blicke ihn gütig Iächelnd
an: seine Hände sind fest auf den Tisch gepresst.
Der Tisch wippt beständig. Ich übe e nen leichten
Gegendruck aus: er bleibt stehen. Aber die Hände
des Gatten gleiten nicht aus (wie sonst, wenn ich im
Freundeskreis diesen Scherz machte) Er bleibt ruhig
und gelassen sitzen. Auch das Medium hat sein
berlinisch betontes Madonnengesicht versteinert.

Aber plötzlich beginnen die Hände des Mediums
zu zittern. Sie gleiten vom Tisch herab und iiegen
mit gespreizten Daumen auf den Schenkeln. Die
Augen schliessen sich und der Atem wird hörbar. Der
Körper zittert und zuckt: mit sorglichem Stolz schiebt
ihm die Mutter ein Kissen in den Rücken Ihre Hände
liegen bebend auf den Schenkeln. Sie krümmen sich
— und jetzt führen sie seltsame Beweeungen aus,
Bewegungen, die etwas Sinnlos-Erotisches haben Ahal
Ich schiele nach dem Gatten: aber der macht einen
ungemein soliden Eindruck. Ausserdem gibts ein halbes
Dutzend Kinder, wie ich irgendwoher weiss.

Ein glückliches erlöstes Lächeln zieht ihre Lippen breit.
Ein ganz aufstöhnendes, wunscherfülltes Lächeln, das
ganz genau in gewisse Situationen passt — nun,
auch dafür wird jeder ein paar Erinnerungen an gut
verbrachte Nächte bereit haben. Das Lächeln wird
immer überirdischer, unstofflicher. Die Atemgeräusche
werden imme rhörbarer Die Lippen zerren und spitzen
sich fortwährend, die Zitterbewegungen der Hände haben
ein höchst belebtes Tempo. — Ein Ruck durchschlägt
ihren Körper, die Lippen bemühen sich krampfhaft,
irgend einen Laut zu artikulieren und plötzlich entringt
sich ihren immer noch selig lächelnden Lippen ein
ganz fremder heiser männlicher Schrei Zitternd
gluckst es fast aus ihr heraus: I..i..i..i .ichl

Die Dame rechts fragt mit feiertäglicher Güte.
„Ist ein Geist da?“

Keine Antwort. Das Medium Iiegt ruhig atmend
im Kissen.

Ganz unerwartet richtet es plötzlich senkrecht auf
und schreit:

„Eine böse böse Tatl“

Und sein Arm, ein halbentblösster rundlicher Arm,
den ich irgendwo einmal bei emer Milchfrau gesehen
habe, hebt sich schwankend, er hängt geradezu wage-
recht in der Luft, die Finger sinken zögernd und
schlaff herab; nur der leicht gekrümmte Zeigefinger
bleibt in der Luft schwimmen. Die Augen sind fest
geschlossen. Der Arm schwankt in einem Halbkreis
an uns vorbei und bleibt dann ungefähr in meiner
Richtung hängen. Dann stösst sie heiser und von
innerem Frost geschüttelt hervor:

„Eine böse böse Tatl“

Schneidend fährt mir eine dünne Nadel durchs
Rückenmark.

„Sie meint Sie“ flüstert ernst und milde meine
Nachbarin, „passen Sie auf.“ Und dann laut: „Bist
du ein Verwandter von diesem jungen Herrn?“

„lch kann nicht ... ich kann nicht“ stöhnt es.
Und dann klappern ihre Lippen und es fällt wie eine
polierte Kette heraus: „Ja ja ja ja jal“

Ich stehe gleichsam unter Willenshochdruck. Ich
bin fest entschlossen, alle Erregungen an mir abgleiten
zu lassen. Ich bin wie ein Präzisionswerk gespannt
und kalt wie Stahl.

„Wasserl“ fährt ihre Hand fiach durch die Luft.
„Lauter, lauter Wasser.“ Das Schütteln packt sie
wieder. Sie fröstelt sichtbar, „Ganz, ganz allein.
Hundert Jahre über diesem grossen Wasser. (Ihre
Stimme schwillt zu einem hohlklingenden Theater-

pathos an.) „Und Klippen, überall Klippen. Und die
Bote sind so klein (die Stimme sinkt rapide zusammen)
Die Bote sind so klein. Ganz rot wie Flammen und
braun wie Blut.“

Natürlich: Fragmente einer lyrischen Situation aus
einem Kolportageroman. Das stört mich garnicht.
„Die Totenfelder von Sibirien“ oder so.

„Ganz . . . ganz allein. Und die Schuld ist so

gross, so gross, Hu, hu, hul Wie kalt, wie kaltl“

Der Ton ist grauenvoll Ich habe eine furchtbare
Angst, dass sie mir die peinlichsten Dinge über meine
Zunkunft sagen wird. Und dann will ich diesen
grässlichen Arm vor meiner Nase weg haben. Ich
sage im kühlsten Ton zu meiner Nachbarin rechts:
„Pardon, ich möchte der Dame den Aufenthalt gern
ersparen. Es scheint ihr doch unangenehm zu sein.
Und ausserdem habe ich ein beschämend geringes
Interesse für Auskünfte über mich.“

Ich ernte einen gemessen abweisenden Blick ein.
Weiter nichts. Die Dame links hat sich allmählich
in eine schwarze Wallnuss verwandelt. Das Medium
ist ruhiger geworden. Der Arm ist auf den Schoss
herabgesunken Sie schläft. Die Walnuss steckt plötz-
lich einen Oberkörper hervor.

„Jetzt kommt n neuer Jeist“ flüstert sie. „Immer
wenn se schläft, kommt n neuer Jeist.“

Und nun wird mein Freund vorgenommen-

„Lieba Jeist, willste vielleicht, dass wa dunkel
machen?“ höre ich aus einem leichten Schlafe Iinks.

„Ja jal“ weckt mich mit hellem profetischen Ruf
das Medium. Ein heisser Schauer schwirrt mir über
die Haut.

„Aber mir Iiegt gerade an der Beobachtung des
Gesichts, gnädige Frau“ wende ich mich nach rechts.

„Sie haben wohl Angst?“ bemerkt der Gatte
hämisch, indem er nach der andern Seite sieht.

Ich bin überaus höflich und gefällig. „O nein,
durchaus nicht, nur sind die Bewegungen so ungeheuer
interessant . . “

„Ach det wird nich anders. Det bleibt ebenso, wie
Sie et eben jesehn haben“ höre ich leise links.

Und es wird pechschwarz im Zimmer. Um den
Vorhang sehe ich bei angestrengtem Hinstarren ein
leichte graue Kontur.

Ich fühie mich ganz auf mich angewiesen. So ge-
lähmt. Die hohen Semester zu meinen Seiten schliessen
jeden Versuch sich seiner Aktivität zu versichern aus.
Stumpf gegen jeden Vorwurf, mein Blut hat eine leicht
schäumende Siedehitze, reisse ich meine Hand aus der
Kette, bereit, jeden anzubrüllen, der das geringste sagt
und packe roh meine Uhr an. Ihr Gehwerk scheint
mir etwas so unerhört Menschliches, Beruhigendes,
Weltliches zu haben.

Die andere Hand ist mir längst erstarrt. Und
dann fühle ich, wie meinem Gehirn durch die Wärme
aller Widerstand entzogen wird. Es ist eine willenlose,
lau zischende Masse.

„Da da I “ fährt eine schrille Stimme in der
Finsternis auf. „Da dal“ Ich kann kaum schlucken,
ich habe das Gefühl, tausend Hände pressen sich um
meine Gurgel. Dann wieder eine schläfrige Stille.

„Mitunter sehen wir weisse Wölkchen“ flüstert mir
meine Nachbarin zu.

„Manchmal auch alierlei Gestalten“.

Das Medium spricht plötzlich mit einer ganz
erkalteten toten Stimme:

„Es kommt, es kommtl“ Sie singt diese Worte
feierlich und langgedehnt. Plötzlich zuckt es vor mir
wie ein elektrisches Strahlenbündel auf: ich fühle, ihre
zeigende Hand schwimmt direkt vor meinen Augen.

„Kugelnl Spitze Kugeln I Runde Kugelnl Lauter
siiberne Kugelnl kreischt sie plötzlich. „Sie rollen sich
auf, lauter Bänder, weisse Bänderl Sie wickeln sich
um die Arme, sie wickeln sich um die Armel Ha
ha hal“ Ich habe nie ein so satanisches Lachen ge-
hört. Es klirrt wie zerbrochenes Glis. Mein Schädel
tobt. Meine gut dressirte Selbstbeobachtung kündigt
mir an, dass eine Ohnmacht in nächster Nähe ist.

„Er kann sich ja nicht bewegen!“ kreischt sie
schrill.

„Ueberall sind die Geister, überall! Da da da dal
Er kann sich ja nicht bewegenl“

Vor mir zischen weisse Kugeln auf. Ich fühle,
wie sich irgendwo ein graues zähes Band um mich
schlingt. Ich muss ja vor innerer Erregung keuchenl
Ich muss ja arbeiten wie eine Maschinell

Ganz klar und einfach sagt mir irgendwo eine
Stimme: „Mein Lieber, du bist~in einer Autohypnose
und hallunzinierst.“

Das Medium kreischt entsetztlich. „Er schlägt
mich . . er schlägt mich . . Betet doch, so betet
doch . . . hi hi hi sie halten ihn ja fest!“

Irgend etwas berührt mich in dieser schrecklichen
Dunkelheit. Irgend etwas Warmes. Eine breite Kälte-
welle jagt mir durch durch den Körper und schiesst
spitz ins Gehirn. Ich breche los, ich kann nicht
mehr. „Machen Sie a tempo Lichtl“ brülle ich. Ich
springe auf und schlage fast um mich. „Machen Sie
Lichtl“

Ich greife rasend nach meinem Feuerzeug — es
funktioniert nicht. Es fliegt in eine Ecke.

„Betet . . .“ schrillt eine grässliche Stimme. Ich
verstehe nichts mehr. Ein wildes Gekreisch von Ge-
räuschen. Ich habe das Gefühl, dass das Medium
dicht vor mir steht.

Die Lampe brennt. Ganz weiss steht mit ge-
schlossenem Augen das Medium vor mir. Die Augen-
brauen sind weit hochgezogen. Sie lächelt — fast ein
Lionardolächeln. Und die Arme sind dicht an den
Leib gepresst, wie angriffsbereit — anderthalb Meter
von mir.

Ich stürze irrsinnig heraus. Irgendwoher packe
ich Mantel und Hut. Gottseidank es brennt noch
Licht im Haus.

Es regnet giessbachartig. Es beruhigt mich
wundervoll. Der tram jagt mir tausend Ängste in
den Körper. Ich laufe im strömenden Regen den
Stundenweg nach meiner Wohnung. Ich höre das
feuchte Schlürfen der glitschrigen Landstrasse. Wenn
ich aufblicke, saust senkrecht ein strahlender Ball vor
meinen Augen herunter. Und ich weiss, wenn ich
mein Zimmer betrete, wird sich ein anderes Ich mit
der liebenwürdigsten Miene von der Schreibmaschine
erheben, die Pfeife aus dem Mund nehmen und mich
willkommen heissen. Es ist mir eiskalt vor Angst. —

Ich habe mich für die Zukunft mit reichlichen
Traumen versehen. Von den Belästigungen der Nacnt
habe ich nur noch ein leichtes Angstgefühl. Ich weiss
nur noch, das sich durch die lautlos geöffnete Tür
ein hängender halbentblösster Arm hereinschob und
mit dem kraftlos zitternden Zeigefinger auf mich wies —
Danke! — Dankell

Nietzsche

Von Erich Unger

Und während er sich hinaufrang, seinen höchsten
Gedanken auszusprechen, sass der Zwerg auf ihm:

„Lahm, Lähmend; Blei durch mein Ohr, Blei-
tropfen-Gedanken in mein Hirn träufelnd:

„O Zarathustra", raunte er höhnisch Silb’ um
Silbe, — Du Stein der Weisheitl

Du warfst Dich hoch, aber jeder geworfene Stein
muss — fallen:

„O Zarathustra“, Du Stein der Weisheit, Du
Schleuderstein, Du Stern-Zertrümmerer:

Dich selber warfst Du so hoch — aber jeder ge-
worfene Stein — muss failenl

Verurteilt zu Dir selber und zur eigenen Sleini-

gung: .

„O Zarathustra“, weit warfst Du ja den Stein
aber auf Dich wird er zurückfallen 1“

Nie sprach ein Mensch furchtbarer seine Vernich-
tung aus als hier; freilich er wähnte es damals anders:

„Halt! Zwerg!“ sprach ich-„Du kennst

meinen abgründlichen Gedanken nichtl Den — könn-
test Du nicht tragen. Ich oder Dul Ich, aber bin
der Stärkere vou uns Beiden.“

Dies war sein Tod — Irrtum:

Der Zwerg war der Stärkere von Beiden.

Worauf ruhten alle Gedanken, die tausend vom
Geiste geschaffenen Wirklichkeiten?

Seinen Leib stellte er hin für die Träger des
kritischen Denkens, auf seinem Selbst, auf seinem
Blute, trug er die unermessliche Last seiner Wahr-
heiten — — —

Aber das Spannungsschweben des Geistes, der auf
Nichts als auf seine eigene ungeheure Kraft gestützt,
sich selber in die Nähe aller Geheimnisse trug, war
nkht zu halten.

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