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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

DOI issue:
Nr. 32 (Oktober 1910)
DOI article:
Przybyszewski, Stanisław: Das Geschlecht, [2]
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0257

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Umfang acht Seiten

Einzelbezug: 10 Pfennlg

DERSTURM

WOCHENSCHRIFT FÜR KULTUR

UND DIE KÜNSTE

Redaktion und Verlag: Berlin-Halensee, Katharinenstrasse 5
Fernsprecher Amt Wilmersdorf 3524 / Anzeigen-Annahme und
Geschäftsstelle: BerlinW35, Potsdamerstr. 111 / Amt VI 3444

Herausgeber und Schriftleiter:
HERWARTH WALDEN

Vierteljahresbezug 1,25 Mark j Halbjahresbezug 2,50 Mark/
Jahresbezug 5,00 Mark / beä freier Zustellung / Insertlons-
preis flir die ftinfgespaltene Nonpareillezelle 60 Pfennig

JAHROANO 1910 BERLIN/DONNERSTAG DEN 6. OKTOBER 1910/WIEN NUMMER 32


Zeichnung von Oskar Kokoschka:

Die Erstebeste darf der siißen Lilith das Haar kämmen. Schreib baldt

INHALT: STANISLAW PRZYBYSZEWSKI: Das
Geschlecht / PETER HILLE: Das Mysterium Jesu /
MAX BROD: Flaubert / ELSE LASKER - SCHÜLER:
Der Sohn der Lilame / PETER ALTENBERG: Djellah /
PROGRESS : Fortschritt! / R K. NEUMANN: Herr
Busse zog ilber die Hiigel / TRUST: Die neue Sezession /
ALFRED LICHTENSTEIN: Kuno Kohn / Programm-
schmuck Berliner Theater

Däs Geschlecht

Von Stanislaw Przybyszewski

Immer und wieder dieselbe urewige WahrheitJ
Warum sie denn fortwährend wiederholen, wanim
so viele Variationen über dasselbe Thema? Aber
fürwahr: Millionenmal öfter wiederholt sich jdie
ewige Lüge.

Die inenschhclie Seele ist allzudicht mit gif-
tigem Unkraut bewadhsen, und es wäre höchste
Zeit, das Körndhen Wahrheit zu pffegen und zu
behüten, bevor die Seefe ganz verdorrt und ver-
faul't ist.

Denn idh habe in der Tat nichts Neues gesagt!

Sdhön und heilig war die Macht des Oe-
sdhlechtes, und fast eine religiöse Zeremonie, voll
tiefer Mysterien war der Oesdhtechtsakt für die
Menschheit, die noch nicht durch die Syphilis der
judaistischen Moraf infiziert war.

Im Himmel und auf Erden thronte unum-
sdhränkt die Schäumgeborene, die furchtbare, aber
göttfidhe Astaroth und Mylitta; in der Form' des
Phaflus bäute man Tempel und Heiligtümer, und
selbst die tugendhaften, römischen Matronen trugen
den Phallus als Amulet auf ihrer Brust. Der Oe-
sdhfechtsakt war ein Sakrament, das zu Ehren der
Oottheit in den Tempelhöfen und heiligen Hainen
gefeiert wurde, und die Offenbarung dieser hehren,
dieser feierfichen und schönen Geschlechtskultur,
das ist die unerhörte Pradht der Antike, ihre
Wiedergeburt in dem: göttfichen Wunder der
Renaissande und die überfeinerte, aristokratische
Anmut und der Zauber der Kuftur des adhtzehhten
Jahrhünderts.

Der Judaismus hat das QesChfecht erniedrigt
und in den Kot getreten, er hät die Liebe kastriert
und erfaubte ihr nur als einer lädherlichen, |ver-
balen Kategorie zu leben, in den Höhlen den Ana-
dhoreten, in den kranken Hirngespinsten hysteri-
sdher Nonnen, :;in Idem üestammef zahnloser Mönche,
afs Liebe zu Jesus uhd Maria.

Aber trptzdem: wie viell von dem jnten-
sesten, gesdhfechtlichen Elan verbirgt sich nicht in
der Refigion des Mittelalters!

Der Oesdhfedhtstrieb als solcher wurde zum
Verbredhen und zur ekefhaften Sünde, das Nackte
zur sdhändfidhen Schüm und der Oeschiechtsakt zu
einer stinkenden Pfütze, in der das widerfidhste
Ungeziefer gedeiht.

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