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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

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Nr. 15 (Juni 1910)
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Weininger, Otto: Der Hund
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Rittner, Tadeusz: Théatre paré
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https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0120

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sehr deutlich empfunden. Der Teufel wählt bei ihm
den Leib eines Hundes. Während Faust im Evan-
gelium laut liest, bellt der Hund immer heftiger: der
Haß gegen Christus, gegen das Qute und Wahre.

Ich bin, wie ich bemerke, gar nicht von Qoethe
beeinflußt. Die Heftigkeit jener Eindrücke, Erre-
gungen und Qedanken war so groß, daß ich mich
an den Faust erinnerte, jene Stellen hervorsuchte
und nun zum ersten Male, vielleicht als erster
überhaupt, ganz verstand.

Ich führe nun weiteres an:

Der Hund handelt, als ob er die eigene Wert-
losigkeit fiihlen würde; er läßt sich vom Menschen
schlagen, an den er sich gleich wieder herandrängt,
wie stets der böse Mensch an den guten. Diese
Zudringlichkeit des Hundes, das Hinaufspringen am
Menschen, ist der Funktionalismus der Sklaven.
In der Tat haben Menschen, welche rasch fiir sich
zu gewinnen suchen, und doch sogleich so sich
schützen gegen Angriffe, Menschen, die man nicht
abschütteln kann, Hundegesichter, Hundeaugen.
Hier erwähne ich zum ersten Male jene große Be-
stätigung meines Qedankensystems. Es gibt
wenige Menschen, die nicht ein oder mehrere Tier-
gesichter haben; und jene Tiere, denen sie ähneln,
gleichen ihnen auch im Benehmen.

Die Furcht vor dem Hunde ist ein Problem;
warum gibt es keine Furcht vor dem Pferde, vor
der Taube? Sie ist Furcht vor dem Verbrecher.
Der Feuerschein, der dem schwarzen Hunde (viel-
leicht dem bösartigsten) folgt, ist das Feuer, die
Vernichtung, die Strafe, das Schicksal des Bösen.

Das Schweifwedeln des Hundes bedeutet, daß
er jedes andere Ding als wertvoller anerkennt als
sich selbst.

Die Treue des Hundes, welche so gerühmt
wird, und die viele den Hund für ein moralisches
Tier halten läßt, kann mit Recht nur als Symbol
der Qemeinheit gefaßt werden: der Sklavensinn
(das Zurückkehren nach den Schlägen ist kein
Vorzug).

Interessant ist es, was der Hund anbellt; es
sind im allgemeinen gute Menschen, die er anbellt,
gemeine, hündische Naturen nicht. Ich habe an mir
selbst beobachtet, daß ich von Hunden umsomehr
angebellt wurde, je weniger Aehnlichkeit ich
psychisch mit ihnen hatte. Merkwürdig ist nur, daß
die Dienste des Haushundes gerade gegen den Ver-
brecher in Anspruch genommen werden.

Die Hundswut ist ein sehr merkwürdiges Phä-
nomen, vielleicht der Epilepsie verwandt, in welcher
dem Menschen ebenfalls Schaum aus dem Munde
tritt. Beide werden von der Hitze begünstigt.

Wenn der Hund nicht wedelt, sondern den
Schweif starr und gerade hält, dann ist Qefahr, daß
er beißt: das ist die verbrecherische Tat, alles
andere, auch das Bellen, nur Zeichen der bösen Qe-
sinnung.

Hunde unter den Menschen in der Literatur sinü
der alte Ekdal in Ibsens „Wildente“ und am groß-
artigsten Minutte in Knut Hamsuns Roman „My-
sterien“. Viele sogenannte „alte Magister“ reprä-
sentieren den Hundetypus unter den menschlichen
Verbrechern.

Denn daß es noch andere Verbrecher gibt, das
beweisen die Schlange, das Schwein.

Sehr bedeutend ist auch das Schnüffeln des
Hundes. Hierin liegt nämlich Unfähigkeit zur
Apperzeption. Qanz wie der Hund, so wird auch
die Aufmerksamkeit des Verbrechers durch einzelne
Sachen ganz passiv angezogen, ohne daß er weiß,
warum er sich ihnen nähert oder sie berührt: er hat
eben keine Freiheit mehr.

Daß er auf die Wahl überhaupt verzichtet hat,
kommt auch in der Regellosigkeit der Rreuzung
des Hundes mit irgend welcher Hiindin zum Aus-
druck. Diese wahllose Vermischung ist vor allem
eminent plebejisch und der Hund ist der plebejische
Verbrecher: der Sklave.

Ich wiederhole nochmals: es ist Blindheit, den
Hund als ethisches Symbol zu betrachten; selbst
R. Wagner soll einen Hund geliebt haben (Goethe
scheint in diesem Punkt tiefer geblickt zu haben)
Darwin erklärt das Wedeln des Hundes als „Ab-
leitung der Erregung“ („Ausdruck der Qemütsbe-
wegungen“). Es ist natürlich der Ausdruck der
ärgsten Qemeinheit, der unterwürfigsten Devotion,
die auf jeden Fußtritt gefaßt ist und um alles nur
mehr bettelt.

Aus detn nachgelassenen Band von Otto Weininger: Ueber
die letzten Dinge/Verlag Wilhelm Braumiiller Wien. Oeschlecht
und Charakter/Eine prinzipielle Untersuchung, das Lebenswerk
des Autors erschien soeben in zwöllter Auflage beim selben Verlag.
Otto Weininger und seine Schriften sollen demnächst an dieser
Stelle ausführlich geehrt und gewürdigt werden.

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Theatre pare

Von Thaddäus Rittner

Vier kleine Szenen

Ort der Handlung: Die Hölle. Zuschauer-
raum des Röniglich Beelzebubschen Hoftheaters
während einer aus Anlaß des Qeburtstages der
Königlichen Favoritin, Mala, veranstalteten Gala-
vorstellung. Logen und Fauteuils des ein wenig
konventionell eingerichteten, in dem üblichen
Dunkelrot gehaltenen Saales sind von dem vor-
nehmsten, ausschließlich geladenen Publikum
besetzt.

Erste Szene

Im Parterre: Zweiter Zwischenakt. In der zehnten
Reihe sitzt der Direktor der Königlichen Milch-
meiereien (zu Lebzeiten Reporter des „New York
Herald“), neben diesem der Rezensent des „roten
Couriers“ (zu Lebzeiten Dragonerleutnant); hinter
ihnen (elfte Reihe) der Polizeipräsident (zu Leb-
zeiten bekannter Lebemann) und der Inspektor der
städtischen Wasserleitung (zu Lebzeiten impressio-
nistischer Maler)

D i r e k t o r

Sie stimmen schon die Instrumente. Qleich beginnt
die Vorstellung.

Rezensent

Unsinn. Die Vorstellung hat vor anderthalb Stunden
begonnen.

Polizeipräsident

Ist der Direktor taub und blind?

I n s p e k t o r

Eigentlich nicht. Vor seinem Tode war er der
pfiffigste Reporter in Amerika. Er wußte die üegen-
wart und die Zukunft. Er hörte in New-York wie in
Athen das Qras wachsen.

Polizeipräsident lächelnd
Beelzebub straft ganz witzig.

Rezensent zum Polizeipräsidenten; schadenfroh
Unterhalten Sie sich?

Polizeipräsident mürrisch
Danke.

Rezensent

Sie haben nämlich am meisten gestöhnt.

Polizeipräsident

Wir alle haben gestöhnt.

Rezensent

Streng genommen sind wir ja nicht zu unserem Ver-
gniigen hier.

E i n e D a m e

Das Stück ist übertrieben.

Rezensent

Es ist lebenswahr. Es ist nüchtern wie ein
Regentag.

I n s p e k t o r zögernd

Ich bin nicht sehr fiir den Naturalistnus.

Polizeipräsident schmerzlich

Das Stück ist meine Privatangelegenheit. Ich be-

greife nicht wie meine ehemaligen Charakterfehler

die anderen amüsieren können.

Rezensent lächelnd

Mir scheint, die Technik des Höllen-Dramas ist Ihnen
heute noch ein Rätsel.

Inspektor

Das Stiick hat mein ehemaliges Leben zum Inhalt.
Ihr amüsiert euch auf meine Kosten.
Polizeipräsident

Ihr Leben hat mit meiner traurigen Affäre, die der
Autor zu einem Drama gestaltet, nichts zu tun.

I n s p e k t o r

Erlauben Sie freundliehst . . .

Rezensent

Der Autor behandelt in seiner genial rücksichts-
losen Weise meine Streichung aus der Offiziersliste:

Polizeipräsident erstaunt
Welcher Autor?

Rezensent ungeduldig

Beelzebub — selbstverständlich. Haben Sie hier ein
Stück gesehen, das nicht von Beelzebub wäre?

Inspektor

Um aber auf die heutige Komödie zurückzukommen.
Rezensent

-Es ist dumm Wechsel zu fälschen.

Inspektor

. . . So schäme ich mich jetzt umsomehr meine
alkoholischen Leidenschaft als das Trinken für micl
jeden Reiz verloren hat. Es ist sinnlos und tragiscl
daß der französische Rotwein mein großes Taler
getötet hat.

Polizeipräsident

Ich habe den Mann meiner Qeliebten mit Cyankal
getötet. Aber das kommt erst im nächsten Akt.

E i n e D a m e

Der Autor ist ungerecht . . .

Inspektor

Er ist leider die Qerechtigkeit selbst.

E i n e D a m e

. . . Ich war niemals so herzlos, wie ich in den
Stück geschildert werde.

Polizeipräsident

Ich werde von dem besten Schauspieler des Per-
sonals kreiert. Er faßt mich ganz richtig als Idioter
auf. Und darauf ergibt sich zugleich die Moral de!
Qanzen; das größte Uebel ist die Dummheit. Haber
Sie bemerkt, wie dem Darsteller des Mannes meinef
Qeliebten alle Extremitäten zitterten? Er war eit
Krüppel; ich hätte ihn zum Duell fordern sollen, am
statt ihn zu vergiften.

I n s p e k t o r leise

Der Vorhang geht wieder auf. Mein Atelier. Die
Tapeten sind rot wie Chateau L.afitte . . . Pfui . . 1
Ich war ein Selbstmörder. Stöhnt
Rezensent leise

Die Biihne stellt das Militärgericht dar. . . Stöhnt
E i n e D a m e leise

Ueber die Straße geht eine zerlumpte Dirne--]

meine Tochter. — Weii ich sie angeblich aus derh

Hause gejagt habe.-Der Autor übertreibt-'

Mehrere Stimmen leise
Ach, unerträglich . . .

Rezensent leise

Ich werde das Stück verreißen. Ich Iasse mich nicht
so unbarmherzig quälen.

D i r e k t o r ganz laut

Wann beginnt denn endlich die Vorstellung?

Mehrere Stimmen

Ruhe, Ruhe! . . .

Zweite Szene

Im F o y e r : Dritter Zwischenakt. Beim Buffet
steht eine korpulente, dekolletierte Hofdame im leb-
haften Gespräch mit dem Rezensenten
H o f d a m e seufzend

Drei Akte der entsetzlichen Posse sind voriiber . •
Rezensent

Frau Qräfin gestatten, es ist eine Tragödie.

H o f d a m e

Jedenfalls ist sie schlecht. So ist nicht das Leben.
Rezensent

So ist das Leben. Und darum ist sie schlecht.

H o f d a m e

Der Autor ist parteiisch.

Rezensent

Das behaupten nur die Frauen in der Hölle. Die
Damen sind in dem Punkt ein wenig farbenblind.

H o f d a m e

Auf jeden Fall habe ich niemals so gelogen . . . Es
ist gemein, wie ich in dem Stück lüge.
Rezensent

Ich hatte leider nicht die Ehre, Frau Qräfin auf der
Bühne zu sehen. Meines Wissens treten in der
Tragödie nur die Offiziere des fünfzehnten Dragoner-
regiments auf.

H o f d a m e

-Hie und da im Leben habe ich natürlich die

Unwahrheit gesprochen. Aber, ich bitte Sie, urfl
was handelt es sich eigentlich im Leben?
Rezensent

Ich kann es zu meinem größten Bedauern nicht
sagen, hochverehrte Frau Qräfin.

H o f d a m e

Um die allgemeine Harmonie.

Rezensent

Ah — sehr hübsch. Aber diese Harmonie wird ebeü
durch Ihre kleinen Unwahrheiten zerstört.

H o f d a m e

Sie wird durch alle möglichen Unwahrheiten zer'
stört. Kommt es auf mich allein an? Lächerlich-
Halte ich mich noch so streng an die Wahrheit, so
lügen dafür Millionen Andere. Ein einziger Bock
 
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