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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

DOI Heft:
Nr. 49 (Februar 1911)
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Kurtz, Rudolf: Séance
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https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0393

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Utnfang acht Seiten Einzelbezug 10 Pfennig

WOCHENSCHRIFT FÜR KULTUR UND DIE KÜNSTE

Redaktion und Verlag: Berlin-Halensee, Katharinenstrasse 5
Fernsprecher Amt Wilmersdorf 3524 / Anzeigen-Annahme
Hannover Artilleriestr 15 und Berlin W 35 Potsdamerstr. 111

Herausgeber und Schriftleiter:
HERWARTH WALDEN

Vierteljahresbezug 1,25 Mark / Halbjahresbezug 2,50 Mark /
Jahresbezug 5,00 Mark / bei freier Zustellung / Insertions-
preis für die fünfgespaltene Nonpareillezeile 60 Pfennig

JAHRGANG 1911 BERLIN / SONNABEND DEN 4. FEBRUAR 1911/HANNOVER NUMMER 49

Das Kamel J

Zrichnung ron Max Fröhlich

INHALTtRUDOLF KURTZ: Seance / ERICH UNGER:
Nietzsche / PAUL SCHEERBART: Der Kaiser von
Utopia / MORITZ KÖNIG: Pubertät / ELSE LASKER-
SCHÜLER: Alfred Kerr / HEINRICH PUDOR: Edward
Carpenter über Walt Whitman / ERNST BLASS: Der
Nervenschwache / TRURT: Jemand will durchaus lachen /
M. R. SCHÖNLANK: Akademie und neue Künstler-
vereinigung / Beachtenswerte Bücher / MAX FRÖH-
LICH: Das Kamel / Zeichnung

Seance

Von Rudolf Kurtz

Man ruft mich an: Willst du einer spiritistischen
Seance beiwohnen?

Was? — aber natürlich . . .

Natüriich. Ich fühle mich keineswegs berechtigt,
meiner gut entwickelten Angstneurose dieses überaus
kräftige Material vorzuenthalten . . .

.... Am Abend habe ich ein Rendesvous mit
meinem Freunde. Wir unterhalten uns ungemein
fliessend. Unter leichten Sprühregen durchqueren wir
enge, leichtverdüsterte Strassen, aus deren Schatten
helle Quadrate herausfallen Kleine Läden mit erregt
plaudernden Frauen, belebte Hausflure — das macht
alles einen so angenehmen vitalen Eindruck In einem
geräumigen Eckrestaurant mit massiven Eichentischen
stürzen wir stehend einen ungemein hellen Kognak
herunter. Dann betretren wir von dickbäuchigen Zi-
garren unterstützt, die Wohnung des Mediums.

Ich werde an der Rückseite eines rechteckigen
Tischchens plaziert. Neben mir breitet sich eine ältere
schwarze Dame mit einer Hornbrille aus, die Patronin
des Kreises. Zur linken eine sorglos aufgeschwemmte,
nicht minder bejahrte Dame, die Mutter des Mediums.
Der spitzbeglatzte Herr mit dem schwarz herunter-
hängendem Gehrock ist der Gatte. Mir gegenüber
gähnt nachlässig mein Freund.

Jetzt tritt das Medium ein. Um die dreissig
herum, gut erhaiten, mit sehr schlichtem bürgerlichen
Extdrieur. Die Arme sind bis zum Ellenbogen ent-
blösst, als wenn sie vom Herd kommt. Und ein
milchig-rundliches Gesicht mit viel Mütterlichem darin.

Das alles hat das Format einer überaus billigen Karri-
katur in einem harmlosen Witzblatt. Man muss sich
überlegen benehmen. Viel freundliche Bereitwilligkeit
und scherzende Ueberlegenheit zeigen.

Die Hände werden flach auf den Tisch ausgebreitet
und gliedern sich zur Kette. Die herabgeschraubte
Lampe wird hinter ein aufgerichtetes Buch gestellt.
Man ist schweigsam: Die Atmosphäre ist mit ailerlei
Vorgefühlen geladen.

Man muss die Situation banalisieren! Man muss
durch beherrschte Ueberlegenheit imponierenl Durch
leichtes Darüberhinweggleiten. Ich blicke angestrengt
auf den grauen Aschekolben meiner Zigarre, und
breche ein absolut unpassendes, fast privates Gespräch

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