Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

DOI Heft:
Nr. 51 (Februar 1911)
DOI Artikel:
König, Moritz: Der Liebhaber
DOI Artikel:
Lasker-Schüler, Else: Franziska Schultz
DOI Artikel:
Döblin, Alfred: Musik nebst Schimpfworten
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0413

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Der feuchte Sand wich starken Schritten. Eine
Frau kam heran. Melis fand sie grösser als irgend
einen der Zenturionen, die in den Militärlagern zu
sehen waren. Um das flammenfarbige Gesicht mit
stark vorgebautem Kinn zerstreuten sich Bänder, die
an einer Stirnbinde hingen. Schleier umwehten den
weissen Stoffhang des Gewandes Der Schritt schnellte
in gebundener Kraft. Das Auge des Verborgenen
zitterte schreckhaft an ihren nackten Armen empor,
die den Umfang von Oberschenkeln haben mussten.
Seine Gestalt zog sich zusammen und eine wonnige,
wilde Furcht überkam ihn, als er ihr mächtiges, nicht
junges Gesicht sah, das wie in Gelbmetall verhärtet
schien. Die Augen waren stark umschattet. Sie ging
an ihm vorbei und er wünschte sich zu ihr und hing
wirren Vorstellungen wollüstig nach. Dann kamen
Zwei in enger Umschlingung. Die Gewänder faltig.
Die schönen, sinnlos lächelnden Gesichter weiss wie
Spielknöchel. Entziindete Augen, violette Lippen, ver-
kündeten die Vergewaltigung der Mädchenkörper durch
eine wahnsinnige Idee der Theokratie. Gierig sah
Melis durch die Bauschfalten der Gewänder ihre langen,
mageren Schenkel, die Beine von Flamingos. Seine
Gedanken irrien zu der riesigen Frau mit dem furcht-
erweckenden Blick zurück. lmmer kamen jetzt neue
Weiber. Kein sicherer Blick mehr, eine Herde
fliehender Schatten mit geknickten Gliedern, lächer-
lichen Bewegungen Unbeachtet, überflüssig; der
italische Morgen. Eine sah sich scheu um, hielt im
Gehen ein und hob, die starken jungen Arme empor-
gereckt, den Kopf zum Licht.

Melis dachte daran, einen Vogel freizulassen, den
er daheim in einem Korbe hielt.

Seine Spannung nahm zu. Diesen brachte er
nichts. „Die in Schönheit und Jugend, hoch und stolz
daherkommen wird und eine grüngoldene Spange am
Arm trägt, der übergib die Botschaft, fern von jedem
fremden Blick.“

Leichte Schritte trugen den Morgen völlig in den
Garten Ein Weisses, Hohes meldete sich an. Sing-
vögel stiessen auf. Er wusste, sie war da. Schleier
und Gewand fügten sich in edlem Wurf. Er sah ihre
Augen inmftten eines gemeisselten Antlitzes von ver-
lorener Schönheit gleich erleuchteten glänzenden Spiegeln.
Da verliess ihn der Sinn für Raum und Zeit, er trat
hervor und hielt ihr das Täfelchen hi.n.

Wieder traf ihn der gehetzte Blick, den auch die
anderen hatten. Die unerwartete Erscheinung eines
wi'den armen Knaben erschreckte sie. Er gab ihr
das Täfelchen und hielt den Finger instinktiv mit jener
tausendjährigen Geste vor den Mund. In grossen
Sätzen sprang er davon. Lange noch fühlte er den
Eindruck ihrer durchdringenden Lieblichkeit, er sah
ihre Lippen sich zu ausdrucksvoller stummer Frage
bewegen. Als ob ihre Gegenwart ihn für eine höhere
Welt entdeckt hätte. Wie wenn eine Rosenwolke sich
auf das Leben gesenkt hätte, das er kannte. Sein
Empfinden war wie mit warmem wohlriechenden Wasser-
staub gereinigt.

Sein Tag schien ihm ein langer Kuss. Er wanderte
auf Neuerde und seip Blick leuchtete. Vergnügt ass
er Thunfisch in trübem Oel, sah dem Vater zu, einem
halbverhungerten Plebejer, der in der Stube des dritten
Stockwerkes allerlei Handwerk trieb, und neckte die
grosse bleiche Schwester. Grosse Münzen mit dem
Bilde der geflügelten Roma sah er vor sich rollen,
wenn er die Augen schloss.

Dann fand er sich vor den länglichen, wuchtigen
Säulen des Janustempels ein. Mit zuckenden Händen,
höchste peinvolle Erwartung in der Haltung, trat der
griechische Edelmann hervor, dessen Naraen er nicht
kannte. Melis fühlte wieder wie ein ehrfürchtiger Hund,
als er vor dem Fremden stand, der mit seinem Gelde,
mit seiner Botschaft merkwürdiges Erleben, seltene
Bilder, Glück und Sättigung gebracht hatte. Der
fragende Biick des Herrn schien die Ereignisse aus
ihm herausschälen zu wollen. Der Knabe fühlte be-
täubt, da;s Münzen in seine abwehrenden Hände ge-
drückt wurden.

Als er das Wenige erzählte, stand der Grieche
regungslos horchend. Melis, bekümmert ob seiner
starren Hoffnungslosigkeit, wusste nicht weiter zu reden.
Im Schrecken vor der Gefangennahme war er fort-
gelaufen, ohne ihren stummen Bitten, ihrer traurigen
Ratlosigkeit Stand zu halten. Sie wollte ja sprechen.

Er weinte im Bewusstsein niederträchtiger Feigheit.
Er begann zu lügen: „Ich stand und wartete, was die
Hohe sage. Aber sie schwieg und ich eilte fort, um
nicht gepeitscht zu werden “

Ein Kind. Der Grieche streichelte ihm sanft das
Haupt und küsste ihn auf die Augen, die ihr Bild ge-
spiegelt hatten. Dann entliess er ihn und schrieb
seinen Namen in eine Merkrolle. Melis erwog, sich
in den Fluss zu stiirzen.

In der folgenden Nacht bewegte sich ein Zwei-
gespann auf Seitenstrassen gegen die Richtung des
Palatinhügels. Ein syrischer Sklave begleitete den
Griechen. Die Bedingung seiner Freilassung.

Spät nachts — der Wagen kam nur Iangsam vor-
wärts riss endlich die weisse Gartemnauer durch
die Finsternis Riesenhafte Pinien schoben sich gegen
den Nachthimmel empor, schwarzes Gezweig zitterte
im streichelnden Winde der Campagna.

Kurz zögerte der Liebhaber. Noch war es nicht
Zeit, noch war der Glanzstern nicht in den Wolken
versunken An den Wagen gelehnt, hörte er den
Syrier die Pferde besprechen Dem war es ein Dienst
wie Mühlendrehen

Nocb einmal dachte er der logischen Gesetze.
Sie würde, die Nachricht in Händen, mit ihm fliehen.
Nur ein halbes Jahr der Trennung lag auf der herr-
lichen Zeit des ersten Erkennens Der Zorn der
römischen Götter galt ihm nichts. Die Rache des
Lebenden reichte nicht zu dem phokäischen Ufer, auf
dem ein weisses Säulenhaus in den weissflockigen
Grüngischt des mare internum blickte. Die Verfolger
würden sie höchstens in der Suburra, im Häusergewirr
der Regionen Roms suchen.

Den Entführer überkam heisses Glücksgefühl.
Von unten drohte das barbarische Rom Die italische
Halbinsel hing nur noch durch diesen finsteren Garten
mit seinem Leben zusammen, der ihm als Muschel mit
einer Perle erschien. Hatte die finstere Schale ihre
Perle herausgegeben, dann galt das Glück, die Ehre
des Abenteurers nichts mehr. Die Gunst des Impe-
rators warf er den Hunden vor.

Wer konnte sagen, was inzwischen geschah? Nie-
mand verstand die Zweige, die fächelnden, sprechenden
Blätter, den Schrei der glühäugigen Vögel, die von
Priesterschlauheit, von rachsüchtigen Anschlägen der
Frauen jammerten. Das Gesetz streifte mit stählernen
Fängen durch die Lüfte, bereit zum Niederfallen.

Der Grieche kletterte auf die Mauer und liess ein
Seilende in den Garten herabfallen. Der Syrier hielt
es draussen fest. Nicht viel später war aie Vestalin
da. In langen eilenden Schritten näherte sie sich.
Der Liebhaber rief sie an, ergriff das Seil und wand
es sich fast bewusstlos um den Leib Mit geschlossenen
Augen dachte sie zum hundertsten Male daran, wo die
Schrift des Freundes geblieben war, die sie, wahnsinnig
vor Angst, überall vergeblich gesucht hatte., Jetzt gab
er ein Zeichen. Das Bild vom Perlenfischer schwebte
ihm wieder vor. Dann fiel Ihm das Schachspiel Tscha-
taranga ein, das ihn Jemand gelehrt hatte. Der ent-
scheidende Schachzug der Elephantenfigur. Im höchsten
Triumph spannte er die Muskeln, um die Geliebte
emporzuziehen

Da wirkte eine stärkere Gewalt an dem Seile.
Aufrührendes Stimmengewirr scholl herauf. Festge-
klammert an das Seil fiel er in den Garten Im
Fallen dachte er an eine klare Meereswoge, blau, tief,
auf der sein Schiff mit ihr an Bord dahinzog Ein
Fusstritt warf ihn zur Seite. Fackeln zischten auf.
Ein riesenhaftes Weib mit ehernem Gesichte stellte den
Fuss auf ihn und er sah schwarzfunkelnde Augen auf
sich gebohrt. Ihn überkam die Wollust der Ver-
nichtung.

Unter braunem und schwarzem Dienstvolk unter-
schied er eine Priestergestalt. Er kannte den riesigen,
glatten Schädel, die hängende Unterlippe, den Pontifex.
Die von starren grauen Büscheln beherrschten Augen
suchten dicht beschauend den Körper der Verbrecherin,
der wie ein Bündel dalag. In Fackelfeuer, dumpfen
Rufen und verschallenden Tritten verging das Bild.
Zwei Rubinenfunken blieben zurück; die Augen einer
aufgestörten Sandviper . . .

ln den Mietskasernen des proletarischen Roms,
dem Bereich der winzigen Menschenkäfige, flutete die
Alltagswelle weiter Die breite Masse wusste nichts
vom Gesprächstoff der vornehmen Quartiere. Kaum
dass ein Schreiber etwas von der Entführung einer
Vestalin, von einem schweren Urteil stumpfen Hand-
werkern besprach. In den Frauengemächern der Sena-
toren erzählte und vernahm man zitternd vor Erregung
diskrete Einzelheiten Man hatte nicht mehr an den
Vollzug solch strenger Strafen geglaubt und eben des-
halb war von der Priesterschaft ein schauervolles
Beispiel durchgesetzt worden.

Zum kleinen Melis sprach die Erzählung noch
anders; Noch immer fühlte er die in sein armes kleines
Leben gekommenen Zauber. Tage versass er draussen
und welnte und betrachtete die Münzen des Fremden.
Er sehnte sich nach dem höheren Leben. Einmal
verschwand er gänzlich Er hatte sich einem reisenden
Künstler angeschlossen, um in der weltberühmten
Heimat des edlen Griechen ihn und die hohe Frau
in Stein nachzubilden.

Franziska Schultz

In Berlin gibt es eine Fraue, die die Schmerzen
Marias leidet, sieben Schwerter im Herzen; und die
doch gnadenreich herablächelt auf die Armen und
Kranken. Jeder Mensch, der sich ihr nähert, ist ein
Jesuskind. Einen Tempel müsse man um diese Mutter
bauen, einen Garten pflanzen, der ihr blühender Mantel
seie. Ich kann mich nicht der Fraue nahen, ohne an
meine eigene Mutter zu denken, wie die Katholiken
bringt die Andacht ihres Herzens Marias Altar. Ver-
irrte Magdalenen treten durch ihres Hauses Pforte ein
und rasten; ruhen aus und besinnen sich unter der
Liebe ihres Mutterdachs. Franziska Schultz ist die
Mutter des Mutterschutzes Man könnte fast das ge-
fallene Mädchen ihrer Patronin wegen beneiden. Mit
fürsorglicher Liebe lullt die höchste Fraue der Gnade
dle verstossene Mutter und ihr pochendes Spielzeug
mit ihren beiden Armen zärtlich ein. Kein Vorwurf
trifft die Tragende, ihres Kindes wegen, das noch auf
seinem rechtmässigen, heiligen Muttererbe blüht. Alle
Mütter aber lieben die Eine.

Eine Dame, die den Glanz irdischer Glänze aus-
dre’nte und durch die dunkle Strasse schreitet, wo das
Elend wuchert. Nun wohnen keine verwöhnten Gäste
mehr in ihrem Hause, aber solche die ein Herz voll Liebe
beanspruchen. Tragende und Beladene treten durch
ihres Herzens geöffnete Pforte ein. Maria!

Else Lasker-Schüler

Musik nebst Schimpf-
worten

Die Musiker können was, und daS gut. Können
die ausgefallensten Sachen gleichzeitig in der linken
und in der rechten Hand; stellt man sich aber vor
ihnen hin, fragt: „Warum spielen Sie die Sonate nicht
von rückwärts, da ist sie noch schwererl“, dann reissen
sie das Maul wegen eines so einfachen Kniffs auf.
Die Leute sind mir unverständiich; warum blöken sie?
Sobald sie den Mund aufmachen, sind sie im All-
gemeinen wahre Schafsnasen. Ich gehöre wirklich
nicht zu den Leuten, die nach „Seele“ Iamentieren,
wenn gut musiziert wird, und an die UnsterHichkeit
der Seele glaube ich schon darum nicht, weil sie nicht
aus dem Geist der Musik foigt. Aber schliesslich hört
sich doch die Gemütlichkeit auf, wenn e ns nach dem
andern dauernd Technik und die ältesten Kamellen
produziert, und die ganze Radiumforschung, drahtlose
Telegraphie, Ehrlich-Hata links liegen lässt, als wäre
das alles Schnurz für die Musik Mein Gott, übertragt
bloss einmal Haydn auf ein anderes Ausdrucksgebiet,
schiebt ihn mal neben eine Zentrale der Hochbahn,
auf der ihr nach Hause fahrt, und seht euch an, was
ihr für konsequente moderne Menschen seid. Der
gute Mann ist ja sicher ein Klassiker, aber damit gut.
Es muss schliesslich auch Klassiker geben unsere
Kinder, die Konservatorien und so Aber damit gut,
in drei Teufels Namen. Diese dauernde Aufwärmung
von Jugendliebeleien entspricht absolut gar keinem
Bedürfnis Man kann in kein Konzert gehen, ohne
diesem Pennä'ergott zu begegnen. Wenn euch das
Spass macht, und ihr über mein Urteil die Nase rümpft,
sollt ihr euch schämen. Es ist iächerlich, in einem
Atem Hochbahn zu fahren und stets Haydn zu ge-
niess.n — sozusagen. - Wundervoll spielen diese
Musiker; es sind tatsächlich herrorragende Könner
unter ihnen. Ich hörte den Geiger Alfred Witten-
berg am Dienstag in der Singakademie; er wiegt sich

407
 
Annotationen