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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

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Nr. 1 (März 1910)
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Berlin
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Stössinger, Felix: Einheitliche Konzerte
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https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0009

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Nun aber möchte er Starkästen bauen, mit kleinen
Hunden spielen,

Dem Wetter vertrauen und irn Schatten nach
glitzernden Möven zielen,

das Bot „Ramses“ besteigen, in Himmel und Wol-
ken baden!

Vor allem wiinschte er sehr, seinc Freunde zum
Essen zu laden.

Wogegen der andre mit Schnaken kämpfte im
schattigen Qarten,

vcrdammt in vielen Nächten zu stehn und lange zu
warten,

bis eine Dame käme, mit hellem Haar und dem
Schlüssel zum Auslug.

Ihr Haar fiel, und sie lachte leis, bis die erste
Lerche im Tau schlug.

Berliner Abende

i

Ich geh eine ganz vergoldete Straße entlang.

Der Himmel zerfließt im Sonnenuntergang.

Da kommen Frauen, märchenschön,
und bleiben vor glitzeruden Läden stelin.

Bliiten schwimmt der Potsdamerplatz,
er träumt vom Mond, dem Götterschatz.

II

An der Ecke steht ein Mann
mit verklärtem Qesicht.

Du stößt ihn an,
cr merkt cs nicht.

Starrt cmpor mit blassem Blick,
schlaff die Arme herunter.

Tiefer gestaitct sich sein Geschick
und der Himmel bunter.

Prinzessin fahren aus

Kann ich dir denn im offnen Wagen
vor allen Blicken wiedersagcn,
was du ja schon lange v. eißt?

Darf ich denn meiner Hände Segen
so auf das wilde Herz dir legen,
daß du still und fröhlich seist?

Da! alle Lcutc sehn uns an,

als fragten hölmcnd sie: wie, wann

mag dies Schicksal sich entscheiden?

lch denke doch, wir wollcn nicht
vor jedem dummen Tropf und Wicht
unsre schönen Schmerzen Ieiden?

•■rinzessin in der Theaterioee

Dein ist die Hand, die diesen Fächcr hält
und dein bin ich, auch hier.

Erlischt das Licht, wend ich mich rasch zu dir
und nochmlas, wcnn der Vorhang fällt,
und du erinnerst dich, nicht wahr? . .
und weißt, ich bin sehr schön!

Ich fächle den geliebten Duft dir zu,
ich will in deine Arme wehn!

Ja, manchmal schließe ich die Augen, du . .

so bin ich dein, kannst du das sehn?

und ganz, wie ich es heut und gestern war.

Abschied von Berlin

Durra! Der Strudel hat mich ausgespieen.
Diebcrnd blicke ich und stammle Fluchgesänge,
Dcr D-Zug fährt noch zwischen Häusern hin.

Dnd ich bete, daß die Befreiung inir gelänge
3us dem Wüsten, Wilden, wie es Qott gefällt,

Hher dem nassen Tiergarten seh ich die Wolken
ziehn,

»Zoologischer Qarten“. Dies war meine Weit.
Aber in Qeierfängen cntflieh ich dir, Berlin!

Dein, ich bliebe nicht, selbst wenn sie mich um-
schlänge

J'nd aus ihrein wunderschönen Mund sich ränge
uerzerschütternd Liebesglut und Angstgebet.
Prinzeß, adieu! Jetzt trinkt Ihr w rohl Kaffee,
i!n Qarten, vor dem besonnten, roten Tulpenbeet,
^as Eurer schwarzen Schönheit ebensogut steht,
wie etwa das Feuer im Kamin Eures dunkeln
Zimmers.

Wie licbe ich die zuckende Wildheit seines Schim-
mers

auf Euerm braunen Leib, worin das Auge dunkelnd
die Nacht der Nächte offen hält,
m Wiederschein von tanzendcn, roten Lichtern
fünkelnd,

und heiß. als schmölz darin dic Welt.

Ihr Abendschönheit, rote Lilie, glühender Schnee
und Buchengold um den entfiammten Höhensee.

0 spiegelt Euer schmal Qesicht im braunen
Kaffee!

Prinzeß, wenn im Herbst die Abende erkalten,
will ich es wieder in den Händen halten.

!hr biegt Euch wieder in meinen Armen und lacht
ein Lachen, das uns von den Menschcn scheidct.
Doch bitte, bitte, nehmt Euch dann in acht
i‘!id seht, daß Ihr nicht an, Migräne leidet.

Einheitliche Konzerte

Von Felix Stössinger

Einlieitlich ist ein Konzert, das sich organisch ent-
wickelt. Es gibt hundert Gesichtspunkte. nach
denen die Programme gebaut werden können.
Eine geringe Verschiebung der Vortragsordnung
zcrstört schon die Bildung und trägt cinen frem-
den Keim in das Qemüt dcs Zuhörers. Wenn
irgend etwas auf seine Stitrmung einwirkt, ist es
der vorsichtige Qebrauch seiner Nervenkräfte.
Ein großer Künstler kann die fremdesten Dinge
neben einander stellen. Sein Qenie reißt uns mit
und wir lächeln und zittern nach seinem
Willen. Aber wie jämmerlich zerzaust ist unsere
Verfassung. Wir sind beglückt und unbefrie-
digt, erhoben und gestört und kennen den
Qrund unserer Unruhe niclit. Die Einheitlichkeit
des Programmes ist deswegen notwendig. Man
hat diesen Qedanken, besonders im „Kunstwart“
begriffen, aber unbeholfen ausgeführt. AUe Vor-
schläge fiir substanzielle Einheitlichkeit sind Un-
fug. An einem Abcnd den Winter und Sommer,
am nächsten Ritter, Tod und Teufel zu besingen,
ist höchstens äußerlich interessant. Die wahre
Einheit iiegt in der inneren Folgerichtigkeh und im
Vermeiden krasser Komraste.

Ueber drei Konzerte ist heute zu refe.'ieren, die
einc zufällige und beabsichtigte Einheitlichkeit
auszeichnet. F.in Fräulein Dubois hat französische
Klaviermusik von Couperin bis Debussy vorge-
spielt. Artur und Therese Sclmabel gaben einen
Schubert-Abend und im sechsten Phüharmonischen
Konzert waren drei verwandte Naturen nur durch
zwei fremde von einander getrennt. Bei Nikisch
ist das schon ein Ereignis.

Die inneren Zusammenhänge sind bei der Dubois
die Rassenmerkmale der Komponisten; bei den
Schnabelischen die edle Harmonic eines großen
Kiinstlers; bei Nikisch die Wahlverwandtschaft
zwischen Mendelssohn, Vieuxtemps und Pjotr
Tschaikowsky.

„Aber ich bitte Sie“ rufen die Abonnenten.

Man könnte einen Riickschluß ziehen und sagen:
Mendelssohn wird von Nikisch ebenso gut diri-
giert wie Tschaikowsky. Zwei Qrößen, die auf
einen Dritten gleich wirken, sind auch unter ein-
ander gleich. Aber der Beweis, den man mir nach
Qefühl und Instinkt und Verständnis glaube, oder
nicht glaube, fiihrt an: Mendelssohn und Tschai-
kowsky vertonen oberflächliche Qefühle. Beide sind
von Haus aus Melodiker und erst Symphoniker aus
zweiter Hand. Mendelssohn ist als Künstler ein
kultivierter Spießer und infolge seiner Abstammung
sentimentaler als erlaubt. Tschaikowsky ist letz-
ten Endes eine kleine «Natur: Ein Qenießer des
Negativen und Empfinder des Vergänglichen. Er
liebt die vorüberschwebenden Qefühle. Er strei-
chelt die Schwermut. Er ist ein Künstler, weil er
sein fnnenieben ausdriicken kann. Aber es ist das
lnnenleben eines Kleinbiirgers. Auch er ist wie
Mendelssohn Heimatskiinstler. Das Nationale
nährt und stärkt seine Kunst. Das russische Kolo-
rit ist matt und traurig. Es färbt die gleichfarbige
Natur eines sanften Menschen und verdickt seine
Kunst. Das verwandte Volkstum Tschaikowskys
ist kräftiger als das Mendelssohns. Deswegen ist
Tschaikowsky auch absolut bedeutender. Die
Voraussetzung für eine erträgliche Musik Men-
delssohnschen Cha^akters ist ein russischer Qe-
burtsschein.

Zwischen beiden wurde der Zauberlehrling von
Dukas gespielt. Eine auch ohne Qoethe wirksame
und reizvolle Musik, deren betulichcs Fagottthema

rhytmische Vorstcllungen hinterläßt. Auch Vival-
dis g-Konzert ist eine rhytmische Erinnerung.
Aber was Dukas lobt, tadelt Vivaldi, weil die Phra-
seologie des Zeitgeschmackes die menschlichen
Eigenheiten übertönt und der schöne Charakter
dieser alten Violinmusik nicht spezifischen Vivaldi-
schen Ursprunges ist. Doch ihre rhytmische,
durch Intcrvalfl wirkende Qroßzügigkeit machte
beim Spiel Ysayes Vollendung aus. Die Elfentöne
seiner Qeigc entzaubert eine impulsive und male-
rische Bogenfiihrung.

Historische Assoziationcn verbinden mit Vivaldis
Violinkonzert dcn Klavierabend von Marie Dubois.
Auf Scarlatti geht Vivaldis Form zurück und da-
mit auf die ersten Komponisten des Klaviers. Cou-
pcrin und Rameau sind Stämmgäste in Kiavicrkon-
zcrten und heute ebenso frisch wie vieheicht auch
die Daquin, Dagincourt, Dandrien. Das Spiel
der Dubois hat die Stilunterschiede vorge-
stellt. Man liest. daß Rameau friiher als Coupcrin
wirkte, ihn aber, iiberlebend, steigerte. Diesc
auch sonst Haydn und Mozart parallele Entwickc-
lung wurde liier lebendig. Noch deutlicher abcr
zeigte sich die natürliche Entwickelung der fran-
zösischen Klaviermusik. Debussy, Thome und
Widor sind wie ihre Ahnhcrren wieder Miniatur-
maler und Programmatiker. Die Steigerung dcs
Tanzes zur Klaviermusik reicht nun von Cham-
bonniere bis Saint-Saens und Pierne.

Fiäulein Dubois ist sicher fleißig gewesen. Sic
spielt technisch und geistig vortrcfflich. Die
Härte ihres Anschlagcs ist nicht hart genug, um
charakteristisch sein zu können. Man erschrickt
davor, sie nicht recht loben zu- dürfen. Wie hoch
ist docli das Niveau. wenn erst soviel Können in
den guten Diirchschnitt eingereiht wird.

Das Konzert von Artur Schnabe! und Therese Bchr
zählt zu den Erlcbnissen auf meinen diesjährigen
Winterreisen. Wclch eine Entwickehing hat die-
ser Mann scit einem Jahr durchlaufen. Er schlug
auf das Klavier wie mit Basalt auf Qranit. Jetzt
hat er eine spielende, aber nicht spielerische
Leichtigkeit in den Fingern. Er ist niclit mit An-
sorge oder Busoni in cine Klasse zu ordnen. Ihm
fehlt noch die Ictzte Bcdeutung, wcnn auch nicht
die Kraft, sie zu gewinnen. Ueber alles liebc ich an
ihm scine innere Schwerfälligkeit. Wie arbeitct
der ganze Mensch. Die Musik ringt sich aus sei-
iici rftru<t Utiö sYuiirfc.Vu StJilifii Vi
Anblick läßt die Leichligkeit des Spicls nicht reclit
bcgreifen. Sehenswert ist das Phänomen, wie
männliche Anmut aus männlicher Kraft geschöpft
wird. Artur Schnabel ist im besten Sinne cin
Klavierschauspieler.

Therese Behr ist reine Sängerin imd gchört zii den
wenigcn durchaus harmonischen Kiinstlematurcn.
Wenn sie ihre Qefiihle nur ängstlich und verhaltcn
aufdeckt, so kann dicse Keuschheit durcli ihre gc-
ringen Stimmittel erklärt werden. Aber vor dem
Wunder gleicher Körperlichkeit erscheint diese Er-
klärung nur als Ausflucht. Während der Körper der
Musikanten mehr oder weniger irrelevant ist. er-
scheint er bei Therese Bchr als Ausdruck dcr
Seele. Diese fiir das Pack nichtssagende Steifheit
der Qlieder ist von Innigkeit erwärmt, die nur nicht
sfchtbar zur Qeltung kommt. Und die glciche In-
nigkeit atmct der müde, schmalbrüstige Qesang.
Die Stimme ist sehr milde, von geringem Umfang
und noch nicht vollkommen ausgebeutet. In den
höheren Lagen fiihlt man die technische Arbeit und
die Schwierigkeiten des Vortrages. Aber wie riih-
rend quellen die Qefiihle auf und wie treibt der
niedergchaltcrie Schmerz, besondcrs in dcn Lic-
d'ern: „Der Lindenbaum“ und die „Nebensonncn“
die Tränen gegen Kehle und Wimperen. Diese
liebe Frau ist keine ganz größe Kiinstlerin, weil
sic nicht das Lefd des verlasscncn ßurschcn zu
typischer Tragik steigern kann. Doch wie sie ist,
ist Harmonie der Reiz ihres Wesens. Monumen-
talität und reicheres Stimmaterial würde die Ein-
heit und Schönheit dieses echten Menschentums
nur auflösen und zerstören.

Peter Baum

Von Else Lasker-Schüler

Er versäumt den Tag, und die Dunkelheit erreicht
er, wenn es zu spät ist. Aber er träumt noch
schnell unter dem verschwindenden Mond. Einmal
kam Peter Baum barhäuptig irn Januar ins Theater
gegangen, draußen waren 15 Qrad Zer—fahren-
heit. Einmal steckte er seine brennende Zigarre in
die Hosentasche, später meinte Peter Baum — daß
es nicht die Kartoft'eln auf dem Feld gegenüber
 
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