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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

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Nr. 2 (März 1910)
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Rubiner, Ludwig: Crommelynck
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Müller-Kaboth, Konrad: Bemerkungen über Leistikow
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war: Glossen: Der Aberglaube der Vorurteilslosen
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https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0016

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mierter. Silene, Mänaden, Clowns, Gespenster;
sie wollen Masken kaufen. Die Käufer schreien,
Betrunkene johlen obszöne Lieder, die Masken
tanzen wüst im kleinen Raum umher. Ein Ver-
mummter tritt vor. Er wili die trunkenen Frauen
an sich ziehen, er spricht dunkel und verbittert, ein
Ausbruch gehemmter Räusche im Schutz der Ver-
hüllung, und Flehen um Weiber. Plötzlich ent-
decken die Masken in ihm einen Leprakranken,
den sein Kostüm verbarg. Entsetzt und schreiend
flieht ailes. Da hört Magdaleint das Stöhnen der
Sterbenden. In ihrer Angst bättet sie die Masken
zu bieiben; umsonst. Sie fleht den Leprakranken
an, vor dem alle fliehen; er weicht zurück. In
wahnwitzigem Entsetzen bietet sie sich dem Aus-
sätzigen an — er flieht volier Furcht. Pascal
kehrt zuriick, wild verzweifeit, und voll von der
Glut der Stadt, die alle Schaffenslust. in ihm ent-
zündet. Magdaleine wird vom Ekel des Todes ge-
schüttelt, aber Pascal, hingerissen vom Blut, ge-
steht ihr, dass er an der sterbenden Frau sein
Meisterwerk vollendet hat. Magdaleine wehrt in
ungläubigem Widerwillen. Pascal, entbrannt von
Glück und krankem Rausch, will ihr alles zeigen,
sein ganzes Werk, sein Geheimnis, seine Wirkiich-
keit — die Masken, in denen er nach den Zügen der
Sterbenden alle menschlichen Leidenschaften ab-
biidete.

Pascal:

Da hab ich Masken: Langweii und Verdrießen,
Mit welkem Aug, der Ahnung dumpfer Nacht.

Und Blicken, drin seit Herbst die Regen fließen.
Masken der Liebe, aller Wunder Schacht:

Rufe aus Fenstern, wenn der Abend wacht.
Verschlossenes Schweigen, das nur Beichtstuhl löst.
Masken des Mißtrauns: Fiucht von Skiavenhorden
An Mauern, deren Fahlheit tragisch stößt
in Himmel des Verfalls ....

Das Röcheln im Nebenzimmer:

Oh!

Magdeleine detn Wahnsinn nahe:

Nein . . .

Pascal :

Du sollst sie sehn!

Masken des Schauders, starr geschrumpft vor

Morden!

Masken voll Brand und Haß!
Das Röcheln:

Oh . . .!

Trostlose Wehn!

Kummer aus Fabelzeiten, Gift geworden.
Masken von Trotz, von Ringen und von Streit!
Ich hab sie alle!

Das Röcheln:

Oh!

Magdaieine:

Nein!

P a s c a 1 :

Und alle Tränen hab ich, Leid um Leid!

Geheimste Früh. Grausamstes Mittagsbrüten.
Abend von Eiend, Untergang und Schimmel.

Die Augen sind mir wüst von Sturm und Wüten.
Ich brauche Frieden; Wirkiichkeit. Den Himmelü

Er sucht seine Masken, immer erregter, immer
heißer — sie sind verschwunden. Magdaleine hat
sie der Karnevalsmenge verkauft! Pascai wird in
jähes Entsetzen gestoßen: Das Geheimnis — die
verborgene Kunst — preisgegeben! Den Künstier
befällt die Einbildung des Monomanen: die Men-
schen wissen jetzt ailes; sie haben ihn durchschaut!
'üci Priester kommt, Magdaleine ftihrt ihn ins
Sterbezimmer. Alle Worte der Litanei im Sterbe-
zimmer, die Töne und Gesänge der Straße werden
jetzt für Pascai eine drohend bestätigende Wirk-
lichkeit alier Verzweifiungen. Pascal erkennt
plötziich, was er nie wußte: er hat sein Weib be-
trogen. Die Ladentür wird von der Straße plötz-
lich aufgestoßen. Die Kostümierten der ersten
Szenen, die Gespenster mit Pascals Larven, lär-
men herein. Pascals Gedanken werden lebendig —
er hält alle für Phantome, Er fälit auf die Knäe und
bittet um Gnade. Er heult. Der ietzte Aufschrei
der sterbenden Frau — sein Weib ist tot. Er stöhnt
um Qnade. Pascal wird wahnsinnig über die Wirk-
lichkeit, die er für Wahnsinn hielt. Die Masken
iaufen iärmend davon, Iachend und johlend über
den Mann, den sie nur erschreckt zu haben giau-
ben: „Karnevai!“

Auf dieser Bühne stehen Menschen, die jeder
in ihrer Weit befangen sind. In die Wirkiichkeit
ihrer Innenweit falien sie anderen Wirklichkeiten
der Außenwelt wie Funken, die wilde Brände zün-

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den. Das hat noch niemand mit der Bewußtheit
der Mache gestaltet und daraus die Wirkungen der
Szene hergenommen. Die Laute der Sterbenden
und die Schreie der Straße sind in ein wunderbares
Webewerk geschlungen, zu einer scheinbar zusam-
menhangiosen Handlung, die doch für die beiden
Menschen auf der Bühne in jedem Moment einen
anderen und schreckiichen Zusammenhang hat.

In diesem Drama gilt es nicht als wesentlich,
daß der Maskenschnitzer Pascal ein Künstler ist,
sondern hier agiert das reine und abgezogene schaf-
fende Leben des Mannes vor der Körperlichkeit
des Weibes. Psychologeneffekte sind in diesem
Moment zu einer Dichtung geworden. Zeitlos trotz
der zeitlichen Szenerie und der Sprache und der
zeitlichen Stimmungen und zeitlichen Symbole;
trotz der fremden Mittel aus vielerlei Moden. So
stark ist die eigentliche Dramatik der Dichtung,
dieses unhörbare Gegenspiel von Wirklichkeit und
Unwirklichkeit, daß alles Fremdartige und Viel-
gefärbte der Mittel aufgehoben scheint und alles in
eih Neues, Ganzes, noch Ungeschautes schmilzt.

Emile Verhaeren hat dem jungen Poöte et Ami
Crommelynck eine Vorrede geschrieben, die gar
nicht gönnerhaft ist, und von jener eingehend iiebe-
volien und sanft trauernden Objektivität, mit der
ein großer Mann von Talenten spricht, zu denen
ihm überhaupt die Voraussetzungen fehlen.

Die eitierten Verse sind vom Verfasser des Beitrags ins
Deutschc iibertragen. Bnchausgabe: F.Crommelvnck 'LeSculptcur
de Masques Symboie tragique en un acte / Bruxelies / E. Deman/
Libraire-Editeur

Bemerkungen tiber Leistikow

Von MüIIer-Kaboth

Konrad MQlier-Kaboth war der begabteste unter den jungen
Kunsthistorikern. Vor der deshaih selbstverständlichen herlinlschen
Pflicht, Hungers zu krepieren, bewahrte ihn fim vorigen Frühjahr,
er fei-rte seine ernsthaftesten Verschwörunsen geaen die sezes-
sionistischen Fieischbeschauer) ein sehr gütiger Barbier, dessen
giftiges Messer ihm die Kehle hinreichend rTtzte. Am nächsten
Tage steckte des Kunstkenners vereitertes Kinn in bösen Watte-
bflschefn nnd ein paar Nächte später war er tot. cofort erhob sich
das ebenso programmatische Gewinsel zahiungsfähigcr Kunstredak-
teure: _Er wäre der einzige gewesen; wir haben nicmanden . . .“

Und die iieben drucklen Verse, die man man zwlschen seincr Wäsche
fand. Mülier-Kaboth, der wle ein sicherer Gnom durch die Cafäs
lächelt, hatte auf der fris des einen Auees elnen grün-grauen Fleck.
Deswegen entlarvte er unsere süssen Maler mit der T“chnik des
Spielers. Er hätte viele Hermen gestürzt. Aber die Satten h^oen
Glflck ... F. H.

Herrn Herwarth W-^üen
Sehr geehrter Herr!

Der Schluß der Leistikow-Ausstellung, das heißt
im Zusammenhang gesehen der Moment, der die
pietätvoll änszenierte Totenfeier eines teuren Ver-
storbenen unter der sichtlichen Teilnahme der
Trauergäste zu Ende führt, gibt mir Gelegenheit,
Ihnen die folgenden Zeilen zu schicken. De mor-
tuis nil nisi bene ... Aber nachdem unter dem fri-
schen Eindruck des Todesfalles die Reporter ihr
eifervolles Werk getan und nebenbei gerührte
Dichter ihre schönsten Dithyramben verschwen-
det haben, darf der Kritiker beanspruchen, nun-
mehr zur Sache zu reden und den Wert festzu- ^
stelien, mit dem der Verstorbene in der Geschichte,
und sei es auch nur eine Geschichte, die die
Nächstbeteiligten angeht, figurieren wird. Das ist ’
der allgemeine Lauf.

Ich bin nämiich überzeugt, was auch die Reporter
und Dichter dagegen sagen mögen, daß der Ver-
lust, der die Sezession traf, als Leistikow starb,
mehr menschlächer ais künstlerischer Art war: er
bezog sich auf die verdienstvolle Haltung eines
Mitgliedes, das am peinlichsten auf Distanz von
den allgemeinen Kunstgenossenschaften sah.
Leistikow hatte die sympathische Ueberzeugungs-
tieue aller kleinen Begabungen, die am intensiv-
sten den propagandistischen Wert bedeutungsvol-
ler Minoritäten begreifen, weil ihr Selbsterhal-
tungstrieb dabei engagiert ist. Er hätte nie allein
stehen können, wie etwa Liebermann, der a!s Or- t
ganisator jedem Kompromiß geneigt ist; nnd an-
dererseits hätte er in einer Anhäufung von Mittel-
mäßigkeiten sich nie mit dem Eklat herausheben
können, der nötig ist, um einem Künstler zu sei-
nem besonderen Marktwert zu verhelfen. Er
wußte, wieviel er der relativen Reinheät der At-
mosphäre, die in dem Kreis seiner Gesinnungsge-
nossen war und am wesentlichsten von der Aus-
gesprochenheit ihrer Talente erhalten wurde, für
das innere Wachstum seiner Kunst und ihr mer-
kantiies Prestige zu verdanken hatte: er kiärte
sich an der Deutlichkeit der Prinzipien und berei-
cherte sich an der Mannigfaltigkeit kompromiß-
loser Taten und fand sich in eine Umweit künstle-
risch beglaubigter Impulse als einer, der mit Re-

aktionen zu rechnen versteht und für die eigenen
Absichten geschickt ausbeutet. — Daß er der ma-
lende Fontane war, wolien wir gern dahingehen
lassen; wichtiger ist und darf betont werden, daß
er die Natur immer ein wenig arrangiert liebte.
Er hatte ein Verhältnis zur Natur, in dem die Sen-
timentaiität selten ganz verschwand; und wiewoh!
er mit fast programmatischer Absichtlichkeit nie-
mals etwas anderes als die Natur gewollt hat, ist
er nur sehr vereinzelt ihrer ganz Herr geworden.
Es ist kein Zufall, daß die Reproduktionen nach
seinen Grunewaldbiidern wie photographische
Aufnahmen nach der Natur wirken; er hatte in sei-
ner scheinbaren Sachlichkeit, die der Idylle ganz
nahe zu kommen suchte, etwas, das den Atem der
Natur immer zu kurz nahm, die Landschaft bild-
mäßig zustutzte und der Phantasie, die über den
Bildrahmen hinaus das Um und An und die Unend-
lichkeit der Atmosphäre zu erspüren trachtete,
vollkommen das Spielfeld verschnitt. Trotz der
vielgeriihmten poetischen Imagination, die zwi-
schen stillen Föhren und über träumenden Seen
den Reiz eines leichten, lieben, grau verhängten
Lichtes zu gestalten wußte, trotz der weniger be-
rühmten sinnlichen Farbenfreude, die Hofmanns
phantastische Pasteiltöne auf nüchtern gesehene
Naturobjekte übertrug und die Maierei zu einem
bedenklich kunstgewerblichen Spiel degradierte,
darf die Feststellung nicht als zu keck gelten,
daß Leistikow im Grunde eine trockene Natur
war. Es konnte vorerst scheinen, daß er als
der Sohn einer weiten, kargen und schwermütigen
Ebene, mit jenem sensiblen Fühlen ausgestattet
war, das sich aus den Unscheinbarkeiten der Welt
ein mildes, tiefes Leid gewinnt. Aber was in sei-
ner Jugend sang, war nur wie ein kurzes Erinnern
an die tiefen, unergründiichen Horizonte der Hei-
mat, er tat es ab, wie etwas, das man als armselig
empfindet und enthüllte sich als der empfäng-
liche, vorurteilslose Gast der Erde, der die Mannig-
faltigkeit der Welt für Vnren Reichtum nimmt und
sich mit vergnügten, Sinnen in ihr tummeit. Ueber
diesen Habitus, eines Landschaftsreisenden ist
Leistikow rücht recht hinansgekommen; er ent-
wickelte, eine brillante Technik, von den Dingen.
aie er sah, zu erzählen, und bemühte sich, alles zu
sehen, aber wie ihm das Meer dasselbe war wie
das Gebirge, und das Gebirge gleichgiltig wie
Wald und See, so wußte er auch nur von ihnen
das zu sagen, was vage an die b'eziehungSVOnCrsn
Aeußerungen einfacherer und stärkerer Meister
anklang. Er verarmte mit der Unerschöpflichkeit
seincr Motive. Seitie Virtuosität als Maier be-
i zieht sich darauf, daß er in jedem neuen Biid seine
Mittel zu variieren verstand; aber er verfügte nie
über soviei Mittel, um einen eigenen Vorwurf
reich und tief zu machen. Von den Bildern, die
jüngst Cassirer versammelte, ist jedes frappant,
weil es so wenig wie möglich dem andern zu
ähneln sich bemüht; aber nur wenige (darunter
' seine Schneebilder) sind in der Struktur so gedie-
gen geschichtet, daß das Auge gern tiefer dringt,
ohne Furcht, auf den Grund zu kommen. Leider

Pfälit bei den Schneebildern auch dem Unbefange-
nen der Name eines gewissen Pieter Breughel
ein, der vor dreihundertfiinfzig Jahren lebte und
im Wiener Hofmuseum ein fulminantes und merk-
würdig ähnliches Schneebild hängen hat, und man-
cher andere denkt vielleicht auch noch an Pissaro,
den schwächsten der Impressionisten, der immer-
hin gegen Leistikow gehalten, fast wie ein Genie
wirkt.

Glossen

M

9

Der Abenjlaube der VorurteJfslosen



Der Monismus ist das billigste Mittel, das etwa
noch unberuhigte Gehirn endgültig zu narkotisieren.
Er verkleidet die Furcht vor dem Denken: als
Tröstung einer aufgekiärten Gesellschaft, die ihrer
fragwürdigen Zweibeinigkeit etwas zu vergeben
fürchtet, wenn sie das Unerkennbare zugesteht.
Mit andern Worten: der Monismus ist das peinliche
Aufhellen dumpfer, von oualligen Wucherungen er-
füllter Gehirne, um die allgemeine Weltklugheit der
absoiuten Dummheit in ihre unverjährbaren Rechte
einzusetzen. Dieses Pubiikum ist wie jede Gesin-
nungslosigkeit von Vorurteilen frei: aber ich wüßte
nichts, was ein Mensch von Haltung sorgsamer
konserviert als die paar Vorurteile, die er sich ge-
gen cine aufgeklärte Banaiität zu retten gewußt
 
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