Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

DOI Heft:
Nr. 3 (März 1910)
DOI Artikel:
Rittner, Tadeusz: Vegetation
DOI Artikel:
Oppel, Arnold: Zwei Gedichte
DOI Artikel:
Lantz, Adolf: Die Hochzeit des Gilles de Rais
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0023

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
, »• • Und ich habe sie aus Liebe verschont. Ich

abe mich mit tibermenschlicher Kraft zurtickge-
?‘ ten . . . Um sie lange, Iange zu besitzen . . .“
Er lächelt.

..Lange besitzen,“ wiederholt er verächtlich.
>• n der Liebe gibts kein Sparen . . . Die Weiber
w°llen nicht auf Prozente angelegt werden.“
lch hasse ihn.

Zwei Gedichte

V° n Arnold Oppel

Terracottafigur eines jungen Mädchens

^.' e stand noch zitternd; noch nicht so gereift,
le Luft rings zu ertragen, die zu schwer
ihren Schultern lag. Und wie zur Wehr
ij s> e die Hand und hielt sie an die Braue.
nd wje ejn junges j^eh zur Waldesaue
ni Abend scheu sich wagt, so war ihr Schritt. . .
er Leib hielt kaum, und schwankte leicht und litt,

ti S ■*,*^ tte mit guter> S re* ser Hand
‘°ch ungeschickt und rührend ihn versucht,

E ev,° r der erste Mensch aus ihm erstand . . .

. r l 0 rmt e ihn so biegsam und so schmal,
ieder Windzug war wie Sturmeswucht,
nu drohte ihm mit zeitigem Verfall . . .

Bange Nacht

g iefst Du mich nicht, Schwester? Bist Du denn
^ 0 allein? Oh, komm doch her und sag mir:

Wo ist Deine Hand und Deine Heimat,

?? lch so verlassen bin.

c 1 lchts mehr kann ich fassen oder finden

, n(i kein Ding ergründen.

Und ich fühle: jetzt

bin ich so von mir allein gelassen,

Uaß mir bangt, ich könnte morgen tot sein .

Uist Du denn nicht da,

^chwester?

Wohin soll ich gehn, wenn Du nicht da bist?
^ leh, ich suche Dich:

bist Du, Schwester? . . .

tHe Hochzeit des Ciilles de Rais

V°n Adolf Lantz

5 , ich. Bruder Franciscus, der ich einer der
^cnweigsamsten und Abgesondertsten bin im Pre-
j gCror(le n von Nantes, beginne heute, den sechs-
dzwanzigsten Oktober MCDL, an einem frösteln-
^ n Herbsttag, im fünfunddreißigsten Jahr meines
a e°ens, so ich dem Herrn geweiht, die Erinnerung
l Jene Nacht niederzuschreiben, welche ich in Qe-
fiinf SatT1 meiner Pfhcht vor genau zehn Jahren, vom
Se]'HHdzwanzigsten zum sechsundzwanzigsten des-
V cn Monats, im Verließ des Schlosses von la
VQ Ur Neuve mit Baron Qilles de Rais, Marschall
in 11 nrankreich, verbracht habe. Selbiger ward
den ersten Stunden des sechsundzwanzigsten
ger'n 6^ anno d 01*™ 1 MUDXL durch das Hoch-
de[ p aut dem Scheiterhaufen lebendigen Leibes
v0n El arnmentod überliefert, zur Strafe für Raub
gra ettlcilen hundert unschuldigen Kindlein und
j)av envoll an ihnen verübten, wolliistigen Mord.
gre ° n an acht Jahre Dörfer und Qehöfte in der
glt5 agne mit Jammern und Klagen trostloser
che^H ertliiit waren> zumal niemand wußte, wel-
Uri. N exe °dcr Wiirgeengel Qottes die plötzlich
^aß geileirnni sv°ll Verschwundenen entführet. Bis
Bes Uer ^eistliche Qerichshof den vom Satanas
v0r eSu enen entdeckte und gefangen setzte. Worauf
Chr'r em Voiir im heiligen Namen des angerufenen
Bjs 'f tus die obersten Richter, Jean de Malestroit,
Ba Cnof von Nantes, wie auch Bruder Jean Blouyn,
ßar Ca' aUreus in unseren heiligen Schriften, diesen
Ua P n QiHes de Rais, Marschall von Frankreich,
Sch' Seinem öffentlich vorgebrachten Qeständnis
OPflfch der Apostasie, Häresie, Beschwörung
So i . monen, der Verbrechen des Sakrilegs, der
tät 0rtl!. e unci d er Schändung kirchlicher Immuni-
anß 0 tiir schuldig und überwiesen erklärten sowie
\V , e' mgefaH en dem Spruch der Exkommunikation.
sej? Cne ai)er wieder von ihm genommen ward auf
W0J zerhnirschtes Flehen und demütiges Bitten,
abe aU* ttln die heilige Kirche, unsere Mutter, sich

brü[?! aIenc. einverleibte> auf daß ihm seine in-
q0. st,Se Sehnsucht, durch irdische Reue und Sühne
es ewige, allbarmherzige Gnade zu erlangen,

nicht gänzlich verwehrt bleibe. Deren jeglicher
Sünder teilhaftig werden möge zum Heil seiner
Seele, im Namen unseres Herrn Jesus Christus,
Amen.

* *

*

Seit zwo Nächten und zween Tagen lag der
Büßende in Gebeten vor dem Konterfei des Ge-
kreuzigten in der Nische des Verließes, bald auf
den Knien, bald hingestreckt in Reue, die Stirn
gen das steinerne Qetäfel des Bodens schlagend,
Speise und Trank sich verwehrend, rastlos, ohne
Schlaf. War von ganz unheimlicher Gewalt, wenn
das dumpfe Qemurmel des Bekennens sich stei-
gerte bis zu heiseren, durch gehetzten Atem zer-
hackten Schreien, so oft die blutigen Ströme der
Verbrechen in wilder Beichte sich verlebendigten,
die Ekstasen von Inbrunst und Zerknirschung die
Gnade der Erlösung, ein sichtbarlich Zeichen vom
Heiland selbst erflehten.

Dunkeltönend läuteten die Qlocken von Nan-
tes den Abend-Angelus ein, müd und feierlich
schläferte ihr Klang die dunstschwere Luft, der
tiefen Dämmerung schwarzes Bahrtuch im weiten
Bogen über die Stadt ziehend. Es war Nacht
worden.

„Angelus Dei-“ glitt es leise, ehrfürch-

tiglich über meine Lippen. „Angelus Dei-“

wiederholte die Stimme des Büßers aus dem
Winkel, laut und voll, als hübe ein Choral an. Sank
aber nach wenigen Worten zum Qemurmel herab,
das den Raum durchrann, die Wände entlang
schwebte, von einer zur andern sich warf, zur
Decke steigend, herniederfallend und ins Irre rol-
lend. In roter Glasmuschel blakte gelblich zu den
durchbohrten Füßen des Dorngekrönten das ewige
Licht. Zusammengekrümmt, ein geklumpter Schat-
ten, lag das Verbrechen unter ihm.

Derweilen wir noch beteten, nahten dumpf-
wuchtende Schritte in den Bogengewölben der
Qänge. Schloß und Riegel, mächtig gerüttelt, fie-
len klirrend, die eisengepanzerte Tür knarrte in
den rostigen Angeln. Prasselnd sprangen gierig
etliche gelbfunkige Fackelflammen in die Finster-
nis und verschlangen sie zuckend. Diister und
feierlich standen die Bewaffneten, über Qesicht und
metallne Rüstungen flackerte das gefräßige Licht,
leckte am Stahl der Fußschienen, zitternde Zungen
über den Boden nach der Nische hinstreckend. Un-
beweglich, gen die Wand gekehrt, kniete der
Betende. Stumm harrten die Knechte. Klirrte an-
jetzt kein Stahlringlein am Harnisch. Selbst die
züngelnden, sprühenden Feuerblitze scfilängelten
sich scheu verängstigt übers gekörnte Qemäuer,
mit leisem Knistern das Schweigen unheimlich ver-
größernd.

Plötzlich erbebte die Gestalt im Winkel des
Gelasses. Der Leib beugte sich weit zurück, die
Arme breiteten sich, die Handflächen waren ge-
öffnet, als empfingen sie eine Qabe, das empor-
schauende Haupt sank tief in den Nacken. In sol-
cher Haltung, gleich einem, der an einem Früh-
lingstag auf grünendem Feld, die Kniee in Blüten
und Düfte gebettet, sich in die blauende Unend-
lichkeit verzückt, vom Licht der Sonne gnaden-
reich überströmt, schlug da der Qefangene mit er-
stickt jubelndem „In Ewigkeit, Amen!“ das Zeichen
des Kreuzes — und dann wandte er sich. Wandte
zum ersten Mal seit zwo Nächten und zween Tagen
sein Angesicht. Ein Gottgezeichneter, so war er
anzusehen. Getroffen vom fahlen Schein der
Fackeln schloß ihm ein Krampf die tränenverwüste-
ten, gehöhlten Augen. Wie zerknitterte Polster
auf schwarzem Qrund, also lagerten die blassen,
gedunsenen Lider auf dunkeln Schatten. Zerfurcht
und rissig klebte die Haut überm geschwollenen,
falben Fleisch der Wangen. Weit ausgreifend ins
Leere tappten die blutlosen Hände, mühseliglich
schob sich der Körper an der Wand um ein Weni-
ges empor. Die entkräfteten Knie versagten. Halb
aufgereckt und halb in sich zusammengebrochen
lehnte der Leib, die Arme wagerecht am Qemäuer,
gleich als wäre er gekreuzigt. Mit toten Augen,
vertrockneten, gedörrten Lippen, verschwollenen
Qelenken, fiebrigem Qehirn, aber dennoch ein selig
Erlöstes im verzerrten Antlitz, so wandte sich
jener von seinem über alle Maßen erflehten Qott zu
den Menschen.

Der Qrößte unter den Männern, im Schuppen-
panzer und breiten Schwert, den blanken Helm tief
ins schwarzbärtig finstere Qesicht gedrückt, trat
vor. Er löste das Siegel eines gefalteten Schrei-
bens, das Siegel Johanns des Fünften, Herzogs der

Bretagne. Aus rauher Kehle rollte wie ferner
Donner die Verkündigung, daß nächsten Morgen
vom weltlichen Qericht die irdische Sühne voll-
zogen werde an Gilles de Rais durch Verbrennen
bei lebendigem Leibe.

Die dumpfwuchtenden Schritte entfernten sich
wieder in den Bogengewölben der Qänge. Die
Wache warf die Riegel ins eiserne Schloß. Wir
waren allein. In roter Glasmuschel blakte das
ewige Licht, der Rauch des Oels schwebte im Qe-
laß. Ein seltsam Schauerndes drang in mich ein.
Könnte auch nie vergessen, und würde ich älter
denn Methusalem, wie mir zu Mut gewesen in der
Zeit des Schweigens, derweilen die Schritte ver-
hallten. Nicht geängstigt war ich etwan ob des
Zusammenseins mit dem Furchtbaren, in dessen
Seele und Leib Satanas sich eingenistet und dar-
innen gehaust bis vor wenigen Tagen, sintemalen
ich doch wußte, daß der Böse vertrieben und nur
mehr Mensch und Mensch im Gelaß verweilten.
Aber war durch und durch erschüttert im Innersten
vor der Gewalt des Irdischen, davon zum ersten
Mal in eng verlebten fünfundzwanzig Jahren ein
ganz und plötzlich vollendet Qefühl in mir gereift.
Ward mir auf eine nie vorher geschehene Art die
Schwere bewußt, darein geistliche Pflicht mich ge-
bannt, allda ich mich Qott geweiht, und ward mir
klar erleuchtet in Qehirn und Herz, wie ich noch
nie so recht empfunden irdische Qual oder ein
großes Schicksal oder die tausendfältig ver-
schlungenen Pfade irdischer Lust. Und bedünkte
mich, daß auch daran Teil zu haben, ein Stück
Ewigkeit in sich bergen müßte, so Qott wie Welt,
Unzeitlichkeit und Zeitlichkeit. Daß man zu Qott
gelangen könne auf zweierlei Wegen, durch das
Gute und durch das Böse hindurch. Denn der
Herr thronet über beidem. den Weg nicht prüfend,
sondern allein das Herz, so ihn erkennt und lob-
preist. Schauderte mir zwar davor, den Pfad des
Büßers vor mir zu gehen, dem da Vergangenheit
und Zukunft auf Erden greifbar scheint und be-
wußt, nicht aber irdische Gegenwart. Diese ist ja
des Qottgeweihten Teil, der sie im Qebet besitzt
und die Nähe des Ewigen darin. Aber schauderte
hinwiederum davor — ein Sünder in meinen Qe-
danken, wofür ich viel Buße getan — mich heiligend
bis zum Tod Qegenwart zu sein, ein lebr 'dig
Qebet, ohne Erinnerung, welche Vergar.genhcit fcc
deutet und weltlich Erleben, und ohne Hoffen auf
das Glück der Erde, welches irdische Zukunft ein-
schließt. Bin ja auch in Wahrheit seit damaliger
Nacht, da mich aus unserem Orden das Los ge-
troffen, als tröstender Bruder mit dem zerknirsch-
ten Sünder zu beten, nie mehr aus den Mauern des
Klosters gegangen denn mit den Brüdern in feier-
Iichen Prozessionen. Habe mich nach wie vor den
strengsten Satzungen unseres Ordens ergeben als
da sind Bußen und Fasten und Kasteiung des wider-
spänstigen, jungen Leibes. Verbrachte die übrige
Zeit, manch heiligen und weisen Mannes Schriften
fein säuberlich zu kopieren, worin meine Fertigkeit
tüchtig gebildet, auch sehr veranlagt. Wird aber
dieses das einzige Büchlein sein, so ich selber zu
verfassen gewillt. Sintemalen ich nichts wüßte,
was nicht Fürtreffliche bereits verzeichnet, uns
daran zu erbauen, zu belehren und zu läutern. Muß
es wohl bei diesem sein Bewenden haben, dieweilen
es ja gewißlich meine einzige Erinnerung bewahrt,
so mir geworden und fürder bleiben möge, auf daß
ich nicht abirre von meinem Weg. Woraus sich
jeder von euch sein Teil ziehen möge, ihr Brüder in
der Welt, die ihr ohne den wahrhaft beseligenden
Frieden bewußter und greifbarer Gegenwart, erst am
vergangenen wie künftigen Augenblick euer Dasein
erkennend genießet, ihr ewig Begehrlichen! Aber
vergesset nicht, daß auch ich einst über ein Kurzes
an euerm vom Ewigen eingesetzten Leben Anteil
erfuhr — und betet, auf daß mir die Sünde vergeben
sei — nämlich zuerst in jener Nacht und dann, so
oftmalen diese einzige Erinnerung die als ein welt-
lich Erleben in mir ist, mich in Gedanken sündhaft
werden ließ, wie auch jetzo, derweilen ich für eure
Einkehr und euch zum Exempel Schriftzeichen
neben Schriftzeichen gar mühseliglich auf dem
Pergamente male.

„Bruder“, sagte ich und fühlte, wie eine
Stimme aus einer Qegend meines Innern quoll, von
wannen alles Qütige, Reine, Tröstende, Gottähn-
liche strömt, „Bruder, ich bin bei dir.“ Und trat
ganz dicht an ihn heran, dass ich den Schimmer
des ewigen Lichtes über dem Qesicht spürte.
Zwei bebende Arme unmschlangen meine Knie.
Da zog ich, niedersinkend, jenen an meine Brust.

19
 
Annotationen