Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911
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https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0127
DOI Heft:
Nr. 16 (Juni 1910)
DOI Artikel:Scheu, Robert: Leitfaden der Weltgeschichte, [2]
DOI Seite / Zitierlink:https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0127
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iüjfang acht Selten
Einzelbezug: 10 Pfennlg
OCHENSCHRIFT FÜR KULTUR UND DIE KÜNSTE
^edaktion und Verlag: Berlin-Halensee, Katharinenstrasse 5
^ernsprecher Amt Wilmersdorf 3524 / Anzeigen-Annahme und
Qeschäfts8telle: BerlinW35, Potsdamerstr. 111 / Amt VI 3444
Herausgeber und Schriftleiter:
HERWARTH WALDEN
Vierteljahresbezug 1,25 Mark ; Halbjahresbezug 2,50 Mark/
Jahresbezug 5,00 Mark / bel freier Zustellung / Insertions-
preis für die fünfgespaltene Nonpareillezeile 60 Pfennig
hHRQANO 1910
BERLIN/DONNERSTAG DEN 16. JUNI 1910/WIEN
NUMMER 16
^hlechte Dichter: I / Albert Träger
Trieb die übliche liberale Politik. Verfasste trostlose Mutterlieder. Ehrte die Frauen, die flechten und weben
Wurde von den Herren O. Blumenthal und G. Engel neuerdings zum Steinerweichen gefeiert. Seine Originalität
hingegen blieb in Deutschland ohne Anerkennung, trotzdem die Schnurbartspitzen platterdings in die Augen stechen.
INHALT: ROBERT SCHEU: Leitfaden der Weltge-
schichte / ALBERT EHRENSTEIN: Tod eines Seebären /
PAUL LEPPIN: Daniel Jesus / Roman / ALBERT DREY-
FUS: Gedichte / ALFRED DÖBLIN: Gespräche mit
Kalypso über die Musik / ARTHUR SILBERGLEIT :
Der Spiegel / ROBERT LEWIN: Homunculus / HER-
MAN BANG: Die Väter essen Herlinge / J. A.:
Transleithanisches / KARIKATUREN: Albert Träger
und Joseph Kohler
Leitfaden der Weltgeschichte
Von Robert Scheu
II / Mittelalter
Um die Lücke zwischen Altertum und Neuzeit
auszufüllen, trat das Mittelalter ein. Schon der An-
fang des Mittelalters wurde überaus störend emp-
funden. Die Völker verloren ihr bisheriges Sjtz-
fleisch und der Fremdenverkehr nahm ungeahnte
Dimensionen an. Je schlitzäugiger die asiatischen
Völker waren, desto neugieriger waren sie auf
Europa. Der gute alte Qrundsatz: Asien für die
Asiaten, geriet in Vergessenheit und die Hunnen er-
gossen sich mit einer Eile, die einer besseren Sache
würdig war, gegen Westen. Die Völkerwanderung
ging so überstürzt vor sich, daß für die folgenden
Jahrhunderte des Mittelalters nur mehr wenig übrig
blieb. Immerhin gelang es Attila (der nie ohne
Klammer ausging, in welcher er sich Etzel nannte),
sich durch sein abschreckendes Aeußere einen
Namen zu machen. Die Häßlichkeit der Hunnen, die
mit ihren Pferden wie lebzeltene Reiter verwachsen
waren, übertraf alles bisher Dagewesene. Be-
sonders unappetitlich berührte es diemittelalterlichen
Leute, daß die Hunnen auf rohem Fleische ritten.
Es wurde durch solche Behandlung mürbe und
delikat. Diese Sitte wäre auch heute noch in vielen
Qasthäusern empfehlenswert. Die Hunnen zu be-
siegen, war äußerst schwierig, da sie sich immer im
entscheidenden Moment zurückzogen, und so taten,
als ob nichts geschehen wäre. Man darf die Hunnen
nicht mit den Vandalen verwechseln. Diese lebten
ausschließlich von der Plünderung der Qemälde-
galerien, so daß die Maler und Bildhauer der unge-
heuren Nachfrage kaum nachkommen konnten. Die
Vandalen hatten das Prinzip^ gerade die schönsten
Bilder am billigsten zu verkaufen. Belisar, der die
Urasserei nicht iänger ruhig ansehen mochte, zer-
störte schließlich ihr Reich, wofür ihm hiermit der
verbindlichste Dank ausgedrückt wird. Auf ähnliche
Weise kamen auch viele andere Völker abhanden,
die die Völkerwanderung mißbrauchen wollten. Der
Zweck der Völkerwanderung wurde im Qroßen und
Ganzen nicht erreicht. Die Jahreszahlen hätten sich
so wie so ereignet,. Qerade die interessantesten
Vorfälle, wie beispielsweise die Geschichte vom
König Alboin und Rosamunde, sind sagenhaft. Das
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iüjfang acht Selten
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^ernsprecher Amt Wilmersdorf 3524 / Anzeigen-Annahme und
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Herausgeber und Schriftleiter:
HERWARTH WALDEN
Vierteljahresbezug 1,25 Mark ; Halbjahresbezug 2,50 Mark/
Jahresbezug 5,00 Mark / bel freier Zustellung / Insertions-
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hHRQANO 1910
BERLIN/DONNERSTAG DEN 16. JUNI 1910/WIEN
NUMMER 16
^hlechte Dichter: I / Albert Träger
Trieb die übliche liberale Politik. Verfasste trostlose Mutterlieder. Ehrte die Frauen, die flechten und weben
Wurde von den Herren O. Blumenthal und G. Engel neuerdings zum Steinerweichen gefeiert. Seine Originalität
hingegen blieb in Deutschland ohne Anerkennung, trotzdem die Schnurbartspitzen platterdings in die Augen stechen.
INHALT: ROBERT SCHEU: Leitfaden der Weltge-
schichte / ALBERT EHRENSTEIN: Tod eines Seebären /
PAUL LEPPIN: Daniel Jesus / Roman / ALBERT DREY-
FUS: Gedichte / ALFRED DÖBLIN: Gespräche mit
Kalypso über die Musik / ARTHUR SILBERGLEIT :
Der Spiegel / ROBERT LEWIN: Homunculus / HER-
MAN BANG: Die Väter essen Herlinge / J. A.:
Transleithanisches / KARIKATUREN: Albert Träger
und Joseph Kohler
Leitfaden der Weltgeschichte
Von Robert Scheu
II / Mittelalter
Um die Lücke zwischen Altertum und Neuzeit
auszufüllen, trat das Mittelalter ein. Schon der An-
fang des Mittelalters wurde überaus störend emp-
funden. Die Völker verloren ihr bisheriges Sjtz-
fleisch und der Fremdenverkehr nahm ungeahnte
Dimensionen an. Je schlitzäugiger die asiatischen
Völker waren, desto neugieriger waren sie auf
Europa. Der gute alte Qrundsatz: Asien für die
Asiaten, geriet in Vergessenheit und die Hunnen er-
gossen sich mit einer Eile, die einer besseren Sache
würdig war, gegen Westen. Die Völkerwanderung
ging so überstürzt vor sich, daß für die folgenden
Jahrhunderte des Mittelalters nur mehr wenig übrig
blieb. Immerhin gelang es Attila (der nie ohne
Klammer ausging, in welcher er sich Etzel nannte),
sich durch sein abschreckendes Aeußere einen
Namen zu machen. Die Häßlichkeit der Hunnen, die
mit ihren Pferden wie lebzeltene Reiter verwachsen
waren, übertraf alles bisher Dagewesene. Be-
sonders unappetitlich berührte es diemittelalterlichen
Leute, daß die Hunnen auf rohem Fleische ritten.
Es wurde durch solche Behandlung mürbe und
delikat. Diese Sitte wäre auch heute noch in vielen
Qasthäusern empfehlenswert. Die Hunnen zu be-
siegen, war äußerst schwierig, da sie sich immer im
entscheidenden Moment zurückzogen, und so taten,
als ob nichts geschehen wäre. Man darf die Hunnen
nicht mit den Vandalen verwechseln. Diese lebten
ausschließlich von der Plünderung der Qemälde-
galerien, so daß die Maler und Bildhauer der unge-
heuren Nachfrage kaum nachkommen konnten. Die
Vandalen hatten das Prinzip^ gerade die schönsten
Bilder am billigsten zu verkaufen. Belisar, der die
Urasserei nicht iänger ruhig ansehen mochte, zer-
störte schließlich ihr Reich, wofür ihm hiermit der
verbindlichste Dank ausgedrückt wird. Auf ähnliche
Weise kamen auch viele andere Völker abhanden,
die die Völkerwanderung mißbrauchen wollten. Der
Zweck der Völkerwanderung wurde im Qroßen und
Ganzen nicht erreicht. Die Jahreszahlen hätten sich
so wie so ereignet,. Qerade die interessantesten
Vorfälle, wie beispielsweise die Geschichte vom
König Alboin und Rosamunde, sind sagenhaft. Das
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