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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

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Nr. 45 (Januar 1911)
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Walden, Herwarth: Kunstverständnis
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Kunst für Alle: Schmuck und Schmock
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an dem er selbst leidet, beim Kiinstler. Der Bürger
hasst die Kunst, weil sie ihm „zwecklos“ scheint. Sie
vermittelt keine Nachrichten, sie bringt keine Tatsachen,
sie trägt keine Zinsen und sie lässt sich schwer ver-
meiden. Denn sie ist immerhin und leider gesellschafts-
fähig geworden. Man kann ihr höchstens bei Todes-
fällen aus dem Wege gehen Aber die Kunst ist auf-
dringlich, und da müssen Scheingründe herhalten, sie
abzuwehren. Man hat einfach keine Zeit für sie. Das
Leben ist heute ungeheuer anstrengend, jeder Beruf
erfordert seinen ganzen Mann und seine ganze Frau.
Und abends müssen sich alle Menschen erhoien. Der
Geist muss auspannen, der noch garnicht eingespannt
war. (Nichts ist automatischer als die Berufstätigkeit,)
Zur Orientierung (wegen der Bildung) genügen die
Tageszeitungen und Namenkenntnisse. Der neue Roman
von Frenssen, das rieue Drama von Fulda, die neuen
Gedichte des befreundeten Justizrats werden gekauft
nnd man ist auf der Höhe. Die Operette du jour
pflegt sich der Bürger dreimai anzusehen. Schliesslich
wiil man doch in seinem Cafehaus die Melodieen
wiedererkennen, die die sogenannten Orchester in
Pariser Besetzung unaufhörlich spielen. Was etwa sonst
an Kunst noch geschieht, wird als störender Eingriff
in das Privatleben, in den Nachmittagsschlaf oder in
die Fahrt auf der Elektrischen empfunden. Was fällt
dem Herrn Kokoschka ein, Dinge zu zeichnen, die man
nicht sieht. Was fällt den Herren Aifred Mombert
und Rainer Maria Rilke ein, eine Sprache zu schreiben,
die man nicht spricht. Kennt man auch die sogenannte
deutsche Muttersprache nic'nt, so hat man doch sein
bischen Französisch in der Schule gelernt. (Auch
wegen der Bildung.) Und der Kritiker der abonnierten
Zeitung ist ja „dagegen“. Die Künstler müssen
eben lernen, sich gemeinverständlich auszudrücken.
Sonst kann die janze Kunst gestohlen werden. Be-
sonders die zeitgenössische. Denn der Bürger hat für
die mehrfach erwähnten Bildungszwecke die beliebten
„Kiassiker.“ In den Museen hängen die schönsten
Bilder und die Leute, die nie hineingehen, empören
sich, dass man nun an manchen Tagen Eintritt erhebt,
und gerade an den Tagen, an denen man unbedingt
mal Kunst geniessen wollte. Die Musik hat von jeher
Geld gekostet, aber dafür sitzt man wenigstens in
einem Lokal. Jeder Schieber schwärmt für die Neunte
Symphonie. Sie ist erklärtes und anerkanntes Heilig-
tum des deutschen Volkes. Darum, meine Zeitgenossen,
ist es höchst lehrreich zu lesen, mit welchen beweg-
lichen Worten Richard Wagner (jetzt gieichfalls ein an-
erkannter Heiliger) das Publikum zwanzig Jahre nach
Entstehen dieses Meisterwerkes wenigstens um gütiges
Gehör bittet. Er wählt eigens die hierorts so beliebte
Märchenform (man ist für Stimmung), da er offenbar
fürchtet, das Publikum würde sonst diese Bitte nicht
einmal lesen.

Beethovens Neunte

Von Richard Wagner

Es war einmal ein Mann, der fühlte sich
gedrängt, alles was er dachte und empfand,
in der Sprache der Töne, wie sie ihm durch
grosse Meister überliefert war, auszudrücken:
in dieser Sprache zu reden, war sein innigstes
Bedürfnis, sie zu vernehmen, sein einzigstes
Glück auf Erden, denn sonst war er arm an
Gut und Freude, und die Leute ärgerten ihn
sehr, wie gut und liebend er auch gegen alle
Welt gesinnt war. Nun sollte ihm aber sein
einzigstes Glück geraubt werden — er wurde
taub und durfte seine eigene herrliche Sprache
nicht mehr vernehmen! Ach, da kam er nahe
daran, sich der Sprache selbst auch berauben
zu wollen: sein guter Geist hielt ihn zurück;
— er fuhr fort, auch was er nun empfinden

musste, in Tönen auszusprechen; — aber un-
gewöhnlich sollten nun seine Empfindungen
werden; — wie die Leute von ihm dachten
und fühlten, musste lhm fremd und gleich-
gültig sein: er hatte sich nur noch mit seinem
lnnern zu beraten und in die tiefsten Tiefen
des Grundes aller Leidenschaft und Sehnsucht
sich zu versenken! In welch wunderbarer
Welt ward er nun heimisch! Da durfte er

sehen und — hören, denn hier bedarf es

keines sinnlichen Gehöres, um zu vernehmen:
Schaffen und Geniessen istjjda eines — Diese
Welt aber war, achl die Welt der Einsamkeit:
wie kann ein kindlich liebevolies Herz für

immer ihr angehören wollen? Der arme
Mann richtet sein Auge auf die Welt, die ihn
umgibt, auf die Natur, in der er einst voll
süssen Entzüekens schwelgte, auf die Menschen,
denen er sich doch noch so verwandt fühlt!
Eine ungeheure Sehnsucht erfasst, drängt und
treibt ihn, der Welt anzugehören und ihre

Wonnen, ihre Freuden wieder geniessen zu
dürfen. — Wenn ihr ihm nun begegnet, dem
armen Mann, der euch so verlangend anruft,
wolit ihr ihm frernd ausweichen, wenn ihr zu
eurer Verwunderung seine Sprache nicht so-
gleich zu verstehen glauben solltet. wenn sie
euch so seltsam, ungewohnt klingt, dass ihr
euch fragt: Was will der Mann? O, nehmt
ihn auf, schliesst ihn an euer Herz, höret
staunend die Wunder seiner Sprache, in deren
neugewonnenem Reichtum ihr bald nie ge-
hörtes Herrliches und Erhabenes erfahren
werdet, — denn dieser Mann ist ßeethoven,
und die Sprache, in der er euch anredet, sind
die Töne seiner letzten Symphonie, in der der
Wunderbare ail seine Leiden, Sehnsucht und
Freuden zu einem Kunstwerk gestaltete, wie
es noch nie da war!

Diese Arbeit erschien 1m Dresdener Anzeiger vom
2 Januar 1846 und war verschollen. Dr. Julius Kapp
veröffentlichte sie wieder in dem soeben erschienenen
Buch: Der junge Wagner (Verlag Schuster und
Loeffler, Beriin).

Das Publikum möge sich diesen kleinen historischen
Beitrag zur Warnung dienen lassen. Besonders das
kunstverständige und die Kritik. Ich will noch ein
Uebriges tun und nenne hier ausdrücklich die Namen,
über die zu lachen eine Biamage bedeutet. Und
niemand will sich gern blamieren.

Die Namen lauten:

Peter Altenberg
Conrad Ansorge
Max Dauthendey
Richard Dehmel
Vincent van Gogh
Peter Hille
Oskar Kokoschka
Karl Kraus
ELse Lasker-Schüler
Adolf Loos
Gustav Mahler
Heinrich Mann
Alfred Mombert
Edvard Munch
Rainer Maria Rilke
Paul Scheerbart

Diese Liste bezieht sich natürlich nur auf die Gegen-
wart, in der Literatur nur auf die deutschsprechenden
Länder. Es sind Namen mit Ewigkeitswert, wie Alfred
Kerr es nennt. Der Bürger sei ausdrücklich gewarnt,
sich mit den Werken dieser Künstler zu befassen, aber
er spreche ihre Namen nur mit Andacht oder garnicht
aus. Er denke an die Blamage und er verlasse sich
nicht auf die „Presse“.

Jedenfalls: Ich habe das meinige getan.

Trust

Kunst für Alle

Schmuck und Schmock

Welche beleidigend niedrigen Geistesfähigkeiten
müssen die treuen Untertanen den Mitgliedern unserer
hohen Herrscherfamilie zumuten, wenn sie schon über
eine Spielerei, die eine prinzliche Hand geschaffen hat,
in hysterische Verzückungen geraten.

Ein Basar, in der Vorwoche von einer Prinzessin
in Potsdam veranstaltet, gab der Gesellschaft unver-
meidliche Gelegenheit, der Kaiserfamilie hohes Lob
über ein ungeahntes künstlerisches Schaffens-
vermögen zuzuhuldigen.

Die Schmöcke fast aller Berliner ßlätter taten mit.
„In der drangvollsten Enge, wie es im Lokal-
anzeiger hiess, die häufig beängstigende Dimensionen
annahm, standen sie festgebannt von der erlauchten
Heimkunst“, und namentlich einen der Edeln hat sie
tief ergriffen. Wo alles von der Kunst sprach, durfte
er nicht verschweigen, dass er noch niemals viel von
ihr verstanden hat, und in einem selbstgefertigten
Paravent der Kaiserin erblickte er sogar des Festes
Symbol, „h inter dem sich tiefein Künstler-
lebcn entwickelte, von dessen reizvollen
Schöpfungen der Basar Zeugnis geben
s o 111 e.“

Ich hingegen erblickte in der Chiffre D, mit
der im Tageblatt ein Bericht über den Basar hin-
länglich gekennzeichnet war, ein Paravent,
hinter dem sich auch ein Kiinstlerleben verbarg, von
dessen aufreizvollen Schöpfungen wenige Tage später
die Montagszeitung Zeugnis geben soilte.,

Der Berichterstatter des Tageblattes warf für die
Montagszeitung als „M a n n u n d K ü n s 11 e r einen
Blick hinter die Mauern eines Lebens, das uns die
Allerhöchsten, die wir sonst nur im Auto, an der
Logenbrüstung oder in schlechten Reproduktionen der
illustrierten Blätter zu sehen bekommen, menschiich
näher brachte “

Aber menschlich nicht allein, sondern „auch künst-
lerisch". Denn ein grosser Teil der Gegenstände, die
man zum Verkauf gestellt hatte, waren: „Erzeugnisse
feinster Delikatesse, dezentester Hochkultur,
Produkte des vornehmsten Geschmackes, des indivi-
viduellen Geschmackes, der Eigenkunst, geläutert durch
den Takt der Tradition. Und alies selbstgelertigt. In
den eigenen Werkstätten gefertigt, königliche Heimkunst,
königliche Hausmacherarbeit.“

Dtr Mann und Künstler Edel brauchte nur einen
Blick hinter die Mauern des Lebens zu werfen, das uns
die Allerhöchsten menschlich näher bringt, um einer
(wenn auch kleinen) Leserwelt die Augen öffnen zu
können über die Tatsache, dass hier die moderne
Kunst, trotz Knackfuss und anderen Hofkünstlern, ge-
adelt wird. Hier werden feinempfundene Blumenstücke
von einer Prinzessin nicht einfach gemait, sondern „im-
pressionistisch auf die Leinwand gezau-
bert“ und die von einem Prinzen geschaffenen Sil-
houetten lehnen sich sogar an die Allerneuesten an —
die Bayros (ol) und Beardsley.

„Man durfte, so sagt er auch noch, in die Seele
dieser Begnadeten des Lebens schauen und konnte
sich überzeugen, dass auch in den königlichen Wiegen
Menschen geboren werden, Menschen, die die Zeit be-
greifen und aus ihr schöpfen.“

Edel wird sie nie begreifen.

Fortsetzung folgt

Verantwortlich für die Schriftleitung
HERWARTH WALDEN / BERLIN-HALENSEE

Verantwortlich für die Schriftleitung in Oesterreich-Ungarn
I. V.: Oskar Kokoschka

Mauerstrasse 86—88

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