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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

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Nr. 18 (Juni 1910)
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Viertel, Berthold: Eine Begegnung
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Leppin, Paul: Daniel Jesus, [9]
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https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0147

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War es nichts als die Maske des Alters? War
in ihrer Seele etwas von dem, was, alle menschliche
Hoffnung verhöhnend, aus ihren Zügen sprach?
Was tat sie alle Tage? Rastete sie? Irrte sie um-
her? Wohnte sie bei Menschen, die zu ihr gehörten
und sie zu ihnen, sprach sie mit jungen Leuten?

Lebte sie überhaupt? Ich wollte sie anrufen.

Aber plötzlich wandte sie den Kopf nach mir,
hlickte mich an.

Ja, zweifellos, die Maske hatte mich angeblickt.
Als ob mich ihre Einsamkeit mit einem Pesthauch
angeblasen hätte, war es. Die zwei schlimmen,
toten Falten an den Mundwinkeln wurden lebendig,
^ruben sich tief ein, wie Trotz, das verhärtete Qrin-
sen drohte mir. Die ziellosen Augen standen still
nnd schossen Feindschaft.

Der Wille einer Seele hatte zu mir gesprochen,
den ich zu respektieren hatte.

Ich sah ihr eine Weile nach, während das
Rätsel des Lebens schmerzhaft in mir bohrte. Dann
gehorchte ich, wandte mich ab und ging.

Daniel Jesus

ßoman

Von Paul Leppin

E, Achte Fortsetzung

Sh

Es zogen jetzt Abende über die Stadt, die mit
kisen, verschüchterten Fingern an den Giebeln der
Häuser tasteten und mit der Sonne sparten, die in
roten Wolken verhüllt war. Und wenn der Wind
an den Fenstern der Qräfin Regina vorbeiflog,
stockte er eine Weile und suchte in dem Dämmer
des Salons nach den gelben Haaren Marta-Biankas
Und nach ihren Augen. Die standen groß und
schimmernd im Hintergrunde, dort, wo es am dun-
j^elsten und stillsten war, und sahen zu den Wol-
j^en, die mit Seide und Damast den Himmel ver-
bargen. Die Augen Marta-Biankas waren wie eine
’ür in einem hellen Saal. Nicht tief, wie die der
Qräfin. Aber sie blieben lange Stunden treu an
einem Bilde oder einem Munde und konnten wun-
üervoll leuchten. Sie hatten einen Grund wie ein
“ ach mit kleinen Kronen und winzigen Zacken,
als hätte dort jemand goldnen Lack verstreut.
Jetzt blickten sie starr und schimmerten, und woll-
i gn nicht von den Wolken fort, und blieben dort
bcinah den ganzen Tag. Sie zuckten nicht und
j'eßen es ruhig geschehen, wenn aus der Weite
'hres Herzens, fern, ganz fern, eine Träne aufstieg,
die auf den Teppich niederfiel und glühte. Marta-
“ianka weinte. Sie weinte in einer verwunderten,
neftigen Traurigkeit, die sich in ihre Seele verirrt
hatte, wie ein Kind, in einem unsagbaren Staunen,
daß sie daran nicht zerbrach wie ein Spiegel. Sie
^ußte nicht, wie lange sie schon weinen mußte.

dachte nicht, sie fühlte nur, wie ihre Tränen
b eIen, mühselig und nach einem langen Weg,
brennend wie heiße Steine, die ihr den Hals ver-
sengten.

Die Gräfin Regina ging an den bitteren Tränen
Marta-Biankas vorüber, ohne ein Wort. Aber ihre
^eele war weiß geworden wie der Schnee und
^>e die Haare an ihrer Schläfe, die ihr der kleine
bpiegel hinter dem Vorhang zeigte, wenn sie beim
Fenster saß und fror. Ihre Liebe zu Valentin pei-
nigte sie, und sie litt unter ihr. Darum kam es wie
Sroße Bangnis, ein zärtlicher, unsagbarer Schmerz
' n ihr Leben, als sie das Glück ihres Kindes in
jj en bebenden Tränen zerrinnen sah, die in das
bnnkle Gewebe des Teppichs silberne Schnüre
jjückten. Sie durfte nicht fragen, weil sie die Seele
^arta-Biankas kannte und wußte, wie scheu und
Schreckhaft sie sich fürchtete. Sie mußte dabei
Sein, wenn unter dem gelbgoldenen Haar das blasse
^esicht mit den weiten hilflosen Augen wie ein
üdnis wurde, ernst und reglos und ohne Freude.
le mußte dabei sein und schweigen. Sie sah die
. nnkelheit im Herzen ihres Kindes und klagte
Jenen an, der die Lichter zerblies, die fromm und
Sehnsüchtig darin brannten. Ihn, den jungen Baron,
b en sie unter Zweifel und Zagen eine Zeitlang
asf geliebt hatte, weil er soviel Trunkenheit und
V*'ück, und ein heißes, vergeßnes Lachen in den
ugen Marta-Biankas entzünden konnte, daß sie
ain Beginne fast gestorben wäre. Und am Glücke
^ u sterben, wenn es zu groß, zu wild und schmerz-
aft für den Leib geworden ist, wenn es die Seele
° tet und das Herz verzehrt wie einen Lappen,

das müßte der schönste Tod sein im Leben. Daran
hatte die Gräfin oft und lange gedacht, wenn die
Wangen Biankas weiß und durchsichtig schienen
wie die Flamme einer Kerze, und ihre Haare ver-
löschten und hell und trocken wurden in einem
seligen Fieber. Die Gräfin wußte, wie es ent-
standen war mit dem Baron und ihrem Kind.
Valentin hatte es ihr wohl hundertmal erzählt, wenn
sie in Angst um diese fremde Liebe in seinen Armen
lag, und er sprach immer wieder davon, zwischen
Küssen und den lüsternen Wunden, die er mit
grausamen Zähnen in ihren Leib graben konnte,
weil es sie quälte. Nun wuchs ein Gram und ein
Groll in ihr gegen den jungen Räuber, der das
Leben Marta-Biankas in die Hände nahm wie eine
Schachfigur, der ihr die Liebe aus der kindlichen
Seele gezerrt hatte mit dem verwegnen und ge-
fährlichen Spiel seines Mundes, der diese Liebe
jetzt folterte und ihr wehe tat — Gott wußte,
was er damit begann. Sie hatte schon seit langem
nichts mehr von den Beiden erfahren, sie blieb
einsam und abgeschieden, und niemand besuchte
mehr den roten Salon, weder Daniel Jesus, noch
der Baron Sterben, noch sonst wer. Nur Valentin
betrat täglich ihr Zimmer, und ihre Kniee zitterten,
wenn sie seinen Schritt vor der Türe hörte. Er
war böse und gewalttätig. Er schlug sie mit seinen
großen, knochigen Händen, daß tiefe Striemen ihre
feine, gelbe Haut durchschnitten und sie die Zähne
zusammenbeißen mußte, um nicht laut zu schreien.
Aber sie konnte ihm nicht mehr entrinnen, er war
ihr Herr, und sie kniete vor seinen Füßen und
bat um Barmherzigkeit. Dann hob er sie zu sich
in die Höhe und riß ihr den Kopf ins Genick und
küßte sie, daß sie alles vergaß, daß ihre Zunge
schwer und zischend in ihrem Halse hing wie
glühendes Eisen, daß ihre Besinnung zerfiel wie
ein Kartenhaus, und sie wie ein Gewicht mit
stöhnendem Schrei zu Boden sank.

Auch Valentin hörte nichts mehr von Marta-
Bianka und dem Baron. Ihre Liebe war von Tag
zu Tag immer heimlicher und versteckter geworden.
Und die Gräfin stand wortlos und voll Schrecken
vor einem Rätsel, dessen Lösung sie bange er-
wartete. Schon sieben Tage flossen die Tränen
Marta-Biankas in den Teppich mit den phantasti-
schen Linien und den dunklen Farben, der den
Boden des Salons wie ein Wunder bedeckte. Und
sie wurden immer glühender und schmerzlicher.
Es war in ihnen ein Glanz von Blut und Traurig-
keit, daß sie zuweilen niederfielen wie seltene,
schöne, purpurne Steine. Ihre Augen, die groß
und schimmernd im Dunkel des Hintergrundes
standen, sahen nun schon eine Woche starr und
unbeweglich zu den Wolken hinaus und ihre Hände
zitterten wie die Blätter des Gartens im Wind.
Herb und angstvoll \Vuchs die Sorge der Gräfin
um ihr Kind. Sie wurde krank und häßlich im
Kummer, und ihre Geberden alterten. Und jede
Träne, die Marta-Bianka weinte, grub eine Linie
um ihren Mund.

Marta-Bianka erwachte in einer Mainacht wieder
vor dem Mond, der in ihr Zimmer wie ein blü-
hender Baum schien, hell und silbern. Sie hatte
von dem Abend geträumt, als sie in bloßem Hemd,
mit Mantel und ohne Schuhe durch die Straßen
gelaufen war, um das Haus des Geliebten zu finden.
Sie schlug die Augen auf und sah die Mutter vor
ihrem Bett knien und beten. Der Mondschein
flackerte auf den weißen Haaren und dem bleichen
Gesicht. Und Marta-Bianka erkannte, daß tausend
Schmerzen und Bitterkeit und Angst darüber hin-
weggegangen waren, seit sie zum letztenmal hin-
eingeblickt hatte, vor wenigen Tagen erst, bevor
sie in die roten Wolken zu schauen begann. Da
zog eine große, ausschweifende und weite Sehn-
sucht in ihr Herz. Sie schlang die Arme um den
schönen Hals der Gräfin, über den eine arge blu-
tige Schramme lief. Sie küßte die Hände, die für
sie beten wollten, den Mund, der so häßlich ge-
worden war in wenigen Tagen, sie weinte wieder
und wieder ihre großen, schimmernden Tränen, in
denen ihre Traurigkeit und ihr Blut, ihre arme ge-
täuschte Liebe, ihr hohes, klingendes Herz sich
fanden und die sich im Lichte des Mondes zu-
sammenflochten wie zu einem Strauß. Und sie
erzählte der Mutter alles. —

Baron Sterben war tot. Gestorben in den
Armen Hagars, der Zigeunerin. Seit die der
Schuster aus seinem Haus gestoßen hatte, war sie
zu dem Baron zurückgekehrt. Er versteckte sie

vor Marta-Bianka, und während er mit törichten
Lügen ihren kindischen Mund verschloß, während
seine Hände ihr bernsteingelbes Haar streichelten,
stand nebenan im Zimmer die Zigeunerin und war-
tete auf die Stunde, die ihn wieder ihrem Leibe
schenkte und seinen hungrigen Lüsten. Er hatte
Hagar verboten, sich zu zeigen, wenn die andere
bei ihm weilte, und ihre trotzige Widerrede mit
einem Blick zersägt, vor dem sie verstummte. So
belog er Marta-Bianka wochenlang, und ihr ein-
faches, großes Herz glaubte ihm und blickte rot
und selig wie die Sträucher in seinem Garten. Bis
sie dann eines Tages vor ihm stand und in seine
toten Augen sah. Da wußte sie alles. Er lag
im Bett, die Zigeunerin neben ihm, und ihre Augen
waren in namenlosem Entsetzen stehen geblieben
wie eine Uhr. Marta-Bianka war eine Stunde früher
gekommen als sonst und ohne zu fragen einge-
treten, wie sie es immer tat. Auf seinem Gesicht
stand noch das Entzücken der Liebe, an der er
gestorben war. Im wirren Taumel zerbrach sein
feines und nervöses Herz zwischen der Lust und
der Glut der jungen Zigeunerin, die ihn mit ihrem
magern Körper getötet hatte wie mit einem Messer-
schnitt. Die Liebe hatte sein Herz zersprengt und
seine Seele zerrissen wie ein Tuch. Die Zigeunerin
kniete neben ihm im Bett, ihr Hemd war herab-
geglitten und zeigte ihre kleinen, gefahrvollen
Brüste. Sie kniete stumm neben seiner Leiche. In
wirrem Schrecken starrte sie auf Marta-Bianka, die
weiß wie eine Blüte zum Bett des Geliebten trat
und ihm in die gebrochenen Augen schaute. Das
Entzücken, das ihr daraus entgegenstarrte, ver-
glast und trüb geworden im Sterben, verbrannte
in heißem Leid ihr Herz wie eine Flamme. Sie
war plötzlich kein Kind mehr. Sie wußte und ver-
stand alles. Ihre Liebe war ein Traum gewesen,
eine Lüge von Anbeginn. An einer fremden Liebe
war der da gestorben. Das Märchen war vorüber.
Er hatte mit ihr gespielt wie mit einem Lächeln.
Weil sie Augen wie eine Ampel hatte und bern-
steingoldenes Haar. Er hatte ihre Seele und ihren
dreizehnjährigen Leib genommen, der beinahe zer-
brochen wäre im Glück, wie nun sein Herz an
der Liebe der Zigeunerin. Doch er hatte Raum
gehabt neben ihr für fremde Augen und fremde
Küsse, während ihr Leben voll war bis zum Rand
von dem seinigen. Er hatte Platz gehabt neben
ihrem Herzen für eine fremde und heftige, zehrende
und blinde Leidenschaft, für die er gestorben war,
ohne sich an Bianka zu erinnern, fern von ihrem
Namen und ganz erfüllt von dem schäumenden
Glück einer anderen Stunde, in der er ertrank.
Marta-Bianka schämte sich. Sie schämte sich, daß
sie ihm angehört hatte und seine Geliebte gewesen
war. Sie schämte sich, daß sie sich selbst und ihr
ganzes Leben ihm geschenkt hatte, für den sie
nicht mehr bedeutete, wie ein Spiel oder eine kleine,
lächelnde, verliebte Laune.

Ihre Liebe verflog wie die Staubkrone des
Löwenzahns im Spätsommer, wenn der Sturm sie
zerstört. Nur das Gift der Traurigkeit blieb in ihr,
der großen, unendlichen Traurigkeit, die nur ein-
mal im Leben kommt, wenn unsere besten Stunden
vorüber sind und niemals wiederkehren.

Sie sah mit einem langen Blick auf die Zigeu-
nerin, die noch immer von Entsetzen gefesselt neben
der Leiche des Barons Sterben kniete. Sie wandte
den Kopf und ging nach Hause. Ihr Herz war
verdorrt und ihre Seele in Nöten. Und ihre Tränen
fielen endlos wie ihr Kummer. Sie schämte sich
und bereute. —

So erzählte Marta-Bianka der Mutter die Ge-
schichte ihrer Liebe. Mit großen Augen hörte die
Gräfin zu und mit zuckendem Munde. Die Ge-
schichte seines Todes erschütterte sie. Sie mußte
an sich und Valentin denken und fühlte das duf-
tende Licht der Nacht auf der Narbe an ihrem
Halse spielen. So war die Liebe von Anbeginn,
immer und immer wieder, seitdem sie sie kannte,
Tränen und Wunden, und Trauer und Grausam-
keit. Und sie nahm den Kopf ihres Kindes mit
ihren weißen und schönen Händen, zwischen deren
Fingern eine bunte Sinnlichkeit flackerte, und be-
deckte die Wunde an ihrem Hals mit den Haaren
und den Tränen Marta-Biankas. Und sie weinten
beide zusammen in dieser Frühlingsnacht und hielten
sich mit den Händen und weinten, bis der Mond
blaß wurde und am Ende verschwand, und bis
drunten im Garten ein Vogel im Schlaf von den
Rosen des Sommers zu sprechen begann.

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