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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

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Nr. 26 (August 1910)
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Kokoschka, Oskar: Wintergarten
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Hiller, Kurt: Lyrik-Abende
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Lasker-Schüler, Else: In der Morgenfrühe
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Onno-Eisenbart, Carl: Eine Predigt
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https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0211

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Wintergarten

Archie A. Goodale

Gymnastische Evolutionen im Riesenreifen

Cinquevalli, der Jongleur

Er soll nicht täglich harte Eisenkugefn mit dem
Kopfe fangen, weil es auch uns wehtut. Aber dieser
Seehund, fast japanischer Nervendompteur, hat das
Gefühl der Schwere verloren und kehrt sich trostlos
von unserm Entsetzen ab und fängt harte Kugeln.

The eagle and the girl

Das arme kleine girl (dieses unschuldigste Wort
habe ich für das Kind erfunden) wird von einem
grossen weissen Adler in die Luft getragen und keiner
von den zehntausend hinaufglotzenden Gentleinen
zittert und weint wie ich, obwohl es ganz finster ist.
Sie singt glockenhell.

The 12 Sunshine girls

Ein ermattender, linder Schniirlregen von süssen
weichen Aermchen und Beinen. Zwölf keusche
Mädschenhosen flattern im Wind. Der englische
Wohllaut der lispelnden twelve Sunshine girls ist ein
zwölfstimmiger Dankgesang für die Erhaltung der
Jungfrauen. Ich war der einzige, der es heraushörte.

Oskar Kokoschka

Lyrik-Abende

Vor einer Anzahl 1 Wochen gastierte bei den
Berliner Freistudenten (sympathischen jungen Her-
ren) der Episödier Reinhardts, Herr Hartau. Er,

las neuere deutsche Lyrik, untermischt mit sanftem
Börsengekl'ingel eines unberufenen Felix Josky. Dies
war allenfalls verzeihliCh; unverzeihlich war, daß
er Hofmannsthals „Vorfrühling“ als ein Mime hin-
tegte, zarte Worte durch dicke dramatische Nüancen
zerklüftete, daß er gräßlich gebärdenzuckte,
schwitzend.

Dienstag, bei Cassirer, ernpfand ich: endlich
nun ist ein Mensch da, der unserm Ohr die großen
Dichter vermitteln kann, der Worte wunderhohe
Füger in diesen sChönen Tagen. Armin Wasser-
mann hat fast keine Technik, er versChlückt lialb-
betonte Silben, gelegendich bayert er noch, er gerät,
wo sein Pathos schreit, ins Krächzen —: aber cr
weiß. was ein Gedicht ist, was ein flamingöider As-
soziationentanz der Lasker-Schüler, was ein feuer-
flüssiges Brausen NietZsches, was eine heilig-dröh-
nende Nachthymne des Stefan George ist. Er zer-
fiaCkt nicht die Gestaltungen in Verständlichkeiten
und Effekte, er gibt Rhythmengebilde, gleich-
niäßig Schwebendes, Einheiten. Bei geschlossenen
Augen geschah mir, daß drei, vier geliebte Schöp-
fungen, „Weltgeheimnis“, „Der Herr der Insel“,
Wunder des „Algabal“, täglich! stumm gelesen — ge-
betet — groß und fürstliCh zu Klang wurden...

Hartaue als Vorleser sind virtuos und kitsChen;
Wassermann ist der Vollendung sehr fern, kredenzt
aber Kunst. Er kultiviere sich; er ist eine Hoffnung.

(Fräulein Hilde Laßwitz, ein blondes Kind, mohn-
rot eingemullt, lieb, auf den Brettern gewiß eine ent-
zückende Naive, las ohne viel Ahnung Verse von
Rilke und Dehmel.)

K. H.

In der MorgenfrShe

Von Else Lasker-Schüler

Ich gehe an Mandelbäumen vorbei, aber die
blühen in den Gärten fremder Häuster und die
Fenster sind noch geschlbssen hinter Spitzenge-
weben. Ich bin unendlich müde, gewohnheitsmäßig
bewegen sich meine Füße vorwärts, Maschinen sind
es und sie müßten eigentlich unverhüllt in blauen
Sandalen gehen, denn sie sind von goldzagem
Wandel, wie die Sonne, die aufstieg. Ich kenne
die Menschen nicht, die mir begegnen, ich weiche
ihrem Dünkel aus und ich brauchte nur meinen
grauen Mantel abzulegen, um König zu sein. Ich bin
unendlich müde, iCh glaube, ich bin im tiefsten
Leben erkrankt, aber die Vorübergehenden merken
es nicht, sie heben auf, was lärmend auf den Straßen
liegt, aber sie hören niCht das schmerzliche Murmeln,
das tötliche Verrauschen einer Seele. Da liegt ein
Nachtfalter vor mir — er stirbt — wie dürftig seine
Flügel sind, ein Lumpenhändler war es, ein Va-
gabund, der sich nachts auf den Straßen herumtrieb
und am Feuerrausch der Lampen endete. Er stirbt
— ich trete ihn tot. Ich denke an ihn — wenn es|
für ihn doch einen Himmel 1, einen blauen Strand
gäbe — er würde dort ein söhöner Schmetterling
sein. Ich bin unendlich müde — wenn ich nun aucli
eines Morgens so daliege, wie der graubraune
Strolch — welcher Fuß würde miCh zertreten.
Es kommen Mä-nner an mir vorbei in weißen Sport-
schuhen und Frauen schreiten hastig über den
Damm. Ich mag diesfe Frauen nicht im Ornat,
derbgewordene Phillisterinnen sind sie — was wissen
sie von der Knabenzeit. Aber das kteine Mädchen
mit der Bubenbluse, es wird mich übermütig zer-
treten im Scherzwort, im Frühlingslachen. Ich bin
unendlich müde und e&! beginnt der rücksichtslose
Tag. Der Mann aus Glas mit der Vollstreckungs-
mappe unterm Arm wartet vor der Haustür auf
mich, heute klebt er die Siegel. Ich muß ihn zart
am Henket fassen — so ganz vorsichtig, liebevoll,
daß er nur keinen Sprung bekommt. Draußen an
dem fremden Hause blühen die Mandelbäume: der
Falter ist tot, ich' vergaß ihn vom Weg in einen der
Gärten zu werfen.

Eine Predigt

Geliebteste!

Ich wili zu Euch sprechen heute von der Herr-
iichkeit und der Größe des Priesters, ihr Jung-
frauen. Meiner Betrachtung wili ich das Wort des
hochehrwürdigen Fiirstbischofs K a t s c h t h a 1 e r
von Salzburg zu Grunde legen, wie es in dessen
Hirtenbrief vom Jahre 1905 also lautet:

Wo ist im Himmel eine solche Macht, Wie die
des kathoiischen Priesters? Bei der Mutter Gottes?
E i n m a 1 hat Maria das göttliche Kind zur Welt
gebracht! Und sehet, der Priester tut dies nicht ein-
mal, sondern hundert- und tausendmal, so
oft er zelebriert. Geliebteste, habt ihr jemals bedacht,
Welche Gewalt hiermit den Priestern, und wieder nur
den katholischen Priestern. gegeben Wird? Ihnen hat
Jesus Christus das Recht über seine heilige Menschheit
übertragen, ihnen gieichsam Gewait über seinen Leib

gegeben.Christm, der eingcborene Sohn Gottes

des Vaters, durch den Himmel und Erde geschaffcn
sind, der das ganze Weltali irägt, ist dem katho-
lischen Priester hierin zu Willen. —
Anien

O, Geliebte, Christus selbst hat dem katho-
lischen Priester Gewalt gegeben iiber seinen göt'-
lichen Leib, it'ber sein Fleisch und Blut; solltc:
nicht da auch ihr ihm mit Freuden alles geben, was
ihr seid und was ihr habt? Ich wi!l euch warnen
in Liebe, ilir Jungfrauen, auf daß ihr nicht in tm-
rechtes Tun verfallet gegen die Vertreter des Heirn
auf Erden, auf daß ihr nicht gestrafet werdet, wie
das Dienstmädchen von Kalbermoor und wie die
Köchin von Ganacker. Wenn euch je das hohe
Glück zu teil wcrden solite, als Köchin die geweihte
Schwelle eines Pfarrhauses überschreiten zu dürfen,
o so seid eingedenk des Wortes: Was Lhr dein
Priester getan, das habt ihr Gott getan! Trachtet
danacli, etires hochwürdigen Gebieters Leib mit
jedem Tage aufs neue mit gut und kräftig Essen
und Trinken zu versorgen. O Geliebte, der Lohn
wird nicht ausbfeiben. Ueber ein Kleines wird der
Gebieter an euer Kämmertein klopfen und sprechen:
„Steh auf von deinem einsamen, harten Lager,

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