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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

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Nr. 21 (Juli 1910)
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Soyka, Otto: Der farblose Krieg
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Scheerbart, Paul: Nackte Kultur: Schwarzer Spass
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Kurtz, Rudolf: Das Nilpferd
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https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0169

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im Dreinschlagen bestand, hatte sie ihren Zweck.
Begeisterte Hiebe waren stärkere Hiebe, die
Wärme der Begeisterung setzte sich in Arbeit um,
war nach Kilogrammetern zu messen. Sie bedeu-
tete ein Mehr an Kraft für die Armee, und zwar
einer Kraft, deren Herstellung im Vergleich zu der
aus Fleischkost und Konserven erheblich billiger
zu stehen kam. Aber heute? Soll der Mann mit
Begeisterung zielen, mit 'Begeisterung den Hahn
drücken, begeistert jede Deckung benützen? Das
wäre verfehlt, und würde die erwünsChten Treff-
resultate bedeutend vermindern. Und das eben ist
die Lehre der Zeit für den bürgerlichen Beruf und
für jede erfolgreiche Tätigkeit gewesen: Ruhe,
Sachlichkeit, Pflichtgefühl. Kein Rausch, kein Zu-
viel an Wollen und Versuchen, verspricht Erfolg.
Die Zeiten des Affektes sind vorüber, und ernste
Arbeit wird nüchtern geleistet. Es ist ein schwerer
Fehler, der Kriegsarbeit eine Ausnahmestellung an-
zuweisen. Auf die Errungensehaften von Nüch-
ternheit und Pflichtbewußtsein bei der Erziehung
des Soldaten zeitweise zu verzichten und den tra-
ditionellen Rauschzustand anzustreben. Auch der
Reruf des Krieges erfordert heute jenen ganzen
Mann, der seine Gedanken nur auf ihn, nicht aber
auf ideale Dinge richtet. Mögen diese nun an sich
vorhanden und sehr wertvoll sein oder nicht. Das
bürgerliche Leben lehrt die Erfüllung von Pflich-
fen. Die großen Leistungen unserer Zeit haben
ihren Ursprung fernab von allen Symbolen und
aller Begeisterung in der Pflicht. Es ist Unsinn,
für den Krieg ein Gedankenreich zu schaffen, wo
die Pflichten an zweiter Stelle, und aller mögliche,
ehrwürdige Hausrat an erster steht. In jener ist
der heute lebende Mensch zu Hause, hier hät er
gelernt, seinen Mann zu stellen, und er 'wird ihh
nur dann im Kriege stellen, wenn er merkt, daß
er nicht plötzlich in fremden Regionen lebt, son-
dern es mit nichts anderem zu tun hät, als mit
der alten, wohlbekannten Pflicht. Soll gerade die
Armee für das Zuviel an Nüchternheit in allen
anderen Lebenskreisen schadlos hälten? Ueberall
sonst: Zahlen, hier allein Gefühl. Mit einem 1
Schlage steht man in einer anderen Zeit. Die
poetische Einkleidung und der ganze Rausch, sie
bergen die große Gefahr eines Mißverständnisses
in sich, das folgenschwer werden kann. Sie könnten
leicht zu der Annahme verleiten, es genüge die
Baradegefühle mit sich zu führen; jene andere
geistige Montur aber, die sonst im! Lebenskampf
getragen wird, sei nicht für den Krieg erforderlich.
Nichts ist bedenklicher, als dem Soldaten die
Situation als fremdartig und ungewöhnlich darzu-
stellen, den Krieg als einen Ausnahmezustand, der
neue und unerhörte Anforderungen an ihn stellt.
Krieg und Frieden dürften nicht als Gegensätze
erscheinen, denn sie haben das Gemeinsame der
Arbeit. Es ist höchst unnötig, ihn außer mit
Musik noch mit Hochgefühl marschieren zu lassen.
Weit wichtiger wäre es, ihin zu Bewußtsein zu
bringen, daß der Kampf und die Selbstverteidigung
keine Steuer sind, die ähm eine Regierung auf-
erlegte, daß diese Steuer von altersi her auf jedelri
lebenden Wesen lastet, und die Form, in der sie
heute entrichtet werden kann (Einschränkung auf
die körperlich geeigneten Personen und bei diesen
auf eine bestimmte Anzahl von Jahren) bereits eine
der wertvollsten Errungenschaften des Staates, eine
der wichtigsten Entlastungen für seine Angehörigen
bedeutet.

Man bemüht sich seltsamerweise emer Armee
Gutes nachzusägen, indem man ihre Gefühle lobt;
hian vergißt dabei häufig genug ihren eigentlichen
•^ert: die Arbeitsleistung, die von ihr repräsentiert
'vird. Jahrzehntelang hat diese Organisation die
Arbeitsleistung von Hunderttausenden in sich auf-
genommen; und ein Teil von diesen, der an In-
lelligenz und Arbeitsfähigkeit kaum einer anderen
Gesellschaftsklasse nachsteht, hat die Leistung des
ganzen Lebens in ihr niedergelegt. Diese ganZe
Summe einer ernsten Arbeit der Jahrzehnte ist in
der Organisation der Soldaten aufgespeichert. Wie
kann es dazu kommen, daß man daS übersieht und
Kauschzustände gegeneinander abzuwägen und nicht
Arbeitswerte ?

Eine solche kindliche Verkennung von Arbeits-
^ert und der Arbeitskraft wird sdch diese Zeit
^rgends zuschulden lcommen lassen, wo ihr die
Arbeit in minder buntem Gewande entgegentritt.
~diese Verkennung BChließt ein gerade heute
^cispielloses UnvenBtäadnis für Arbeit in sich. Es

ist die Folge des Fehlers, daß man den Krieg und
alles mit ihm zusammenhängende nicht im Lichte
der Gegenwart sieht, sondern in einem mystischen
Dunkel vergangener Zeit, und daß man, zögernd
auch auf ihn die Lehren und das WisSen unserer
Zeit zu erstrecken, mit veralteten Maßstäben an
seine Beurteilung herangeht. Man mag die Ver-
gangenheit ungern schwinden sehen, mag die bis-
herige Auffassung des Kriegswesens als letzten
Rest schönerer Zeiten bewundern, in denen die Er-
eignisse mehr Glanz und Farbe hatten. Wer heute
den Erfolg will, wird auch die Gesetze dieses Heute
studieren müssen. Die Bilderbogen deS Krieges
haben sich stark verändert, seitdem in Europa die
letzten Schlachten geschlagen wurden. Es wäre an
der Zeit, auch an den psychologisehen Bilderbogen,
die noch die alte Malerei tragen, die notwendigen
Korrekturen vorzunehmen.

Nackte Kultnr

Schwarzer Spass

Von Paul Scheerbart

Schwipp! Da flogen die schwarzen Zylinder,
die weißen BäffChen, die Triköts und Chemisettes,
die Frackschöße und die Aermelröcke, die Strümpfe,
Krinolinen und all die andern Höllenhüllen auf die
großen Scheiterhaufen rauf.

Die Flammen loderten majestätisch zum afrika-
nischen Himmel empor, und die schwarzen Herren
und Damen aus Afrikä imitanzten die lördernden
Flammen wie die Besessenen.

Nadkt waren die schwarzen Menschen —
splitternackt.

Zehn Volksredner aus Europa hatten es fertig-
gebracht, ganz Afrika zu revolutionieren.

„Schwarze Menschen“! hatten die Volkä'redner
gesagt, „Ihr müßt eine neue Kultur begründen.
Laßt Euch von den Europäern nichts weiß machen.
Die Europäer sind mit ihrer unnatürlichen Kultur
sehr unzufrieden, da die vielen Kleädungsstücke den
ganzen Menschen beengen. Werdet wieder nadkt,
wie ihr einstmals waret — und Ihr werdet plötzlich
an der Spitze einer neuen Kultur stehen — an der
Spitze der nackten Kultur — der „natürlichen“
Kultur — die dem MensChen gestattet, frei zu leben

— frei von allem Plunder. Es lebe hoCh der nackte
Mensch mit der splitternackten Kultur! Hört Ihr
schon was näher kommen? Hört Ihrs noch’ nicht?
Es sind die Maler und Bildhauer, die da kömmen!
Sie eilen aus allen Erdteilen herbei und wollen sich'
bei Euch piederlassen — da sie im näckten MensChen
das echte und wahre Kulturideal erblicken. Dasj
Fleisch ist der große Trumpf der Natur — die
Kulturauster — also — hbCh 1 das schwarze
Menschenfleisch! Hoch! Hoch!“

Und die Schwarzen entkleideten sich allesamt

— und standen nun da in ihrer stolzen Nacktheit
wie Adam und Eva im Paradiese.

Die schwarzen Leute umtanzten mit ihren
schwarzen Weibern die Scheiterhaufen, auf denen
all die lächerlichen Bekleidungsgegenstände end-
gültig verbrannten.

Und dann arrangierten die sämtlichen naCkten
Völker des heißen sChwarzen Erdteils einen gran-
diosen Küstenreigen mit Pechfackeln. Die Kinder
trugen die Peckfackeln.

Die Schwarzen faßten sich 1 alle gegenseitig an
die Hände und bildeten so eine mächtige Riesen-
kette — und die Riesenkette hätte die Form einer
Landkarte von Afrika — denn diese Menschenkette
drückte auf die sämtlichen Meeresküsten des afri-
kanischen Kontinents. Um die unzähligen Mohren-
füße plätscherte das Seewasser. Die Kinder mit
den Fackeln jauchzten. AIso zeigte sich die neue
Kulturhorde den zurückgebliebenen Erdteilen in
ihrer stolzen Nacktheit.

Die zehn Volksredner aus Europa standen ganz
hackt in dem Aequatorsonnenschein und gratulierten
sich händeschüttelnd, — dem hagersten Von den
zehn Volksrednern war allerdings die neue Kultur
noch 1 lange nicht nackt genug: und sie besChlossen,
in Europa hundert Millionen Rasiermesser an-
fertigen zu lassen — alle Haare sollten rasiert
werden — sogar die Augenbrauen und die Wimpem.

Die Schwarzen aber tanzten auf den Meeres-
küsten wie die Besessenen; sie drückten sich dabei
immer fester die schwarzen Hände; die schwarzen
Seelen dampften.

Das war jein Kettentanz!

Das war ein Befreiungstanz!

Das war das erste nackte Kulturfest mit
flackernden Pechfackeln und bewegten Beinen.

Alle Mannsleute und auch die Weibsleute waren
ganz aus dem Häuschen.

Alle Künstler der Erde klatschten Beifall mit un-
geheurem Eifer.

Durch den kolossalen Schall entstanden viele
Gewitter mit Blitz und Donner.

Die Rasiermesser kamen längsam näher — auf
reichbeflaggten Regierungsdampfern.

In Timbuktu sollte den schwarzen Leuten das
kunstgerechte gegenseitige Einseifen beigebracht
werden; das Rasieren verstanden sie bereits —
nur mit dem Einseifen wollte es immer noch' nicht
so recht gehen. Die Seifensieder freuten sich so
— wie Künstler und Barbier.

Das Nilpferd

Von Rudolf Kurtz

Sie gehen in einer Herbstnacht durch den Tier-
garten. Die kahlen Bäume berühren Sie bei Ihren
geordneten erotischen Verhältnissen mit keinem
Sentiment. Sie gehen, um in dem seltsamen Witte-
rungswechSel der Uebergangszeiten die Stoff-
verbrennung in Ihrem Körper intensiver zu
empfinden, sich auf einem einsamen Wege als
dynamischesi Wesen von höchster Bewegungsfähig-
keit zu Bewußtsein zu bringen. Die Windungen
Ihres Gehirns füllt ein überhastiger Strom farbigster
Lyrik : Da unterbriCht Sie ein irrer Schrei in Ihren
einsamen Abenteuern. Ein kräChzender, ver-
dammter, ein tropischer Schrei erhitzt Sie: die
nordische Sentimentalität ist aufgesogen von der
heiteren Trockenheit südlicher Provinzen — noch
einmal dieser ferne, wilde Schrei, und Sie denken
an Birubunga, \vo Sie hätten Tiger jagen können,
eine wirre Fabelkette heftigster, erregendster Er-
lebnisse, die mit beängstigender Schnelligkeit vor-
übersausen, über das Btachfeld Ihrer imaginären,
aCh' so heroischen Abenteuer zucken die Schreie
wilder Tiere, krächzt ein zusammengekauerter
Vogel, in Erinnerung an einen höhen, ganz hohen
Flug. Sie sind im Zauber verwilderter Vegetationen,
gefesselt von unbeschreiblichen Tiersagen — tait
einer jähen Bewegung fliegt der Kopf aus deta'
sorgsäm emporgesChlagenen Kragen und Sie stehen
in der frisch etapfundenen Nachtlüft, die Pfeife
mit männlicher Energie zerbeißend, vor den
berlinisCh aufgefärbten Mauem des Zoo. Ihre Er-
lebnisse erwachen, sorgfältig distanziert von der
phäntastischsten Meerfahrt yon vorhin. Mit Zärt-
lichkeit gedenken Sie der Lataas, die Sie im Sommer
in Begleitung des guten Doktors: mit Zeitungen,
Berliner Zeitungen fütterten, mit liebevoller Hingabe
das längsäme ZersChroten des Papiers betrachtend.
Voll unsagbarer Bewunderung erinnern Sie sich der
Elefanten, dieser unglaublichen Türme rührender
Treue, ihrer getaessenen Würde und der besorgten
Haltung ihrer nervösen Ohren. Und wie beruhigt
es, sie schreiten zu sehen, die federnde Beweglich-
keit dieser trägen Fleischtaässen, den sicheren
Rhythmus der Muskelbewegungen zu empfinden
und die Reizbarkeit des spiralig gewundenen
Rüssels. Mit einem innig empfundenen Ruck sind
Sie in dem abgeschmackten Hause, wo das un-
glaublichste Wunder der Tierwelt sein magisches
Dasein führt: das bewunderungswürdige Nilpferd.
Denken Sie noch an die tiefe, fast religiöse Andacht,
tait der wir vor diesem ungeheuren phantastischen
Wesen standen? Dieses dätaonisch gewordene
HaussChwein, von einem betrunkenen Fleischerhirn
nach einem mittelalterlichen Fabelbuch stilisiert.
O, wie erbarmungswürdig ersChien uns die Phantasie
eines europäischen Karikaturisten, der dieses Ge-
schöpf zu zeichnen begehrte, und wir dachten an
einen flinken und doch nicht würdelosen Japaner,
der mit ein paar heftigen deutlichen Pinselstrichen
den breiten Kopf mit der ungeheuren Linie des
Kinns hinsetzte, diese erregend perfiden Augen und
den monströsen Hautlappen der Oberlippe, in dem
eine ungeheure Kraft nervös spielt. Und dieser
schwere, fettgeschwollene Körper •— wie organisch’,
selbstverständlich steht er zu diesem Kopf, der
wie ein faulender Baumstumpf voll grünlicH ver-
krusteter Borke aus dem Wasser ragt. — Wir
hören es schlürfen und niesen, sehen seine tappen-
 
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