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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

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Nr. 1 (März 1910)
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Friedlaender, Salomo: Ausgelachte Lyrik
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Lublinski, Samuel: Offener Brief
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Erklärung
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https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0010

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wären, aber daß seine Lende versenge. Und doch
hat St. Peter Hille einmal gesagt: Peter Baum sei
der sensibeiste Mensch, den er je kennen gelernt
habe. Peter Baum ist ganz blau. Das heißt iiber-
setzt: Er ist ein Dichter. Sternenpsalme hat er
gedichtet für die Harfe Davids, fiir das Herz Salo-
mos, des Dichterkönigs von Juda. Und doch ist
PeterBaum der leibliche Sohn und Erbe des Evan-
geliums. Seine Väter waren die Herren von Elber-
feld im Wupper-Muckertale. Sie beteten zu Luther
und wachten auf in Sonntagsfriihe beim ersten
Schrei des Kirchenhahns. Manchmal erscheinen sie
ihrem Urenkel im Schlafe, weniger der jüdischen
Psalme, aber seines abtrünnigen Romans „Spuk“
wegen. Es ist ein Roman im Kaleidoskop; die Bil-
der kommen buntartig und schwinden blendend wie
teuflische Spiegel. Ein flackerndes Fleckenspiel
hinter geschlossenen Augen. O, und seine wunder-
vollen Novellen „Im alten Schloss“ brachte er mir
eines Abends, seine große Tannengestalt erschien
mir noch eine Krone höher, so aufwärts wie der
Qraf seines Buches, ein wetternder Weihnachts-
baum, der seinen Schmuck abgeschüttelt hat. Die
Wochenschrift „Sturm“ wird Peter Baums neuestes
Werk bringen, das spielt zur Rokokozeit und ist in
geblümter Seidenspraphe geschrieben. Wie tief
seine Dichtungen doch ihn erleben und er sich an
ihnen verwandelt!

Ausgelachte Lyrik

Von S. Friedlaender

Ich habe einige Gedichte von mir unter dem Titel
„Durch blaue Schleier“ veröffentlicht und zu mei-
ner Genugtuung sind zwei davon (die übrigens
nicht zu den besten gehören) von der versammel-
ten Genossenschaft Deutscher Bühnenangehöriger
herzlich belacht worden. Ich bin durchdrungen
von der Gewißheit, daß erstens meine Gedichte
keineswegs auf dem Niveau jener Genossenschaft
stehen; daß zweitens auch mein allerschlechtestes
Gedicht jencs Niveau überragen muß; daß endlich
von Klassenintelligenz an alles, was nicht a u f ih-
rem Niveau ist, stets in dem Sinne verlacht wer-
cfen wird, wie wenn es u n t e r ihm wäre. Denn
dieses ist immer der Unterschied des gemeinen
iaCifenif w.tr Ädlar atnd fuv;astimr,r gc'weseir, dfu
jenes auch das Erhabene noch in den Staub unter
seinen Füßen zieht; hinge'gen dieses adelt auch
noch den Staub. Das Lachen des Vornehmen über
den Geringen hat einen gewissen himmlischen und
reinen Klang, der das Geringe harmonisch mitklin-
gen Iäßt. Wo aber Gemeinheit (d. h. „Durch-
schnitt“ und Tieferes) über Edleres lacht oder, was
ganz genau dasselbe besagt, Theodor „Lessing“
über Samuel Lublinski; desgl. Hermann Nissen
Uber Salomo Friedlaender; der kranke und „ge-
sunde“ Menschenverstand tiber den übergesunden
— dieses rohe Gelächter stumpfsinniger Verständ-
nislosigkeit schändet, entehrt, vernichtet bloß sein
Objekt; es ist nicht auch schöpferisch. Muß ich
diese Eule nach Athen tragen? — Man prüfe das
Lachen! Ich versichere, daß ich genau so sehr
Dber meine Gedichte, über Lublinski und Walden
lache, wie Nissen, „Lessing“ und Konsorten: Aber
anders, anders! Denn seit wann, heillose Ein-
falt, ist das Lachen nicht mehr w e i t verräteri-
scher für den Lachenden als für den Ausgelachten?
Es ist Ieicht, zu lachen. Alles kälbert gern, vom
Jiingling bis zum Nordpolentdecker, das Lachen
ist aber eine angenehme Verrichtung. Es ist leicht,
iiberhaupt zu lachen: allein weise zu lachen: so zu
Iachen, daß man alle Lacher, auch den Ausgeiach-
ten auf seiner Seite hat, befreiend, erlösend, auf-
klärend zu lachen, vermögen (außer Nietzsche-
Zarathustra) nur wenige Menschen, nur Lessinge,
die nicht Theodor heißen. Dieser Heiterling Theo-
dor nimmt sich und George verzweifelt ernst, mei-
nen Lublinski höllisch lustig: Das ist der netteste
Beweis für die unglaublich alberne Leichtfertig-
keit der flachen und rohen Lache, die er tierisch
aufschlägt. Je gründlicher, weiser und göttlicher
jemand lacht, desto weiter wird der Umkreis des
Verlachten, bis er zuletzt die Welt und den Lacher
mit in sich einbezieht. Wer sich bis in das Mark
der Knochen hinein Kraft nimmt, kommt aus dem
Lachen über sich nicht mehr heraus. Es ist dieses
das g a n z e Geheimnis des Ernstes, daß das
Lachen mit in sein Wesen hineingehört. Wie
dumm lacht so ein Kerl, der aus seines Ernstes
sicherem Hafen lacht! Wie ordinär macht Lessing
von dem vermeintlichen Privileg, nicht Lublinski
zu sein, Gebrauch! Wir kennen dieses mensch-
lich-allzumenschliche Gelächter, das heute ihre
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ehemaligen Kreuzigungen und Verbrennungen
mehr als ersetzt! Es gibt eine Rangordnung des
Gelächters, und sie beruht auf einem Gegensatz.
Um rund herauszukommen, muß ein Gelächter
Bosheit mit Güte konsonieren lassen, Vernichtung
mit Schöpfung. Was wäre eine Logik der bloßen
Negation? — Vernichtende Kritiken, die nicht
ebenso schöpferisch sind, vernichten auch nur
halbwegs. Wer wie der sogenannte „Lessing“
verzerrt, ohne zu rechnen, daß nur Ideale verzerrt
werden können; daß seinem von ihm u n d voti der
Natur so häßlich verzerrten Lublinski — für
Lessings flache Sinne unempfindbar — das herr-
hche Wesen Lublinskis noch deutlich erkennbar
untergelegt ist, der gibt klärlich zu verstehen, daß
er die Dinge auch nur halb ernst nehmen kann; daß
auch seine Verehrungen flache Hügel sind, daß er
den Diameter seines Lachens nur als Halbmesser
kennt. Lachen ist, wenn es mehr sein möchte als
ein albernes Gekälber, die schwerst erlernbare
Kunst, der vollendete Triumph aller Welt. Nur
die Gerechtigkeit dürfte Iachen. Das infernalische
Gelächter „Lessings“ sollte Herr Lublinski olym-
pisch beantworten: mit welcher wundervollen un-
sichtbaren Schönheit verklärt er seine sichtbaren
Verrenkungen. Wenn also überhaupt gelacht wer-
den soll, so lache man unisono und gegenseitig.
Ein Mann wie Scheerbart gar lacht tiber alle Ge-
nissen- und Genossenschaften der Weltangehöri-
gen so sehr, daß ich wünschte, es wirkte allgemein
ansteckend. Ich zerreiße jedes edle Iyrische Ge-
dicht, iiber das Niss’en usw. nicht lacht.

Offener Brief

Lieber Herr Walden!

Sie fragen mich, ob ich nicht dem sogenannten
zweiten Lessing persönlich erwidern will. Doch
dazu ist mein Zorn gegen den Ehrenmann nicht
groß genug, obwohl freilich, wie ich zugeben muß.
sein jiängstes Produkt nach dem Gegenteil von
Eau de Cologne riecht. Aber die dicke Komik, in
der dieser Brave förmlich eingewickelt liegt, muß
mich entwaffnen.

Sehen Sie sich doch nur, bitte, diesen judenfresse-
nscneii Semiten an, d'er nacri eigenem (jcstä'ndnis
an Halluzinationen leidet! Da rast, tobt und
schäumt er wider etwas, das er „esprit-jüdisch“
nennt, und merkt dabei gar nicht, daß sein eigener
Artikel in seiner geistreichelnden Roheit als die
duftigste Blüte der von ihm gekennzeichneten
Literaturgattung erscheint. Eine solche Ahnungs-
losigkeit müßte eigentlich zwerchfellerschiitternd
wirken, wenn nur nicht ein gewisser Ekel wäre,
so daß man nach dem Riechfläschchen greift.
Immerhin hat diese Groteske mich schon vor dem
Kampf entwaffnet, und ich gelange mehr und mehr
zur Einsicht jener alten Stoiker, denen Gottes Güte
und Weisheit nicht zum wenigsten durch die
Existenz gewisser kleiner Lebewesen bewiesen
wurde. Darum sei es fern von mir. dem unzwei-
felhaft menschlichen Lebewesen Theodor Lessing
das Recht zum Dasein abzusprechen. Ich Iasse
diesen Judenfresser semitischer Abstammung ruhig
iaufen, wie ich auch die unverfälscht arischen Anti-
semiten zumeist Iaufen ließ, und Gottes Weisheit
pries, der in unergründlichem Erbarmen auch noch
diesen Geschöpfen zum Licht der Sonne verhalf.

Mit freundlichem Gruß

Samuel Lublinski

Erklärung

Zu Herrn Herwarth Walden, den wir durch
unsere Mitarbeiterschaft zu wiederholten Malen in
den Augen der Halbkultivierten kompromittiert
haben, kommen zwei Kaufleute und fordern ihn
auf, die Chefredaktion einer dem französischen „Le
Thdatre“ nachgebildeten Zeitschrift zu übernehmen.
Herr Walden setzt den Herren auseinander, daß er
sich zu einer derartigen illustrierten Zeitschrift nur
dann verstehen könne, wenn sie in einer streng
künstlerischen und durchaus vornehmen Form ge-
halten sei, legt ihnen zahlreiche Nummern der
früher von ihm geleiteten Zeitschriften vor, deren
Ton und Inhalt die Herren als für die neue Zeit-
schrift maßgebend anerkennen. Zum Ueberfluß
macht Herr Walden die Herren mit dem skanda-
lösen Benehmen bekannt, das die Genossenschaft
deutscher Bühnenangehöriger seiner streng künst-

lerischen Haltung wegen ihtn gegeniiber an den
Tag gelegt hat. So auf das Genaueste informiert,
engagieren die beiden Kaufleute Herrn Herwarth
Walden auf mehrere Jahre unkündbar als Chef-
redakteur. Darauf versieht er die Herren, die zu-
nächst nicht viel mehr wußten, als daß sie eine
Theaterzeitschrift haben wollten, mit Ideen und
Anregungen. Die neue Zeitschrift, die auf Herrn
Waldens Vorschlag den Titel „Das Theater“ erhält,
erscheint vom 1. September 1909 ab als Halb-
monatsschrift, findet im In- und Ausland eine große
Verbreitung utid genießt den Beifall. der maßgeben-
den künstlerischen Kreise.

Aber schon am ersten Tage stellt sich heraus, daß
die Herren Kaufletite Neigung haben, sich nach be-
kanntem Muster, jedoch mit vermehrtem Eifer, in
die redaktionellen Angelegenheiten einzumischen.
Sie erlauben sich Kritiken über unsere Mitarbciter-
schaft und geben immer deutlicher zu verstehen,
daß sie die Zeitschrift im Geschmack eines Fami-
üenblattes gehalten wiinschen. Sie gebärden sich
ganz so wie Leute, die es nicht länger erwarten
können, daß die Redaktion Bilder gegen Bezahlung
veröffentücht und die Nennung von Konfektions-
firmen gegen pekuniäre Leistung einführt, was ja
schließüch vom Standpunkte der Kaufleute einen
reellen Handel und keine Korruption bedeutet.
Schließlich gehcn die Herren soweit, daß sie ihren
Redakteur anweisen, er möge seine Mitarbeiter zu
einem dem Fassungsvermögen der Verleger ange-
paßten Stil anhalten. AIs sich Herr Walden auch
in diesem Falle gänzüch abgeneigt zeigt, entschüe-
ßen sich die Kaufleute, die inzwischen in Berlin —
die Herren waren fremd am Platze — Fühlung mit
den verständnisvollen und gefiigigen Literaten be-
kommen haben. eben jenen Kontraktbruch zu be-
gehen, den die Genossenschaft deutscher Biihnen-
angehöriger ihnen so schön vorgemacht hat, und
entlassen den unbequemen Redakteur. Sie ent-
lassen ihn. nicht ohne ihm vorher einen Artikel
zensuriert und dafiir seinen Herausgebernamen
mit einer Schneidereklame und ähnlichen Beiträgen
in Verbindung gebracht zu haben. Der Fall ist eine
autorrechtliche Novität; aber sie wußten bereits,
daß sie des Beifalls und des „Ahas“ aller jener ge-
wiß sein wiirden, denen wir Mitarbeiter von jeher
fatal waren. Wir stellen in diesem Ereignis die
Logik der Zeitläufte fest. Es kann gar nicht anders
seiti. afs aai.f Rbritektibnäre sich in d'ie Angelegen-
heiten der Kunst und Literatur einmischen. Und
wenn diese Herren, die einen Redakteur mit einem
Kommis verwechseln, weil sie geistige Stoffe nicht
mit der Elle messen können, von uns verlangen,
wir möchten so schreiben, daß wir sogar ihnen
verständlich sind, so wollen wir uns wenigstens
einmal so ausdriicken, daß sie nicht im Zweifel
iiber das sind, was wir meinen. Wir sagen also:
Auf diesen Abschluß brauchen sich die Herren
Kaufleute nichts einzubilden. Er ist unlauterer
Wettbewerb tnit Herrn Nissen. Aber auch auf die
Zufriedenheit der Kundschaft, die wir bekämpft
haben und weiter bekämpfen werden, brauchen sie
sich nichts zugute zu tun. Solche Späße werden
wir noch öfter erleben, und dabei die notwendige,
wenn auch lästige Bekanntschaft einer Sorte von
Menschen machen, die glauben, sie könnten uns
dazu benutzen, fiir den schlechtestcn Teil des
Publikums Pofelware zu liefern. Auf den Kontrakt-
brttch dieser Prinzipale, die vor jedem Schmock
und Rekordlibrettisten zittern, waren wir von der
ersten Nutnmer an gefaßt. Ein Dutzend in Freiheit
redigierter Nummern — wenn das der biedere
Nissen erlebt hätte, — der nur bis drei zählen
konnte!

Dr. Rudolf Blümner Dr. AlfredDöb-
lin Dr. S. Friedlaender Ferdinand
Hardekopf Dr. Siegmund Kalischer
Rudolf Kurtz Else Lasker-Schtiler
Liidwig Rubiner Rend Schickele
Mario Spiro Felix Stössinger.

Beachtenswerte Bücher und Tonwerke

HERMANN BANG: Menschen und Masken
Verlag Hans Bondy, Beriin
KARL KRAUS: Sprüche und Widersprüche
Verlag Albert Langen, München
LUDWIG HATVANY: Ich und die Bücher
Veriag Paul Cassirer, Berlin

JOSEPH SCHÖFFEL: Erinnerungen aus meinern Leben
Verlag Jahoda <fi Siegel, Wien
ROBERT SCHEU: Karl Kraus / Essay
Verlag Jahoda & Siegel, Wien

Verantwortlich für die Schriftleitung:
HERWARTH WALDEN BERLIN-HALENSEE
 
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