Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

DOI Heft:
Nr. 21 (Juli 1910)
DOI Artikel:
Rebensburg, Heinrich: Gottesfurcht und Königstreue: Excellenz August Lentze
DOI Artikel:
Soyka, Otto: Der farblose Krieg
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0168

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
ein Westfale aus Soest! Potn'pös wie ein Erzbild
für Berlin! Ganz — Staatserhaltung, jeder Zoll
Bürgermeisterstolz vor Stadtverordneten! — —
„Und Wenn ich nun, meine verehrten Herren, hier-
mit mein neues Amt übernehme, so geschieht dieses
mit dem Wunsche, dass der allmächtige Gott mir die
Kraft und Einsicht schenken möge, dass ich es richtig
verwalte. Alles, was in meinen schwachen Kräften
steht' soll geschehen, damit, Wenn ich dermaleinst von
diesem Posten abtreten muss, man auch von mir sagen
kann, dass meine Amtsführung Von Segen und Nutzen
für die Stadt Barmen gewesen ist. Das Walte Gott!“

Kreuzvvendedich staunte. Dieser Mann griff
sogar ihm ans Herz. Liebe auf den ersten Blick,
Liebe über das Grab hinaus! — Gewiß, jeder Re-
gierungsassessor, der seine Ideale nicht in bürger-
liche Horizonte eindämmt, sondern den Höhen der
Menschheit anpaßt, muß sich beizeiten mit dem
lieben Gott gut stellen und bei illustren Gelegen-
heiten dies gute Einvernehmen tunlichst paradieren
lassen, aber Leute, die solche Worte mit ihrer
Figur so ausfüllen können, wie August Lentze,
sind immer seltener geworden im Lande Preußen.
Kreuzwendedich notierte ihn, mit drei Kreuzen.
Für Berlin . . . jrgendwie ...

Den guten Barmem schlug das Herz, die
Stadträteaugen wurden naß: Das war ein Mann!
Mit ihm vereint konnten sie getrost das kommende
Jahrhundert in die Schranken fordern. — Wie in
den meisten alten Wuppertaler Fabriken, hatte
man’s auch in der Stadtverwaltung bisher gut
patriarchalisch gehalten. Der selige Herr Amts-
vorgänger saß zwanzig Jahre lang auf dem Bürger-
meisterthron, und nur der Tod konnte ihn ver-
drängen. Am hundertsten Geburtstag Kaiser Wil-
helms des Ersten war der Grundstein der Barmer
Ruhmeshalle gelegt worden; der alte totkranke
Oberbiirgermeister konnte das 1 prächtige Fest nicht
tnitfeiern, da zog der mitwirkende Sängerchor, über
fünfhundert Männer — in Barmen kommt auf je
tausend Einwohner ein Musikverein — vom Fest-
platz vor die Amtswohnung des Stadtoberhäupts
und sang: Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre!
Dankend grüßtc er am Fenster — und tausend
Augen draußen wurden feucht. — So hatte man
niit dem Stadtherrscher gestanden — und so ge-
dachte man’s auch mit dem neuen Herrn zu halten.

E>en guten Barmern schlug das Herz: der Mann
da fand Worte, wie sie ins Wuppertal paßten, in
das gelobtc Land der dichtgefüllten Fabriken und
der dichtgefüllten Kirchen, in die Metropole des
ideutschen Protestantismus. — „Wenn ich dermal-
einst von diesem Posten abtreten muß . . .“ —
Nun ja, wir sind Gäste nur auf Erden, und unser
Leben stehet in Gottes Hand: Hunderttausend
fromme Barmer beteten brünstigüch, daß der himm-
lische Herrscher über Leben und Tod diesen herr-
liChen Mann ihnen nicht so bald wie den Vorgänger
entreißen und zu seinen Vätern versammeln möge.

August Lentze aber hatte es anders besChlos-
sen. Er wollte mit diesem Satz die guten Barmer
warnen, ihnen auf gut irdisch andeuten, daßi wir
hienieden keine bleibende Statt haben, sondern
immer eine zukünftige suChen. — Was galt ihm
Barmen? Ein gutes Versetzungszeugnis! Darnach'
ging sein Streben.

Und ein geradezu unglaubüches Glück half ihm.
Ueber unzähligen Projekten und angefangenen Ar-
beiten war sein Vorgänger gestorben. August
Lentze führte sie aus oder zu Ende — und überall
erntete er den Ruhkn und eine gute Note.
Die begonnene Wupperregulierung und die Kanali-
sierung der Stadt brachte er zum Abschluß, und
die große Barmer Talsperre konnte er einweihen.
Der Barmer Teil der berunmten Schwebebahn wurde
von ihhx eröffnet. Rechtzeitig brannte das Barmer
Stadttheater ab, und August Lentze ermögliChte es
durch städtische Geldhilfe eincr Aktiengesellschäft
den stattüchen Neubau zu errichten. 1900 schon
enthüllte er vor dem alten Rathaus ein übles Bis-
märckdenkmal. 1903 wurde auf eifriges Betreiben
einiger Wuppertaler Finanzleute und des damaligen
Barmer Gymnasialoberlehrers Bamler, des jetzt
rühmlich bekännten Aeronauten, der Nieder-
rheinische Verein für LuftsChiffahrt in Barmen ge-
gründet und August Lentze zum ersten Vorsitzenden
erwählt. Immer glänzte er, und meistens waren
hohe Herren aus Düsseldorf, Coblenz odcr gar
Berlin zugegen. — Nach dem Tode des Elberfelder
felder Bürgermeisters Jaeger tauchte der Plan auf,
die beiden großen Industriestädte unter einem Ober-
haupte zu vereinigen. Es wurde zwar nichts draus,
aber August Lentze war während der Verhand-

lungen sehr sympathisCh aufgefallen und in Berlin
bedeutsam ventiliert worden.

Dann kam sein Patron Kreuzwendedich mit
den wohigesinnten Notizen naCh Berlin und er-
zählte dem Kaiser von August Lentze und seiner
patriotischen Figur. Doch sclion schfieb August
Lentze selbst einen markigen Untertanenbrief, und
Majestät möchten allergnädigst nach Bremen kom-
men und höchstselbst die Ruhmeshalle einweihen.
Der Kaiser besChloß, diesen herrüchen Mann sich
selbst einmal anzuschäuen, und fuhr im Oktober
1900 nach Barmen. Mit Weib und Kind, und Mann
und Roß und Wagen. Daß den guten 'Barmern
Hören und Sehen verging! Nur August Lentze
fand Worte — und was für Worte:

„Möge die Ruhmeshaüe stets nur hinabschauen
auf ein der Väter und des deutschen Namens Würdiges
Geschlecht, möge sie jedem sie aufsuchenden bedrängten
und verzagten patriotischen Herzen neuen Mut und
neue Kraft einflössen uud möge sie sein für alie Zeiten
der Ausgangspunkt fur ßildung und Kunst, für Vater-
landsliebe und Königstreue in unserer Stadt! Wenn
das eintritt. was Gott der Herr in Gnaden fügen möge,
dann ist die Ruhmeshalle in Wahrheit ein Kaiser-
denkmal im edelsten Sinne des Wortes.“

August Lentze geleitete die Majeätäten in die
Ruh'meshalle und bot dem Kaiser den Ehrentrunk
— — und schToß mit den Worten:

„Mit diesem Gelöbnis biete ich untertänigst Euer
Majestät den Ehrentrunk der Stadt Barmen dar und
bitte ihn in Gnaden anzunehmen.“

Der Kaiser hbb den Goldpokal voll edelster
Liebfrauenmilch an die Lippen, aber zu trinken ver-
mochte er niCht: er sah nur August Lentze! —
Dieser Mann fand Worte, deren jedes wie eine Säule
für Thron und Altar dastand, er hatte die rechte
Art, vor Untertanen mit seinem König zu reden,
er verstand die Feste zu feiern wie sie fielen, und
Könige königlich zu ernpfangen. — —

Doch die Ruhmeshalle hatte noch einen dunklen
Punkt. Im Hauptraum standen unter schaurig-
buntem Oberlicht zwei fahle Marmormänner, aber
der dritte Platz war noch 1 leer: August Lentze wagte
die große Bitte an seinen gnädig geneigten Herr-
scher — und erhielt die allerhöchste Genehmigung,
an dieser Stelle das erste Standbild Wilhelms des
Zweiten, das je in deutsChen Landen gesehen ward,
zu errichten.

August Lentze hatte den Rekord der Gottes-
furcht und Königstreue geschlagen. Kreuzwende-
dich behielt Recht, und der Kaiser gelobte sich,
diesen Mann niCht zu vergessen. — Zehn Minuten
waren im Programm für den Aufenthält des Kaisers
in der Ruhmeshalle Vorges’ehen — und über eine
Stunde dauerte er. Endüch riß er siCh mit un-
gemein herzlichen Abschiedsworten von August
Lentze los. — Und naCh anderthälb Jahren katn
der Marmorkaiser von Begas, und die Stadt durfte
ihn teuer bezahlen, und August Lentze weihte ihn
mit erhebenden Worten.

Indes — Barmen ist recht weit von Berlin
entfernt. Das fühlte August Lentze, als die patrioti-
schen Feste in Barmen spärlicher wurden und
allmählich auch die restierenden Einweihungen und
Eröffnungen vollzogen waren. Sehr gelegen kam
da der Ruf nach Magdeburg. — „Magdeburg“ —
sagte sich August Lentze — „das ist dreiviertel des
Wegs naCh Berün“ — und er hütte richtig ge-
rechnet.

Den guten Barmem aber war’s ein härter
Schlag. Sie konnten ja nicht wissen, was alles
August Lentze Seinem Ehrgeiz schüldete; sie emp-
fanden’s nidit nur als Kontraktbruch 1, nein, als Un-
treue des Vaters gegen seine unmiindigen Kinder.

Sintemalen jedocb män sich freiwillig nicht gem
in die NesSeln setzt und klugerweise einen Mann
nicht wegtadelt, der in hohen und allerhöchsten
NotizbüChern vorgemerkt ist, sb erhielt darujtn
August Lentze eine Versetzungszensur, wie sie
glänzender und schöner sülisiert nicht hätte aus-
fallen können:

„Ihre ungewöhnüche Sachkenntnis, Ihre klare
Unparteilichkeit in der Führung sämtlicher Geschäfte,
besonders auch in der Stadtverordnetenversammlung,
wie in den Kommissionen, Ihre Durchdringung des
gesamten Gebietes der städtischen Verwaltung war
eine so ungewöhnliche, wie Wir es nicht gehofft und
nicht geahnt hatten, dass es in einer Persönüchkeit
vereinigt sein könne.“

So schied Augus’t Lentze von der Wiege seiner
einstigen Größe, von der guten Stadt Barmen, die
es unter seiner nur siebenjährigen, aber tatkräftigen
und segensreichen Regierung auf 160 000 Ein-
wohner und 160 Prozent Kommunalsteuern gebracht
hätte.

In Magdeburg war’s niclit ganz so lustig wie
in Barmen. -Aber es ging doch sChneller als August
Lentze gehofft hatte, denn Kreuzwendedich hätte
ihn niCht vergessen. Erst im 1 Herrenhaus das
Referat zum Etat, dann winkte Düsseldorf — —
oder gar sogleich ein Gehilfenposten jm Ressort
und zu den Füßen des Meisters: Kreuzwendedich
sorgte treu!

Da kracht vor ein paar Wochfen der große
Eklat! Kreuzwendidich fällt — und im Sinken stam-
melt er — August Lentzes 1 Narnen! Der Minister-
hfenker stutzt, glaubt niCht riChtig verstanden zu
haben: Geheimrat von Lentze? — Nein — August
Lentze! — — Da erinnert sifeh’ Majestät der No-
tizen von 1900 — — und meuchlings ist die
Exzellenz kreiert.

Exzellenz August Lentze ist am Ziel. — Die
Barmer hüben nicht schlecht gestaunt! Hofprediger
haben sie massenhaft nach Berlin geüefert, Minister
noch nicht. Nur schade, daß eine sö windige Kon-
stellation ihn höchgehioben hat. Exzellenz August
Lentze weiß höffentliCh ,, daß ein verabsChiedeter
preußischer Minister den Rekord an Ueberwunden-
heit schlägt — und wenn er auch vorhfer den Rekord
an GottesfurCht und Königstreue gesChl’agen hat.

Der farblose Krieg

Von Otto Soyka

Der Apparat des mödernen Krieges ist das
Werk der seltensten Vollkommenheit. Die Technik
des Zerstörens ist der des Schaffens voraus-
geeilt, die Summe von Geist und Arbeit, die in
Organisation und Ausrüstung der Wehrmacht zum
Ausdruck kommt, hat kaum ihresgleichen im Be-
reiche der Kultur. Besäße die Institution keinen
praktischen Wert, als vollendetes Produkt mensch-
lichen Verstandes allein müßte man ihr Daseins-
berechtigung zusprechen. Gerade diese kunst-
vollste und befriedigendste Schöpfung des Geistes
findet niemanden bereit, sie objektiv zu würdigen,
und jedes Urteil, das laut wird, ist von irgend einem
Zweckstandpunkt aus gesprochen. Nur hier, wo
Furcht und Argwohn dem Geiste keine Ruhepausen
gönnten, und wo der Haß sein Ansporn war, konnte
ein so wundervolles Kompositum von Mensch und
Technik entstehen, das alle natürlichen Unzuläng-
lichkeiten der Rasse zielbewußt zu korrigieren
scheint. Die Entwicklung der KriegsteChnik ge-
stattet unter anderem einen interessanten Schluß
auf die Fähigkeit des Menschen, zu hassen. Jene
Geschöpfe, die dem Haß am fernsten stehen, sind
zweifellos dieselben, bei denen sich jeder Keim
von Wut und Feindschaft sofort in Klauenhiebe und
Bisse umsetzen darf. Tiger und Schlangen sind
gewiß die gutartigsten Wesen, deren Inneres nichts
von Feindschaft weiß. Den Haß kennt die Taube
am besten. Kruppsche Kanonen und Stahlmantel-
geschosse konnten nur von einer hochentwickelten
Taubenart erfunden werden.

Bei der Verbessferung aller zum’ Kampf dienen-
den Mittel ist heute nur eine Stelle, die der Fort-
schritt nicht berührte. Alles, Waffen, Kleidung,
Vorschriften, wurde geändert, ist verstandesmäßiger,
zweckdienlicher geworden. Nur eines blieb. Das
sind die altehrwürdigen Kriegs- und Sdhlacht-
gefühle, die seelischen Monturstücke, die nun ein-
mal zur Ausriistung des Mannes zu gehören schei-
nen. Da muß stets eine gewaltige Ration von
Begeisterung vorhanden sfein, eine ansehnliche
Menge von rührenden Gefühlen und schönen Ueber-
zeugungen, die alle als unantastbar gelten wollen.
Der moderne Krieger schleppt noch immer den
Glauben im Tornister mit, für die bessere Sache
zu kämpfen, Haus und Herd, Weib und Kind zu
verteidigen, für Symbole aller Art zu streiten. Ja,
er trägt so viele Ahnen, daß fast die Gefahr vor-
handen ist, er könnte das Tragen der Waffen ver-
nachlässigen. Llnd allgemein herrscht der Aber-
glaube, daß dieser eiserne Vorrat von Gefühlen
eben mitgeführt werden muß, um die Kampfes-
tüchtigkeit zu nähren. Das ist ein Irrtum. Dringend
würde sich schon heute eine zeitgemäßere, prak-
tischere Kriegsausrüstung für die Gemüter emp-
fehlen; die noch geltende ist für Säbel und Lanze,
für Balüste und Sturmbock komponiert. Sie paßt
nicht mehr zum Infanteriegewehr und zur Feld-
kanone M. 5. Was hat die Begeisterung im mo-
dernen Krieg zu suchen? Als das Kriegführen noch

164
 
Annotationen