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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

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Nr. 15 (Juni 1910)
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Rittner, Tadeusz: Théatre paré
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Leppin, Paul: Daniel Jesus, [6]: Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0121

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und die ganze Rechnung stimmt nicht mehr. Warum
straft man nicht alle Irrtümer der Qelehrten, Aerzte,
Advokaten —? Rechenfehler bleibt Rechenfehler;

die Absicht kommt dabei nicht in Betracht-Es

*st infam, daß der Autor gerade gegen mich seine
^ngriffe richtet.

^ezensent höflich lächelnd
• • . Sehr geistreiche Paradoxe.
o f d a m e zornig-weinerlich

ßitte, lachen Sie nicht-ich leide entsetzlich

^arunter, daß der Autor so ungerecht ist.
^ezensent

Und wir Männer leiden, weii er so gerecht ist.
Es ist schließlich nicht von Belang, weshalb man

eigentlich leidet-Glauben Sie mir, Frau Qräfin,

Üinen zu Liebe würde ich sofort die ganze Hölle zer-
irümmern . . . Bemerkt plötzlich den Leibjäger Beelze-
bubs, der sich dem Büffet nähert, schnell:

^atürlich — bildlich gesprochen.

Leibjäger zum Rezensenten

Seine Majestät lassen in die Allerhöchste Loge

bitten.

i^ezensent mit einer unwillkürlichen Ver-
^eugung

ich stehe Seiner Majestät sogleich zu Diensten.

H o f d a m e ironich
Sie, Revolutionär.

Rezensent zerstreut
^chon gut.

H o f d a m e
ttöIlen-Zertrümmerer.

^ezensent

Ist meine Kravatte ordentlich gebunden?

Ilie elektrische Glocke ertönt; das Publikum eilt
auf seine Plätze, der Rezensent zur Hofloge.

Oritte Szene

In der Hofloge: Im Vordergrund sitzt Beelzebub,
Slattrasierter Herr im schwarzen Frack, etwas ver-
'ebtes, aschgraues, nicht unsympathisches Qesicht;
üie auffallend großen Augen sind ungemein treu-
herzig und so schreiend blau wie das adriatische
Meer. Im dunkelroten Schatten des Hintergrundes
verbirgt sich die Königliche Qeliebte Mala. Nur
von Zeit zu Zeit taucht ihr Qesicht aus dem Dunkel
auf; es ist wie ein Blatt Papier, mit einem blutroten
Mund und mit den Augen einer Toulouse-Lautrec-
schen Kokotte. In die Loge tritt der Rezensent ein

^ezensent stotternd

Sire, meinen alleruntertänigsten Dank für . . .

öeelzebub unterbricht ihn gemütlich

Ich weiß, ich weiß. Nehmen Sie nur Platz. Neben

biir, bitte, damit Sie die Vorgänge auf der Bühne be-

Quem verfolgen können.

Rezensent setzt sich, gleich darauf aber zuckt
er zusammen und blickt nervös nach dem Hinter-
Srund

Beelzebub milde-vorwurfsvoll
Was haben Sie nur? Es ist nicht klug von Ihnen,
s>ch umzusehen. Schauen Sie hinunter. Wenn Sie
Sut aufpassen, so wird Ihr ewiger Schmerz eine
^leine Linderung erfahren und die Ordnung auf
bieiner Bühne wird Sie entzücken. Wie gefallen
Ihnen meine Dramen?

^ezensent

^on dieser Loge aus — über alle Maßen.
Öeelzebub

Schreiben Sie heute Nacht auf Ihrer Redaktion alles,
^as Sie darüber denken.

^ezensent unwillkürlich aufrichtig
J^ajestät, ich habe mir schon öfters vorgenommen,
Ihre grausamen Stücke möglichst abfällig zu beur-

^ilen-aber nur so lange ich dort unten, im

Parterre saß-Von dieser Loge aus erscheint

•hir Alles ganz anders.

^eelzebub

^uch von hier aus sehea Sie ja sich selbst auf der
Bühne.

^ezensent

■la, mich selbst, aber auch — die Anderen. Das ist
^ler Unterschied zwischen dern Parterre und dieser
I-oge. Jetzt sehe ich die Qemeinheiten aller Per-
sonen im Theater — nicht nur, wie früher im Par-
terre, meine eigenen. Und das beruhigt mich un-
säglich.

^eelzebub

* ch kann es mir vorstellen. Aber . . . ungeduldig
S'e drehen sich wieder um. Haben Sie noch nie-
ü'als meine Freundin gesehen?!

Rezensent schmerzlich

Majestät, ich bitte tausendmal um Vergebung. Ich

kann nichts dafür-. Ich fühle unausgesetzt den

brennenden Blick der Prinzessin.

M a 1 a lachend

Ich tu ihm ja gar nichts.

Beelzebub zum Rezensenten
Redakteur, seien Sie doch ein bischen vernünftig.
.Hüten Sie sich vor Mala . . . Ich warne Sie väter-
ich. (Seufzt) Meine Freundin straft meine Unter-
tanen auf eigene Faust. Sie straft auf ihre be-
sondere, ganz konfuse Art. Ich habe ihr schon oft
verboten, sich in meine Amtsgeschäfte einzu-
mengen ....

M a 1 a Iachend
. . . Aber es nützt nichts.

B e e 1 z e b u b zum Rezensenten
Sitzen Sie nur ganz ruhig, drehen Sie sich nicht um.
Mala straft schrecklich unvernünftig. Sie straft mit
ihrer verrückten Schönheit. Sehen Sie lieber auf die
Bühne. Dort haben Sie meine prächtige Ordnung,
mein logisches Strafsystem.

Plötzlich unruhig, verwirrt . . .

Ja, was ist das?-Unerhört! — Mala ist unten,

sie spielt mit . . .

M a 1 a lachend; in der Loge
Ja, ich bin unten.

Rezensent entsetzt

Unbegreiflich — Sie ist unter den Schauspielern und
gleichzeitig bei uns.

Beelzebub zornig; zu Mala
Verdammtes Mädel! Nicht einmal an Deinem Qe-
burtstag benimmst Du Dich anständig. Wie kannst
Du Dich unterstehen, die Bühne zu betreten?
Rezensent wie oben; auf die Bühne blickend

-Sie hat alles drunter und drüber geworfen.

Die ganze Welt auf den Kopf gestellt. Sonne, Mond
und Sterne liegen blutend neben dem Souffleur-

kasten. Alle Schauspieler haben den Veitstanz-

Furchtbar . . .

M a 1 a lachend

Da haben Sie’s. Ohne mich gibt’s kein rechtes
Theater.

Beeizebub steht auf; mit erhobener Stimme
Qenug! Aufhören-! Vorhäng herunter!

Rezensent bebend

Alle Lampen sind erloschen. Es ist kalt. Nur auf

der Bühne tanzt ein weißes Gespenst-und sein

Mund ist wie ein rotes Licht.

M a 1 a

Hurrah, ich tanze ...

Rezensent

Mala ich liebe Dich. Ich liebe qualvoll Deinen Mund
. . . den roten Abgrund der Lust . . .

Beelzebub donnernd
Vorhang herunter!

Vierte Szene

Im Parterre: Es ist dunkel und leer. Nur eüigt
Billeteure laufen geschäftig von Platz zu Platz und
verhüllen die Fauteuils mit schwarzen Ueberzugen
In der zehnten Reihe sitzt noch immer ganz ruhig
und geduldig der Direktor der Königlichen Milch-
meiereien (zu Lebzeiten Reporter des „New York
Herald“) und putzt eifrig sein Opernglas. In die
elfte Reihe stürzt der Rezensent und sucht echauf-
fiert nach seinem Hut und seinen Handschuhen

Rezensent zum ersten Billeteur

Haben Sie nicht einen Hut und ein paar dunkelgelbe

Handschuhe gesehen?

D i r e k t o r mit dem Putzen der Gläser beschäftigt
Ich finde, die Beleuchtung läßt ein wenig zu
wünschen übrig.

Erster Billeteur zum Rezensenten
Nein, Herr. Aber vielleicht gehören Ihnen aie sechs
Seufzer, die ich soeben aus der Luft gefischt habe.
Zweiter Billeteur

. . . Oder die Flüche, die hier unter dem Fauteuil
liegen.

Dritter Billeteur

Die Luft ist ganz dick von dem Tränendunst, den

die Herrschaften zurückgelassen haben.

Rezensent zum Direktor

Qibt es etwas unheimlicheres als ein leeres

Theater?

D i r e k t o r zufrieden

Ja . . . das Haus ist gut besucht.

Erster Billeteur zum Rezensenten
Beeilen Sie sich, sonst schließen wir die Türen und
Sie können nicht mehr heraus.

Rezensent fast schreiend
Wo ist der Ausgang?

D i r e k t o r milde

Fehlt Ihnen etwas, mein Freund?

Rezensent

Kretin, Sie sitzen auf meinem Hut.

D i r e k t o r

Haben Sie doch ein wenig Geduld. Man stimmt
bereits die Instrumente. Gleich beginnt die Vor-
stellung.

Ende

Daniel Jesus

Roman

Von Paul Leppin Fiinfte Fortsetzung

Schuster Anton hatte ein seltsames, wunderbar
verwirrtes Mädchen aus dem Dorfe mitgebracht, in
jener Nacht, als Daniel Jesus sein großes und ver-
wegnes Gauklerspiel mit der Liebe Margaretens
spielte. Blond und diinn wie eine Heilige sprach sie
mit keinem und tat auch nichts. Die Leute im Dorfe,
die an ihre Träume nicht glaubten, waren froh, als
der Schuster sie mitnahm, denn sie war eine Waise,
und sie wußten nicht, was sie mit ihr beginnen soll-
ten. Jetzt wohnte sie in seinem Hause, und seine
kleine Qemeinde liebte sie und lauschte andächtig
und scheu ihren inneren Qeschehnissen, wenn sie
an langen Qebetabenden zwischen Liedern und den
tollen ekstatischen Schreien der Schustersfrau
lächelnd und heiter in einen schönen und heißen
Schlaf kam und dann mit hartem, zersprungnem
Munde von dem Bilde redete, das Tag um Tag in
ihre Seele fiel wie das Licht von einem leuchtenden
Spiegel. Oft ging es auch wie eine Wolke über
ihren Traum, wenn dann der Schuster zu ihr kam
und ihre fliegenden Hände hielt. Dann sprach sie
heiser und stockend von einem bösen und gewalti-
gen Messias der Sünde, der sein Reich neben dem
seinen gebaut habe und das Reich Qottes zerstören
werde. Von bunten und zerbrochnen Tagen, die
vor der Tiire ständen und in der nächsten Stunde
kämen, wo sie alle unter der Peitsche des Satans
keuchen würden, als ob ein Wind ihnen alle Qebete
genommen hätte. Dann wird der böse Feind das
Reich seines Herzens über euch werfen wie einen
Fluch. Und keiner wird fehlen in seinem Gefolge.
Keiner.

Auch Du nicht —

Auch Du nicht —

Sie rief es dem Schuster in das totenbleiche Qe-
sicht und sank bewußtlos in seine Hände.

An diesen Abenden ging ein Graun durch die
Seele der Beter. Sie fürchteten sich unsagbar vor
diesen Dingen, von denen das verzückte Mädchen
redete und vor dem Tag, der ihnen den Weg zum
Frieden aufs neue nahm. Wo sie wieder arm und
gehetzt im Dunkeln taumelten, trunken vor Angst
und vor der Verzweiflung. Wo ist der Feind?
schrie es in ihnen — daß wir ihn töten!

Und langsam, wie ein schwarzer, gurgelnder
Blutstrom, der über ihre Augen und ihre Hände floß,
rang sich ein Name von den Lippen wie ein letztes
Stöhnen:

Christus! Christus!

Frau Margarete wußte, wer der Feind war. Sie
sah auch das Reich, gerade so wie es das ohnmäch-
tige Mädchen schaute, sein Reich, wie es groß und
herrlich und finster in ihre Herzen fiel, daß sie nim-
mer dagegen kämpfen konnten. Es kam und kam,
und sie alle waren müde und mutlos. Sie vermoch-
ten nichts mehr. In ihm aber war eine Kraft, stahl-
hart und ungebändigt, die hoch und siegreich aus
seiner Seele kam, ruchlos und ohne Scham, die sich
berauschte an der eignen Missetat und die Glut und
Sünde hatte und Schönheit. Sie wußte nicht, ob
diese Seele einmal im Leben aus dem irren,
flackernden Tanz seiner Begierde in eine Stunde
hineingeflüchtet war, die rnit ruhigen, guten Händen
sein jagendes Herz ergriff und ihm die Straße zeigte,
nach der sie alle suchten, über die Liebe vielleicht
oder iiber Gott zum Frieden. Das aber mußte eine
heilige und schmerzhafte Liebe sein, aus Wunden
und Schlacken geboren und jählings offenbar. Frau
Margarete glaubte nicht an eine solche Stunde in
seinem Leben, denn die Geschichte Valeskas kannte
sie nicht. Sie kannte nicht den tiefen, moortiefen

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