Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911
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https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0233
DOI Heft:
Nr. 29 (September 1910)
DOI Artikel:Strindberg, August: Schlafwandler, [2]
DOI Seite / Zitierlink: https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0233
Umfang acht Seiten
Einzelbezug: 10 Pfennfg
WOCHENSCHRIFT, FÜR KULTUR UND DIE KÜNSTE
JAHRGANO 1910 BERLIN/DONNERSTAG DEN 15. SEPTEMBER 1910/WIEN NUMMER 29
INHALT: AUQUST STRINDBERG: Schlafwandler II /ELSE LASKER-SCHÜLER: Künstler / ALFRED DÖBLIN: Die Ermordung einer Butterblume / H. SIEBELIND: Kreise /
KARL KRAUS: Vom Lynchen und vom Boxen / HERWARTH WALDEN: Die Letzten / ALFRED LEMM: Anmerkung / MINIMAX: Vom Tage / QUINTUS FIXLEIN: Die
Roda Roda A. G. / ARNO HOLZ - HERWARTH WALDEN.: Laetare / Dafnislied
Qcsiadcl in dct? §fci?nennac^f / ZHcbnung won 0$Rar KoRoscbka
Schlafwandler
Von Augnst Strinäbepg' Schiuss
Ich habe eben in einer theosophischen Zeit-
schrift gel'esen, daß sich Tierdevas, Ticrseelen, in
den Körper der Menschen jnkarnieren können, sich
durch Schönheit und natürlichen Reiz auszeichnen,
wie die meisten Tiere. Ich fand die Theorie un-
heimlich und glaubte nicht daran, um nicht die
Menschheit zu entehren. Jetzt aber erinnere ich
mich, wie ich auf einer Reise die Gesellschaft eines
Hundes erdulden mußte. Ich freute mich, ein
tebendes Wesen bei mir zu haben, fütterte ihn und
ließ ihn in meinem warmen Zimmer schlafen. Er
war ein scheinbar gutmütiger Hühnerhund, naiv,
zynisch, natüriich. Er nahm sein Essen, aber dankte
nicht; ließ eSi sich schmecken, aber freute sich niCht,
er duidete mich, ljebte mich aber nicht. Wenn ich
seinen Kopf nahm, sah er zur Seite; und wenn
sich dann die Pupillen nach außen drehten, zeigte
sich nur das Weiße, das jedoch böse blinde Blicke
aussandte. AIs ich eines Abends im Bett lag und
fas, begann der Hund mir eine beunruhigende Auf-
merksamkeit zu zeigen; als ich ihn abwies, änderte
er plötzlich Seinen Charakter; nahm Formen wie
ein Mensch an, machte Gebärden und Bewegungen,
sö daß ich vor Schreck außer mir geriet. Ein
Kampf entstand, und ich mußte das Tier mit mei-
nem RevülVer töten, es zum Fenster hinauswerfen.
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Einzelbezug: 10 Pfennfg
WOCHENSCHRIFT, FÜR KULTUR UND DIE KÜNSTE
JAHRGANO 1910 BERLIN/DONNERSTAG DEN 15. SEPTEMBER 1910/WIEN NUMMER 29
INHALT: AUQUST STRINDBERG: Schlafwandler II /ELSE LASKER-SCHÜLER: Künstler / ALFRED DÖBLIN: Die Ermordung einer Butterblume / H. SIEBELIND: Kreise /
KARL KRAUS: Vom Lynchen und vom Boxen / HERWARTH WALDEN: Die Letzten / ALFRED LEMM: Anmerkung / MINIMAX: Vom Tage / QUINTUS FIXLEIN: Die
Roda Roda A. G. / ARNO HOLZ - HERWARTH WALDEN.: Laetare / Dafnislied
Qcsiadcl in dct? §fci?nennac^f / ZHcbnung won 0$Rar KoRoscbka
Schlafwandler
Von Augnst Strinäbepg' Schiuss
Ich habe eben in einer theosophischen Zeit-
schrift gel'esen, daß sich Tierdevas, Ticrseelen, in
den Körper der Menschen jnkarnieren können, sich
durch Schönheit und natürlichen Reiz auszeichnen,
wie die meisten Tiere. Ich fand die Theorie un-
heimlich und glaubte nicht daran, um nicht die
Menschheit zu entehren. Jetzt aber erinnere ich
mich, wie ich auf einer Reise die Gesellschaft eines
Hundes erdulden mußte. Ich freute mich, ein
tebendes Wesen bei mir zu haben, fütterte ihn und
ließ ihn in meinem warmen Zimmer schlafen. Er
war ein scheinbar gutmütiger Hühnerhund, naiv,
zynisch, natüriich. Er nahm sein Essen, aber dankte
nicht; ließ eSi sich schmecken, aber freute sich niCht,
er duidete mich, ljebte mich aber nicht. Wenn ich
seinen Kopf nahm, sah er zur Seite; und wenn
sich dann die Pupillen nach außen drehten, zeigte
sich nur das Weiße, das jedoch böse blinde Blicke
aussandte. AIs ich eines Abends im Bett lag und
fas, begann der Hund mir eine beunruhigende Auf-
merksamkeit zu zeigen; als ich ihn abwies, änderte
er plötzlich Seinen Charakter; nahm Formen wie
ein Mensch an, machte Gebärden und Bewegungen,
sö daß ich vor Schreck außer mir geriet. Ein
Kampf entstand, und ich mußte das Tier mit mei-
nem RevülVer töten, es zum Fenster hinauswerfen.
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