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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

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Nr. 13 (Mai 1910)
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Döblin, Alfred: Gespräche mit Kalypso, [9]: Ueber die Musik
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Schaukal, Richard von: Geistige Landschaft: mit vereinzelter Figur im Vordergrund
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https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0105

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^usik. Viele Dinge und Wesen gibt es auf Erden
und in der Luft, die tönen, zu ihnen senkt sich die
Musik und macht ihr Tönen zu Qedanken; und auch
,j Stummen Dingen und Bewegungen schaut sie zu,
■t verliert sich an ihnen nicht, sucht ihren Klang zu
^locken: scr glauben manche. Und wohl ist

f zweierlei an ihr: die Ordnung der Töne, das
; ftitnmlische, das aber nichts als Liebe, Umfassung
j uud Umarmung ist; und das Qeliebte, sich Hebende,

' Qehobene, die Welt.

[ Kalypso :

j^ ist zweierlei an ihr, sage ich: ihre Eigenschön-
Jj oeit, die behängt sie mit fremden Pomp, mit Raub-
j, ^ohöne, — und satt schreitet sie heran, mächtig, eine
ßarbarin, mit klirrendem Schmuck, eine laubge-
, ^chmückte, stampfende, lallende Bacchantin der
^erge. — Es ist ein leeres Klingen die Eigenschön-
. oeit der Musik, es ist eine qualvolle Ohnmacht ihre
1 ^aubschöne. Denn die Dinge lassen sich nichts
Ijauben, nicht ihren ureigenen Schrei, nicht ihren
T'anz, nicht ihre Schwere, ihre Härte, ihren Glanz.
Dich begreife ich nicht; ich sah nichts von Liebe
yud Qeliebten; mir treten in der wirklichen Musik
£Wei Mächte entgegen, die sich hassen, und ich
Ueiße sie Dieb und Beute, aber einen Dieb, der seiner
^eute nicht gewachsen ist. — Schau hin: der
: Kfoße. ungeheure Reichtum der Welt, der furcht-
bare Wandel der Qeschicke, die Kämpfe der
flelden, Untergang der Reiche, seltsame Fahrten,
r SDrjeßen ^er Bäume, Feuer und Flammen, Felsen,
1 ^äler und Ströme, — all dies bleibt der Musik ver-
r 'oren, — und was bleibt ihr, als der Wunsch zu
■■auben? Und die Ohnmacht, es nicht zu können.
J 'A u s i k e r :

f Qlaubst Du, Kalypso, daß eine Katze ein Stier
jst, oder eine Heuschrecke ein Veilchen?

. ypso:

Mein Freund, ich will Dich doch heimschicken.
j M us ik e r :

|o ist also die Heuschrecke kein Veilchen. Aber der
^chluß lautet: Dann ist auch die Musik kein Stier.
'Ernst.) Das große Qeheimnis der Musik will ich
ausplaudern; ich will auf den Dreifuß steigen und
°hne Falten und Qualm sagen: Die Musik kann nur
■ tönen. — Ich sage „ja“ zu allem, was Du meintest;

! fühlt sich nie hart an, kein Sonnstrah! wird je in
'hr aufleuchten. sie fegt kein Blatt vom Baume; sie
' Jst unfähig zu alledem: denn sie kann nur tönen.
k a I y p s o :

S'e gleicht einem Priester, der tiefsinnig und er-
J"'idend redet und mir nur Sehnsucht nach dem
j-eben weckt. — Hinter einem Schleier, schatten-
Jjftt tauchen in ihr — die Iebenden Dinge auf, ich
“Ore das Wlspern und das Aechzen ihrer Atemnot.
^os Wasser da, mein Meer, schau, wie es sich regt,
es stampft und rennt. Hier, nimm die Muschel
at|f. die blaue, eine Handvoll kleiner Kiesel: ach wie
f"t Ist es, unter ihnen zu sein, die Salzluft zu
tr'nken! ^

^'eh doch, die Musik ist arm, aber schlimmer als
?*n Armer dünkt mich ein Bettler. Was muß die
”insik betteln? Ja, die Musik tönt, tönt nur, aber
Ca8 sie sich nicht darin sättigt, daß sie dieses „Nur“
^hnmert, hungrig die Augen verdreht und ihre
^ockene Zunge zeigt. widert mich an. So tut keine
"fnnst. Unverwechselbar, unvergleichbar sind die
räne, keine andre Kunst macht ihr diesen Schatz
strittig. So bHihe sie aus, so werde sie relch in
'n rer Armut. Wär ich nicht eine Närrin, suchte ich
ven Tönen ein Qleichnis? Sind sie sich nicht
^nug, mehr als genug. eine runde, glatte Welt für
s' ch? Jede Kunst soll ihre Wege gehen, ihrem
^ toffe, dem Ton, der Farbe, dem Stein nachgehen
""ä sie belauschen; die Eigentümlichkeit, Selbst-
^Higkeit und Freiheit des Stoffes erfassen und zur
^"nst gedeihen lassen. Du sagst: Die Heu-
Schrecke ist kein Veilchen; die Musik kann nicht
f^Ien, nicht sprechen, nur tönen. Dies sage auch
! cfl und höhne ihr doppelt und dreifach, weil sie arm
st> bettlerhaft und wahnsinnig.

Fortsetzung des siebenten Oespräches in Nummer 14

Qeistiee Landschaft

vereinzelter Figur im Vordergrund

Richard Schaukal

t die Stadt des liebenswürdigen Dilet-
Da der Oesterreicher aus den Trüm-
historischen Kultureinheit (der Dok-
'arismus hatte die Fundamente des Qebäudes

Wien isi
“^tismus.

4 ® rn seiner

unterwühlt) den Geschmack gerettet hat, trägt hier
alles, selbst das Verwerfliche, gewinnende Züge.
Neben marklosem Leichtsinn, unbedenklicher Hin-
gabe an Launen und Stimmung fristet sich eine un-
tiefe Nörgelei, die verblassend an die einstens
typische Grillparzersche Raunzerei gemahnt. Sie
fordert den Mutwillen, gutmütigen Spott heraus.

Die wechselnde Farbe des öffentlichen Lebens
ist bedingt durch zahlreiche unkontrollierbare
Strömungen, Stimmungen unter der Oberfläche.
Alle Gegenstände ordnen sich symphonisch in den
nachgiebigen Rahmen ein. Selbst der politische
und soziale Haß enträt nicht der — so leicht in die
Roheit umzuschlagen geneigten — Gemütlichkeit.
Und alles, bis auf das Schlendern der Bummler —
man sieht hier selten Menschen, die eilen — hat ein
leicht künstlerisches Gepräge.

In dieser anmutigen, hellen Stadt gedeiht der
Snobismus. Es ist nicht der kaltherzige des be-
rechnenden Strebers, dessen Weg über Leichen
geht; es ist der warmblütige des Neugierigen.

Alle Welt tut hier bereitwillig überall „mit“.
Man versammelt sich immer wieder zu Komitees.
zeigt sich und zeigt sich einander. Die Presse
schlägt gern den Familienton an. Der Lokalrepor-
ter schwelgt in geduldeten Indiskretionen. Der
Personenkult, besonders der Kult der Bretterhel-
den, erbt sich als ewige Qemütskrankheit fort. Man
neckt einander, läßt sich aber auch immer wieder
diipieren; denn man staunt gern, und vor allem:
man erzählt gern Erstaunliches.

Wien ist die Stadt der Bestrebungen, (nicht so
sehr — als Gesamtorganismus — der Streberei,
die in Klassen und Schichten freilich um so ärger
wütet). Hier haben’s die Leute gut, die „neu“ sind.
Alle Welt beschäftigt sich mit ihnen. Nicht allzu
lange freilich. Man hätschelt das „Originelle“.
Aber eines verträgt man nicht: Konsequenz,
Strenge, die unbeirrbare Entwicklungslinie. Wer
sich nicht modeln lassen mag, an dem schwankt der
fröhliche Schwarm der Bereitwilligen vorbei. Und
wer gar zu erziehen unternimmt, steht bald allein.
Publikum ist hier immer zu finden und für alles,
auch für jeden Blödsinn und G’schnas. Das Qeld
sitzt nicht fest. Man hört taktwiegend leichte
Musik und trinkt dazu mehr, als man sollte. In
dieser lauen Atmosphäre ist das heimisch, was man
als falsche „Sezession“ kennt und nach Qebühr haßt.
„Sezession“ heißt seit einigen Jahren alles, was
modern, halbschlächtig, äußerlich, hohl ist. Daß
eine Qruppe von unabhängigen, zum Teil sicherlich
merkwürdigen Künstlern, die heut so übel ver-
rufene Benennung in einer Epoche der behaglich
starrenden Unfähigkeit in Schwung gebracht hat,
kann an der leidigen Tatsache nichts ändern, daß
die Talmi-Sezession einen jetzt wie das Marl-
borough-Liedchen „den reisenden Briten“ auf Schritt
und Tritt belästigt. Jeder Schmarren der Qalan-
teriewarenhändler, der sich von dem früher üb-
lichen Kitsch durch Schlangenlinien oder sonst eine
rezente Faselei unterscheidet, wird einem Publi-
kum, das man in den meisten Fällen mit vollem
Recht urteilslos wähnt, als „sezessionistisch“ an-
gepriesen. Wle sehr alles echte „sezedierende“ Be-
streben unter diesem Unfug leidet, braucht nicht erst
betont zu werden.

Ueber das, was auf der Hand liegt. soll hier
nicht die Rügerede ergehen. Aber eine Erscheinung
innerhalb des größeren Qanzen muß einmal ge-
brandmarkt werden, die sicherlich bereits aus allen
spiegelnden Flächen der „besseren Umgebung“
grinst: die Komödie der sogenannten angewandten
Kunst. Wien ist ein wahrhafter Nährboden dieser
Seuche. Eine Qemeinde von aufdringlichen „höhe-
ren Snobs“, niisternblähenden Kunstwitterern ver-
kiindet stündlich das Neueste. Beweglich schlän-
gelnde Begabungen liefern das jeweils „aktuelle“
Material. Die Sache wäre vielleicht harmlos,
schliige die künstliche „Bewegung“ nicht so auf-
schäumende Wellen. Man muß ja im sonst be-
wohnten Furopa wirklich glauben. wir alle in der
geistigen Heimat der Canaletto. Mozart, Raimund,
Dannhauser. Nestrov. Schwind, Beethoven, Bauern-
feld, Orillnarzer. Hebbel. wir alle lebten nur mehr
von der Kinderei des dekorativen Elements. Hier
zu widersorechen im Namen einer ehrlich angeekel-
ten Mehrheit ist dem stillen Beobachter des Qe-
triebes Bediirfnis.

Wir haben uns in Wien seit je gefügig dem
Experiment hingegeben. Ausliefern aber lassen wir
uns denn doch nicht. In widerlicher Erinnerung
bleibt der als Sturm im Wasserglase inszenierte

Rummel der Reinhardtbegeisterung. Man glaube
der Versicherung eines klarblickenden Zeitgenos-
sen und Mitbürgers, daß die w i r k 1 i c h e „Elite“
des schöngeistigen Wien diesen Rummel nicht mit-
gemacht hat. Das, was sich so beflissen und laut
immer wieder selbst das „geistige Wien“ nennt,
täuscht sich und andere stets gern darüber, wel-
chen kümmerlichen Zusammenhang es eigentlich
mit den Schichten der Gesellschaft hat, die dem
diskreten „Welt“menschen einzig und allein die Re-
präsentanz der organischen Kultur bedeuten. Nicht
der Wiener „Jour“ und sein Stammpublikum prägen
Gott sei Dank der Stadt der großen Erinnerungen
und der glänzenden Begabungen, dem Mittelpunkt
einer erlauchten höfischen Tradition, der Residenz
der historischen Familien, dem Zentrum ernster,
tüchtiger geistiger Arbeit, der Stätte eines eminent
kunstverständigen und kunstfrohen Publikums, die
angenehme Physiognomie. Im breiten Schlag-
schatten dieser reich konturierten Potenz ver-
schwindet der dünne einer zwar zählebigen, aber
nicht wurzelverankerten Partikel.

Aber eines ist leider wahr: wer sich zurück-
zieht aus der Qegend, wo die „öffentliche Meinung“
gebraut, die Reklame gerüstet wird, von dem hört
die auf Kunde angewiesene Mitwelt wenig oder
nichts. Und wer gar unternimmt, in tollkühner Ver-
messenheit sich gegen die rumorende Cöterie zu
stellen, der kann zur Eissäule gefrieren im Todes-
schweigen, das frostig um ihn sich schließt.

Von so einem offiziell vereisten wollen diese
Zeilen sprechen, einem Mann, der berufen wäre,
Ratlose aus der Afterkultur herauszufiihren. A d o 1 f
L o o s heißt der starke Einsame. Er ist ein Archi-
tekt, der keine Häuser zu bauen hat, ein beredter
Lehrer, dem dieSchiiler mangeln, ein enthusiastischer
Kämpfer, dem der Feind immer auf Tagreisen weit
ausweicht. Eine helle Stimme, der das Echo abge-
graben worden ist. Ein reicher Erfinder, den das
behutsam Fertiggestellte von flink zugreifendeti
Händen alsbald zur Karrikatur verhunzt wird.

Loos, ein gebiirtiger Briinner, der sich mit
scharfen kalten Augen in andern Ländern seine Zeit
angesehen hat. richtet Wohnungen und Qeschäfts-
stätten ein. Das tun bei uns nur zu viele. Loos
aber war einer der ersten. Ferner hat er über
Fragen der Kultur geschrieben. Auch das tun un-
zählige. Loos aber war einer der ersten. Endlich
kämpft dieser unbeschäftigte Architekt gegen die
Präpotenz des „dekorativen Elements“. Das tuf
bei uns wohl kaum jemand. Er ist hierin der einzige
geblieben ; denn die scheinbar Gleicbgesinnten tun
im besten Fall eben mit, aber ohne Charakter, das
heißt nicht aus Natur, sondern-„auch“.

Seine Wohnungen und Qeschäftsstätten hat er
kürzlich in „Wanderungen“ denen gezeigt, die
darauf halbwegs neugierig waren. Das wäre nichts
besonderes. Aber besonders ist der Qeist. der sich
dem verständigen Wanderer hier enthüllte. Und
über den Geist dieser Wohnungskultur wird hier
etwas zu sagen sein.

Seit einigen Jahren geht man bei uns-und

anderwnrts-in Ausstattungsnöten nicht mehr

znm Möbeltischler und Tapezierer, sondern zum
„KünstJer“. Der Kiinstler ist auf diese Art rasch
zum Orakel gesteigert worden.

Der Qegensatz des Künstlers scheint so etwas
wie „unkünstlerische Nüchternheit“. Aehnlich war
Makart vor vierzig Jahren der „Herold der Farbe“.
Man weiß das erbärmliche Fiasko seiner Atelier-
Kitschohraseologie. Heute ist „Sezession“ Trumpf.
Kein Handwerker in Wohnungsutensilien darf nach
den reinen Prinzipien seines Handwerks Gebilde zu-
sammenfügen. Der Künstler steht hinter dem Be-
fangenen und richtet ihm die Hand. Was heraus
kommt, ist „angewandte Kunst“. Angewandte
Kunst. das sind Nacht- und Nähtischchen mit Por-
phyrplatten und schmiedeeisernen Beschlägen, in
allen Farben gebeizte Kasten mit Intarsien und Spie-
geln, Büffets mit messinggerahmten kassettierten
Fenstern und angeschraubten Beleuchtungskörpern
und ähnliches. Man kennt den Klimbim zur Genüge.
Es ist so fad, daß man schon beim Gedanken daran
gähnt. — Loos fragt höhnisch, warum der Künstler
nicht auch dem Schuster, dem Sattler, dem Hand-
schuhmacher unter die Arme greifen wolle. Und
da niemand antwortet, fährt er, der schon vor zehn
Jahren (in der „Neuen Freien Presse“) und später
in einem gleich wieder eingegangenen Blatte „Das
Andere“ „radikale“ Anschauungen entwickelt hat.
fort: Unsere Zeit braucht das Ornament nicht, sie
verzichtet darauf. Sie lebt vom ästhetischen Wesen

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