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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

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Nr. 5 (März 1910)
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Lantz, Adolf: Die Hochzeit des Gilles de Rais, [3]
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Hardekopf, Ferdinand: Puppen und heilige Damen: Eine Theaterkritik
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Ehrenstein, Albert: Die Parasiten der Parasiten
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https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0040

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prächtig erhoben wird. Endlich brach sich das
wütige Schlachten am Ufer des Sees, der sich mir
bot wie jener, in dem ich tags zuvor mich gereinigt.
Weithin peitschten ihn jetzo die letzten, in ihn
stürzenden Bäume, mächtig rauschten die Wogen.
Mit schnellenden Sprüngen wie in die Frciheit raste
das Roß in den See. Und wie die Wasser an
meinen Leib schlugen, ward ich mir des blutigen
Qewandes bewußt, darein ich gleich einem Panzer
geschmiedet, und schwellten die Sinne in Lust der
Reinigung. Mit Jauchzen empfing ich die heran-
spülende Woge, so mich vom eklen Harnisch be-
freien sollte. Riß eine Strömung das Pferd unter
mir fort, derweilen ich mit ausgestreckten Armen
in eine Woge gegriffen, sie an mich zu drücken, und
so ohne Halt war. Wälzte mich mit Seligkeit in
den Wellen, welche mit tiefem Entzücken auch
dann noch anhielt, als mich die Schwere des Blut-
panzers ins Bodenlose hinabzog, die Wasser erst
meinen Mund, drauf Nase, Augen und Stirn
deckten, jetzo über mir zusammenschlugen, mich
mit Wollust gleich wild Iastendem Kuß er-
stickten.

Da erwachte ich mit zurückgehaltenem Atem,
von Schweiß durchnäßt. Der erste Morgen graute
übermüdet ins Qemach. Mein Kopf lehnte an
zarten, jungfräulichen Brüsten, so sich wie das
Auf und Nieder friedlicher Wellen im Gleichmaß
hoben und senkten. Im Nachtgewand aus blaß-
leuchtender Seiden schlummerte mein junges Weib.
Stieg mir diese himmlische Erlösung aus bösen
Träumen mit solchem Qlück und solcher Seligkeit
ins Herz empor, daß davon Tränen in den Augen
perlten. Wie ich mit dem Rücken der Hand sie von
der Wange trocknen gewollt, spüre ich grieslig
und kratzig festklebende Staubkruste an der Haut,
voll Sand auch mein Haar, strähnig durch ge-
trockneten Schweiß. Und wie ich jetzt an mir mich
aufrichtend hinabschaue, seh ich die unreine Brust
durchs aufgerissene Wams, die zerfetzte Seide der
Qewänder, vom Unrat der Wege über und über
besprengt. Sehe von Ekel erfüllt die zerkratzten,
zerschundenen Hände, blutgekrustet und schwielig,
und auf dem Lager, durch das Qewicht meines
Körpers vertieft, neben der blaßleuchtenden kind-
haften Frau, wie in einer Rinne aufgefangen, im
breiten, dunkeln Streifen, als Abdruck meiner selbst
von mir geschabten und gebröckelten
Schmutz —“

Nach einem Augenblick schweigender Qe-
brochenheit fuhr der Qefangene aus seiner ver-
grabenen Haltung jäh empor.

Draußen durch die Bogengewölbe der Qänge
von la Tour Neuve nahten dumpfdröhnende Tritte
waffenklirrender Männer. Schloß und Riegel,
mächtig gerüttelt, fielen rasselnd. Die Pforte
knarrte in den rostigen Angeln. Im Flackerlicht der
Fackeln, standen die Qewappneten vor der Tür.
Durchs vergitterte Fenster aber graute die frühe
Dämmerung.

Der mit dem Schuppenpanzer, der Schwarz-
bärtige, trat ins Verließ:

„Gilles de Rais! Die irdische Sühne erwartet
Euch. Wir sind kommen, Euch zum Qeleit. Ehr-
würdiger Bruder, hier endet Euer Amt. Uebergebt
den Qefangenen in mir dem weltlichen Qericht.“

Da wandte sich jener mit aufleuchtendem
Blick mir zu: „Ich gehe, mich loszukaufen von den
ewigen Flammen. Tragt dieses Leben in Geduld!
In der großen Freude des Paradieses werden wir
uns wiedersehen!“

„Will inbrünstig für Dich beten, mein Bruder,“
rief ich mit segnender Qebärde, „derweilen Deine
reuige Seele von hinnen fährt. Knie in Glauben
und Hoffnung auf die ewige Qnade ruhig hin vor
unseres Vaters Tron. Dir wird vergeben sein, um
Christi Wunden willen, Amen!“

Puppen und heilige Damen

Eine Theaterkritik

Die Marionettenbühne des Münchener Schrift-
stellers Paul Brann ist im großen Bildersaal von
Keller und Reiner, wie ein Wandschrank (placard)
hineingebaut. Das gibt ihr etwas Entrücktes, Mär-
chenfernes. Die Beschauer sitzen korrekt und
neurasthenisch im zwanzigsten Jahrhundert, die
Puppen (so raffiniert sie konstruiert sind, so
elektrisch immer bestrahlt) haben ihre Abenteuer
in uralter romantischer Zeit. Wie aus einem AI-
koven zirpen ihre Nöte, ihre Hopser, ihre Verren-
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kungen hervor. Am schönsten ist’s, wenn die Pup-
pen singen, Mozartsche Musik (und wenn die
Schwedin Karin Lindholm, wann war ein Frauen-
name lieblicher?, es für sie übernimmt). In des
Qrafen Franz Pocci romantischem Märchendrama:
„Die Zaubergeige“ wird nicht genug musiziert.
Aber diese Geschichte ist spannend und konven-
tionell. Kasperl, arm und faul, erhält für seine Qut-
mütigkeit vom Kupfergott eine Zaubergeige, durch
die er berühmt wird. Am Hofe des Herzogs macht
ihn der Glanz halbtoll. Er will die Prinzessin Ama-
lie verführen, ihr Strumfband interessiert ihn, und
wird zum Galgen geschickt. Letzter Qefahr rettet
ihn die Qeige. Und nun wieder ruppig und ordinär
bekommt er die treue Qrete. Der Kupfergott de-
klamiert: „Das Unzulängliche, hier wirds Ereig-

nis.“ Liebes, liebes Münchener Märchen.

Für Kinder. Erwachsene, wenn sie darauf dres-
siert sind, finden an zwei, drei Stellen Anspielungcn
aus der Qeschlechtsgegend. Man hatte auch po-
litische Couplets hineinverpackt — o so naive!
Niemanden sollten sie verletzen. . . .

Vor mir, in der ersten Parkettreihe, glomm
aschblond der Dutt eines jungen Mädchens. Von
der Stirn und von den Schläfen strömten drei innige
Wellen nach hinten und verschlangen sich zum
tiefen etwas unordentlichen Knoten. Die jungen
Schultern froren unter einem durchbrochenem
Tuch, besetz mit ganz zarten silbernen Flitter-
blättchen. Der Rock war nicht sorgfältig genug
geschlossen. Was machte den Sinn dieser jungen
Dame wirr und ihre Hand Iässig? Manchmal bog
sie den Kopf zurück und spähte in die murmelnde
Dämmerung des Saals. Schaute sie „vers l’infini“?
Ihr Antlitz, zu rührend schmalem Kinn verschmach-
tend, war blaß und süchtig. Brauchte diese Qrete
einen Kasperl, einen ordinären? .... Ach, allen
Glanzaugen der Jünglinge wich die Scheue aus!
. . . Jetzt aber, in der Rapidität, da ein Wunsch
erwächst, schoß heiße Qier in den Spalt zwischen
ihren tiefgewölbten, stablblauen Lidern. Ich, dem
Ziele jener gehässigen Qier folgend, ersah jenseits
all der Reihen, ein junges Mädchen, das sich
dehnte ....

In diesem Augenblick waren der helle Saal
und die brav plärrende Marionettenwirtschaft ver-
schwunden —: weithin eine braune Landschaft
Ietzter Zerrissenheit. Zwischen den beiden König-
reichen, dem des Mannes und dem der Frau,
schäumte der graue Strom des Hasses, der einst
Strom der Liebe hieß. Und eine Stimme, höflich
erklärend, dröhnte die Strophe des Romantikers
Alfred de Vigny:

Bientöt, se retlrant dans un hideux royaume,

La femme aura Oomorrhe, et I’homme aura Sodome;

Et, se jetant de loin un regard irritö,

Les deux sexes mourront ehacun de son cötö.

... AIs der Vorhang zum letzten Male da
war, nunmehr endgültig, taumelte die Aschblonde
wie trunken dem Ausgange zu. Ihre Glieder wa-
ren von Blei. Ihre Augen waren aus den Höhlen
getreten, wie bei Absynthtrinkerinnen. Die Wan-
gen, wächsern, brannten in hektischer Hitze. Die-
ses junge Mädchen, auf der hoffnungslosen Suche
nach dem häßlichen, namenlos gna'denreichen
Königreiche Qomorrha, entschwand . . .

Auf einem Bilde des Malers Rebel, an der
Wand dieses Saales, entdeckte ich sie wieder. Sie
stammte aus der Zeit, da Rebel die Titelblätter zu
Stanislaw Przybyszewskis Roman|trilogie: „Homo
sapiens“ zeichnete. Ein ekstatischer Wille hatte
diesen (polnischen) Qliedern eine fließende, zer-
gehende, verwesende Schönheit gegeben — eine
Herrlichkeit, die Tränen rief und Wut„ Alles
Kleinliche, Schlimme, Bedachte war hier über-
wunden; das Träumen dieser Frau war eine An-
betung ohne Qrenzen, ein Erschauern ewiger Hin-
gebung. In polnischer Erde war diese Ekstasc
erwachsen. Pola — DU Auserwählte eines aus-
erwählten Volkes —: in DIR erkannte ich all die
heiligen Frauen des Jahres neunzehnhundertund-
zehn wieder. Denn die heiligen Frauen dieser Zeit
gleichen sich und erkennen sich — an den Schmer-
zensfalten um ihre verblutenden Lippen, an ihrer
todeswunden Raserei ....

Ferdinand Hardekopf

Die Parasiten der Parasiten

Von Albert Ehrenstein

Immer, wenn man so ein Mädl sah, aß sie einen
Indianerkrapfen! „Der Einfluß des Frauenstudiums

auf die Zusammensetzung des Universitätsbüfetts“
— das wäre ein sehr lohnendes Dissertations-j i
thema . . . Namentlich für den Sohn eines Aristo- ■
kraten oder einen Hofratsstämmling, der hiezu eii* i
Reisestipendium bekäme, das zwar den Besuch
Pariser oder Berliner Nachtlokale dieszwecks nichl 1
direkt vorschriebe, aber immerhin wesentlich er-; 1
Ieichtern würde . . . Die Umwälzungen, welche dic
kleinen Naschkatzen im Büfett hervorriefen, blie-
ben ohnehin die einzigen durch das Frauenstudiuni
an der Universität heraufbeschworenen. Denn iri
der Wissenschaft, mein Qott, die Mäderln be-
herrschten ja gewöhnlich mehr fremde Sprachen
als ihre Kollegen. Sie hatten mehr Sitzfleisch.
somatisch und geistig. Zweifelsohne! Nicht ge-
schwächt durch Bacchus, Venus, Merkur und schon
gar nicht durch Saturn entwickelten diese Jung-
frauen einen horrenden Fleiß. Handelte es sich abef
um selbständiges Vorgehen, dann standen sie hilf-
los da und fabrizierten Nudeln. Qeologische Nu-I
deln, mathematische Nudeln, philosophische Nu-j
deln ... Sie saßen geduldig alle Vorlesungen ab.i
die sie inskribiert hatten, sie schrieben jedes Wort
nach, das so ein ahnungsloser Professor aus-
sprach und lernten jeden Schmarren auswendig.j
kramten ihr Wissen bei den unpassendsten Ge-
legenheiten aus — mit jeder Eigenheit der Diktion
des Vortragenden — die reinsten Phonographen.
Chinesisch hätten sie mit derselben Wonne gelernt
wie deutsche Literaturgeschichte. Aber schöpfe-
rische Arbeit? Sympathischer waren sie mir trotz-
dem als ihre Herren KoIIegen. Dummheit, sagen
wir es weniger brüsk: Beschränktheit, gemildert
durch ein liebes Qesichterl — das war so die For-
mel für die Studentinnen, immer noch vorzuzieheni
den männlichen Reinkulturen von Roheit und Bor-i
niertheit, Deutschtümelei und Unbildung. Die wür-
den wieder etwas zu grinsen haben, wenn der Pro-
fessor Edlmann, wie das vorige Mal, meine An-i
sichten mit überlegener Ironie behandeln sollte.j
Aber wart nur: mitten in einem seiner Ausfälle;
werd ich nach simulierter Heiserkeit geräuschvoll
und nonchalant eines der dieszwecks mitgebrach-!
ten Salmiakzeltchen zu mir nehmen . . . Zwar
unser eleganter Herr Hofrat war ein ausgezeich-
netter Causeur. Wer konnte es ihm da im Grunde
verargen, wenn er zufälligerweise meine armselige
Kompilation zum Objekt seiner geistreichen Be-
merkungen machte. Das war wohl tragisch für
mich, den Studiosus der Qeschichte, aber ich — der
Nichthistoriker — brachte für die Spöttereien dcs
Qelehrten einiges Verständnis auf und bedauertc
nur hie und da, keinen einzigen Hieb ein bißchen
parieren zu dürfen. Endlich durfte man ja von
einem Unterrichtsbeamten, der sich bei einer nicht
durch ihn erfolgenden herben Kritik der Dynastie
nie darauf besann, daß er vom Staate und nicht
von der Firma Habsburg-Lothringen bezahlt wurde. :
man konnte von ihm nicht verlangen, daß er —
man bedenke: ein Hofrat — ruhig zuhörte, wie ein
unreifer Mensch dem Paradestückel der Habs-
burger dem Volke gegenüber, dem Kaiser Josef. j
fixe Ideen vorwarf, ihn einen verworrenen Nach- j
ahmer Friedrich des Qroßen nannte und überhaupt
radikaler Witzbold, ja Anarchist genug war, Maria j
Theresia den einzigen Mann in der Iangen Reihe j
der Chefs der österreichischen Linie dieses Hauses
zu nennen. Diesmal hatte ich nichts dergleichen auf
Lager — wenigstens meiner Ansicht nach. Und im ! :
Notfall, wenn es doch zum Krach kommen sollte.
ging ich einfach mit meiner Dissertation um ein
Haus weiter zu dem Professor a non habendo. So ;
nannten wir nämlich unter uns den andern Instituts-

vorstand, den Hofrat Qeist. Im Seminar, wo I

schon die Lampen brannten, neckte sich gerade einc j
Dame in Trauer mit dem kleinen Bibliothekar her-
um, der wie gewöhnlich seinen räudigen Miniatur- j
schnurrbart liebkoste und seine winzigen Beinchen
mit so steifer Würde hierin und dorthin lenkte, wie
das nur ein neugebackener Doktor zu tun vermag.
Er war auch in der Tat weniger ein mit einem
Schnurrbart versehener Doktor, als der Besitzer
eines Doktorates und Schnurrbartes. Von den all- s
wissenden Archivwürmern war Qott sei Dank
keiner vorhanden. Viele neue Qesichter erfrisch-
ten mich, Qesichter schadenfroher Leutchen, die
allerdings nicht zu diesem Zwecke sich eingefun-
den hatten, sondern sich an der Fortsetzung meiner
also schon bekannt gewordenen Abschlachtung
weiden wollten. Vorderhand aber betrachtete ich
die Physiognomien der seltenen Qäste mir genauer,
die, wie ich bald heraus hatte — die Herrschaften
sprachen etwas laut — durch eine Eigenheit die
 
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