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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

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Nr. 1 (März 1910)
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war: Glossen
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Loos, Adolf: Vom armen reichen Mann
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Berlin
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https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0008

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fegte der Herbstwind die Bäume leer — Die Blät-
ter fielen iiber mich her.“ Die Blätter ... ah Sie
scherzen ja, Sie verstehen schon längst. Ein lie-
benswürdiger Veteran der Feder und des Schwer-
tes äußert sich: „Wie hoch steht doch selbstge-
wollte Weiblichkeit — inmitten der Gotteswelt be-
währt — über der nie versuchten Klostertugend“.
Natürlich. Ueber der nie versuchten Kioster-
tugend. Der älteste Herr kann noch im spätesten
Alter mit solcher reifen Weisheit sich mühelos die
Zeit vertreiben. Und mit aufdringlicher Eleganz
drängt sich zartgeblümter Kitsch aus dem elegan-
ten und zierlichen Büchlein, in dem eine meist
fragwürdige Literatur ihren Schreibtisch von un-
verkäuflichem Ballast befreit hat. Oder in detn
sich einfach ganz ruppiges, derbes Federvieh
spreizt, das mit Transtiefeln und genagelten Soh-
len sich eines gewählten und preziösen Menuetts
zu entledigen wünscht. w a r

Vom armen reichen Mann

Von Adolf Loos

Von einem armen reichen Mann will ich euch er-
zählen. Der Mann hatte üeld und Gut, ein treues
Weib, das ihm die Sorgen, die das Geschäft mit
sich brachte, von der Stirn küßte, einen Kreis von
Kindern, um die ihn der Aemste seiner Arbeiter be-
neidet hätte. Seine Freunde liebten ihn, denn was
er angriff, gedieh. Aber heutc ist das ganz anders
geworden. Und das kam so.

Eines Tages sagte sich dieser Mann: Ich habe Geld
und Gut, ein treues Weib und Kinder, um die mich
der ärmste Arbeiter beneidet. Aber bin ich denn
glücklich, wirklich ganz glücklich? Es gibt Men-
schen, denen alles fehlt, worum man mich beneidet.
Aber ihre Sorgen werden hinweggescheucht durch
eine große Zauberin, die Kunst. Und was ist mir
die Kunst? Ich kenne sie nicht einmal dem Namen
nach. Jeder Protz kann seine Visitenkarte bei mir
abgeben, und mein Diener reißt den Fliigel auf.
Aber die Kunst habe ich noch nicht bei mir emp-
fangen. Ich weiß wohl, sie kommt nicht. Aber ich
werde sie aufsuchen. Wie eine Königin soli sie bei
mir einziehen und bei mir wohnun.

"T war eiu kiaiiv'oVier ivVanii, was ei anpackie,
wurde mit Energie ausgefiihrt. Das war man im-
mer bei seinen Geschäften gewohnt. Und so ging
er noch selben Tages zu einem berühmten Archi-
tekten und sagte ihm: „Bringen Sie mir Kunst, die
Kunst in meine vier Pfähle! Kostenpunkt Neben-
sache.“

Der Architekt ließ sich das nicht zweimal sagcn.
Er ging zu dem reichen Manne hin, warf alle seine
Möbel hinaus, ließ ein Heer von Parkettierern,
Lackierern Tapezierern, Maurern, Anstreichcrn,
Tischlern, Installateuren, Schlossern, Töpfern,
Teppichspannern, Malern und Bildhauern einziehen
und hui, hast du nicht gesehen, war die Kunst ein-
gefangen, wohlverwahrt in den vier Pfählen des
reichen Mannes.

Der reiche Mann war überglückiich. Uebergliick-
Iich ging er durch die neuen Räumc. Wo er hin-
sah, war KunSt. Kunst in allem und jedem. Er
griff in Kunst, wenn er eine Klinke ergriff, er setztc
sich auf Kunst, wenn er sich in einem Sessel nieder-
ließ, er vergrub sein Haupt in Kunst, wenn er es
ermüdet in die Kissen vcrgrub, sein Fuß versank
in Kunst, wenn er über die Teppiche schritt. Mit
einer ungeheuren Inbrunst schwelgte er in Kunst;
seitdem auch sein Teller mit artistischem Decor
versehen war, schnitt er sein Boeuf ä l’Oignon
noch einmal so fest enzwei.

Man pries ihn, man beneidete ihn. Dic Kunstschrif-
ten verherrlichten seinen Namen als einen der
ersten in der Reihe der Mäcene, seine Zimmer wur-
den zum Vorbild und zur Darnachachtung abge-
bildet, erläutert und erklärt.

Aber sie verdienten es auch. Jeder Raum bildete
eine abgeschlossene Farbensymphonie. Wand,
Möbel und Stoffe waren in der raffiniertesten Weise
zusammengestimmt. Jedes Gerät hatte seinen be-
stimmten Platz und war mit den anderen zu den
wunderbarsten Kombinationen verbunden. Nichts,
gar nichts hatte der Architekt vergesscn. Zigarren-
abschneider, Bestecke, Lichtauslöscher, alles, alles
war von ihm komponiert worden. Aber es waren
nicht die landläufigen Architektenkünste, nein, in
jedem Ornamente, in jeder Form, in jedem Nagel
war die Individualität des Besitzers ausgedriickt.
Eine psychologische Arbeit, deren Schwierigkeit
jedermann einleuchten wird.

4

Dcr reiche Mann war überglücklich. Einen großen
Teil seiner Zeit widmete er von nun an dem Stu-
dium seiner Wohnung. Denn das mußte gelernt
sein, das sah er wohl bald. Da gab es gar viel zu
merken. Jedes Gerät hatte einen bestimmten Platz.
Der Architekt hatte es gar zu gut mit ihm gemeint.
An alles hatte er schön vorher gedacht. Für das
kleinste Dingelchen gab es einen bestimmten Platz,
der gerade dafiir gemacht war.

Bequem war die Wohnung, aber den Kopf strengte
sie gar sehr an. Der Architekt iiberwachte daher
in den ersten Wochen das Wohnen, damit sich kein
Fehler einschleiche. Der reiche Mann gab sich alle
Miihe. Aber es geschah doch, daß er cin Buch aus
der Hand legte und es in Gedanken in jenes Fach
schob, das fiir die Zeitungen angefertigt war. Odcr
daß er die Asche seiner Zigarre in jene Vertiefung
des Tisches abstrich, die für den Leuchter be-
stimmt war. Hatte man einmal einen Gegenstand
in die Hand genommen, so war des Ratens und
Versuchens nach dem alten Platze kein Ende, und
manchmal mußte der Architekt die Detailzeichnun-
gen aufrollen, um den Platz fiir die Zündholzschach-
tel wieder zu entdecken.

Wo die angewandte Kunst solche Triumphe feierte,
durfte die angewandte Musik nicht zurückbleiben.
Diese Idee beschäftigte den reichen Mann sehr. Er
machte eine Eingabe an die Tramwaygesellschaft,
in der er ersuchte, die Kondukteure anzuweisen,
sich vor seinem Hause statt des sinnlosen Läutens
des „Parsifal“-Glockcnmotivs zu bedienen. Allein
er fand bei der Gesellschaft kein Entgcgenkommen.
Dort war man für modernc Ideen noch nicht ge-
nug empfänglich. Dafür wurde ihm gestattet, die
Pflasterung vor seinem Hause auf seine eigenen
Kosten ausführen zu lassen, wodurch jedes Fuhr-
werk gezwungen wurde, im Rhytmus des Ra-
detzky-Marsches vorbeizurollen. Auch die elck-
trischen Läutewerke in seinem Hause erhieltcn
Wagner- und Beethovenmotive, und alle berufe-
nen Kunstkritiker waren voll des Lobes über den
Mann, der der „Kunst im Gebrauchsgegenstande“
ein neues Gebiet eröffnet hatte.

Man kann sich vorstellen, daß alle diese Verbesse-
rungen den Mann noch glücklicher machten.

Es darf aber nicht verschwiegen werden, daß er es
vorzog, möglichst wenig zu Hause zu sein. Nun.
von soviel Kunst will man sich auch hier und da
erholen. Oder könnten Sie in einer Bildergalerie
wohnen? Oder monatelang in „Tristan und Isolde“
sitzen? Nun also! Wer wollte es ihm verdenken,
wcnn er ncue Kräfte im Cafö, im Restaurant oder
bci Freunden und Bekannten für seine Wohnung
sammelte. Er hatte sich das anders gedacht. Aber
der Kunst müssen Opfer gebracht werden. Er hatte
doch schon so viele gebracht. Sein Auge wurde
feucht. Er dachte vieler altcr Dinge, die er so lieb
gehabt hatte, und die er doch martchmal vernrißte.
Der große Lehnstuhl! Sein Vater hatte schon im-
mer sein Nachmittagsschläfchen darin gemacht.
Und die alte Uhr! Und die Bilder! Aber die Kunst
verlangt es! Nur nicht weich werden!

Einmal geschah cs, daß er seinen Geburtstag fei-
erte. Seine Frau und Kindcr hatten ihn reich be-
schenkt — Sachen, die ihm herzliche Freude berei-
teten. Denn sie gcfielen ihm ausnehniend. Bald
darauf aber kam der Architekt, um nach dem Rech-
ten zu sehen und Entscheidungen in schwierigen
Fragen zu treffen. Er trat in das Zimmer. Der
Hausherr kam ihm freudig entgegen, denn er hatte
vieles auf dem Herzen. Aber der Architekt sah
nicht die Freudigkeit des Hausherrn. Er hatte
etwas ganz anderes entdeckt. Er erbleichte. „Was
haben Sie denn für Hausschuhe an,“ stieß er müh-
sam hcrvor.

Der Hausherr besah sich seine gestickten Schuhe,
Aber er atmete erleichtert auf. Diesmal ftihlte er
sich ganz unschuldig. Die Schuhe waren nämlich
nach dem Originalentwurfe des Architekten gear-
beitet worden. Er antwortete daher iiberlegen:
„Aber Herr Architekt, haben Sie schon vergessen?
Die Schuhe haben Sie ja selbst gezeichnet!“
„Gewiß,“ donnerte der Architekt, „aber fiir das
Schlafzimmer. Sie aber zerreißen mit diesen zwei
unmöglichen Farbflecken die ganze Stimmung.
Sehen Sie denn das gar nicht ein?“

Der Hausherr sah wohl ein. Er zog rasch die Schuhe
aus und war froh, daß der Architekt nicht auch
seine Strümpfe unmöglich fand. Sie gingen nach
dem Schiafzimmer, wo der reiche Mann wiedei
seine Schuhe anziehen durfte.

„Ich habe,“ begann er hier zaghaft, „gestern mei-
nen Geburtstag gefeiert. Meine Licben haben mich
mit Geschenken förrnlich überschiittet. Ich habe

Sie rufen iasscr; lieber Herr Arcliitekt, damit Sie
uns Ratschiäge geben, wie wir die Sachen am
bcsten aufstellen können."

Das Gesicht des Architekten verlängertc sich zu-
sehcnds. Dann brach er los:

„Wie kommen Sie dazu, sich etwas schcnken zu
lassen! Habe ich Ihnen nicht ailes gezeichnet?
Habe ich nicht auf alles Rticksicht genommen? Sie
brauchen nichts mehr, Sie sind komplett.“

„Aber,“ erlaubte sich der Hausherr zu erwidern,
„ich werde mir doch noch etwas kaufen dürfen?“
„Nein, das dürfen Sie nicht. Nie und niemals! Das
fehltc mir noch, Sachen, die nicht von mir gezeich-
net sind!“

„Aber wenn mir mein Enkelchen eine Kindergarteri-
arbeit schenkt?“

„Dann diirfen Sie sie nicht nehmen.“

Der Hausherr war vernichtet. Aber nocli hatto
er nicht verloren. Eine Idee, jawohl eine Idee!

„Und wenn ich mir in der Sezession ein Bild kau-
fen wollte?“ fragte er triumphierend.

„Dann versuchen Sie doch, es irgendwm aufzuhän-
gen. Sehen Sie denn nicht, daß für nichts mehr
Platz ist? Sehen Sie denn nicht, daß ich für jedes
Bild, das ich Ihnen aufgehängt habe, auch einen
Rahmen auf der Wand, auf der Mauer dazu kom-
poniert habe? - Nicht einmal rücken können Sie mit
einem Bilde. Probicren Sie doch, ein neues Bild
unterzubringen!“

Da vollzog sich in dem reichen, reichen Manne eine
Wandlung. Der Glückliche fühlte sich plötzlich
tief, tief unglücklich. Er sah sein zukünftiges Leben.
Niemand durfte ihm mehr eine Freude bereiten.
Wunschlos mußte er an den Verkaufsläden dieser
Stadt vorübergehen; für ihn wurde nichts mehr er-
zeugt. Keines seirier Lieben durfte ihtn sein Bild
schenken, für ihn gab es keine Maler mehr, keine
Künstler, keine Handwerker. Er war ausgeschal-
tet aus dem kiinftigen Leben und Streben, Werben
und Wünschen. Er fühlte: jetzt heißt es lernen,
mit dem eigenen Leichnam herumzugehen. Ja-
wohl: Er ist fertig! Er ist komplett.

Wir fiihron mit diesem Beitrae den Berlinern einen neuen Mar.n
vor. !n seiner engeren Heimat, Wien, ist Adolf Loos woh! bekannt.
Juiius Meier-Oraefe nennt ihn in seiner Entwicklungsgeschichte
der modernen Kunst einen Künstler und Architekteji, Schriftsteller
und Denker. Loos trat schon vor vierzehn Jah ren. zu dor 7.eH. a!s
die moderne ornamentale Bewegung einsetzte, ats mr schärfster
.Oegnpr auj\ „Anfanj?^ vefsoottet utic^ verlacht haheAn aher die
Kunstgewerbler ba!d seine idcen zu den ihren gemacht.

Berlin

Von Rene Schickele

Baüade von unserer lieben Frau im Coupe

Auf der Stadtbahn

Es hält ein Zug, der, wohin Du wilist, nicht geht,
Solang er liält, sprich, Wandrer, ein Gebct.

*

Liebe Frau im Uoupe,

Eure Augen tun weh
wie Haß. Ihr seid verhärmt,
es schmerzt Eucr schiefer Mund,
und Eure Schultern träumen.

Ich schwöre, schiief der Hund,
der Eure Fiiße wärmt,

inbrünstig würd ich Euch den Gram vom Antlitz
blasen.

Ihr solltet nimmer säümen.

F.ure Pulse müßten Iaufen wie zwei Hasen
bis vor die Stadt und zusammcnprallend in einem
Busch vcrschwinden.

Dort möcht ich Euch ernsthaft lächelnd mit gc-
wöibtem Munde wiederfinden.

Sehlag, Wandrer, das Zeichen des Krettzes nach
dem Gcbet.

Es fährt ein Zug, der. wobin Du willst, nieht geht.

Vorortballade

Um seine Vilia beneidet der eine den andern, um
das Leuchten des Wannsees,
uni scine Terrasse mit geflochtenen Stiihlen, um
das Segelboot „Ramses“.

Um seinen Hühnerhof auch imd den schattigen
Garten,

wo e r in vielen Nächten verdammt war zu warten.

bis eine Dame kam tnit hcllem Haar und dem
Schliissel zum Auslug.

Ihr Haar fiel, und sie iachte leis, bis die erste
Lerche im Tati schlug.
 
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