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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

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Nr. 5 (März 1910)
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Lantz, Adolf: Die Hochzeit des Gilles de Rais, [3]
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Me Hochzeit des Gilles de Rais

^on Adolf Lantz

Schluß

Anfänglich jagte ich nur so hin. daß oft-
j^alen ein niedrig wachsender Zweig mir ins
v^sicht schlug. An zwo Stunden raste ich wie im
i.'Aahnsinn durch das Land. Am Seeufer erst ritt
mäßiger, den Kopf gesenkt. Das edle Tier
l<P*auchte mit gebäumtem Haupt verschnaufend
i^rch die geblähten Nüstern. Nebel stieg aus dem *
ik/ asser auf. als ich flüchtig das Auge wandte, die

So

Wi

in

ine brach hindurch, matt glänzte die Fläche.
arf die Kleider ab, tauchte unter und schwamm
•angen, kraftvollen Stößen in den See hinaus, bis

^ aß ich ermattete, der Frost mich schüttelte.
^ ackend schwang ich mich aufs Pferd, die Kleider
'mterm Sattel bergend, trieb es zum Galopp,
j jT° cknete den Leib an der Luft. Steigerte sowohl
r j. ad wie Ritt zur äußersten Anstrengung, das
enken gewaltsam zu ersticken. Wagte kein
p ebet, wagte auch nicht gen Himmel aufzusehn.
| rschien mir für Augenblicke alles wie ein
nrnpfschwüler Traum, das Erlebte so wenig wahr-
] , a‘tig wie dieses Hinjagen ohne Ziel, und würde
1 avon sicherlich auf gewohntem Lager erwachen,
: ar Morgenandacht in die Kapelle zu gehen. Ein
, jTj edIich beseeligend Gefiihl durchwärmtc rnich.
j j *°ndes, duftendes Haar fiel über mein Gesicht, die
'Ppen wölbten sich zu nachgenießenden Küssen,
J e Zügel schwellten in den hohlen, greifenden
r.. anden zu zarten, festen Brüsten, von deren Be-
i J| 1. arimg michs verwirrend iiberrieselte. Bis daß
ötzüch, wie ich mich in der Eregung verlor, der
ptende Leib des Mädchens vor dem Pferd hin-
I 'tt. Ohn Willkür preßten sich allda die Fersen
n die Flanken des Tieres, daß es in jähen Sätzen
Pfschreckte gleich meinem Pulsschlag. Und
'heß wieder gesenkten Hauptes in die Landschaft
, lr>ein, Dorf und Gehöft im weiten Bogen um-
j, reisend. Also betäubte ich mein Gehirn bis zur
rschöpfung.

Im dichten Walde war’s, daß mich die starken
(j/ Urzeln über dem Boden sowie die Wirrnis der
j^ämine zu verlangsamtem Traben gezwungen.
. a ordneten sich denn die Gedanken von selbst,
en Sturm des Blutes bemeisternd. Fiel mir jetzo
n> Was ich bis zu dieser Nacht von Geschlecht-
J^hkeit gewußt, erahnt und zuweilen ersonnen.

,* e oftmalen im Traum eine Magd im Streit mit
Jp' r gewesen, bis daß ich sie gefaßt und iliren Leib
^u.spürt mit ähnlicher Lust in den Fingern als
ählten sie im weichen Pelz des Hermelin. Schob
lch der Rock von ihren Beinen, stieß der Fuß, bis
ns Knie entblößt, nach mir und traf mich gut,
. ayon ich entzundnen Blutes erwachte. Oder wie
cä mit Gleichaltrigem kämpfend, die Kraft zu
■ ‘ählen, im Ringen Leib an Leib gepreßt, Erregung
J^Pfand, heimlich das Gesicht mit küssendem
. Und an seinen Körper drückte. War auch vom
^pgister in mancherlei unterwiesen, davon er
r, nsthaft gesprochen, streng und finster, daß ich
| n,r kein Fragen getraute. Hatte wie ein Wissender
I chend den lüsternen Reden der Knechte ge-
(? Uscht, in dunklen Nischen die Mägde geschreckt,
llj eSe und jene stürmisch an die Mauer gepreßt,
, nre Formen im Necken betastet, als Kind mich ge-
erdend. Und jene wehrten mirs nicht, erduldeten
le Berührung, als würden sie der ernsten Spiele
^ Knaben nicht gewahr oder gefielen sich gar
s arinnen. Hatte auch die Lust des Hengstes ge-
j^haut wie des Stieres und der Hunde, woran der
p agister viel große Worte über die Natur und
jfott geknüpft. War denti auch der Strom meiner
Jj aft nichts Neues, so mich erschreckt und aufge-
M«hlt, daß ich jetzo weitab von Schloß und
jj ° nschen in die Einsamkeit reiten gemußt. Son-
? ern wars vielmehr, daß ich vermeinte, gemordet
R n haben. solchermaßen meditierend: hatte gar
y Crr> und viel die Armbrust auf den fliegenden
„°& el gerichtet, den Bolzen auf Rehe und Hirsche
eSändt. Auch den Speer so Eber wie Wildscliwein
• Pchtig ins Fleisch gejagt, stolz und in jubelnder
nst, wann das Gewaffen fest saß. Hatte gesehen,
j5.' e iegliches Tier an blutender Wunde, so das
'sen gefurcht, verendete. Aber hatte nie geahnt,

mein eigener Leib, ein Teil meines Fleisches,
So verwunden könne wie Stahl und spitzer Pfeil,
ju.. m selbiger Nacht geschehen. Davon ein
adchen lag gleich dem verendenden Reh, mit
chendem Körper und brechendem Auge. Und
jj^te das Ungeheure nicht erfaßt, daß es ein Aus-
e- nch der Liebe und des Lebens gewesen, was mir
ln Sterben schien.

Entflossen da gar reichlich Tränen meinen
Augen, beteuerte Gott mit heißen Worten,
wie sehr ich mein Weib liebte, wie ich sie
gewißlich nicht so grausam verwunden gewollt,
michs meiner bösen Leidenschaftlichkeit reute.
Und flehte ihn gar herzzerreißend an, sie vom Tod
zu erwecken, mich nicht als ihren Mörder zu ver-
dammen. Davon ich mich verzweifelnd sehnte,
bei ihr zu sein, Vergebung zu erlangen. Plötzlich
straffte ein scharf aufspringender Gedanke in jähem
Ruck die Zügel, daß mein Roß angewurzelt stand.
Wie, wenn sie noch lebte? Wenn Gott ein Wunder
getan, sie nicht verbluten ließ, sich unsrer erbarmt
in seiner Gnade, uns beide retten gewollt? Jach
riß ich den Renner herum, den Weg zurück.

Mittag war’s. In fiebriger Hast strebte ich an-
jetzt aus dem Wald. Zu den Hügeln, die fern am
Horizont ein Streifen waren, dehnte sich das ebene
Land. Von Neuem abgeschüttelt war jegliche
Müdigkeit, kaum berührte das Pferd mit den Hufen
den Boden, also flog es in weiten Sprüngen, im
Schweiß dampfend, dahin, zurück zum Schloß
Machecoul. Die Sonne sank und mit ihr der Nebel
auf den See, an dessen Ufer der Weg gieng. Aus-
gedörrt, gleich einem Gelähmten hieng ich im
Sattel, immer den e i n e n Gedanken fest ins Hirn
gebohrt, daß noch Leben in ihr sein miisse, mir zu
verzeihen. Wollte das Pferd schier zusammen-
brechen unter mir, konnte ihm keine Rast ver-
gönnen. Riß im Voriibersausen einen Ast aus
jungem Birkenstamm. Mit solcher Peitsche
spornte ich das Tier, schlug blutige Striemen in
das Weiß der schaumbedeckten Haut. Schon
stand schattenhaft in die Dämmerung ragend das
Schloß Machecoul vor dem getriibten Blick, da
stürzte das Roß. Ließ es am Wege, schleppte mich
vorwärts. Schlug mit dem Birkenast auf mich ein,
wollt ich niedersinken, meiner Kraft erschöpft.

Nacht wars, da Iangte ich an, staubbedeckt,
schweißtriefend mit aufgerissenem Wams, die blaue
Seiden schwarz und grau überspült, das gold-
gestickte Wappen befleckt und zerrissen. Mit zer-
schundnem Gesicht und offenen Händen, einem
Flüchtling gleich, vom Feind gehetzt, kehrte ich
heim. Die Knechte stoben durchs Schloß, die
Mägde schrien auf, bekreuzigten sich. Durch sie
hindurch gieng mein Blick, er traf sie nicht. Auf
allen Vieren kroch ich die Treppe hinauf, schwankte
durch die finstern Gänge, stand endlich vor dem
Gemach, als könnte sie nirgend anders sein als
dort, wo ich sie verlassen.

Die Tür war offen. Vom Licht der Ampel
überschimmert, ruhte im geschnitzten Armstuhl
mein Weib und lebte. Mein Haupt bettete ich
wortlos in ihrem Schoß. Und fiihlte jetzo wie
schlanke Hände im bestaubten, feuchten Haar
zärtlich kosten, eine helle Stimme gar lieblich
sprach, davon mich ein schluchzendes Entzücken
faßte. Lag so, in Seligkeit und Müde aufgelöst, bis
daß sie den Pokal mit Wein an meine glühenden
Lippen setzte, davon ich gierig trank. Auch
duldete sie weder Knecht noch Magd noch Anver-
wandte im Gemach, als hätte sie begriffen und
mit mir empfunden, daß wir heut nicht dem Anblick
der Menschen taugten.

Dreimalen schlürfte ich noch aus dem Pokal,
dann fiel ich wie ich war aufs Lager, das bewußte
Leben dieses Tages im Fieberschlaf und Fieber-
traum endigend.

Sah mich auf feurigem Rappen im sonnen-
blitzenden Harnisch, viel Haufen Kriegsvolk um
mich her. Schmetterten die Fanfaren und Drom-
meten aufreizend zur Schlacht, die Pferde tänzelten
ungeduldig und bissen ins Zaumzeug. Bolzen
sausten durch die Luft, schwirrten vorbei, prallten
am Panzer ab, streckten etliche aus dem Fußvolk
zu Boden. Hoch auf sprangen wiehernd getroffene
Rosse, fielen in die Knie der Vorderbeine, blut-
berieselt. Raste über das Fcld vom Feind herüber
ein wildgewordener Renner. Sein Reiter hieng
kopfabwärts im Bügel, das Geschoß ins Auge ge-
bohrt, und schleifte am Boden. Gerade auf mich
zu gieng sein windschneller Lauf. Ich legte die
Lanze ein, wandte stracks, bohrte mit Wucht die
Spitze durch und durch ins Fleisch, fiihlte wohlig
im ganzen Körper, wie der Schaft in den Leib des
Tieres tiefer und tiefer drang. Spriihte im hohen
Bogen gleich entfesseltem Felsenquell ein Blut-
strahl auf mich, den Harnisch färbend, durch die
Ritzen des Visiers das Gesicht bespülend, mit
bittersüßlichem Geschmack auf den Lippen haftend.
Gieng mein eigen Pferd unter mir durch, riß die
andern mit sich, waren wir wie der Blitz mitten

unterm Feind. Hieb mit gezücktem Schwert
blindlings ins Getümmel, schlug klaffende Wunden
mit jedem Streich, die Augen geschlossen, die
Zähne krampfig aufeinander gepreßt. Erlahmte
plötzlich mein ermiideter Arm. War eine gräßliche
Qual, wie ich ihn nicht mehr zu heben vermocht,
wehrlos geworden. Wimmelten jetzo vor mir in
großen Haufen durcheinander hunderte schreiende
Wunden, gelapptes Fleisch, vom purpurnen Saft
triefend. Wandte nach links: wogte allda ein un-
übersehbares Feld abgehauener Köpfe auf mich
ein. Aus den Höhlen ausgeronnener Augen
strömte es dickflüssig und rot. Auch meines
Weibes Kopf war unter ihnen, der war schneeweiß
und sein Mund stöhnte. Wandte entsetzt nach
rechts: wuchsen gleich einer Pallisade tausend ge-
spreizte Schenkel aus erdvergrabenen Rümpfen,
vom Stahl unterm Knie gestumpft, die Männlichkeit
zerschmettert und schwertdurchstochen, gar
furchtbar anzusehen. Wollte rückwärts ent-
fliehen: waren so Wunden wie Köpfe und Schenkel
durcheinander gemengt, klatschte schwer vom
glühenden Himmel aus riesigen Blutstropfen kar-
funkelnder Regen nieder, wälzte sich zäh-
flüssig gleich fauligem Sumpfwasser heran,
die Briider hinabschlingend, daß ich, allein inmitten
der Gräuel, immer toller den Rappen uni mich
selbst kreisen ließ bis es mir war, als säße ich auf
schwarzer, rollender Kugel mitten in einem Meer
von Flammen. Wollte aufschreien mit aller Kraft,
kam aber kein Laut aus der erstickenden Brust.

„Gilles! Gilles!“ weckte mich eine ängstliche
Stimme. „Was ist dir, Gilles?“

„Hab arg geträumt“ rief ich, emporfahrend.
Fiel schwer zurück, von kaltem Schweiß bedeckt,
dumpfen Hirns, Blei in den Gliedern, wälzte mich
auf dem Lager, dann schlief ich abermalen in
Träume hinüber.

Sah mich im finstern Wald nackend zwischen
den Stämmen hinreiten, einen Weg ins Freie
suchend, kreuz und quer, kehrte aber wie ver-
zaubert immer zur selbigen Stelle zurück, zur
hohen, breitstämmigen Buche. Selbige wandelte
sich vor meinen Augen in einen Riesen. Der grub
sich mit dem Kopf in den Boden ein, daraus liefen
die dicken Haarsträhne gleich Wurzeln über die
Erde. Die gigantischen, nackten Beine streckte er
wie mich zu höhnen gen Himrriel auseinarider, an
jener Stelle, an der ich noch augenblicklich vorher
den gegabelten Stamm der Buche gesehen. Ueber
solchen Schabernack und Spuk erbost, ergriff ich
mein blankes Schwert, so quer vor mir auf dem
Rücken des Pferdes lag und hieb ihm eins hart
unter die höhnisch gespreizten Schenkel. Kaum
berührt, war er auch schon rückgewandelt zum
Baum, von welchem dicht unter der Gabelung der
Ietzte Stumpf eines abgebrochenen Astes, vom
Schwert getroffen, niederfiel. Als hätte er damit
die Standkraft eingebüßt, wankte er knarrend und
aufstöhnend, dann stürzte er krachend vornüber
auf seinen Nachbar. Dieser, vom unerwarteten
Stoß überrumpelt, ächzte auf von den Wurzeln bis
zur belaubten Krone und fiel, mit weit aus-
greifendem Gezweig wie mit hundert Armen in die
umstehenden Wipfel sich klammernd. Diese bogen
sich knarrend und knirschend, durch die Gewalt der
Umarmung gefällt, rissen neben und vor ihnen Ge-
wachsene ins Verderben. Worauf denn immer
mehr und mehr Stämme im wilden Brudermord
gen einander schlugen. Ueber die Leichen der
Bäume stolperte das Pferd, rings umher hallte Ge-
krach und Getöse. Die Erde war aufgewühlt und
zitterte, ekles Gewürm wand sich aus ihr hervor.
Hirsche, Rehe, Füchse und viel andres Getier flohen
in dichten Haufen vor dem stürzenden Wald. Aber
gleich der Meeresflut schwoll die Vernichtung
immer rascher und mächtiger, bis daß sie die zu
Rudeln Gedrängten erreichte, die Leiber zer-
schmetternd und zermalmend. Im breiten Blut-
strom watend bespritzten die stampfenden Hufe
des Pferdes meinen nackten Körper, davon er
dunkelrot überströmt ward, wie gebadet darin.
Erstarrte das Blut zu erhärtender Kruste, daß ich
in Purpur angetan war, von Schwärmen nest-
vertriebener Vögel kreischend iiberflattert, Satanas
vergleichbar, der hinter dem Verderben einher-
schreitet, daran sich zu weiden. Verfolgte denn
auch das schauerlich schöne Schauspiel der Selbst-
zerstörung mit nicht anderer Empfindung als man
vor dem Anblick eines gewaltigen Gewitters hat,
wann eitergelber Strahl aus getiirmten Wolken
grell aufzuckt, die Donner überm Haupt in die Un-
endlichkeit rollen, wovon man im Gemüt gar

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