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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

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Nr. 37 (November 1910)
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Strindberg, August: Das tausendjährige Reich, [2]
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Lasker-Schüler, Else: Minn, der Sohn des Sultans von Marokko
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Hille, Peter: Das Mysterium Jesu, [5]
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https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0299

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Tu das, aber du mußt gleichzeitig einige Auf-
träge ausführen, die ich dir mit auf die Reis#
gebe.

Und so geschah es.

*

* *

Zwei Jahre waren vergangen, afe der Papst
Silvester eines Tages im Januar naCh Paterno ge-
rufen wurde, der kleinen Burg am SoraCte, in der
der römisCh-deutsche Kaiser wohnte und jetzt
krank Üag.

Afe Silvester ins Krankenzimmer eintrat, saß
der Kaiser aufredht, sah aber verkümmert aus.

Du bist krank; an Seelfe oder Körper?

Ich bin müde.

Im Alter von Zweiundzwanzig Jahren?

Ich bin mißmutig.

Du bist mißmutig, obwohl' du die Welt naCh
ihrem Albtraum erwaChen sahst! Bedenk doch,
Undankbarer, was haben diese beiden Jahre nicht
alles gebracht, welche Siege für Christus, der
wirkl'iCh wiedergekommen zu sein scheint. Ich will
sie aufzählen; hör zu! — Böhmen hat seinen Herzog
bekommen, der das Heidentum ausrodete, Oester-
reich siCh afe Donaustadt geeinigt; der heidnische
Magyar hat siCh taufen fassen und die Krone von
unserer eigenen Hand empfangen, afe Stephan der
Erste; Bol'eslaw von Polen hat auCh eine Krone
und einen ErzbisChof ibekommen; das neue Reic’h
der Russen die Taufe genommen, und Wfadimir der
Große sChützt uns gegen untergehende Sarazenen
und die aufgeWenden SeMschuken oder Türken;
Harald von Dänemark und Olof von Sch'wedeti
haben das Christentum befestigt; Olbf Trygveson
ebenfalls in Norwegen und Island, auf den Farör-
insefn, in Shetland und Grönland; und mit dem
Dänen Sven Tveskaegg wurde Britannien fürs
Christentum gesiCh-ert. In Frankreich 1 sitzt der
fromme Robert der Zweite aus dem’ neuen Ge-
schfecht der Kapetinger, aber von sächsischer Her-
kunft wie du. In Spanien haben die nördl'ichen
Staaten Leon, Castilien, Aragonien, Navarra sich
endlich geeinigt und wehren uns die Mohren in
Cordova ab. — Das alles in wenigen Jahren und
durCh Rom! Ist das nicht Christi Wiederkehr, und
verstehst du jetzt, was die Vorsehung mit dem
tausendjährigen ReiCh meint! Die in tausend Jahren
feben, werden vielleicht die Früchte reifen sehen,
während wir nur die Bfüte gesehen haben! Ein
Paradies ist es nicht, aber es ist etwas bessCr afe
früher, afe wir Wilde im Norden und Osten hätten.
— Und von Rom holcn alle ihre Kronen und ihr
Pallium. Du bist ein Herrscher der Völker, mein
Kaiser.

Du regierst die Geister. Ich will nicht
herrschen.

Ich hörte es; denn du häst dir eine Herrscherin
geschäffen!

Wer sollte das sein?

Man sagt, und du kennst das GerüCht ebensögut
wie ich, daß es die Witwe des Crescentius ist, die
schöne Stephania. Nun, das ist deine SaChe, aber
Salbme rät: Nimm diCh ! jn ACht vor deinen Fein-
den, aber sei auCh' vorsichtig mit deinen Freunden!

Der Kaiser sah aus, afe wblle er sich ver-
teidigen, vermodhte es aber nicht, und so war das
Gespräch zu Ende.

*

* *

Einige Tage darauf war Otto der Dritte tot,
nach der Sage von der schönen Stephania vergiftet.

Und ein Jahr später starb Sifvester der Zweite.

Ende

Aus der schwedischen Handschrift übertragen von
Emil Schering;

Minn, der Sohn des Sultans von
Marokko

Von Else Lasker-Schüler

Der Sultan von Marokko trägt einen Mantel
von weißer Seide, der ist über der Brust von einern
Smaragd in der Größe eines Taubeneis gehülten.

Aber sein Sohn kommt barfuß, und im s'taubigen
Kamelfell gehüllt, ein Bettler neben seinem könig-
lichen Vater. Mein Vetter im Kamelfell ist sechs-
zehn Jahre alt, Ali Mohamed könnte sein älterer
Bruder sein, der ärgert sich nicht, ist stets zu
Scherzen aufgelegt, er hat schöne Zähine, Perlmutter,
liebliche Frauenzähne, und belächelt seines Sohnes
mürrische Laune. Auch die Furche zwisChen seinen
Brauen ist nur ein seltener, huschender Schatten,
sieben Häute tiefer schlummert die Nacht in seines
Sohnes Stirn. Bei der Tafel weigern sich die Hof-
leute neben diesem zu sitzen und auf dem Dach.
Sein Kissen ist ängstliCh gezeichnet. Unter dem
lieblichen Himmel des weißen Rosengartens wan-
delt er auf verbotenen Wegen; das Wandeln durch
den weißen Duft ist nur uns Frauen gestattet. Aber
ich bitte meinen Vater, den weißbärtigen Pascha,
mit meinCmVetter im Kamelshaar am Krontag tanzen
zu dürfen. Und ich tanze mit Minn, dem närrischen
Sohn des Sultans. Meine Hände liegen quer iiber-
einander,fingergespreizt, ein goldblasser Stern gegen
seine zottige Brust gestemmt. „Nun muß ich vom
Feste eilen“, klagt traurig mein Vetter, „denn du
wirst niCht noch einmal (mit mir tanzen wollen“.
Ich meine ärgerlich: Er glaube wohl, ich leide auch
unter närrischen Launen wie er? folge ihm auf den
Spitzen meiner beringten Zehe bis an das große
Becken lim dunklen Sultanshof. „Minn, siehst du
mich, ich bin deine Tänzerin ?“ Und da er schweigt,
sage ich verächtlich : Ich möChte wohl wissen, ob
er HeldensChultern unter seinen Bettelmantel ver-
steckt oder ob mich gar meine Träume necken und
seine Arme nicht einmal ein Kätzchen zu bändigen
vermögen? „O, ich bin noch tausendmal stärker
wie deine Träume dirs schildern, Tochter meines
Oheims, da ich dieses ärmliche Kleid trage und
gegen alle stiere VeraChtung jgleichmütig bleibe.
MiCh dünkt, ich bin der stärkste Held im ganzen
Land.“ Er zerrt an der zottigen Naht seines Man-
tels, eine Masche zerreißt und das ganze Fell sinkt
zu Boden. Der Abend färbt seine Glieder zart und
sanft. „Wirst du noch einmal mit mir tanzen zum
Lohne, da ich meine Rüstung abwarf? Horch-
flötentöne singen die Rosen fdes weißen Gartens
zu unserer Feier. — Sklaven finden uns — und
zaudern; — auf dem Rand des großen Beckens
setzen sich die Frauen, die Gesichter gestreckt, und
hinter der Palme stehen unsere Väter, der Sultan
Ali Mohamed und Mohämed Pascha, sein älterer,
weißbärtiger Bruder. Wir tanzen, bis unsere Füße
eins sind im Drehen. Dann läßt mein Vater den
schwärzen Dienern, die also [gesehen haben jmit
ihren nackten Augen unseren nächsten Tanz, meinen
Leib und vor allen Dingen mein Angesicht, er läßt
ihnen ihre Zunge durchbohren und die edlen Hof-
Ieute blenden im Vorhof desi Palästes. Den Prin-
zessinnen geschieht nichts Uebtes, sie haben pur
auf den Prinzen gesChaut. Täglich empfängt er von
ihnen Geschenke, Armspangen, Gürtel ; und auf dem
Dache liegen für seine Nächte seidengestickte
Kissen. Die Frau des Fruchtveredlers reiehte ihm
ein durchsichtiges Feigenblatt aus Mondstein ge-
SChtiffen. Aber der hüschende Schätten auf der
Stirn seines königlichen Vaters krallt sich tief ins
FleisCh 1, finster umschleicht er 'den Palast bis Zur
Lichtstunde. Man vermutet, er hübe sich vor
Schreck in der Tanznacht an einer Säule einen seiner
Perlmutterzähne auSgeschlagen. Die Frauen Ides
Harems schmachten nicht mehr hinter den Fenstern
ihrer Gemächer nach seinem Anblick, aber sie be-
stechen die Eunuchen seines Sohnes wegen, die
ihnen Mannstrachten verschaffen und so ihre An-
wesenbeit bei der Abendtafel ermöglichen. Ich halte
die Augen gesenkt über den trauernden Rosen-
garten. Minn hätte die heilige Tanznacht vergessen
zwischen schillernden Schmeicheleien. Nur mein
Vater läßt manchmal sCinen weißen Bart über meine
Hände gleiten und schweigt. Er glaubt, ich habe
das alles nur für einen Traum gehälten. Aber die
Rosen im weißen Garten sind grau geworden, zer-
bissen unter seinen geknickten Aesten liegt Minn.
Die Gärtner meinen, nur eine Prinzessin könne so
grausam gewesen sein — ich weiß aber, was seine
zarten, sanften Glieder zerbissen hät... Mein Ge-
mach war grün bescheint vom Smaragd des vorüber-
schleichCnden Seidenmantels seines Vaters, des Sul-
tans von Marokko.

Das Mysterium Jesu

Von Peter Hille

Aus dem Nachlass

Ahnung

Wolken jagen, bald dunkelt ein dei' Tempel.
Bald verlangt er noch mehr, noch glänzender hin-
aus, und ist kein Halt und ein Wandeln und Um-
bruch, jäher und jäher — der ganze Himmel ist
erregt. Nun blendet ganz besonders herüber der
mariaragende stolze, lieilige Bau, die Burg des
. Höchsten.

Wer ist wie Gott?

Ist er nicht herrlich, der Tempel?

Aber dem Tieferforschenden kommt geräde vor
glänzender Gegenwart am ehesten die Wissenschaft
nachdringenden Dunkels, und so füllt Trauer, un-
erbitterlich hohe RiChtertrauer des unbefolgten
Gesetzes Seele. Schwarze Wolken schießen lang,
wildköpfig hinaus, Träger des furchtbaren Gerichts,
hinaus mit den dunkellangen Posaunentönen des
Sturmes.

Greuel römischier Verwüstung, Blitze darüber,
brennendes peinliches Harren, eine Minute, kurz
wie vor Gottessinn die Ewigkeit — dann beginnt
das Leben über den Wolken, das streng entschei-
dende, Erfüllung des Drunten.

Droben auf Öem Stuhle der Höhe der Uner-
erkannte, der GereChte, der Nichtmehrsehoner.

Und es bedrängt ihn, er möchte alles an sein
Herz ziehn, — noch geht es nicht.

„Denn ihr seid Tempel des heiligen Geistes, in
euch will das Göttliche wohnen, ihr aber verengt
und verdrängt und vermisCht und besudelt — und
nun es zu Ende und nichts Göttliches mehr da ist
— was dann?

Was kann iCh tun?

Aermste Verblendete!

Helfen kann ich, bereiten, aber nicht für euch’
wollen!

DoCh ihr wollt nicht: es soll euch' nicht ge-
holfen sein!“

Stille, wehmütige Tage nun bei denen um den
Heiland, wie um einen bald Entschwundenen, wie
vor AbsChied.

Und weiche, verheißungsreiche Worte mäch-
tigen Trostes von seiner herben, strengen, wie
fremden, übergütigen, rotruhigen Lippen, die aber
machten das Weh erst üppig. Und sie erschraken.

Wieder ein Auftrag und so getragen, feierlich 1

„Mich verlangt, mit meinen Jüngern das Abend-
mahl zu halten “

Da wär esi dem Boten, als ging es zu einer
Bestattung, da er des Meisters Worten nachkam
und gen Bethphage ging

Und sorgsam, ernst wie zu einer Bestattung
auch, ward es geordnet, gerichtet.

Abendmahl

Ein feierlicher Abend: Purpur halb und Halb
geschlossen Gold.

Man geht nicht gern fort vom Fenster, das der
Wehmut so gut tat, doch das Mahl ist bereitet, und
die Ecken des GemaChCs liegen im Dunkeln.

Und nun Wein und Brot, das er nie mehr ver-
gnüglich, irdisch traut würde reichen, nun ward
es heilig und verklärte sich. Nun ward der Schei-
dende selbst ganz LiebesüberschWang für die, so
den guten Willen hütten.

Heilige Weinglut eines gleich edler Traube
sterbenden Tages scheint durch das wie der Bogen
des Friedens gewölbte Mittelfenster, legt seinen
wärmstfeierlichen Ton liebend hiin um das .gütig-
blasse, braunumgoldete göttliche Haupt.

An seinem ruhestarken Herzen atmet der Jünger
der Liebe das heilig flutende Leben, den göttlichen
Odem seines Meisters, Freundes, Bruders, um es
aufzunehmen in sich und weiterzuleben.

Alle kleineren Winkel sind verschwuhden, nur
das Große ist noch deutlich.

Es f geht auf den Abschied.

„Nehrnet hin und esset!“

Dem frommen Gedenken wird alle Scheinform
Kraftzeichen des heiligen Willens und seines
Meisters.

„Nehmet hjn und trinket!“

Das Blut des Machtbundes füeßt durch älle
Säfte.

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