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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

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Nr. 12 (Mai 1910)
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Schickele, René: Theddy Roosevelt: Intense life
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Lasker-Schüler, Else: Karl Kraus
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Leppin, Paul: Daniel Jesus, [3]: Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0094

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mäliigten Plutokratie die Revolution der Mägen ent-
gegensetzte. ßakunins Anschauungen haben
System. Die moralistische Staatslehre Roosevelts
ist nur ein Vorwand . . . Und der von einem wahr-
haft großziigigen Reporter zusammegesuchte Ersatz
für Rultur des Denkens, sinnliche Tradition, Qe-
schichte . . . Ich sagte schon: Publizität.

Wir liefern schon lange jede Art Kunst nach
Amerika: lebendige Meister und die Werke der
Toten, Tenöre, Soprane, Kapellmeister. Die Ameri-
kaner haben sich revanchieren wollen. Sie haben
uns Roosevelt geschickt.

Nichts ungefährlicheres, als wenn die Eran-
zosen wen feiern, der kein Franzose ist. Die
Deutschen dagegen, diese Feuerfresser und Messer-
schlucker, sind berühmt ebenso für die Bereitwillig-
keit, wie für die Griindlichkeit ihrer Verdauung.
Wenn Roosevelt ihnen erst imponiert, so werden
sie ihn mit Haut und Haaren hinunterschlucken. Er
wird in unser geistiges Leben übergehn. Die kleinen
Kinder im Tiergarten werden alle Teddy heißen.
Wenn einer unsrer Prinzen eine Rede hält, wird er
gescheit reden wie Teddy. Ein neues Stadtviertel
von Berlin wird in numerierten Avenuen angelegt
sein. Eines Tages wird unsre ganze Kultur sich
drüben in Amerika häußlich eingerichtet haben, wo-
gegen wir im Besitz originaler Sherlock Holmes,
kleiner Trusts und echt deutscher Niggersongs
schwelgen werden. Man spricht prophetisch von
einer gelben Qefahr, und die amerikansiche brennt
uns auf den Fingern. Sie ist die Qefahr des ge-
schmacklosen Arrivismus, des Qeldverdienens auf
Kosten der Qeistigkeit, der sinnlichen Verarmung
und einer radikalen Mechanik, die zur Verwendung
der „Eroika“ als Schneiderreklame führt. Ich habe
nichts gegen das goldene Kalb, wenn es in einem
stillen Haustempelchen steht. Aber die ameri-
kanische Rasse dieses Tiers ist nachweisbar
größenwahnsinnig. Zum Export versucht man es
unserm Schöheitssinn ein wenig anzupassen. Man
gibt ihm einige Philosophie, einige Literatur zu
fressen, man zeigt ihm Qemälde, man macht ihm
Musik. Es bleibt darum nicht weniger von der fixen
Idee seiner bedeutenden Menschlichkeit besessen.
Qute Menschen in Amerika hoffen es durch die
rationelle Fütterung mit Kultur allmählich zu heilen.
Warteu wir, warten wir, bevor wir es bei uns an-

zuviel, so wie es heut veranlagt ist. Es frißt uns in
hundert Jahre weg, was wir in einem Jahrtausend
von Freuden und Schmerzen gesät haben. W i r
haben B e s i t z. Die da drüben haben nur kommer- >
zielle Fertigkeiten. Sobald sie kein Geld mehr ver-
dienen, werden sie spleenig, fahren in Europa herum
und langweilen sich. Wo sollen w i r dann hin-
fahren, wenn wir einmal gerade so weit sind,
wie sie?

Die da drüben haben staunenswerte Wolken-
kratzer, die fast so hoch sind wie das Straßburger
Münster. Lassen wir ihnen die Wolkenkratzer. Die
Tatsache, daß die Cowboys nicht lasen und nicht
schrieben, nicht Musik machten und keine Bilder
malten, und daß sie tatsächlich sehr gesund waren
(obwohl sie auch nicht länger lebten, wie unser-
einer), beweist n i c h t, daß wir uns von ihnen in der
Lebenskunst unterrichten lassen müssen. Wir
hatten auch unsre Raubritter und Lanzknechte, nur
liegen sie schon längef hinter uns. Wir haben sogar
Amerika entdeckt. Auch das ist schon eine Weile
her, und wir haben in der Zwsichenzeit mehr getan,
als Qeld verdient.

*

Ich bin Teddy Roosevelt während seines unge-
wohnten Triumphes als Philosoph und Kulturträger
begegnet, als er sich in Paris unter den Mitgliedern
der Akademie niederließ, um gleich darnach in der
urehrwürdigen Sorbonne vor den Leuchten der
Wissenschaft und dem vom letzten Frieden ver-
klärten Fresco des Puvis de Chavannes über den
„Bürger einer Republik“ zu sprechen. Zwei Stunden
lang war ich bemüht, mir seine Qesichtszüge und
den Ton seiner Stimme einzuprägen. Ich habe, zehn
Schritte von ihm entfernt, jede seiner Bewegungen
verfolgt, den Fall seiner Sätze notiert, ich glaube,
ich habe mir nichts entgehen lassen, was charak-
teristisch für ihn sein konnte. Und wenn ich nicht
täglich auf Photographien von ihm stieße, erinnerte
ich mich seiner nicht! Alles an ihm ist gemein-
plätzig, die kleine, untersetzte Gestalt, die sich steif
und massig bewegt, die laute, klanglose Stimme, die
Allerweltsgebärden. Er hält die Qemeinplätzigkeit
für seinen Beruf, sie ist seine Philosophie — nicht
etwa nur eine natürliche Eigenschaft, sondern sein
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moraiischer, intellektueller und staatsmannischer
W i 11 e. Und ich muß sage: sie ist überzeugend.
Nur finde ich die Lehre von der kategorischen Qe-
meinplätzigkeit weniger überzeugend, wenn ich auch
zugebe, daß sie zur Erscheinung des zeitgenössi-
schen Amerikaners paßt, wie ein falscher Rembrandt
in den Salon seiner Gemahlin. Ein amerikanisches
Reklameinstitut empfiehlt sich mit der Ver-
sicherung: „Der Publizität widersteht nichts!“
Nicht einmal der Qedanke? Nein, nicht einmal der
Qedanke, sowie nur ein K e r 1 das Qeschäft in die
Hand nimmt. Ein Cowboy, den die Vorsehung mit
gesundem Menschenverstand und einem Sprech-
organ begabt hat, ist allen Versuchungen des
Qeistes gewachsen.

Dem über den „Bürger einer Republik“ reden-
den Roosevelt gegenüber saß, in einer Mauer-
nische, die Beine übereinander geschlagen, den pro-
vozierend vorgestreckten Kopf auf die Hand ge-
stützt: Pascal. Der Mann, dessen Schicksal
der Qedanke war, störte den andern nicht, der da
den Qedanken ein Privileg der Verdauung und sich
selbst ein lebendiges, um eine gute Verdauung
kreisendes Beispiel der „Intense Iife“ nannte. Die
Nacht darauf erschien Pascal dem neuen Mitglied
der Akademie im Traum. Er stand anscheinend
tiefbekümmert an der Ecke der 7. und 8 Avenue
von Newyork. Roosevelt erkannte ihn. Obwohl
er es sehr eilig hatte, trat er auf den Denker zu,
rüttelte ihn mit einem Shakehand auf, der trotz an-
strengender Weltreisen seine ursprüngliche Kraft
bewahrt hatte, und bot ihm schnell die Lösung
einiger Probleme an, die den andern vielleicht noch
immer beschäftigen . . .

Karl Kraus

Von Else Lasker-Schüler

Im Zimmer meiner Mutter hängt an der Wand
ein Brief unter Glas im goldenen Rahmen. Oft
stand ich als Kind vor den feinen pietätvollen Buch-
staben wie vor Hieroglyphen und dachte mir ein
Qesicht dazu, eine Hand, die diesen wertvollen
Brief wohl geschrieben haben könnte. Darurn auch

wä?lcn r(ari rvraus 'scnon' w'o ~öegegriei — iä
meinen Heimatjahren, beim Betrachten der kost-
baren Zeilen unter Glas im goldenen Rahmen. Den
Brief hatte ein Bischof geschrieben an meiner
Mutter, ein Dichter. Blau und mild waren seine
Augen, und sanftbewegt seine schmalen Lippen und
sein Stirnschatz wohlbewahrt, wie bei Karl Kraus;
der trägt frauenhaft das Haar über die Stirn ge-
kämmt. Und immer empfangen seine Augen wie
des Priesterdichters Augen gastlich den Träu-
menden. Immer schenken Karl Kraus’ Augen
Audienz. Ich sitze so gerne neben ihm, ich denke
dann an die Zeit, da ich den Schreiber des Briefes
hinter Glas aus seinem goldenen Rahmen beschwor.
Heute spricht er mit mir. Ich bewundere die
goldgelbe Blume über seinem Herzen, die er mir
mit feierlicher Höflichkeit überreicht. Ich glaube,
sie war bestimmt für eine blonde Lady; als sie an
unseren Tisch trat, begannen seine Lippen zu
spielen. Karl Kraus kennt die Frauen, er beschaut
durch sie zum Denkvertreib die Welt. Bunte
Qläser, ob sie fein getönt oder vom einfachsten
Farbenblut sind, behutsam behütend, feiert er die
Frau. Verkündet er auch ihre Schäden dem Leser
seiner Aphorismen — wie der wahre Don Juan, der
nicht ohne die Frauen leben kann, sie darum haßt
— im Qrunde aber nur die Eine sucht. Ich begegne
Karl Kraus am liebsten unter „kriegsberatenen
Männern“. Seine dichterische Strategie sind
Strophen feinster Abschätzung. Ein gütiger
Pater mit Pranken, ein großer Kater, gestiefelte
Papstfüße, die den Kuß erwarten. Manchmal
nimmt sein Qesicht die Katzenform eines Dalai-
Lama an, dann weht plötzlich eine Kühle über
den Raum — Allerleifurcht. Die große chine-
sische Mauer trennt ihn von den Anwesenden.
Seine chinesische Mauer, ein historisches Wort-
gemälde, o plastischer noch, denn alle seine Werke
treten hervor, Reliefs in der Haut des Vorgangs.
Er bohrt Höhlen in den Samt des Vorhangs, der
die Schäden verschleiert schwer. Es ist ge-
schmacklos, einen Papst zu hassen, weil sein
Raunen Flüsternde stört, weil sein Wetterleuchten
Kerzenfiackernden heimleuchtet. Karl Ktfaus ist
ein Papst. Von seiner Qerechtigkeit bekommt der
Salon Frost, die Gesellschaft Unlustseuche.

Ich liebe Karl Kraus, ich liebe diese Päpste,
die aus dem Zusammenhang getreten sind, auf ihrem
Stuhl sitzen, ihre abgestreifte Schaar, flucht und
sucht sie. — Männer und Jünglinge schleichen
um seinen Beichtstuhl, und beraten heimlich, wie sie
den grandiosen Cynismusschädel zu Zucker reiben

können. 0, diese Not, heute rot-morgen tot!

Unentwendbar inmitten seiner Werkestadt ragt
Karl Kraus ein lebendiges, überschauendes Denkmal.
Er bläst die Lufttürme um und hemmt die Schnell-
läufer, den Königinnen mit gewinnendem Lächelnl
den Vortritt lassend. Er kennt die schwarzen undf
weißen Figuren von früher her von Neuem hin.
Mit ruhiger Papsthand klappt er das Schachbrett
zusammen, mit dem die Welt zugenagelt ist.

Daniel Jesus

Roman

Von Paul Leppin Fonsetzung

Durch die schweren, seidnen Portieren waren
die Stimmen des unruhigen und ahnungsvollen
Märztages in den Salon der Qräfin Regina ge-
kommen und machten sie nachdenklich und unsicher.
Diese Stimmen blieben in ihrer Seele wie ein langer
und gefährlicher Verrat, und es war ihr zuweilen, {
als ob sie von ihr sprächen, und das wollte sie nicht.
Sie wollte alt sein und ihr Leben ohne Kampf zu [
Ende bringen, und in der Liebe zu Marta Bianka.

Es war heute sehr still, und keiner sprach ein |
Wort. Alie fünf sahn einander in die Augen und i
warteten aHf etwas. Regina saß in einem tiefen un-
geheuer weichen Schaukelfauteuil und warf von
Zeit zu Zeit einen kleinen, lächelnden Seitenblick in
einen Spiegel, der verdeckt von Dunkel und Vor-
hangfalten in einer Ecke schlief. Sie sah nach den
weißen Strähnen an ihren Schläfen und lachte leise.
Marta Bianka saß blaß und gehorsam zu ihren
Füßen, und ihr bernsteingelbes Haar wuchs wie ein
Licht zu der Mutter empor. Baron Sterben sah
darauf hin und wunderte sich, daß der Salon beinahe
hell wurde in der Nähe Marta Biankas. Und wenn
sie ihre großen, kindischen Sammtaugen zu ihm auf-
schlug, da mußte er immer an eine Ampel denken,
die schön und träumend irgendwo entbrannte und
’sanft und leise, aber doch voll süßer und verliängter
ülut war. '

Sie muß einen silberweißen Leib haben, träumtu
er und erschrak, denn Marta Bianka stand langsam
auf und verließ den Salon.

Da sagte die Qräfin Regina plötzlich — und als
ob sie sich auf etwas besonnen hätte — und sah
dabei den jungen Schauspieler Valentin so starr ins \
Gesicht, daß er erblaßte:

Erzählen Sie mir doch die Geschichte von der
kleinen Valeska, lieber Daniel Jesus, die Sie einmal
erwürgen wollte, während Sie schliefen.

Daniel Jesus fuhr auf. Er hatte die ganze Zeit
auf dem hohen schimmernden Teppich gesessen, der
den Fußboden zudeckte und mit phantastischen und
bunten Linien um die breiten Füße des Tisches
herum nach den Wänden griff. Daniel Jesus tat das
stets, und Regina duldete es mit einem mitleidigen
und seltsamen Lächeln, wenn kein Fremder dabei
war, der mit den Blicken fragte. Er fühlte sich un-
wohl auf den hohen Stühlen und Dingen, auf denen
die andern Menschen saßen und auf denen er mit
den dünnen Beinen schlenkern mußte wie ein Kind.
Dann glaubte er, daß alle Leute nach seinem Rücken
hinsähen und konnte ihnen doch nicht die neugierigen
Augen zerkratzen und mußte es dulden. Daruin
kauerte er sich am liebsten irgendwo auf der Erde
zusammen, wo alles über ihn hinwegschaute, wo er
wie ein atmender Schatten im Dunkeln blieb und nur
sein gigantischer Schädel zuweilen vor den andern
auftauchte, wenn er sprach.

Er hatte wohl eine Viertelstunde schweigend so
gesessen und mit einem spöttischen und ver-
kniffnen Munde dem Spiel des Barons mit der zwölf-
jährigen Marta Bianka zugeschaut und der feind-
seligen nutzlosen Abwehr zwischen Regina und
Valentin. Der junge Schauspieler hatte einen Kopf
wie ein Hunne, breit und knochig und verfallen im
Qesicht mit beinahe lächerlich tiefen, sengenden
Augen. Die große, schlanke Gräfin mit den sichern
und mühelosen Qebärden und den weißen, strengen
Händen, in denen es noch heute wie eine ungeheure,
verhaltne Sinnlichkeit flackerte, war ein Rätsel für
ihn, nach dessen Lösung ihn hungerte. Regina
fürchtete sich ein wenig vor ihm, und dieses Grauen
 
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