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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

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Nr. 8 (April 1910)
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Scheu, Robert: Leitfaden der Weltgeschichte
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Herr Fritz Mauthner
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Königstreue und Aethernarkose
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Minimax: Der Räuberhauptmann
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Friedlaender, Salomo: Musik und Schüttelfrost
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https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0066

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zendes Geschäft machten. Es gelang dem Marius
durch seine Tapferkeit, die Feinde so zu bestechen,
daß sie Jugurtha auslieferten. Dieser iiberlebte
seine Ermordung nicht lange. Von da an ließ sich
Marius immer häufiger zum Konsul wählen. Um
die römischen Truppen an die Cimbern und Teu-
tonen zu gewöhnen, ließ er sie diese durch ein Ver-
größerungsglas betrachten; dadurch gewöhnten
sie sich an den Anblick, waren in der Schlacht bei
Aquae Sextiae von dem kleinen Wuchs der Ger-
manen geradezu überrascht und besiegten sie
spielend. Als sich Marius zum siebentenmal zum
Konsul wählen ließ, fühlten sich die Römer so ge-
langweilt, daß sie den SuIIa um den Ausbruch eines
Bürgerkrieges ersuchten.

Marius stirbt und Sulla erwirbt sich um Mithri-
dates die größten Verdienste, indem es ihm Iange
nicht gelingt, diesen zu besiegen. Zu großer Be-
riihmtheit bringt es Pompejus, der die Seeräuber
zur Tugend zurückftihrt und diese, welche wegen
ihrer Unreinlichkeit verhaßt waren, sorgfältig
säubert. Inzwischen sah Catilina. daß es höchste
Zeit sei, sich zu verschwören. Es zeigte sich auch
hier wieder, daß man nichts vcrschwören soll. Es
blieb ihm jedoch infolge seiner bleichen Gesichts-
farbe kein anderer Beruf iibrig. Die Verschworenen
beabsichtigten, einen großen Brand zu legen, bei
dem sämtliche Schneiderrechnungen verbrennen
sollten. Cicero, der schon Iange einen Stoff zu einer
längern Rede suchte, brachte die Sache vor den
Senat. Catilina räumte das Feld und rächte sich
am Senat durch drei weitere Reden, die er Cicero
halten ließ.

Cäsar beniitzte die Betäubung des Senats zur
Gründung des Triumvirats, eines aus drei Mit-
gliedern bescehenden Vereins, der bald an Mit-
gliederschwund zugrunde ging. Bei einem Spazier-
gang kam Cäsar auch an den Rubicon, den er aus
Versehen iiberschritt. Pompejus wurde dariiber so
wütend. daß er dem Cäsar seine Tochtcr zur Frau
gab. Nun war der Krieg unvermeidlich. Zuerst
hachelten sie sich bei Dirrhachium, dann bei Phar-
salus, Pompejus nahm ein schlechtes Ende und ver-
wandelte sich in eine Bildsäule, die man im Senat
genau an der Stelle aufstellte, wo Cäsar später er-
mordet wurde. Im Jahre 48 eröffnete Cäsar den
Krieg gegen die aiexandrinische Bibliothek. Er
steckte sie in Brand, indem er die egyptische Flottc
als Fidibus verwandte. Cäsar schlug mit Vorliebe
die doppelte Ueberzahl. Trotzdem blieben die
Pompejaner so unvorsichtig, ihn auch weiterhin mit
Ueberzahl anzugreifen. So kam es zur Schlacht
von Thapsus, bei welcher fünfzigtausend Pom-
pejaner an Altersschwäche zugrunde gingen.
Hierauf verbesserte Cäsar den Kalender. Er
schaltete im Jahre 46 volle siebenundsechzig Tage
ein, was eine außerordentliche Verbesserung be-
deutet. Es gelang ihm dadurch auch, das Jahr 44.
das Jahr seiner Ermordung, hinauszuschieben.
Leider versäumte er es, die Iden des März auszu-
märzen. Ein Wahrsager hatte ihn zwar gewarnt,
aber nach der Gewohnheit dieser Gewerkschaft
sich so undeutlich ausgedrückt, daß Cäsar ihn nicht
beachtete. Die Ermordung Cäsars wurde nach
einer ganz falschen Methode vollzogen.

T Köntorstreue und Aethemarkose

Betrübende Szenen spielten sich im preußischen
Abgeordnetenhause ab. Bei dem Versuche einige
Mitglieder hinauszuwerfen, sollen diese tätlichen
Widerstand geleistet haben. Es muß auf ein königs-
treues Herz einen geradezu widerwärtigen, pein-
lichen Eindruck machen, wenn Männer bei einem
ernsthaft gemeinten Stoß gegen den Magen sich
wehren. Im Interesse des parlamentarischen An-
standes sollen diese Mitglieder in Zukunft vor jeder
Sitzung in Aethernarkose versetzt werden. Die
Rechte des Volkes werden am besten in Aether-
narkose vertreten. Der Seniorenkonvent plant so
einheitliche Ruhe ins Haus zu bringen und beitti Ge-
lingen des Versuches ihn allntählich auf weitere
demonstrierende Volksmassen auszudehnen. Poli-
zeipräsident schon benachrichtigt. Neugierige
gewarnt. R. R.

Der Räuberhauptmann

Alle Tintenkulis, Belletristen nnd das sonstige
Gewerbe hielten sich den Bauch vor moralischem
Leibweh, als in Karl May ein geborener Verbrecher

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cntiarvt wurde. Er war zu übermütig geworden
und bezog zweifellos die größten Einnahmen. Daher
eikannte man mit Recht in ihm einen wahrhaften
Räuberhauptmann, den die Feuerwehr suchen ging.
Nach den Tintenkulis braucht keine Feuerwehr
suchen gehen; s :e laufen frei heritm; rban kann sie
jederzeit auf offener Straße totfahren. In un-
lauterem Wettbewerb schrieb May mit der linken
Hand katholischeTraktätchen, während seinerechfe
angenehme Unsittlichkeiten produzierte; für seine
abenteuerliche Verlogenheit zeugte auch der Um-
stand, daß er den Orient beschrieb, ohne je Preußen
und die anderen Zuchthäuser verlassen zu haben
Während ein guter Journalist nur das beschreibt,
was cr sieht und auch das nicht beschreiben kann.
Mays Verhalten ist demnach glattweg als ge-
sinnungslos zu bezeichnen. Dies erwiesen bleibt
nichts weiter übrig, als erstens festzustellen, daß er
offenbar ein medizinisches Kuriosum darstellt, indem
seine recht und linke Großhirnhemisphäre getrennt
arbeiten; sich.erer Schwund der Balkenkommissur
(bei den meisten andern ist nur eine Hemisphäre
vorhanden und mit dem eigenen Gesäß und dem
Mastdarm des Verlegers verbunden). Zweitens
iiber sein Geschick nachzudenken, und wie es sich
vielleicht besser gestaltet hätte. Zum Journalisten
und Minister eignet sich May garnicht; der Mann
scheint einige Begabung zu haben. Vielleicht hätte
er sich besser gemacht als liberaler Abgeordneter,
der mit der rechten Hand von einem regierungs-
offizielien Diner ißt und die linke beteuernd auf das
demokratische Herz drückt. Oder als Geistlicher,
der seine Schafe segnet und ihnen gleichzeitig die
Wolle abschneidet (der Geldschrankknacker als
Seelsorger). Das Beste freilich ist: er wäre
Räuberhauptmann geblieben, hätte sich eines Tages
an die Spitze der Kückenmiihler Feuerwehr gesetzt
und wäre bimmelnd und spritzend am letzten Freitag
itt das preußische Abgeordnetenhaus eingedrungen:
cr hättc fiir Ordnung und Gerechtigkeit sicher nicht
schlechter gesorgt als der derzeitige Präsident.

Min imax

Herr Fritz Mauthner

Ich stehe nicht an, tnich mit Herrn Fritz
Mauthner, dem Sprachkritiker, dahin solidarisch'zu
erklären, daß ich den Besitz eines Professortitels
als tiicht crforderlich fiir die Ausübung der Philo-
sophie erachte, andererseits das Fehlen des Pro-
fessortitels als Beweis'mittel für philosophische Be-
gabung anzusehen. Herr Fritz Mauthner hat viel-
beachtete, außerordentlich kühle und „verständige“
Kritiken geschrieben, hat einige weniger geist- a!s
belanglose Romane verfaßt, und ist, nachdem er
schon lange derart in Produktivität sicli ergangen
hatte, zur Weltweisheit gekommen. Ein Philosoph
ist sicher kein Witzbold; wie Kürze des Whzes
Würze, so macht Breite den Philosophen. Und in
dem Sinne ist Herr Frtz Mauthner ein wahrhaft ge-
pfefferter Philosoph. Die „Zukunft“ des Herrn
Harden, welche Sprachkritisches ebenso oft ab-
druckt wie sie Gedankenkritisches vermissen läßt,
bringt aus der fünften Lieferung des Wörterbuches
der Philosophie von Mauthner einen Aufsatz über
F.nergetik. Ein andermal” mehr- über das Buch.
Wir erfahren aus dem beigelegten Prospekt.mit Ge-
nugtuung, daß „aus den erschütternden Ergebnissen
der Sprachkritik für Mauthner und jeden guten
Leser keine lähmende Angst folgte“, daß es vielmehr
runtnehr nötig ist, „die Grundbegriffe der Geistes-
und Naturwissenschaft mit dem Hammer der
sprachkritischen Idee auf ihre Festigkeit zu prüfen.“

Es folgt Schlag auf Schlag. Die Geschichte des
menschlichen Geistes ist eine Gesehichte der :i
Sprache. Die „Energie“ ist eine Kausalität, etne^p,
Relation zwischen Ursache und Wirkung. Eine 1
Paranthese wirft uns zu, daß Mauthner es auf sich j
beruhen lassen wolle, ob „unbewußtes Gedächfnis“
nicht ein Selbstwiderspruch sek Wir Stehen eü'
schiittert vor solcher Neuigkeit. Die Energetik
kriegt die Platze. Wenn Mauthner auch tnein Ge-
dächtnis auf seine Festigkeit prüfen will, so bläkt
es bei jedem Schlag: „Bäh! Olle Kamellen.“ Im
Spezialfalle Mauthners selbst hin ich ganz seiner
Meinung, daß die Geschichte des Geistes eine Ge-
schichte der Sprachfähigkeit ist. Man kann aher
witzig und breit sprechen, auch Dilettant sein und
ehrlich leidenschaftlich bemüht, ohne Philosoph
zu werden, auch nicht, wenn man an den Podensee

geht und Berliner Feuilletons meidet. Und d» s
Beste wäre: man täte dem Mann ein Leids an vw
ernennte ihn zwangsweise zum Professor.

A. D. I

Musik und Schüttelfros!

Von Mynona

Es war gar keine Landschaft, es war Musilf
aus Schnee und Schlaf. Gunimar, der eitelstn
Mann der Welt, suchte hier Erlösung vom ganzeif
Süden seiner Gefühle. Hingelagert in seinem Pel|
auf einen Eisblock intonierte er den Strafgesang aiij
den Menschen. „Der Mensch ist eine Art Staujj
aus lauter Gedanken, dieses Subjekt sträubt siclj
gegen jede präzise Definition. Da ist das WeiH
ein famoses Filter, ein Destillierapparat, eine Gej
bärerin, Wiederkäuerin, Reinigerin; aber über un^j
über mit dem Unflat ihres Materials besudelt. Wehu
Allem, das vom Weibe kommt, es ist reiner, abej
schwächlich.“ Gunimar senfzte, die ganze Musik
des Eises und Nordens heulte schauerlich mit, au s
dem Eisblock hauchte durch den Pelz eine ironiscIK
Kälte; Gunimar zitterte. „Der Mensch“, wimmerK
er einsam, „liegt aller übrigen Natur wie eiu e!
schwere Unverdaulichkeit, wie ein zersetzendeä
Gift im Magen. Mit seiner Dummheit, welche e<
Geist nennt, steckt er die ganze Natur an; die ganz e
Natur beginnt wahrhaftig zu grimassieren wie icW
wenn ich das Monokel in’s Auge stecke.“ Det;
Block, auf dem Gunimar lag, zersprang mit eincu 1
Ton wie klirrende Glasscherben; Gunimar rollK!
mit seinem Pelz in eine Schneegrube. „Ich bin so\
eitel,“ jappte Gunimar, der am ganzen Leibe zucktC'!
„daß ich mein Rheuma noch unterstreiche ntid
stilisiere. Mir ekelt es vor mir, und ich bin atif
diesen Ekel so eitel! Ich wiirde eine kokette Leichc|
abzugeben wissen. Und doch bin ich in diese Eis-j
musik eingegangen, um mich zu entmenschen'[
Eis, dachte ich, streitet mit Eitelkeit? — Wehe.
dreimal wehe der Eitelkeit, welche dem SchütteM
frost widersteht!“ „Gunimar schlotterte vor Kälte.
bestieg seinen geheizten Automobilsclitten, der voU
innen her zu lenken war, und sauste über weitc'
Eisflächen. Der Schneesturm brauste und sanff
gegen die Scheiben. Gunimar griff in eine Harfe.j
die in der Ecke lehnte, und begleitete das Geheiili
mit grellen Akkorden. Warm geworden, begab en
sich wieder in’s Freie. „Was den MenscheU
schüttelt,“ sprach er rauh. „ist immer doch bloß def j
Krampf des Lebens, den die Kälte so wahr, den die
Musik so schön offenbart. Und was geschüttelti
wird, sind immer Bäume. Muß der Tod nicht einej
Frucht sein?“ Der Orkan antwortete ihm einj
schauerliches Ja. Gunimar, am Schlitten stehend.
zog ein Pistol aus der Tasche, besah es lange, warf
es schließlich weg. Ein Nordlicht loderte auf und
ließ seine Strahlen spielen. Die kalte Wüstenei -
des Polartages schien zu lächeln. An Gunimar’s
Wimpern gefroren Tränen. Die Musik der Ver- j
zweiflung durchdrang sein Herz. Der Frost j
schüttelte ihn von neuem, aber Gunimar ver-j
stand ihn jetzt: er begann zu tanzen — wilder.
immer wilder. Der Schnee leuchtete gelber, der
Sturm beruhigte sich. Gunimar raste um deU
Schlitten herum, bis ihn der Schwindel ergriff, und
er hintaumelte; neben ihm Iag das Pistol. Wic die
Natur mit Zufällen wie mit Zeigefingern zu winkeU
versteht, dachte er, und wollte danach greifen, abef
er fand sich von Steifheit und Starre ergriffen, bloß
sein Gedanke ward scharf, rege, deutlich. Die
Glasscheiben d.es Schlittens vor ihm spiegelten leb- |
haft in allen Farben des Lichtes.

„Könnte ich mich sehen!“ dachte Gunimar:
„vielleicht ist es eine Verwechslung? Ich scheinc
starr, mein Gedanke ist frei wie Rausch und
Traum. Dieser Wiiste gehört das strahlende
Geisterlicht zu. Der Schüttelfrost wurde Tanz; die
Verzweiflung Musik. Was mir gefror, war eine
Träne der Rührung. Was mag die Eitelkeit sein.
die noch mit dem letzten Atemzuge nach Spiegelu
dürstet? —“ Gunimar verröchelte. Der Sturni
brach los wie auf ein Signal, er schleuderte das
starre Pelzjacket auf die Pistole. sie ging los, fuhr
in den Schlitten, die Saiten der Harfe klartgen und
dröhnten wie das Finale eines Liedes von Grieg.

Verantwortlich für die Schriftleitung:
HERWARTH WALDEN / BERLIN-HALENSEE
 
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