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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

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Nr. 55 (März 1911)
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Benndorf, Friedrich Kurt: Alfred Mombert
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Scheerbart, Paul: Der Kaiser von Utopia, [15]: Ein Volksroman
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https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0443

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Der „einseitige“ Stil eines Künstlers, die immanente
Nötigung zu einem bestimmten Ductus des Ausdrucks,
ist sein eingeborener, sein „gefundener“ Stil. In Mom-
berts Kunst äussert er sich als ein Zwang, Seelisches durch
eine sehr mittelbare, auf Assoziationen im Unter-
bewusstsein ruhende Symbolik kundzugeben. Diese Sym-
bolik wiederum (mit ihrer freien Verknüpfung und Um-
bildung von Elementen der Wirklichkeit) redet u n -
m itt elbarer vom Qeiste des Grenzenlosen als eine pri-
mitive Symbolik, die dem Weltgefühl im begrenzteren
Ausschnitt der Wirklichkeit Gestalt verleiht.

Die Technik aus Momberts Gedichten muss aus dem
Geist der grossen impressionistischen Bewegung
und Errungenschaft begriffen werden, an der heute
alle Künste (nebst ihrer Aesthetik!) teilhaben und die
nicht eine blosse Richtung, sondern das Wesen der
modernen Kunst bedeutet — die zusammenfällt mit
dem, was man „Naturalismus“ nennt.

* *

*

Die Naturnotwendigkeit eines Kunstschaffens (auch
des zur Unpopularität privelegierten) beweisst sich da-
rin, dass der Schaffende auf dem eingeschlagenen
Wege selbsttreu und selbstsicher vorwärtsschreitet, sei
es als ein Einsiedler, ein königlicher. Auch wer in dem
Land, in das Mombertsche Gedichte führen, nicht heim-
isch zu werden vermag, wird in der Folge der bis-
her veröffentlichten Werke des Dichters die organische
Entfaltung einer von vornherein gezeichneten Persön-
lichkeit anerkennen müssen. In „Tag und Nacht“ sind
die Keime deutlich sichtbar, die sich zu der poetischen
Zukunftsmusik der „Schöpfung*, des „Denkers“, der
„Blüte des Chaos“ ausgewachsen haben. Mombert ist
darin ein „erwählter Liebling der Natur“, dass er sich
in seiner Kunst frühzeitig selbst gefunden hat und von
Anfang an jenes eigene Gesicht trägt, das allein einem
Schaffen Anwartschaft gibt, „in die ferne Zeit zu
leuchten“. Weil er besonderes mitzuteilen hat und zu-
gleich iiber eine neue dichterische Sprachmeiodie ver-
fügt, reizt und lohnt es, in die zunächst spröd an-
mutende Esoterik seiner Dichtung einzudringen. Nir-
gends ist man mit dem Genuss des rein Aesthetischen
zu Ende; immer bleibt ein Problematisches, ein Un-
ausschöpfbares. Seme Poesie geht in die Tiefe der
Erfahrung hinein und ist insofern transzendental. Sie
sucht unerforschte Seelengebiete auf; sie kommt mit
neuen Aspirationen uad verschliesst sich daher der
profanen Leselust. Die Menge geht ja von vornherein
jeder nachdenksamen Symbolik und noch so klarer
Mystik weit aus dem Wege und in einem Dichter wie
Mombert sieht sie bestenfalls einen Monomanen. Aber
dennoch werden auch solche, die nicht befähigt sind,
komplizierten psychologischen Zuständen, Beziehungen
und Wandlungen nachzufühlen und nachzugehen, sich
an den meisterhaft geschauten Milieus freuen können
und Stimmungen in sich angeregt finden, wenn sie in
diesen Seelenlandschaften nur die Bildwirkung ins Auge
fassen. Ein Fest für die Phantasie I

Bedenkt man, welche Spannung der Seelenkraft die
Entstehung lyrischer Dichtungen vom Mombertschen
Ausmass voraussetzt und dass die Stunden rausch-
haften Nervenzustandes nur selten sein können,
weil sie eng zusammenhängen mit dem langsamen
Wachsen und Reifen der lndividualität, so staunt man
über die Produktivität dieses Dichters, über die grosse
Zahl schlechthin vollkommener und unvergessbarer Ge-
bilde.

* *

*

Trotz der romantischen Entlegenheit ihrer Szene,
trotz der Fremdartigkeit ihrer visuellen Assoziationen
(„Wachträume“), atmet diese D.chtung doch lauter Erd-
mütterliches und Menschgemeinsames Sie ist nicht die
Tat eines Schwärmers, sondern eines Menschen der
Realität. Sie bewegt sich in nächster Nähe und Nach-
barschaft des wirklichen Seins. Und dieses ist nichts
anderes, als die Polypsychie des menschlichen
lc h.

„Mystisch heissest du ihnen,

Weil sie Närrisches bei dir denken.“

„Du aber bist mystisch rein,

Weil sie dich nicht verstehn.“

Goethe: Westöstlicher Diwan.

Dle Dichtungen von Alfred Mombert erschienen im Verlag Schuster
und Loeffler, Berlin.

Der Kaiser von Utopia

Ein Volksroman

Von Paul Scheerbart

LI

Die neuen Kometen

Gleichzeitig wurden auf verschiedenen Sternwarten
eine ganze Reihe neuer Kometen entdeckt.

Diese Entdeckung wirkte aut die Bewohner des
Kaiserreichs einfach unheimlich; man sah nachts alle
Utopianer fortwährend den Himmel mit dem Fernrohre
beobachten.

Dann aber wurde von allen Seiten konstatiert, dass
die neuen Kometen garnicht Kometen sein könnten,
da ihre Bewegung am Himmel eine allzu schnelle war.

Und dann entdeckte man, dass die Irrlichter schon
in der Nähe des Erdbodens Kometenform annahmen.

Und da wars denn klar, dass die neuen Kometen
Erscheifiungen der Erdatmosphäre vorstellten — Irr-
lichter waren.

Aber der Himmel sah nun einfach grossartig aus.

LII

Die Volksangst

Die neuen Kometen, die mit den neuen Irrlichtern
identisch waren, machten nun das nächtliche Himmels-
bild ausserordentlich reich und glänzend — vornehmlich
auch durch die Farbenpracht — und dann durch die
stete Veränderlichkeit der Formen.

Dieses verhinderte aber nicht, dass sich des ganzen
Volkes eine ungeheure Angst bemächtigte; viele
Utopianer verfielen in ein heftiges Nervenfieber.

Es waren nur wenige, die ihre kalte Ruhe und
Besonnenheit bewahrten — uad zu diesen gehörte neben
sorglosen Dichtern und Künstlern natürlich in erster
Reihe der Herr Bartmann, was seinen Namen jetzt so
bekannt machte, dass bald Jeder mit den Bartmannschen
Ansichten über die Erscheinungsweit vertraut wurde.

LIII

Der zornige Bartmann

Mit dem leeren Namen und dem fruchtlosen Ruhm
war aber der Herr Bartmann keineswegs zufrieden; er
wetterte gegen die Volksangst in einer sehr wilden
und heftigen Form.

„Zeichen vom Himmel,“ schrieb er, „fiammen auf,
um die faulen Utopianer endlich aus ihrer Ruhe
herauszutreiben — und da packt den Utopianer die
Angst? Auf den Knieen sollte er dem Geiste, der
uns führt, danken, dass er uns ganz augenfällig die
unerschöpfliche Lebensfülle der Welt offenbart. Sieht
der Utopianer nicht, dass der Himmel und das Meer
eine gewaltige Sprache zur Verfügung haben? Und
sieht der Utopianer nicht, dass Himmel und Meer zu
uns, den Utopianern, sprechen? Ist es da an der
Zeit, wie Kinder ängstlich zu werden? Wahrlich —
alle Bequemlichkeitseinrichtungen und alle Gerechtig-
keitseinrichtungen sind viel zu schade für den Utopianer
— der sollte wieder von Not und Unterdrückung ge-
pisackt werden, damit seine Lebensgeister wieder auf-
flammen können, wie die Irrlichter im Meeressumpf.
Der Kaiser von Utopia sollte zum Tyrannen werden
und Waffen sollten wieder getragen werden — wie
einst vor Jahrtausenden im barbarischen Zeitalter.
Damals war es besser um uns bestellt es war
durch Hunger, Krankheit und Ungerechtigkeit dafür
gesorgt, dass der Mensch nicht schlaff wurde. Unsere
guten und angenehmen Zeiten sind zu früh gekommen.
Utopia steckt noch in den Kinderschuhen und sollte
mit harter Rute erzogen werden. Ist es etwa nicht
das Zeichen eines kindischen Gemütes — wenn man
Angst hat — vor der grossen Natur? Und wenn die
Irrlichter strafende Geister sind — weswegen können
sie strafen? Doch nur unserer Faulheit wegen können
wir gestraft werden, damit wir ein gewaltigeres Leben
führen ein Leben, wie es einem reifen Volke ziemt.
Auspeitschen sollte man den erwachsenen Leuten die
alberne Kinderangst . . .*

In dem Tone gings immer weiter — und auch
mündiich überall — ward man gar zornig — und
viele Utopianer gaben ihm recht — seine Worte
schlugen ein wie Blitze.

LIV

Die Natur der neuen Kometen

Die Gelehrten erklärten allerdings den heiligen Eifer
des Herrn Bartmann für sehr unnütz; sie sagten, es
wäre nicht nötig, dass jetzt auch noch die Worte wie
Blitze wirkten. Die neuen Kometen wirken ja schon
wie Blitze — teilten elektrische Schiäge aus, ent-
zündeten Fesselballons, erzeugten starke Gewitter, ver-
änderten die Luft, erregten das Gemüt und brachten
die gesamten Utopianer in eine so nervöse Stimmung,
dass es einfach rätselhaft erscheinen müsste, jetzt gerade
noch immer die geistige Trägheit der Utopianer zur
Zielscheibe des Witzes und des — Zornes zu machen.

Bartmanns Zorn erschien den Gelehrten sehr un-
passend, und sie machten bald mit Erfolg Stimmung
gegen dieSen Zorn.

LV

Schilda

Als der Herr Sebastian von dem Bartmannschen
Zorne hörte, musste er laut auflachen.

„AIso, dieser Herr Bartmann,“ sagte er im goldenen
Schwan am Stammtisch, „erlaubt sich, auf den Kaiser
von Utopia zu schimpfen? Der Kaiser von Utopia
soll ein Tyrann werden — gerade jetzt, wo wir augen-
scheinlich nahe daran sind, von überirdischen geister-
haften Kometen und Irrlichtern tyrannisiert zu werden?
Wir müssen zeigen, dass noch ein Schilda existiert;
arrangieren wir sofort ein lächerliches Tyrannenfest “

Und das geschah, und der Herr Sebastian präsidierte
diesem Feste in so lächerlicher Weise, dass nicht bloss
Schilda — nein — dass ganz Utopia furchtbar lachen
musste; echte Soldaten mit Holzsäbeln, Polizisten mit
opernguckern, Scharfrichter in roten Gewändern und
Zuchthäuser mit Gitterfenstern wurden vorgeführt —
selbst pompöse Hinrichtungen liess der Herr Bartmann
vorführen.

LVI

Ulaleipu

Der Staatsrat machte ein verdutztes Gesicht, als
er von diesem Schildaer Tyrannenfest hörte.

Aber man lachte.

Und es erschienen verschiedene Bücher, die das
Tyrannenfest des Kaisers Philander über Gebühr ver-
herrlichten; da musste auch der Herr Bartmann lachen
— die Komödie war wirklich komisch

„Ich schimpfe auf mich selbst,“ sagte der Herr
Bartmann ganz leise, dass es Niemand hörte, „und
dafür macht man sich über mich lustig — und des-
wegen werde ich verherrlicht. Das ist auch eine
Komödie des Ruhmes. Wer die schreiben könntel
Jetzt heist es aber still seinl“

Frau Cäcilie schüttelte aber in Ulaleipu sehr heftig
mit dem Kopf und erklärte der Lotte:

„Du, die Geschichte geht nicht mit rechten Dingen
zu hier haben wirkliche Geister ihre Hand im

Spiel.“

Die Lotte fragte: „Warum?“

Aber die Frau Cäcilie schwenkte ab und sprach nur
noch von den Kometen; denken aber tat sie ganz
was Anderes.

Die Bewohner von Ulaleipu farden jedoch das
Schildaer Tyrannenfest so lustig, dass sie beschlossen,
auch ein Tyrannenfest zu feiern, um die Volksangst
zu zerstreuen.

Und man bereitete Alles sehr lustig zu dem Ty-
rannenfest vor, sodass es wirklich köstlich zu werden
versprach.

Der Kaiser Moritz übernahm feierlich das Präsidium
in dem Vergnügungs-Komitee und zeigte sich plötzlich
so lebhaft bei der ganzen Spassarie, das Viele sagten:

„Kaiser Moritz lebt auf — dem hat der Spass
gefehlt.“

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