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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

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Nr. 7 (April 1910)
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Döblin, Alfred: Gespräche mit Kalypso, [3]: Ueber die Musik
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Laforgue, Jules: Jules Laforgue / Gedichte
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Tömörkény, Stefan: Der Kampf mit dem Soldaten
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https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0055

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Tier, das so wirr gestaltet, ohne Gleichnis wäre,
wie ein Lied? Ist ein Phantast so phantastisch
wie ein Musiker? Seine Arbeit spottet der Wirk-
lichkeit und ihres Reichtums. Du kennst die
Freunde der Weisheit, die Herrlichen, die Dein
Land einmal trug. Einer unter ihnen nannte die
Nachahmung die nährende Erde der Kunst. Viele
dachten seine Gedanken nach. Die Kunst sollte
die Natur nicht treffen, sondern übertreffen. Allen
irdischen Dingen sollte im Kiinstler eine zweite
Hebeamme erstehen. Er sollte ihr Wesen, ihr
halb von der Umwelt erdriicktes Wesen ans Licht
heben.

Kalypso:

Ich bin nicht stolz auf sie, meine allzuklugen Lan-
desleute, die naseweisen. Sie hielten unsere Erde
für ein Krüppelhaus. Nichts auf Erden verirrt und
verfehlt sich, denk ich. Die Trauer, die Armut,
die Schwäche täuscht sich damit.

Musiker:

Nun möchte ich Deine anmaßlichen Weltweisen
fragen, — sie wissen auf vieles eine Antwort, zum
Wenigsten ein Wort und können auch Hohn ertra-
gen —: Welcher Natur spielt Musik, die gleich-
nislose, beispiellose, die hilfreiche Freundin in den
Geburtswehen? Ist Musik dann noch Kunst in
ihrem Sinn und nicht vielmehr weniger oder ganz
anderes als Kunst? Die Musiker haben sich stolz
die Werkzeuge selbst gerichtet; eigenherrlich wan-
deln die Töne ab. Nun stimmt die Musik mit nichts
iiberein.

Woher. wenn sie prahlend iiber die Wirklichkeit
haust, nimmt die Musik den Sinn und bleibt nicht.
Was sie ist, ein krankes Auf und Ab? Sie saugt
sich schwellend voll mit Leben? Was macht sie
zu diesem Oleichsam fähig? Oder ist das Gleich-
sam geträumt? Und doch will. wie Du fiihlst. die-
ses Wirrste des Wirren einen Hellblick in die Welt
und unter ihren Boden tun, begreifender als die
Sprache, gebärdet sich gar als Auftakt der Schöp-
tung.

Nun siehst Du, Kalyso. die beiden Punkte, die ich
uialc. —

Kalvpso:

Fast auch die Linie zwischen ihnen.

Jules Laforgue / Gedichte

Deutsch von Max Brod

Beklagung; der Pianos

die man in den wohlhabenden Stadtvierteln hört

Nun leitet die von Wissenschaft genährte Seele, ihr
Pianos, o Pianos, in das reiche Stadtquartier!

Der Abend sinkt. Und dies Spazieren ohne Paletot
Schmeichelt den Klagen meiner unverstandnen

Nerven so.

Die Mädchen, wovon träumen sie
Zu ihrer faden Melodie?

— „Mein Heiland ach
Im Schlafgemach!

Du gehst weg und läßt uns da,

Läßt uns da und gehst vom Haus ,
Und wir flechten unser Haar,

Sticken ewig Deckchen aus.“

Fesch oder träumend? Traurig oder klug? Noch un-

entstellt?

0 Tage,unir ist alles gleich? oder, ich will die Welt?
Jungfrau noch oder wohlbewußt, daß auch der

reinste Mann

Sein Liebeslied in feiste Zoten münden lassen kann?

Mein Himmel, wovon träumen sie?

Vom Bett, von Rolandspoesie?

— „Herz im Verließ,

0 Zeit, verfließ!

Du gehst weg und läßt uns da,

Läßt uns da und gehst davon!

Chor der Bräute, Klosterschar,

Der die kleinen Brüstlein lohn.“

Schliissel des Daseins, eines schönen Tags ist alles

offen;

Erblicher Gährungsstoff, bei allen pünktlich einge-

troffen,

Im wilden Tanzfest unsrer sonderbaren Gassen;
Ah! Pensionate, Zeitungsblätter, Bühnen, Bücher-

massen!

Ade, furchtlose Melodie,

Bös ist die Welt und schmeichelt nie.

— „Der Vorhang auf,

Nun nimmt’s den Lauf?

Du gehst weg und läßt uns da,

Läßt uns da und gehst uns fort

Und den frischen Rosen nah

Ist der Herbst! O komm, sofort . .

Geduld, er kommt! Ihr werdet alle, kranke Herzen

droben

Und gleichfalls ihr, die wohlerzogen-stillen, euch

verloben,

Und Gram, die bodenlose Vase, wird im Kopf euch

sitzen

Und stetig ein Gewirr, beflaggt mit Ehrbarkeit und

Spitzen.

Unsinn, wahrscheinlich sticken sie
Schuhe für Tante Melanie.

— „Uns fehlt die Ruh!

0 wüßtest Du!

Du gehst weg und läßt uns da,

Läßt uns da und gehst so weit,

Doch du kommst geschwind, nicht wahr?
Heilst mein Weh zur rechten Zeit.“

Ja, das ist wahr! Sie alle schweifen nach dem Ideal;
Auch hier im reichen Stadtquartier blüht der

Boheme Qual.

Doch kommt das Leben; und der lebensfrischen

Tropfen Glut

Ist bald getauft, wie sich’s gehört, von tüchtger

Regenflut.

Und bald genug geraten sie
In die exakte Melodie.

— „Zu Haus war’s nett!

Allein im Bett!

Du gehst weg und läßt uns da,

Läßt uns da und gehst im Spott.

Wär ich doch vor dem Altar
Umgesunken, lieber Gott!“

Mondschein

Daß ich immer nur auf der Erde steh,

Tut mir manchmal wie ein Rippenstoß weh.

Ah! alles für dich, Mond, wenn sich still
Dein Augustnachtzauber zeigen will!

Entmastet rollst du, behäbig durch Meer
Und schwarze Brandung der Wolken her!

O steigen, verloren an deinem Becken
Beglückender Taufen mich niederstrecken!

Du blinder Stern, Leuchtturm, den Scharen
Klagender Ikarusse gewahren!

Wie Selbstmord unfruchtbares Augentor,

Wir sind der Kongreß der Schwachen, sitz vor;

Eisschädel, verspotte die Kahlköpfigkeit
Unserer heillos büreaukratischen Zeit;

Endgiltiger Lethargien Pille,

0 unsre harten Gehirne stille!

Diana im dorischesten Gewand,

Die Liebe kühlt aus, nimm den Bogen zur Hand

Und itnpfe uns mit deinem Pfeil
Den guten Willen ins Herz, das Heil!

Gestirn, von Sündfluten reingemacht,

O könnt ich in meinem Bett heute Nacht

Keusch einen deiner Strahlen erhaschen,

Ich will mir die Hände vom Leben waschen!

Aus dem Buch: Jules Laforgue: Pierrot, der Spassvogel
ßeutsch von Franz Blei und Max Brod/Veriag Axe! Juneker-Berlin

Der Kampf mit dem Soldaten

Von Stefan Tömörkeny

0, käme eine . . .

'Ohl'käme eine, ganz von selbst an einem schönen

Tag,

Die nur an meinen Lippen trinken oder sterben

mag! . . .

Oh, Taufen!

Oh! Taufen meiner Art, zu sein!

Wenn eine dieses „Tch bin dein!“

Mir sagte

Und an mein Fenster her im Laufen
Durch Menschen und durch Götterhaufen
Sich mit gesenkten Augen wagte!

O käme sie, oh wie der Blitzstrahl zum Magnet.
Und unter meinem Himmel, der irn Sturm zergeht.
Und dann die reinigende Wolkenbrüchen durch die

Nacht

Und Regenniederplätschern und des Morgens

Pracht!

O käme sie, gesenkt des Blickes Helle,

Und stäubte ihre Schuhe an der Schwelle
Unsrer Kapelle,

O seht, des Mitleids Priester ihr, —

Und sagte mir:

„Für mich bist du nicht wie die andern Leute,

Das sind so Herrn, dich brachten Engel heute.

Vor deinem Mund senk ich den Blick
Und deine Haltung hält mir mein Geschick
Und ich entdecke meines Herzens Schätze!

Und weiß, dies macht mein Schicksal aus,

(O ich bin hier bei dir schon wie zu Haus!)

Und weiß, ich muß dir folgen, bis Du mir zum Schluß
Erlaubst zu sagen, daß ich dich anbeten muß.

Nur dieses Sinnen hegend bleib ich eingehegt
In Zärtlichkeiten meines Herzens, das nur schlägt
Um dir zu sagen, daß ich nachts m.it nassen Wangen
Dasitze, daß die Schwestern für mein Leben bangen,
Daß ich im Winkel weine, nichts mir lustig scheint;
Oh, Sonntag hab ich in der Kirche so geweint!

Du fragst, warum nur Du es bist, ein andrer nicht.
Ach, laß nur, eben du bists und ein andrer nicht.

Und dessen bin ich so gewiß wie meiner Nichtigkeit
Und deines sterblichen Gesichts, zu jedem Spott

bereit.“

So käme Sie, entflohn habtot, mit irrem Rufe
Und fiele auf die Matte, die zu dem Behufe
Vor meiner Tiire liegt. So käme sie, wie toll
Den Blick, mit dem sie mir für immer folgen soll.

die Marktpreise, dann hatte er auch ein paar Klei-
nigkeiten einzukaufen. Er brauchte nämlich einen
Ring, den er dem Ferkel durch die Nase ziehen
wollte, dann einen Ring fiir die Pendeluhr — von
dort stehlen ihn die Kinder immer wieder herab —,
und endlich wollte er auch Steuer zahlen.

Dieses besorgte er zuerst, und bereichert ver-
läßt er eben das Steueramt. Er hatte nämlich zu
Hause beschlossen, zehn Gulden zu bezahlen, in
Wirklichkeit aber nur fiinf gezahlt. So fiihlte er
sich jetzt finanziell bereichert, was immer ein sehr
vergnügter Zustand ist. Nun konnte er also nach
den Ringen sehen. Bald fand er zwei sehr schönc.
Der eine paßte gerade für die Uhr, der andere
schien ihm fiir die Nase des Ferkels ein wenig groß
— aber schließlich wächst ja das Ferkel und die
Nase wächst mit. Damit wäre er jetzt ganz fertig und
könnte wieder heimwärts, als ihm einfällt, seinem
Buben ein billiges Notizbuch zu kaufen. Soll er
lieber da hinein kritzeln, als auf die Wände!

Das war ganz vernünftig. Jänos geht also in
eine Spielwarenhandlung, besieht sich die ausge-
stellten Gegenstände und kauft dann um ein paar
Kreuzer ein kleines Notizbuch. Es ist nichtsdesto-
weniger sehr schön, ja sein Riicken ist fast so ver-
goldet, wie der auf der Bibel. — Wollen schaun,
was der Bub da hineinschreibt!, meint er mit ver-
traulichem Lächeln zum Verkäufer. Sie werden
dafiir verantwortlich sein! — So gehen sie ausein-
ander. "

Wie aber Jänos die Börse mit dem Kleingeld
in die Tasche zurückstecken will, fällt sie zu Boden.
Es ist nämlich gar nicht so ieicht, sich in dem
schweren Schafspelz zu bewegen, wie man glau-
ben könnte.

Jänos bückt sich, und wie er die Börse auf-
heben will, fällt sein Blick auf eine kleine bunte
Gestalt. Es war ein Spielsoldat, mit blauem Rock
und roten Beinen, der mit seinem Holzarni stramm
salutierte. Der unglückliche kleine Krieger lag auf
der Erde, sein Czäko stieß an eine Fußkante des
Pulttisches; aber auch so liegend, hörte er nicht
auf zu salutieren. AIs Jänos ihn erblickte, schoß
es ihm blitzschnell durch den Kopf, daß er seinem
Buben mit dem Notizbuch ganz gut auch die kleine
Puppe nach Hause bringen könnte.

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