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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

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Nr. 40 (Dezember 1910)
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Stoessl, Otto: Shakespeares Problem im Hamlet
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Dauthendey, Max: Gedichte
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Lasker-Schüler, Else: Max Brod
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https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0325

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dem Bedauern des Frevels, zu peinigen, eine Qual,
der ein simpler Totschlag bei weitem nicht gleich-
kommt. Bis zum Schauspiel im Schauspiel und
zum Qespräch mit der Mutter wirkt der Aufschub
der Tat durchaus als Verschärfung der verhängten
Strafe, somit als künstlerisches Raffinement. Nur
das oberflächliche Hofgesindel mag seinen Wahn-
sinn als solchen nehmen, den Schuidigen ist die
Verstellung klar genug; daß Hamlet dabei ohne
wedteres sich die Schlinge um den Hals legen läßt,
braucht bei der (von Lublinski hervorgehobenen)
achtlosen Kühnheit des Prinzen nicht welter zu
verwundern. Erst als er diese Schlinge, statt sie
ruhig abzuwerfen, zuzuziehen scheint, indem er
sich fast selbstverständlich nach England schicken
läßt, beginnt eine äußere Planlosigkeit, die bis zum
Schluß fortwirkt und alles sittlich und dramatisch
Nötige geschehen läßt, aber wie eln Spiel des Zu-
falls. Die Ermordung des Polonius, deren Folgen
Hamlet auszuweichen sucht, bietet kaum einen
Grund. Hier führt die Skepsis des Prinzen und
des Dichters zu einer ungewollten Verdeutlichung
ihrer wertauflösenden Kraft, aber nicht zur eigent-
lich sinnfälligen Qestaltung. Hier sind die Vor-
gänge „lediglich aus der vagen Unendlichkeit des
inneren Menschen zu motivieren“, ein psycho-
Iogisches Irrsal, keine dramatische Zielsicherheit.

Wenn ein bedeutender Qeist seine eigentliche
Absicht nicht aus der planvoHen Energie seiner
Qaben, sondern durch das Eingreifen irgend eines
mechanischen Zufalls erreicht, wird ohne weiteres
ein Licht der Ironie auT ihn fallen. Wie hier bei
Shakespeare unä bei Hamlets Erreichung des Ziels
im Endkampf, trotz völligem Scheitern der Absicht.
Diese Ironie lag dem ungebrochenen Pathos beider

— des Dichters, wie seines Helden — das ihre
Skepsis mit natürlicher Urkraft überwog, zu fern,
um den Ausgang des Stückes: diese Mausefalle, in
der sich schließlich Qerechte und Ungerechte,
Prahler und Helden, SchwächLinge und Verbrecher
sämtlich fangen, als ironisch beabsichtigt wirken
zu lassen. Sonst möchte man sagen — die Ironie
wirkte eben von außen her — die Tat als Kunst-
werk geht an ‘ihrer Ueberfeinheit zugrunde, ein
Schlachtopfer der standfesten Wirklichkeit, wie
etwa das widerwärtige Sterben Eilert Lövborgs

— „in Schönheit“.

Qleichviel, bei allen widersprechenden Teilen

— Lublinski sondert auf das einleuchtendste Ballade,
italienische Novelle und modernen pathologischen
Roman in der Entwicklung des Dramas — der Wir-
kung des Ganzen, als einer grandiosen Weltkritik,
wird sich kein Zeitalter entziehen können.

Es bleibt das Verdienst der Schrift Lublinskis,-
den Charakter Hamlets als eine subjektive Ver-
körperung eines Shakespearischen Grundproblems
in seiner eigentümlichen Mischung von Leidenschaft
und Qeistigkeit erfaßt zu haben, woraus die durch-
gängige Bezogenheit aller übrigen Figuren und
Gegenspiele sich aufs Ungezwungenste ergibt. Die
Kritik des Ganzen ist zutreffend, gerade weil sie
sich bei allem Widerspruch gegen die zersprengte
Form der umfassenden, subjektiven Energie des
Kunstwerkes ergibt, das weniger und zugleich
unendlich mehr bleibt, als — ein Drama.

Lublinskis Schrift erschien ira Xenienverlag zu Leipzig

Gedichte

Von Max Dauthendey

Und einmal steht das Herz am Wege still

Häuser und Mauern, welche die Menschen über-
dauern,

Bäume und Hecken, die sich über viele Menschen-
alter strecken,

Dunkel und Sternenheer, jn unendlich' geduldiger
Wiederkehr,

Kamen mir auf dein Hügelwegen in der Sommer-
inacht entgegen.

Nach der Farbe von meinen Haaren, bin ich noch
der wie vor Jahren,

Nach meiner Sprache Klang unä an meinem Gang
Kennen mich die Gelände und im Hohlweg die
Felsenwände.

Viele Wünsche sind vergangen, die wie Sterne un-
erreichbar hangen,

Und einmal steht das Herz am Wege still,

Weil es endlich nichts mehr wünschen will.

Es sind nicht die Wunden, die uns mfide
machen

Es sind nicht die Wunden, die uns müde machen,
Nicht der Jahre Meilen, die du abgefunden,

Nicht Vergangenheit, darinnen tmser Lachen,
Feierlichkeit und die Taten hingeschwunden,

Es sind unsere Freuden, die uns in den Händen jäh
erstarrten,

Die nicht ausharrten, gleich den Himmelswänden,
Die wie Bäume, roh entwurzelt, in dem Qarten
An dem Boden liegen und verenden
Und die Träume nicht mehr sorglos wiegen.

Bäume lassen plötzlich 1 alle Blätter fliegen,

Stehen nackt, wie Galgen, an den leeren Gassen.
Nebel balgen sich, wo vorher Vögel singend saßen,
Stümpfe, kreuz und quer, ringend mit den Stürmen,
Bis sie stürzen, gleich gefällten Türmen.

So sind unsere Freuden, die sich tanzend sChürzen,
Und wie Henker täglich 1 uns um Köpfe kürzen.

Aus der Gedichtssammlunff Weltspuk, Verlag von Albert
Langen Miinchen

Max Brod

Das Volk wird nie nach ihm sChrein; er sättigt
nicht, er ist überhaupt nicht zum essen, man kann
höchstens eine seiner Hände streicheln oder seinen
Mund küssen — er hat einen schüchternen Kinder-
mund. Der erzählt immer von sich, immer so
hübsche Geschichten, die sich 1 am Ende des Pfades
reimen und viele, viele Wege geht er mit den
Mädchen in seinen Gedichten. In Grimms Märchen
ist er gemalt, wie er als Kind aussah, in Hänsel
und Gretel. Ich habe Max Brod eine Nelke mit-
gebracht, die trug er in der Hand, als er in den
Saal kam und ieh bildete mir ein, er lese mir
ganz alleine vor inmitten der königlichen Gemälde;
ringsum an den Wänden: Van Gogh. Ich weiß
den Namen seines Schauspielsl nicht, aus dem er
erzählte. Aber immer war es die Liebe, die über
seine Lippen kam — mein Herz ging blau auf
unter den vielen lausChenden Herzen. Max Brod
ist ein Liebesdichter. Auch der andere Aufzug
seines Schauspielsi war ein Liebesgedicht, ein viel-
stimmiges, ein streitendesi. Ich glaube, man kann

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